PDU: Schäuble - Der letzte deutsche Patriot
Fehlt Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) die Vorstellungskraft? Foto: picture alliance / Photoshot
Er ist einer der angesehensten Politiker in der deutschen Geschichte, mit einem Maß an Integrität, das über jeden Zweifel erhaben ist - meint das Project for Democratic Union (PDU). Dennoch müsse Wolfgang Schäuble jetzt zurücktreten...
Ein Beitrag von Korbinian Rueger und Benjamin Zeeb, PDU
Wir beim PDU haben den allergrößten Respekt vor Wolfgang Schäuble, vor seiner Person, seiner Karriere und vor seiner politischen Hinterlassenschaft. Schäuble wird oft als einer der letzten überzeugten deutschen Europäer bezeichnet. Unter Anderem deshalb ist seine Politik der letzten Tage, Wochen und Monate so schwer zu begreifen.
Häufig hört man in Deutschland Sätze wie den folgenden: „Es gibt keine bestimmte Partei, die ich unterstütze, aber eine Partei ist nur so gut wie die Leute an ihrer Spitze und da gibt es einen Mann, an dem man nicht vorbeikommt: Wolfgang Schäuble.“ Die Leute schätzen die Integrität von Schäuble, einem Mann der Prinzipien, der alles gibt, um Schaden von dem Land, dem er die Treue geschworen hat, abzuwenden. Seit dem Jahr 2009, als Schäuble Finanzminister und somit zu Deutschlands Vertreter in der Eurozone wurde, stieg sein Ansehen ins Unermessliche. Er wurde zu Deutschlands zweitwichtigstem Politiker hinter Kanzlerin Merkel und einer Autorität in der Eurokrise.
Schatten auf dem Vermächtnis
Unter seiner Aufsicht wurde Deutschland mächtiger denn je zuvor seit dem zweiten Weltkrieg. Vertreter aus Wirtschaft und Politik sahen dies nicht zuletzt als Schäubles Verdienst an, dem Mann der verantwortlich für die Strategie hinter Merkels Europolitik war und ist. Sie sahen in ihm die Stimme der Vernunft, den Mann der Deutschland Wohlstand in Zeiten der Krise brachte. Sie hatten damit noch nicht einmal Unrecht. Schäubles Beharren auf Grundsätzen, seine entschlossene Ruhe im Angesicht nahender Katastrophen und sein Verantwortungssinn haben in der Tat geholfen, Deutschlands Weg zum wirtschaftlichen Machtzentrum, das es heute ist, zu festigen. Und dennoch, trotz all der gut gemeinten Bemühung, trotz der intellektuellen, ja vielleicht sogar moralischen Überlegenheit, die von ihm ausgeht, einem Mann, dessen Mission es war die Interessen seines Landes zu schützen, Schäubles Vermächtnis wird wohl von seinem Handeln in der Griechenland-Krise überschattet werden.
Ist Schäubles Europolitik in einer Welt, die von souveränen Nationalstaaten bestimmt wird, in einer Welt, in der jeder den größten Nutzen für seinen Wahlkreis erringen möchte, die Richtige, so ist sie in Anbetracht der Mechanismen nach welchen die Eurozone heute funktioniert auf fast schon komische Art und Weise selbstzerstörerisch. Für Schäuble, einen wahren deutschen Patrioten, ergibt die neue europäische Realität keinen Sinn. Vieles hat sich geändert, aber Schäuble, dessen Handlungen im Kontext der Nation stehen, welcher er die Treue geschworen hat, gelingt es nicht, dies zu verstehen. Das soll nicht heißen, dass der gebürtige Freiburger kein überzeugter Europäer ist. Immer wieder hat er seine Begeisterung für das europäische Projekt und die besondere deutsche Verantwortung für dessen Erfolg ausgedrückt. Gelegentlich verkündete er sogar seine Frustration über die Langsamkeit mit der die Integration voranging, wofür er französische nationalistische Haltungen verantwortlich machte. Diesen Erfolg aber, werden wir niemals ausschließlich durch multilaterale Partnerschaften der Mitgliedsstaaten erreichen. Genau diese Partnerschaften sind es aber, die Schäuble als den momentan einzig realistischen Weg ansieht, Europa politisch zu strukturieren. Das Hauptproblem daran ist, dass Europa schon jetzt viel größer geworden ist als seine Bausteine, die Mitgliedsstaaten. Es ist unmöglich geworden, nationale Interessen außerhalb des Zusammenhangs des gemeinsamen europäischen Interesses zu sehen und deshalb ist es auch nicht möglich für eine einzelne Nation dem Entwicklungsverlauf des Kontinents zu entfliehen.
Realitätsverweigerung
Dies hat zu einer Situation geführt, in welcher die Politik, die so erfolgreich war, als es darum ging, Deutschlands Konjunkturschwäche unter Kanzler Schröder zu überwinden, niemals für den Euroraum funktionieren wird. Die Syriza Regierung mag ein Ärgernis sein. Griechenlands Staatsapparat mag durchdrungen sein von inkompetenten und unerfahrenen Beamten. Aber zu behaupten das Griechenland nicht genügend Sparmaßnahmen vollzogen hat ist einfach nur aberwitzig. Ein Blick auf die Lohnkosten verglichen mit anderen europäischen Nationen untergräbt solche Behauptungen. Die Lohnkosten sind in Griechenland stärker gefallen als in allen anderen europäischen Ländern seit dem Beginn der Sparmaßnahmen. Griechenland hat sich als fähig und willig bewiesen, erstaunliche Mengen an wirtschaftlicher Abwertung, massiven Nachlass in der Lohnhöhe und in den Staatsausgaben zu bewältigen.
Trotzdem lässt sich Schäuble nicht beirren und sagt „nicht genug, nicht genug, nicht genug“. Und das obwohl die drastischen Maßnahmen die griechische Schuldenperspektive unter jeder ökonomischen Betrachtung verschlechtert haben. Schäuble bleibt unerschütterlich bei seiner Überzeugung, dass griechische Verschwendung eingegrenzt werden muss, dass der Kurs, den er und mit ihm die Eurozone eingeschlagen hat, der Richtige ist. Er ist nicht bereit, sich einzugestehen, dass dieser Kurs Europa in Wahrheit dem Abgrund entgegen steuert, ja schleudert. Er möchte die Realität einfach nicht wahrhaben. „Die Weigerung des Rests von Europa, und vor allem Deutschlands, Griechenlands massiven Schuldenüberschuss anzuerkennen war die große Lüge dieser Krise. Jeder kannte die Wahrheit: Griechenland wird seine Schulden niemals komplett begleichen können. Aber niemand der an den Verhandlungen beteiligt war, war bereit, das zu sagen“, sagt der Amerikaner Jeffrey Sachs, einer angesehensten Ökonomen der Welt.
Außer dem „Ergebnis“ der Verhandlungen letzter Woche, gib es keinen Mittelweg mehr. Griechenland muss entweder die Eurozone verlassen oder andauernde, automatische Transferzahlungen erhalten, zum Beispiel in Form einer europäischen Arbeitslosenversicherung. Nur eine Transferunion kann eine nachhaltige Union sein. In den USA ist dies völlig unumstritten und viele Kommentatoren schütteln ihre Köpfe über Deutschlands Widerwille, der Realität ins Auge zu sehen. In einem Land in dem schwächere Staaten wie South Carolina, Pennsylvania, oder Wisconsin jeweils mehrere zehn Milliarden von stärkeren Staaten wie New York, Texas, und Kalifornien durch automatischer Transferzahlungen erhalten, scheint die europäische Kontroverse darüber, ob schwächere Euroländer unterstützt werden sollen, völlig abwegig.
Angriff auf die griechische Souveränität
Trotz allem, Tatsache bleibt: Griechenland braucht Reformen und eine glaubwürdige Regierung, wie eben auch andere europäische Staaten, vor allem im Süden und Osten. Ja, dabei sind sie auf internationale Unterstützung und auf einen Eingriff der europäischen Institutionen in deren nationale Angelegenheiten angewiesen. Deshalb sollte Griechenland es akzeptieren, dass die Transfers (oder Kredite) an eine Liste notwendiger Reformen gekoppelt sind und dass diese Reformen unterstützt und überwacht werden von außen. Trotz früherer gegenteiliger Bekanntmachungen hat Alexis Tsipras solcher Aufsicht zugestimmt. Aber es gibt Grenzen an welche sich solche Überwachung und auswärtiger Beeinflussung halten muss, so lange Europa die Fassade nationaler Souveränität aufrechtzuerhalten wünscht.
Die Liste aber, welche die Finanzminister der Eurozone, präsentiert haben, und die offensichtlich von Schäuble geprägt wurde, “ist ein grotesker Verrat an allem für dass das europäische Projekt stehen sollte“. Sie ist ein Angriff auf die griechische Souveränität, ihr fehlt es an Solidarität mit oder Sympathie für das griechische Volk und, falls sie durchgesetzt wird, stellt sie sicher, dass die griechische Wirtschaft in den kommenden Jahren nicht aufatmen können wird. Wie konnte es soweit kommen?
Systembedingten Misserfolge der Einheitswährung
In den letzten Wochen hat Schäuble die Politik von ‘wer zahlt schafft an‘ verfolgt, oder eher erfunden. Sein Auftreten gegenüber der griechischen Regierung und damit gegenüber der der griechischen Bevölkerung sagt in etwa: „so lange Ihr die Füße unter meinem Tisch habt…“. Aber so funktioniert internationale, und vor allem europäische Politik nun einmal nicht. Genau genommen ist solch Benehmen das, was Christine Lagarde vom IWF kritisierte, als sie ein „Gespräch unter Erwachsenen“ forderte. Ihr Kommentar war eigentlich an die griechische Regierung gerichtet, aber es funktioniert genauso gut an Schäuble gerichtet, der sich, so scheint es, eher von Emotionen als von Vernunft leiten ließ seit Yanis Varoufakis ihn auf die Palme gebracht hat. Man weiß nicht, ob es das, im internationalen Vergleich rüpelhafte Benehmen des ehemaligen Syriza Finanzministers oder die ökonomische Überlegenheit seines griechischen Gegenüber war, was ihn so wütend machte. Beides jedoch sollte einen Mann wie Schäuble eigentlich nicht dazu bringen, die Beherrschung zu verlieren.
Mit dem Abkommen, dass er Tsipras nun gezwungen hat zu unterschreiben, hat Schäuble Europa einen Bärendienst erwiesen. Wahrscheinlich meint er es nur gut. Vermutlich, genau wie Hans-Werner Sinn (eindeutig der Architekt von Schäubles “temporären Grexit“-Idee), glaubt er wirklich, dass es in der momentanen Situation am meisten darauf ankommt sich an die Regeln zu halten. Aber warum sollte man Regeln befolgen die ohne Frage früher oder später ohnehin zum Scheitern verurteilt sind? Keine Lösung die nicht Schuldenerlass, automatische Transferzahlungen, die freiwillige Aufgabe nationaler Souveränität, und eine begrenzte aber effektive Regierung der Eurozone um diese Souveränität wieder einzusetzen, beinhaltet, wird jemals zu nachhaltiger Stabilität führen. Schäuble gelingt es offensichtlich nicht, dies zu begreifen. Anstatt das große Ganze zu sehen, die systembedingten Misserfolge der Einheitswährung und die geopolitischen und kulturellen Auswirkungen eines Grexits, scheint er auf eine Art und Weise besessen von Zahlen und Regeln, die grotesk erscheint in Anbetracht der Realitäten der Eurozone. Seine politische Vorstellungskraft reicht scheinbar nicht aus, das Offensichtliche zu erkennen. Falls sich dies nicht ändert oder er nicht von seinem Weg abgebracht wird, wird dies letztendlich die Einheitswährung zerstören und damit das gesamte europäische Projekt.
Rücktritt keine Schande
Letztes Wochenende verfasste Schäuble ein Papier, gerichtet an die griechische Regierung. Darin sagte er mehr oder weniger: “entweder verlasst ihr die Eurozone fürs erste oder ihr gebt eure Souveränität an eure Gläubiger ab“. Vielleicht wollte er den Druck auf die griechische Regierung erhöhen oder vielleicht dachte er, damit gelänge es ihm, sie aus der Eurozone zu drängen und er unterschätzte einfach wie verzweifelt Alexis Tsipras sein Land darin halten wollte. So oder so, er verschlechterte die politische Atmosphäre in Europa auf Monate oder sogar Jahre. Sie wurde durch die “wir gegen sie“ Rhetorik vergiftet, obwohl es “wir zusammen“ heißen sollte und Schäuble hat seinen Teil dazu beigetragen. Unter Schäuble ist die Eurozone keine Union, sondern eine einzige Gläubiger-Schuldner Beziehung.
Wir müssen jetzt damit beginnen, das heillose Durcheinander aufzuräumen. Dies ist viel einfacher ohne einen Mann, der trotz all seiner Verdienste offensichtlich nicht das Zeug dazu hat, Europa vorwärtszubewegen. Das ist an sich keine Schande. Es gab andere Beispiele öffentlicher Personen, wie CDU-Schwergewicht Wolfgang Bosbach, oder dem früheren Bundesbankpräsident Jürgen Stark, die klarstellten, dass sich ihre Position sich nicht vereinen ließe mit den Notwendigkeiten die dazugehören, die Einheitswährung zu regieren. Deshalb vielen Dank für Ihren Dienst Herr Schäuble. Bitte treten Sie jetzt zurück.
Kontakt:
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korbinian.rueger@democraticunion.eu
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benjamin.zeeb@democraticunion.eu
Benjamin Zeeb: Diese Konsequenz sollte Schäuble aus seiner Niederlage ziehen, 18.07.2015
Links zur Debatte:
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Ulrike Guérot: United we stand?
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European Republic: Europa: Eine neue Version ist verfügbar
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Linn Selle: Generation Europa: Wir sind anders...und wir sind viele
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Publixphere: Berlins Griechenland-Politik: Richtig oder fatal?
Rakaba
Hallo PDU,
ich bin gerade über einen Satz bei eurem neuen SZ-Artikel gestolpert: "Europa braucht nicht vorrangig eine gemeinsame Zivilgesellschaft."
So clever es ist, 'realpolitisch' zu argumentieren, nicht mehr auf die große Liebe zu Europa zu setzen. Ich glaube ihr irrt euch da gewaltig. Auch ein neues Europa von oben wird nicht funktionieren. Ein funktionierendes System, auch eine vollständige politische Union in der Eurozone braucht Wurzeln, dahinter müssen feste Überzeugungen stehen, und die Wurzeln schlagen unten, vor Ort, in der Zivilgesellschaft.
MfG, Rakaba