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PDU: Schäuble - Der letzte deutsche Patriot


Foto: Fehlt Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) die Vorstellungskraft? Foto: picture alliance / Photoshot

Er ist einer der angesehensten Politiker in der deutschen Geschichte, mit einem Maß an Integrität, das über jeden Zweifel erhaben ist - meint das Project for Democratic Union (PDU). Dennoch müsse Wolfgang Schäuble jetzt zurücktreten...


Ein Beitrag von Korbinian Rueger und Benjamin Zeeb, PDU

Wir beim PDU haben den allergrößten Respekt vor Wolfgang Schäuble, vor seiner Person, seiner Karriere und vor seiner politischen Hinterlassenschaft. Schäuble wird oft als einer der letzten überzeugten deutschen Europäer bezeichnet. Unter Anderem deshalb ist seine Politik der letzten Tage, Wochen und Monate so schwer zu begreifen.

Häufig hört man in Deutschland Sätze wie den folgenden: „Es gibt keine bestimmte Partei, die ich unterstütze, aber eine Partei ist nur so gut wie die Leute an ihrer Spitze und da gibt es einen Mann, an dem man nicht vorbeikommt: Wolfgang Schäuble.“ Die Leute schätzen die Integrität von Schäuble, einem Mann der Prinzipien, der alles gibt, um Schaden von dem Land, dem er die Treue geschworen hat, abzuwenden. Seit dem Jahr 2009, als Schäuble Finanzminister und somit zu Deutschlands Vertreter in der Eurozone wurde, stieg sein Ansehen ins Unermessliche. Er wurde zu Deutschlands zweitwichtigstem Politiker hinter Kanzlerin Merkel und einer Autorität in der Eurokrise.

Schatten auf dem Vermächtnis

Unter seiner Aufsicht wurde Deutschland mächtiger denn je zuvor seit dem zweiten Weltkrieg. Vertreter aus Wirtschaft und Politik sahen dies nicht zuletzt als Schäubles Verdienst an, dem Mann der verantwortlich für die Strategie hinter Merkels Europolitik war und ist. Sie sahen in ihm die Stimme der Vernunft, den Mann der Deutschland Wohlstand in Zeiten der Krise brachte. Sie hatten damit noch nicht einmal Unrecht. Schäubles Beharren auf Grundsätzen, seine entschlossene Ruhe im Angesicht nahender Katastrophen und sein Verantwortungssinn haben in der Tat geholfen, Deutschlands Weg zum wirtschaftlichen Machtzentrum, das es heute ist, zu festigen. Und dennoch, trotz all der gut gemeinten Bemühung, trotz der intellektuellen, ja vielleicht sogar moralischen Überlegenheit, die von ihm ausgeht, einem Mann, dessen Mission es war die Interessen seines Landes zu schützen, Schäubles Vermächtnis wird wohl von seinem Handeln in der Griechenland-Krise überschattet werden.

Ist Schäubles Europolitik in einer Welt, die von souveränen Nationalstaaten bestimmt wird, in einer Welt, in der jeder den größten Nutzen für seinen Wahlkreis erringen möchte, die Richtige, so ist sie in Anbetracht der Mechanismen nach welchen die Eurozone heute funktioniert auf fast schon komische Art und Weise selbstzerstörerisch. Für Schäuble, einen wahren deutschen Patrioten, ergibt die neue europäische Realität keinen Sinn. Vieles hat sich geändert, aber Schäuble, dessen Handlungen im Kontext der Nation stehen, welcher er die Treue geschworen hat, gelingt es nicht, dies zu verstehen. Das soll nicht heißen, dass der gebürtige Freiburger kein überzeugter Europäer ist. Immer wieder hat er seine Begeisterung für das europäische Projekt und die besondere deutsche Verantwortung für dessen Erfolg ausgedrückt. Gelegentlich verkündete er sogar seine Frustration über die Langsamkeit mit der die Integration voranging, wofür er französische nationalistische Haltungen verantwortlich machte. Diesen Erfolg aber, werden wir niemals ausschließlich durch multilaterale Partnerschaften der Mitgliedsstaaten erreichen. Genau diese Partnerschaften sind es aber, die Schäuble als den momentan einzig realistischen Weg ansieht, Europa politisch zu strukturieren. Das Hauptproblem daran ist, dass Europa schon jetzt viel größer geworden ist als seine Bausteine, die Mitgliedsstaaten. Es ist unmöglich geworden, nationale Interessen außerhalb des Zusammenhangs des gemeinsamen europäischen Interesses zu sehen und deshalb ist es auch nicht möglich für eine einzelne Nation dem Entwicklungsverlauf des Kontinents zu entfliehen.

Realitätsverweigerung

Dies hat zu einer Situation geführt, in welcher die Politik, die so erfolgreich war, als es darum ging, Deutschlands Konjunkturschwäche unter Kanzler Schröder zu überwinden, niemals für den Euroraum funktionieren wird. Die Syriza Regierung mag ein Ärgernis sein. Griechenlands Staatsapparat mag durchdrungen sein von inkompetenten und unerfahrenen Beamten. Aber zu behaupten das Griechenland nicht genügend Sparmaßnahmen vollzogen hat ist einfach nur aberwitzig. Ein Blick auf die Lohnkosten verglichen mit anderen europäischen Nationen untergräbt solche Behauptungen. Die Lohnkosten sind in Griechenland stärker gefallen als in allen anderen europäischen Ländern seit dem Beginn der Sparmaßnahmen. Griechenland hat sich als fähig und willig bewiesen, erstaunliche Mengen an wirtschaftlicher Abwertung, massiven Nachlass in der Lohnhöhe und in den Staatsausgaben zu bewältigen.

Trotzdem lässt sich Schäuble nicht beirren und sagt „nicht genug, nicht genug, nicht genug“. Und das obwohl die drastischen Maßnahmen die griechische Schuldenperspektive unter jeder ökonomischen Betrachtung verschlechtert haben. Schäuble bleibt unerschütterlich bei seiner Überzeugung, dass griechische Verschwendung eingegrenzt werden muss, dass der Kurs, den er und mit ihm die Eurozone eingeschlagen hat, der Richtige ist. Er ist nicht bereit, sich einzugestehen, dass dieser Kurs Europa in Wahrheit dem Abgrund entgegen steuert, ja schleudert. Er möchte die Realität einfach nicht wahrhaben. „Die Weigerung des Rests von Europa, und vor allem Deutschlands, Griechenlands massiven Schuldenüberschuss anzuerkennen war die große Lüge dieser Krise. Jeder kannte die Wahrheit: Griechenland wird seine Schulden niemals komplett begleichen können. Aber niemand der an den Verhandlungen beteiligt war, war bereit, das zu sagen“, sagt der Amerikaner Jeffrey Sachs, einer angesehensten Ökonomen der Welt.

Außer dem „Ergebnis“ der Verhandlungen letzter Woche, gib es keinen Mittelweg mehr. Griechenland muss entweder die Eurozone verlassen oder andauernde, automatische Transferzahlungen erhalten, zum Beispiel in Form einer europäischen Arbeitslosenversicherung. Nur eine Transferunion kann eine nachhaltige Union sein. In den USA ist dies völlig unumstritten und viele Kommentatoren schütteln ihre Köpfe über Deutschlands Widerwille, der Realität ins Auge zu sehen. In einem Land in dem schwächere Staaten wie South Carolina, Pennsylvania, oder Wisconsin jeweils mehrere zehn Milliarden von stärkeren Staaten wie New York, Texas, und Kalifornien durch automatischer Transferzahlungen erhalten, scheint die europäische Kontroverse darüber, ob schwächere Euroländer unterstützt werden sollen, völlig abwegig.

Angriff auf die griechische Souveränität

Trotz allem, Tatsache bleibt: Griechenland braucht Reformen und eine glaubwürdige Regierung, wie eben auch andere europäische Staaten, vor allem im Süden und Osten. Ja, dabei sind sie auf internationale Unterstützung und auf einen Eingriff der europäischen Institutionen in deren nationale Angelegenheiten angewiesen. Deshalb sollte Griechenland es akzeptieren, dass die Transfers (oder Kredite) an eine Liste notwendiger Reformen gekoppelt sind und dass diese Reformen unterstützt und überwacht werden von außen. Trotz früherer gegenteiliger Bekanntmachungen hat Alexis Tsipras solcher Aufsicht zugestimmt. Aber es gibt Grenzen an welche sich solche Überwachung und auswärtiger Beeinflussung halten muss, so lange Europa die Fassade nationaler Souveränität aufrechtzuerhalten wünscht.

Die Liste aber, welche die Finanzminister der Eurozone, präsentiert haben, und die offensichtlich von Schäuble geprägt wurde, “ist ein grotesker Verrat an allem für dass das europäische Projekt stehen sollte“. Sie ist ein Angriff auf die griechische Souveränität, ihr fehlt es an Solidarität mit oder Sympathie für das griechische Volk und, falls sie durchgesetzt wird, stellt sie sicher, dass die griechische Wirtschaft in den kommenden Jahren nicht aufatmen können wird. Wie konnte es soweit kommen?

Systembedingten Misserfolge der Einheitswährung

In den letzten Wochen hat Schäuble die Politik von ‘wer zahlt schafft an‘ verfolgt, oder eher erfunden. Sein Auftreten gegenüber der griechischen Regierung und damit gegenüber der der griechischen Bevölkerung sagt in etwa: „so lange Ihr die Füße unter meinem Tisch habt…“. Aber so funktioniert internationale, und vor allem europäische Politik nun einmal nicht. Genau genommen ist solch Benehmen das, was Christine Lagarde vom IWF kritisierte, als sie ein „Gespräch unter Erwachsenen“ forderte. Ihr Kommentar war eigentlich an die griechische Regierung gerichtet, aber es funktioniert genauso gut an Schäuble gerichtet, der sich, so scheint es, eher von Emotionen als von Vernunft leiten ließ seit Yanis Varoufakis ihn auf die Palme gebracht hat. Man weiß nicht, ob es das, im internationalen Vergleich rüpelhafte Benehmen des ehemaligen Syriza Finanzministers oder die ökonomische Überlegenheit seines griechischen Gegenüber war, was ihn so wütend machte. Beides jedoch sollte einen Mann wie Schäuble eigentlich nicht dazu bringen, die Beherrschung zu verlieren.

Mit dem Abkommen, dass er Tsipras nun gezwungen hat zu unterschreiben, hat Schäuble Europa einen Bärendienst erwiesen. Wahrscheinlich meint er es nur gut. Vermutlich, genau wie Hans-Werner Sinn (eindeutig der Architekt von Schäubles “temporären Grexit“-Idee), glaubt er wirklich, dass es in der momentanen Situation am meisten darauf ankommt sich an die Regeln zu halten. Aber warum sollte man Regeln befolgen die ohne Frage früher oder später ohnehin zum Scheitern verurteilt sind? Keine Lösung die nicht Schuldenerlass, automatische Transferzahlungen, die freiwillige Aufgabe nationaler Souveränität, und eine begrenzte aber effektive Regierung der Eurozone um diese Souveränität wieder einzusetzen, beinhaltet, wird jemals zu nachhaltiger Stabilität führen. Schäuble gelingt es offensichtlich nicht, dies zu begreifen. Anstatt das große Ganze zu sehen, die systembedingten Misserfolge der Einheitswährung und die geopolitischen und kulturellen Auswirkungen eines Grexits, scheint er auf eine Art und Weise besessen von Zahlen und Regeln, die grotesk erscheint in Anbetracht der Realitäten der Eurozone. Seine politische Vorstellungskraft reicht scheinbar nicht aus, das Offensichtliche zu erkennen. Falls sich dies nicht ändert oder er nicht von seinem Weg abgebracht wird, wird dies letztendlich die Einheitswährung zerstören und damit das gesamte europäische Projekt.

Rücktritt keine Schande

Letztes Wochenende verfasste Schäuble ein Papier, gerichtet an die griechische Regierung. Darin sagte er mehr oder weniger: “entweder verlasst ihr die Eurozone fürs erste oder ihr gebt eure Souveränität an eure Gläubiger ab“. Vielleicht wollte er den Druck auf die griechische Regierung erhöhen oder vielleicht dachte er, damit gelänge es ihm, sie aus der Eurozone zu drängen und er unterschätzte einfach wie verzweifelt Alexis Tsipras sein Land darin halten wollte. So oder so, er verschlechterte die politische Atmosphäre in Europa auf Monate oder sogar Jahre. Sie wurde durch die “wir gegen sie“ Rhetorik vergiftet, obwohl es “wir zusammen“ heißen sollte und Schäuble hat seinen Teil dazu beigetragen. Unter Schäuble ist die Eurozone keine Union, sondern eine einzige Gläubiger-Schuldner Beziehung.

Wir müssen jetzt damit beginnen, das heillose Durcheinander aufzuräumen. Dies ist viel einfacher ohne einen Mann, der trotz all seiner Verdienste offensichtlich nicht das Zeug dazu hat, Europa vorwärtszubewegen. Das ist an sich keine Schande. Es gab andere Beispiele öffentlicher Personen, wie CDU-Schwergewicht Wolfgang Bosbach, oder dem früheren Bundesbankpräsident Jürgen Stark, die klarstellten, dass sich ihre Position sich nicht vereinen ließe mit den Notwendigkeiten die dazugehören, die Einheitswährung zu regieren. Deshalb vielen Dank für Ihren Dienst Herr Schäuble. Bitte treten Sie jetzt zurück.


Kontakt:

  • korbinian.rueger@democraticunion.eu

  • benjamin.zeeb@democraticunion.eu

Benjamin Zeeb: Diese Konsequenz sollte Schäuble aus seiner Niederlage ziehen, 18.07.2015

Links zur Debatte:


Kommentare

  • Hallo PDU,

    ich bin gerade über einen Satz bei eurem neuen SZ-Artikel gestolpert: "Europa braucht nicht vorrangig eine gemeinsame Zivilgesellschaft."

    So clever es ist, 'realpolitisch' zu argumentieren, nicht mehr auf die große Liebe zu Europa zu setzen. Ich glaube ihr irrt euch da gewaltig. Auch ein neues Europa von oben wird nicht funktionieren. Ein funktionierendes System, auch eine vollständige politische Union in der Eurozone braucht Wurzeln, dahinter müssen feste Überzeugungen stehen, und die Wurzeln schlagen unten, vor Ort, in der Zivilgesellschaft.

    MfG, Rakaba

  • Jetzt dreht Schäuble ja gänzlich am Rad. Auf der einen Seite beklagt er sich über die politische Rolle der Kommission gleichzeitig fordert er eigene Budgets für die Eurozone die von einem Euro-Finanzminister kontrolliert werden sollen. Beides für sich würde schon den Parlamentarismus und die demokratische Legitimation schwächen, zusammen wäre es hingegen eine katastrophale Technokratisierung der EU unter der Fuchtel von 28 nationalen Regierungen.

    Die EU-Kommission würde noch mehr zum verlängerten Arm der nationalen Regierungen werden und noch weniger dem Parlament verpflichtet sein. Außerdem würde die demokratische Struktur der EU durch den Ausbau der Eurozone an den Rand gedrängt. Nicht mehr das Europaparlament und nationale Parlamente hätten dann noch den Zugriff auf diese Finanzmittel, sondern ein von nationalen Regierungen bestimmter Verwalter.

    Zum grundsätzlichen Problem der Verschiebung der Macht von Parlamenten zu Regierungen hatte ich vor einiger Zeit mal einen Artikel geschrieben.

  • Kurzer TV-Tipp:

    Stephan Lamby portraitiert Wolfgang Schäuble: Ard.de: Schäuble - Macht und Ohnmacht, 24. August 2015

    Außerdem äußert sich Lamby zu den Dreharbeiten.

    Liebe Grüße, Alex

  • Hat doppelt gepostet. Entschuldigt bitte.

  • Zur These, dass Schäuble zurücktreten sollte bin ich unschlüssig. Das hängt davon ab wie die Antworten auf folgenden Fragen lauten: Wer würde ihn ersetzen? Was würde sich an der Politik der Bundesregierung substanziell ändern?

    Die Vergiftung der politischen Atmosphäre zwischen den Regierungen der Eurozone scheint tatsächlich in Teilen in Schäubles Verhalten begründet zu sein. Insoweit stimme ich zu. Das war's dann aber auch mit Zustimmung.

    Die Lohnkosten sind in Griechenland stärker gefallen als in allen anderen europäischen Ländern seit dem Beginn der Sparmaßnahmen.

    Das stimmt zwar, wobei Irlands Anpassung seit deren früher einsetzender Krise 2008/2009 ähnlich enorm war. Die Lohn[stück]kostenentwicklung seit 2010 ist aber kein guter Vergleich für die Entwicklung der Wettbewerbsfähigkeit. Aus zwei Gründen: Erstens ist der Vergleichszeitraum falsch gewählt. Die Lohnstückkosten sind zwar seit Beginn der Sparmaßnahmen gesunken. Aber die Verschuldung und Finanzierung des höheren Lebensstandards auf Pump ohne gleichzeitige Produktivitätszuwächse, hat ja viel früher seit der Einführung des Euro stattgefunden.

    Zum anderen ignoriert die Fixierung auf Lohnstückkosten andere Faktoren, was leider sehr weit verbreitet ist in Medien und Politik. Griechenland müsste weniger Waren aus dem Ausland importieren und mehr eigene Waren exportieren um wettbewerbsfähiger zu sein. Das hängt aber maßgeblich von der Entwicklung der Preise für handelbare Waren in Griechenland ab. Und die Gesamt-Lohnkosten machen nur einen von vielen Faktoren dafür aus.

    Unter Schäuble ist die Eurozone keine Union, sondern eine einzige Gläubiger-Schuldner Beziehung.

    Dass diese Gäubiger-Schuldner-Beziehung mittel- bis langfristig das politsche und kulturelle Verhältnis zwischen den Gläubiger- und Schuldnerländern vergiften wird war eines der Hauptargumente von Herrn Sinn gegen jedweden Bailout und für einen Grexit, als das erste Rettungspaket für Griechenland diskutiert wurde. Ich war sehr skeptisch, muss aber im Rückblick zugeben, dass er Recht behalten hat.

    Außer dem „Ergebnis“ der Verhandlungen letzter Woche, gib es keinen Mittelweg mehr. Griechenland muss entweder die Eurozone verlassen oder andauernde, automatische Transferzahlungen erhalten, zum Beispiel in Form einer europäischen Arbeitslosenversicherung. Nur eine Transferunion kann eine nachhaltige Union sein.

    Diese Analyse, kombiniert mit der Tatsache, dass eine Zustimmung zu andauernden, automatischen Transferzahlungen politischer Selbstmord für beinahe jede Regierungspartei in Europa wäre (auf jeden Fall: Deutschland, den Niederlanden, Österreich, Finland, Lettland, Estland, Litauen), ist erschreckend. Es kann aber gut sein, dass sie zutrifft.

    Eine vernünftige Alternative wäre vielleicht sehr viel höhere Inflation in der Eurozone relativ zu Griechenland, um die Produktivitätsunterschiede auszugleichen. Und das über viele Jahre. Eine eher unwillkommene Nachricht an den deutschen Privatsparer, der eh schon unter Niedrigzinsen leidet. Das will kein Politiker ankündigen.

    Grexit mit direkten finanziellen Hilfen für die am schlimmsten Betroffenen in Griechenland scheint mir da realistischer. Ob mit oder ohne Schäuble spielt eigentlich keine Rolle.

    • Danke für diesen ausgewogenen Kommentar. Ich glaube, wir müssen uns über die Interpretation des Geschehenen einig werden, bevor wir in die Zukunft schauen. Dafür gehören für mich:

      • In Griechenland hat sich eine Euro-Schulden-Blase ereignet. Daran haben alle Schuld: die Architekten des Euro, die Banken, die Regierungen, die Märkte, die Bürger. Deswegen lehne ich auch das Griechenbashing ab
      • diese Euro-Schuldenblase ist nun geplatzt - bzw. die Schulden sind 'sozialisiert' - die Steuerzahler sind zu Gläubigern geworden. Die Wirtschaftsweisen sagen zu Recht: das kann nicht gut gehen. Viel besser wäre es, Athen würde sich auf dem Finanzmarkt bewegen, der einer weiteren Verschuldung technische - und keine deutsch-diktatorischen - Grenzen setzt (Zinsen). Dieser ganze Konflikt würde wieder entpolitisiert und entnationalisiert.
      • in der Nacht des Agreekment stand - und das vergessen die linken Kritiker beständig - für die Gläubiger alles auf dem Spiel. Trotzen sie ihren Wählern erst Hilfskredite ab und lassen sie es dann zu, das eine wild, aggressiv, spieltheoretisch (?) zockende und nicht zuletzt nationalistische Regierung das ganze Spiel ändert? Von Schach zu Rugby? Sich an nichts mehr hält, was verabredet war?
      • im Ergebnis steht Schäuble nun als der Brutalo da - Ironie der Geschichte
      • hinzu kommt, dass es Athen den anderen so ungemein schwer macht, ihren Wählern (!) eine gute Griechenland-Story zu verkaufen. Athen hätte zum Beispiel sagen können, wir setzen eine große Pro-Unternehmens-Bürokratie-Reform auf, machen Sonderwirtschaftszonen mit einer Flat Tax, so was in der Art, #NewGreece, Angebote, bei denen die liberal-konservative Euro-Mehrheit nicht nein sagen kann. Im Gegenzug: soziale Existenzsicherung (europäische Arbeitslosenversicherung oder Ähnliches)
      • aber das was Syriza gemacht hat, war einfach zu wild. Erinnert ihr euch? Man machte die Troika für alles verantwortlich, wollte kein Geld mehr, brauchte es dann doch, beschimpfte wüst halb Europa, wollte die EZB komplett auf Sozialismus umtrimmen usw, plante den wilden Euro-Ausstieg, wagte sich selbst an Reiche und das Militär nicht ran, machte dem Diktator Putin Schöne Augen und so weiter und so weiter.
      • ganz offensichtlich blieb Schäuble keine andere Wahl als mit dem Grexit zu wedeln, und Europas leicht zu entflammender Hass gegen Berlin, gehörte ganz offensichtlich zur Syriza-Taktik dazu.
      • ich wäre dafür, nun endlich zu entscheiden, nach welchem Prinzip es nun weitergehen soll: Eurostaatlichkeit oder haftet doch jeder für sich selbst? Letzteres geht offenbar nicht mehr. Letzteres war eine Illusion der Euro-Gründer (Nicht-Beistands-Klausel)
      • Hallo Rakaba,

        bis auf dein Linken/Syriza-Bashing absolut einverstanden. Es liegen eigentlich alle Argumente auf dem Tisch. Es wird Zeit für eine Entscheidung, wie Du sie im letzten Punkt forderst.

    • Re: Lohnstückkosten & „Griechenland müsste weniger Waren aus dem Ausland importieren und mehr eigene Waren exportieren um wettbewerbsfähiger zu sein.“

      • Kein Widerspruch. Dafür braucht es aber Investitionen. Eine Strategie die immer von „investor confidence“ spricht, dann aber durch den Vorschlag eines temporären Grexit das private Geld auf absehbare Zeit verscheucht ist kopflos. Gleiches gilt für erzwungene Erhöhungen der Mwst, die Griechenland im Konkurrenzkampf um Touristen sicherlich nicht weiterhilft. Die Lösung? Griechenland muss (wie alle anderen Eurostaaten auch) Souveränität abgeben und erhält im Gegenzug Hilfe bei Aufbau staatlicher Strukturen & Industrialisierung. Das geht nur über, von allen Eurozonen-Bürgern direkt legitimierte, Institutionen.

      Re: Sinn & Anti-Bailout Populismus

      • Das Problem waren nicht die Bailouts. Auch nicht, dass dafür Gegenleistungen gefordert wurden. Aber man hat die falschen Gegenleistungen gefordert. Anstelle von sinnvollen Reformen (Aufbau eines Katasteramtes, Einführung einer staatlichen Grundsicherung anstelle das völlig überfrachteten Pensionssytems, Kampf gegen Korruption, Eintreiben von Steuern & Digitalisierung der staatlichen Bürokratie) hat man sich einseitig auf die Ausgabenseite konzentriert. Natürlich mussten die Staatsausgaben runter- aber einfach mit der Machete reinhacken war Unsinn. Insbesondere das Außer-Acht-Lassen von Multiplikatoreffekten hatte stark negative Konsequenzen für das griechische Schuldenniveau (sah der IWF 2013 genauso). Vergiftet wurde das Klima also nicht schon durch die Tatsache, dass die Troika in Athen einlief, sondern erst als klar wurde, dass sich aus den Reformen keinerlei Besserung der wirtschaftlichen Situation ergab. Es mangelte an output-Legitimation.

      Re: Transfers = Selbstmord

      • Erstmal ja. Aber Schröder hat z.B. bewiesen (unabhängig davon was man von Hartz 4 Gesetzgebung hält) dass es durchaus möglich ist das politische Ziel über die eigene Wiederwahl zu stellen. Mittelfristig sind kontinuierliche Transfers (etwa über einen gemeinsamen Militärhaushalt, eine gemeinsame Arbeitslosenversicherung, Infrastrukturprogramme etc) sicherlich allgemeinverträglicher als regelmässige Cash-Überweisungen in astronomischer Höhe, die auch in Zukunft die Titelseiten der Bildzeitung zieren werden. In den USA ist es inzwischen sogar soweit gekommen, dass vor allem Bürger aus den Bundesstaaten, die im föderalen Budget als größte Netto-Nehmer auftauchen am lautesten auf die „Geldverschwender“ in Washington schimpfen.

      Re: Inflation

      • Ja. Daran führt kein Weg vorbei. Aber nur erfolgsversprechend wenn kombiniert mit weiterer interner Abwertung in Gr. (langsam, vorsichtig, aber kontinuierlich) & Investitionen in ein neues Geschäftsmodell für die griechische Wirtschaft. Alleine werden die Griechen das nicht hinbekommen, daher sollten Investitionen und Reformen zentral aus Brüssel gesteuert werden & von Experten aus allen Euroländern begleitet werden. Auch diese Massnahme erfordert DIREKTE demokratische Legitimation, da sonst der griechische Bürger entmündigt würde.

      Insgesamt liegen wir wohl gar nicht soweit auseinander. Der wichtigste Unterschied liegt wohl in der Einschätzung der ökonomischen & politischen Machbarkeit der echten politischen Union. Dazu ein paar recht ermutigende Zahlen: http://www.politico.eu/article/europe-union-brexit-eurobarometer/

    • Hallo @Brussels,

      natürlich steht hier Schäuble nur als Person für eine von breiteren Kreisen getragene Politik, die sich verändern müsste. Mit Schäuble wird sie sich aber sicher nichts verändern, daher sollte über eine Neubesetzung nachgedacht werden. Es geht also nicht darum, Schäuble mit Schimpf und Schande vom Hof zu jagen, sondern darum, für die europäische Konsenssuche einfach auch einen konsensfähigen deutschen Finanzminister anzubieten. Syriza wäre doch gar nicht an der Regierung, wenn nicht so stur an der Austerität festgehalten worden wäre. Vermutlich hätte Griechenland schon in diesem Jahr den Zustand erreicht, dass die Schuldenquote nicht mehr weiter steigt, tendenziell sogar sinkt – was zumindest finanztechnisch der Turnaround für einen Staat ist. Das Problem ist doch nur, dass wir erstens noch immer nichts (oder zu wenig) an den Systemproblemend des Binnenmarkts und der Währungsunion gemacht haben und uns zweitens mit der scharfen Austerität gänzlich in eine Wachstumsschwäche katapultiert haben.

      „Griechenland müsste weniger Waren aus dem Ausland importieren“

      Da stimme ich zu, weshalb ich eine vorübergehende Steuer für Auslandsüberweisungen vorschlage. Importwaren würden vorrübergehend teurer, so dass die heimische Wirtschaft belebt wird und Importe durch Eigenproduktion substituiert werden.

      Zum Grexit:

      Der Verlust ist doch 2010 schon da gewesen und wir ziehen die ganze Show doch nur aus einem Grund ab, nämlich um diesen Verlust nicht realisieren zu müssen. Und da ging es weniger um Griechenland als um Italien, Irland, Spanien, Portugal und insbesondere Deutschland und Frankreich. Nach der Lehman-Pleite in den USA sind ja nicht nur ein paar hundert Milliarden in Übersee weggewesen, sondern in zahlreichen Ländern Europas sind Immobilienblasen geplatzt, die Aktienkurse eingebrochen und Unternehmen pleite gegangen. Da waren also vielleicht mal so zwei, drei Billionen Euro weg – einfach verschwunden – gab es nicht mehr. Gestern noch in den Büchern, heute wertmäßig nicht mehr existent.

      Aber haben Sie davon irgendwas gemerkt, wenn sie auf ihren Kontostand geschaut oder wenn Sie Geld abgehoben haben? Nein?

      Hätte man diese Verluste damals unsinnigerweise direkt realisiert, dann hätte da auch keine Einlagensicherung mehr geholfen, weil die nur funktioniert, wenn einzelne Banken betroffen sind, nicht aber bei einem kompletten Finanzkollaps in dieser Größenordnung. Hätte Irland seine Banken einfach pleite gehen lassen, wäre erstens kein Cent zurück nach Deutschland geflossen und zweitens wäre die irische Wirtschaft komplett abgeschmiert. Selbiges gilt für Spanien oder Portugal und auch Griechenland, mit dem Unterschied, dass dort die wirtschaftliche Ausgangslage noch schwieriger war und der Staat auch selbst schon von Anfang an überschuldet. Wir hätten also in Deutschland entweder noch viel mehr Geld gebraucht, um unseren Bankensektor zu stabilisieren, oder es wäre halt auch in Deutschland zu einem Zusammenbruch des Finanzwesens gekommen.

      Ich finde daher eigentlich, dass sich jeder Deutsche mal kräftig bei den Griechen, besonders auch bei den Iren oder auch den Spaniern oder Portugiesen für diese großartige Show bedanken sollte. Die haben in ihren Staatshaushalten nämlich momentan die Kredite stehen, und bezahlen diese ja auch, die von unseren Banken einst munter an z.B. spanische Banken vergeben wurden und zu Beginn der Krise uneinholbar gewesen wären, wenn wir nicht gemeinsam dafür gesorgt hätten, dass wir im Finanzwesen so tun, als gäbe es die riesigen Verluste nicht. Dafür kommt den Euro-Staaten auch die EZB entgegen und federt die zusätzliche Kreditaufnahme durch die niedrigen Zinsen ab. Insgesamt zahlt die Eurozone heute ja sogar weniger Zinsen als noch vor der Bankenrettung – nur die Verteilung der Zinslast auf die Länder hat sich im Laufe der Krise verändert (http://www.mister-ede.de/politik/schulden-zinslast-finanzkrise/3686).

      Und was hat das jetzt gebracht? Nun ja, zunächst eben, dass, von Ausnahmen (z.B. Zypern) abgesehen, niemand etwas gemerkt hat. Unterstützt durch die Geldpolitik haben sich die Bilanzen der Banken und die Haushalte der Eurozone insgesamt etwas konsolidiert und insgesamt stehen wir ja heute nicht mehr vor einem akuten Finanzkollaps. Das ist zwar alles auch noch kein Dauerzustand, aber zumindest ein weg, um dem Finanzwesen und den Staaten die Möglichkeit zu geben, wieder auf die Beine zu kommen und die Lehren aus der Krise zu ziehen. Die Banken haben außerdem wieder eine gewisse Eigenkapitalversorgung – freilich noch immer zu wenig – und viele Risiken wurden abgebaut, beides natürlich zum Teil zu Lasten der Staatsverschuldung. Dafür aber gibt es zumindest funktionierende Finanz- und Staatswesen und die Wirtschaft kann arbeiten – wie das anders sonst aussieht, kann man ja aktuell in Griechenland bestaunen.

      Zu Griechenland: Theoretisch hätte das Land finanztechnisch schon 2015 den Turnaround geschafft. Der ist bei hochverschuldeten Staaten nämlich ziemlich angenehm zu erreichen. Bei 180% Staatsverschuldung und gleichbleibendem Zins kann Griechenland jedes Jahr ein Defizit in Höhe von 1,8 * nominales BIP Wachstum haben. Wächst das nominale BIP um 3% kann das Defizit 5,4% des BIP betragen, ohne dass sich die Schuldenquote erhöht.

      P.S. Ich wüsste ja wirklich gerne, wie Schäuble und Juncker auftreten würden, wenn die jeweils den Job des anderen machen müssten.

      • Hallo MisterEde

        Vermutlich hätte Griechenland schon in diesem Jahr den Zustand erreicht, dass die Schuldenquote nicht mehr weiter steigt, tendenziell sogar sinkt – was zumindest finanztechnisch der Turnaround für einen Staat ist.

        [...]

        Theoretisch hätte das Land finanztechnisch schon 2015 den Turnaround geschafft. Der ist bei hochverschuldeten Staaten nämlich ziemlich angenehm zu erreichen. Bei 180% Staatsverschuldung und gleichbleibendem Zins kann Griechenland jedes Jahr ein Defizit in Höhe von 1,8 * nominales BIP Wachstum haben. Wächst das nominale BIP um 3% kann das Defizit 5,4% des BIP betragen, ohne dass sich die Schuldenquote erhöht.

        Die Fixierung auf die Schulden halte ich für falsch. Griechenland wird das Gros seiner Schulden niemals zurückzahlen. Muss es auch nicht. Politiker aus Gläubigerländern behaupten zwar ständig das Gegenteil (psychologisch nachvollziehbar, heißen sie doch "Gläubiger"), aber die Weiterfinanzierung der Schulden ist hauptsächlich ein Hebel um Strukturreformen von Griechenland zu verlangen.Und ohne die wird es für Griechenland innerhalb des Währungsunion keine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit geben. Es sollte nicht um "faule Griechen" und "deutsche Zuchtmeister" gehen. Mittel- langfristig muss Griechenland relativ zur Rest-Eurozone wettbewerbsfähiger werden, ob nun innerhalb oder außerhalb der Währungsunion. Die Staatsschulden sind eher nebensächlich.

        Zur Austeritätspolitik:

        Würde die Troika (oder wie auch immer wir sie nun nennen) kein billiges Geld bereitstellen, müsste sich Griechenland, wie jeder andere Staat, am privaten Kapitalmarkt finanzieren. Gegenüber privaten Gläubigern müsste Griechenland aber viel schmerzhaftere Austeritätspolitik und Strukturreformen ausführen um an Kredite (zu hohen Zinsen) zu kommen, als die Troika verlangt. Das sollten wir im Hinterkopf haben wenn wir sagen, dass die Troika Griechenland Austeritätspolitik aufzwingt. Tatsächlich lindert die Troika die Austerität in Griechenland, verglichen mit dem was private Gläubiger verlangen würden. Streitpunkt in den Verhandlungen ist nun das Ausmaß der Linderung, und die Ausgestaltung der Austeritätspolitik und Strukturreformen.

        Bezüglich der Stellvertreter-Rettung der Banken (so nenne ich es mal), stimme ich Ihnen absolut zu. Unter dem Vorwand der "Staatenrettung" wurden Banken aus hauptsächlich Deutschland, Frankreich, aber auch UK and US, gerettet. Besser wäre es gewesen Griechenland wäre 2010 in die Staatsinsolvenz gegangen, und jedes Land hätte seine eigenen Banken direkt retten können wenn es wollte. Hypo Real Estate lässt grüßen. Ein weiterer Banken-Bailout wäre bei den eigenen Wählern aber wohl schlecht angekommen.

        Nachtrag: Ok, ich sehe gerade, dass es doch andere Diskussionen gibt, die direkt auf den Inhalt der Griechenland-Hilfen abzielen. Hier soll's ja vermutlich um die Person Schäuble gehen. Bin neu bei publixsphere. Man verzeihe mir das Schwenken ins off-topic ;)

        • Hallo @brussels,

          schön dass Sie es mal andersherum sehen: Die Troika lindert die Austerität - das habe ich hier auch Publixphere noch nie gelesen! :)

          Ich finde es dennoch erstaunlich, wie sich die deutsche Politik absolut beharrlich weigert, die Funktionsweise des Euro, seine Implikationen anzuerkennen - schön zu beobachten beim aktuellen Agrar-Streit mit Frankreich.

          Die einzige deutsche Antwort auf den französischen Vorwurf, Deutschland betreibe Lohndumping, ist "Guck Du Dich an." Frankreichs Landwirtschaft solle doch bitte schön wettbewerbsfähiger werden. Warum denkt hier niemand ernsthaft darüber nach, Mindestlöhne in der Eurozone zu harmonisieren - auch für Erntehelfer? Der Dumping-Maschine Euro (Löhne, Steuern) wird freien Lauf gelassen. So wird der Eurofrust bei Deutschlands Nachbarn immer weiter steigen. Sie müssen ihre Sozialsstaaten komplett umbauen, nur um mit Deutschland mitzhalten. Die Franzosen werden den Tag noch verfluchen, an dem sie auf die Schnapsidee Euro kamen. Das ist meine Sorge. Ich kann auch die Franzosen völlig verstehen, dass sie sauer sind, wenn Lidl und Netto ihre gesamte Agrar- und Esskultur plattmachen, mit brutalst möglichen Preiswettbewerb. Und wir Deutschen? Wollen wir das denn selbst? Oder gäbe es nicht doch einen dritten Weg? Eine Soziale Euromarktwirtschaft?

        • Hallo @brussell,

          Wenn bei einem Land die Schuldenquote sinkt, dann hat das schon einen Effekt, weil damit ja ein Licht am Ende des Tunnels zu sehen ist. Das würde ich daher nicht unterschätzen und das Ziel ist ja auch, dass Griechenland seine Schulden, die es beim ESM (usw.) hat, so wie Portugal oder Irland dann irgendwann einfach wieder durch normale Kredite vom Finanzmarkt ablöst.

          Griechenland muss wettbewerbsfähiger werden, aber umgekehrt muss Deutschland auch auf Lohndumping verzichten. Außerdem muss mal Abseits der Lohnkosten auf andere Standortfaktoren geschaut werden, wie z.B. das Steuerdumping (luxleaks) oder günstige Datenschutzregeln (Irland). Wollen wir, dass Griechenland jetzt noch wettbewerbsfähiger wird, in dem es z.B. gänzlich auf Datenschutz verzichtet?

          Eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit ist ja durchaus wünschenswert, solange positive Veränderungen dazu führen. Wenn Unternehmen die Kosten senken können, weil sie produktiver werden, weniger Material oder Arbeitszeit brauchen, innovativer sind oder bessere Produkte herstellen, dann ist das vollkommen in Ordnung. Wenn aber Lohndumping, niedrigere Umweltstandards oder schlechterer Datenschutz den Wettbewerbsvorteil begründen, dann ist das abzulehnen.

          Würde die Troika (oder wie auch immer wir sie nun nennen) kein billiges Geld bereitstellen, müsste sich Griechenland, wie jeder andere Staat, am privaten Kapitalmarkt finanzieren.

          Naja, Griechenland bekäme schlicht und ergreifend gar kein Geld und im Gegensatz zu „jedem anderen Staat“, kann es als Mitglied der Währungsunion eben nicht die Druckerpresse anschmeißen.

          Besser wäre es gewesen Griechenland wäre 2010 in die Staatsinsolvenz gegangen, und jedes Land hätte seine eigenen Banken direkt retten können wenn es wollte.

          Hätte man dies so gemacht, wären die Kosten vermutlich noch deutlich höher gewesen, weil dann auch Irland, Spanien oder Portugal auf der Kippe gestanden hätten und das Finanzwesen schon sehr instabil war. Außerdem darf man nicht unterschlagen, dass bei solchen Entwicklungen nicht nur die Kredite weg sind, sondern üblicherweise auch die Wirtschaft einen zusätzlichen Einbruch erlebt. Wenn mit der Bereitstellung von 300 Milliarden Euro verhindert wurde, dass die Wirtschaft der Eurozone in den Jahren 2010, 2011 um je 2% und 2012 und 2013 um je 1% niedrig ausfällt, dann hat alleine dies schon Verluste von 500 - 600 Milliarden Euro vermieden.

          Vielleicht müssen wir es aber auch einfach so sehen: Postwachstumsgesellschaft, alle reden nur, Merkel setzt sie mit ihrer Austerität um.

  • Hallo PDU,

    ich glaube, ihr unterschätzt Herrn Schäuble ganz gewaltig. Ihr schreibt:

    Außer dem „Ergebnis“ der Verhandlungen letzter Woche, gib es keinen Mittelweg mehr. Griechenland muss entweder die Eurozone verlassen oder andauernde, automatische Transferzahlungen erhalten, zum Beispiel in Form einer europäischen Arbeitslosenversicherung. Nur eine Transferunion kann eine nachhaltige Union sein.

    Könnte es sein, dass Herr Schäble genauso denkt? Dass er zum Schluss gekommen ist, dass solche eine vertiefte Union inklusive Griechenland nicht zu machen es, weil a) Athen dagegen hetzt (wie Varoufakis neulich in der Zeit gegen den Schäuble-Lamers-Plan) und b) die Solidarität mit Griechenland in den vergangenen 5 Jahren so gelitten hat?

    Könnte Herrn Schäubles Plan nicht lauten: Grexit und dann politische Union (in eurem Sinne) mit den anderen, die fit und bereit genug dafür sind?

    Herr Schäuble ist auch nicht blöd. Vielleicht stehen die sinnvollen Dinge auch nur deshalb nicht in den Troika-Vorgaben, damit sie die Greichen zu ihrem eigenen Projekt machen können (das viel geforderte Ownership) und diese Reformen nicht als fremdbestimmt wahrnehmen, sondern als ihrs (Reichenbesteuerung, Militärbudget kürzen, usw.).

    • Hi Rabaka,

      Etwas ganz ähnliches hat neulich auch die FAZ geschrieben.

      http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/eurokrise/griechenland/wolfgang-schaeuble-hassfigur-13709439.html

      Nach Schäubles jüngsten Äusserungen zum EU-Finanzminister halten wir es auch durchaus für möglich, dass da was dran ist.

      Aber: Erstens halten wir Griechenland (kulturell, aber vor allem geostrategisch) für zu wichtig für Europa um den Grexit zu riskieren. Auch dann, wenn das eigentliche Ziel ein Zusammenrücken der übrigen Euro-Staaten sein sollte.

      Zweitens geht es bei Schäubles Europa-Idee nach wie vor um Konvergenz. Alle Mitglieder der Eurozone sollen kleine Deutschländer werden. Das wird aber niemals funktionieren.