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Guérot: United we stand?


Foto: Rat der EUGruppenfoto der EU-Staats- und Regierungschefs (Ausschnitt). Foto: Rat der EU

Vom Klientelismus bis zum fehlenden Katasteramt - natürlich trägt Griechenland selbst Verantwortung für seine Krise, meint Ulrike Guérot European Democracy Lab . Trotzdem sollten die übrigen Euro-Mitgliedstaaten ihr eigenes Politikversagen eingestehen. Statt einer deutschen Biedermann-Haltung brauche es europäischen Mut.

Ein Beitrag von Ulrike Guérot European Democracy Lab

„Pacta sunt servanda“, das machten Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble noch einmal in der Bundestags-Debatte am Freitag über ein drittes Hilfsprogramm für Griechenland deutlich. Das griechische „Oxi!“ konnte an diesem Kurs ebensowenig rütteln wie die wachsende Kritik führender Ökonomen, der anglo-amerikanischen Presse - oder die zunehmenden Sorge vor einer neuen deutschen Hegemonie in Europa. Wie konnte es soweit kommen?

Man darf daran erinnern: Im Mai 2010, als sich die griechische Schuldenkrise anbahnte und am Horizont abzeichnete, waren es „nur“ rund 30 Mrd. Euro, mit denen man das griechische Leck hätte schließen können — eine lächerliche Summe angesichts der mittlerweile mehr als 300 Mrd. Euro Staatsverschuldung, für die die diversen Rettungspakte geschnürt und mit der immer wieder gleichen — falschen — Logik weitergetrieben und letztlich umgeschuldet wurden.

Aber damals, 2010, waren Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen, und ein beherztes Eingreifen in Griechenland hätte den Wahlsieg kosten können. „Can you explain to me what is North Rhine-Westphalia?“ fragte mich eine litauische Journalistin an diesem Tag. Deutschland stellte erstmals regionale innenpolitische Interessen über Europa — eine Entscheidung, die ihm heute zum Verhängnis werden könnte.

„Too little, too late“

Die aktuelle Griechenland-Krise ist natürlich (das muss immer voran gestellt werden!) eine Folge fehlender griechischer Staatlichkeit, mangelnder Steuerehrlichkeit, einiger Oligarchen, die das Land melken, eines jahrzehnte-, wenn nicht jahrhundertelangen Klientelismus und fehlender Katasterämter. Das ist der — bedauerliche — griechische Teil des Problems.

Indes ist er nicht neu: All dies war offensichtlich und bekannt, als das Land 2002 in den Euro kam. „On ne fait pas jouer Platon en seconde division“, soll Giscard d’Estaing schon in den siebziger Jahren gesagt haben, als die Aufnahme Griechenlands in die EU diskutiert wurde — „Man lässt Platon nicht in der zweiten Liga spielen.“ Eine rein politische Entscheidung war es auch Jahrzehnte später, Griechenland zum Mitglied der Währungsunion zu machen. Die Frage ist darum eher, warum ein altes Problem auf einmal so explodieren und — angesichts der Tatsache, dass Griechenland nur ca. zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Euro-Zone erwirtschaftet — so eine Sprengkraft für den gesamten Euro- Raum entwickeln konnte.

Die Antwort: Ein Politikversagen auf Seiten der übrigen Euro-Mitgliedstaaten. Ein Eingeständnis dieser Mitverantwortung ist allerdings aus deutschem Biedermann-Mund nur sehr selten zu hören. Seit 2010 wurde eine Politik betrieben, die von der angelsächsischen Presse — die in Deutschland offenbar niemand wahrnehmen wollte — als „too little, too late“ bezeichnet wurde. Die Euro-Rettungspolitik war immer reaktiv, nicht aktiv, immer getrieben, nie beherzt und souverän! Die Griechen - ungezogene Buben

Und genau das war und ist das entscheidende Problem: Souverän wäre es gewesen, beherzte, mutige und ungewöhnliche Wege zur Krisenlösung zu beschreiten. Etwa durch die Einführung der zu Beginn der Krise ja durchaus diskutierten und von der SPD vorgeschlagenen Euro-Bonds. In Ausnahmesituationen brauchen politische Systeme neue Spielräume.

Genau darum wurde die Krise im Juli 2012 durch Mario Draghi und seine berühmten Worte „We will do whatever it takes to save the Euro“ mit gepumpter Zeit kurzfristig vertagt — Zeit, die die Politik erneut verspielt hat. Man hat so getan, als sähe man den Elefanten nicht, der mitten im Raum stand und steht: die Notwendigkeit, die EZB zu einem Lender of Last Resort zu machen, die Problematik einer Sparpolitik in der Krise, aber auch die makroökonomischen Ungleichgewichte in der Euro-Zone.

Verhandelt wurde die gesamte Griechenlandkrise und vor allem der aktuelle letzte Akt des griechischen Trauerspiels vorwiegend mit drei Begriffen: Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Strukturreformen, wobei kleinteiligste Vorschläge, z.B. über die Mehrwertsteuer auf Strom, am Ende die zündende Rettungsstrategie zu sein schienen. Und wenn die Griechen dies nicht wollten, dann waren sie ungezogene Buben.

Dann kam eine neue griechische Regierung ins Amt und wollten diesem absurden Spuk per Referendum ein Ende machen: So nicht weiter, oxi! Doch die Bundesregierung konnten ihren Kurs ein weiteres Mal durchsetzen.

Irland - deutsches Vorzeigeland?

Es wird nun auch um ein paar heilige Kühe im deutschen Diskurs gehen müssen. Etwa darum, ob denn wirklich alle übrigen 18 Euro-Staaten „gegen“ die Griechen stehen. Oder ob nicht aus Spanien, Portugal oder auch Frankreich und Italien inzwischen differenzierte und andere Töne kommen.

Ein paar unangenehme Wahrheiten werden da sicherlich auf Deutschland zukommen. Zum Beispiel die Erinnerung daran, dass 2010, als die Iren drauf und dran waren, ihre Banken pleite gehen zu lassen, sie von Deutschland angehalten wurden, diese mit irischen Steuergeldern zu retten, weil die deutschen Landesbanken Anlagen von ungefähr 90 Mrd. Euro in irischen Banken hatten. Für die Iren war dies eine rechtswidrige Erpressung im Interesse der Deutschen.

Ferner ist das deutsche „Totschlagargument“, nämlich die Berufung auf das Verbot der monetären Staatsfinanzierung, insofern irreführend, als es gerade die Funktion von Zentralbanken ist, als Kreditgeber der letzten Instanz die Banken bei einem Wegbrechen der Märkte mit Notkrediten zu versorgen und dadurch einen einen Zusammenbruch des Geldsystems zu verhindern — weshalb alle Zentralbanken dieser Welt mit Ausnahme der EZB diesen Auftrag und dieses Mandat haben.

Wenn man dies beherzigt und politisch möglich gemacht hätte, hätte man sich manchen heuchlerischen Umweg über Klagen gegen den Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB, sparen können. Die Klagen wurden zu Recht kürzlich vom EuGH abgelehnt. In die Zahlungsunfähigkeit gedrängt

Es ist wichtig hervorzuheben, dass die griechischen Banken bis ins Frühjahr hinein solvent waren und sogar — im Gegensatz zur Deutschen Bank — den Stresstest 2014 problemlos überstanden haben. Der Anteil des Schuldendienstes am griechischen Haushalt betrug zuletzt 2,6 Prozent, die Schulden waren also kein akutes Problem, und man hätte getrost später über einen Schuldenschnitt reden können.

Stattdessen stand er im Mittelpunkt der Verhandlungen — freilich auch, weil die griechische Regierung ihn im Laufe der emotionalen Entgleisungen der letzten Monate quasi zur Bedingung erhoben hat.

Das eigentliche Problem aber war bis zuletzt nicht Solvenz, sondern Illiquidität, in die Griechenland geradezu hineingeredet wurde — und dann kam es auch so. In diesem Teufelskreis ist die Unterscheidung zwischen gerechtfertigter Notstandsmaßnahme und widerrechtlicher Erpressung schwierig.

Was jetzt zu tun wäre

Zu der Biedermann-Haltung der deutschen Politik addiert sich hier das Michael-Kohlhaas- Prinzip einer blinden Rechtstreue, die nicht funktional ist. Denn formaljuristisch wird man diese Krise darum auch nicht auflösen und beilegen können. Die Krise erfordert jetzt die „Rückkehr des Politischen“, um die Worte von Chantal Mouffe zu bemühen. Und das Politische, das wäre zunächst einmal eine klare und mutige Idee, wohin man die Euro-Zone und Europa entwickeln will.

Dafür liegen einige Pläne in den Schubladen, z.B. eine europäische Arbeitslosenversicherung als automatischen Stabilisator, ein Budget für die Euro-Zone von drei bis vier Prozent des BIP der Euro-Zone, ein europäischer Finanzminister , ein Parlament für die Euro- Zone. Wenn Europa noch das Ziel hat, ein politisches Gemeinwesen zu werden, dann ist es jetzt an der Zeit, diese Vorschläge aus der Schublade zu ziehen, um einen europäischen „Hamiltonian Moment“ zu inszenieren, also einen neuen Rütli-Schwur zu leisten, der da lautet: „United we stand.“

Für alle, für die ein Grexit keine Lösung ist, gilt, dass das politische Angebot der politischen Neugestaltung der Euro-Zone von Berlin ausgehen muss. Sonst wird sie nicht stattfinden. Leider hat dies vor allem die deutsche Sozialdemokratie nicht verstanden — und dabei womöglich die historische Chance verspielt, für und in Deutschland eine Führungsrolle für Europa einzunehmen, auf die Europa wartet!

Hinweis: Dieser Text erschien zuerst in einer längeren Version im WISU-Magazin 7/15 und in dieser Fassung auch auf der Webseite der Heinrich-Böll-Stiftung

Links zur Debatte:


Kommentare

  • Alles, was Ulrike Guérot schreibt ist m.E. richtig. Für das, was sich daraus an politisch notwendigem Handeln ableitet, ließe sich in Europa auch eine Mehrheit organisieren. Nur gibt es in solchen völkerrechtlichen Konstruktionen wie der EU leider niemals eine Mehrheit gegen den Hegemon. In der NATO gibt es keine Mehrheit gegen die USA und in Europa keine Mehrheit gegen Deutschland. Europa hat zum dritten Mal in den letzten 100 Jahren ein Riesenproblem und das heißt Deutschland.

  • WO BLEIBT EIGENTLICH DIE SPD???

    Hat sie die Maßnahmen für Griechenland mitgeschrieben oder was? Mehrwertsteuer erhöhen, Inseln an Superreiche verhöckern...

  • WO BLEIBT EIGENTLICH DIE SPD???

    Hat sie die Maßnahmen für Griechenland mitgeschrieben oder was? Mehrwertsteuer erhöhen, Inseln an Superreiche verhöckern...

  • WO BLEIBT EIGENTLICH DIE SPD???

    Hat sie die Maßnahmen für Griechenland mitgeschrieben oder was? Mehrwertsteuer erhöhen, Inseln an Superreiche verhöckern...

  • Liebe Frau Guerot,

    eine Anmerkung:

    Sie schreiben

    "Der Anteil des Schuldendienstes am griechischen Haushalt betrug zuletzt 2,6 Prozent, die Schulden waren also kein akutes Problem, und man hätte getrost später über einen Schuldenschnitt reden können."

    Daraus lässt sich freilich auch ein ganz anderer Schluss ziehen, nämlich der, dass die Schuldenschnitt-Debatte komplett aufgebauscht ist und im Moment überhaupt nicht auf den Tisch gehört. Die Schulden können auf den St. Nimmerleinstag verschoben, umgeschichtet, gestundet werden. Das können wir alles leise über die Jahrzehnte regeln, dass es kaum jemandem auffällt (schon gar nicht dem Bund der Steuerzahler oder der CSU).

    In Abwesenheit eines wirksamen Regelwerks für die Eurozone (der Stabi-Pakt ist bekanntermaßen gescheitert), wäre es jetzt jedoch fatal, den Griechen ihre Schulden plakativ zu erlassen. Hier geht es um das Symbol - nicht ums Geld selbst. Alle anderen Euro-Länder würden denken, das machen wir auch so, erst massiv verschulden, dann wirds schon erlassen. Wohlgemerkt, ich will gar nicht sagen, dass Griechenland selbst 'schuld' ist an seinen Schulden, nur Schuldenerlasse nagen einfach am Kapitalismus, in dem wir uns nun einmal bewegen (bis wir eine bessere Idee haben).

    • Hallo Rakaba,

      das Problem bei dieser Schulden-Konstruktion ist ein anderes. Ich leihe jemandem für ein Jahr 10 Euro, die er nach einem Jahr nicht zurückzahlen kann, und ich leihe ihm dann wieder 10 Euro für ein Jahr, mit denen er den vorherigen Kredit begleicht, und so weiter. Nach 10 Jahren schuldet er mir zwar immer noch nur 10 Euro, allerdings kann man genauso sagen, dass ich ihm über 10 Jahre jetzt schon 100 Euro geliehen habe und er braucht immer noch mehr...

      Das Geld des IWF und der EZB hat Griechenland vor ein paar Jahren gegen die Zusagen von Reformen bekommen. Und jetzt bekommen Sie von uns wieder gegen die Zusage von Reformen Geld, damit sie genau diese Kredite von IWF und EZB bezahlen können. Verlangen wir dann in drei Jahren wieder Reformen, wenn dann die Rückzahlung der ESM-Kredite ansteht und wir das wieder mit einem neuen Kredit regeln müssen? Griechenland hat also, und das nicht ganz zu Unrecht wie man an der Ablösung der EZB/IWF-Kredite jetzt sieht, die Angst, dass es für die nächsten zehn, zwanzig Jahre immer genau das zu tun hat, was es von außen gesagt bekommt. Deshalb will die griechische Regierung statt dieser Kreislösung mit immer neuen Krediten einen Schuldenschnitt oder zumindest solche Laufzeiten, dass mal für 20 Jahre Ruhe ist. Außerdem würde sich Griechenland schätzungsweise gerne langfristig diese günstigen ESM-Konditionen sichern, die besser sind, als die Kreditkonditionen für Deutschland.

      Voraussehbarer Fehler: Ich habe von Anfang an dafür plädiert, dass die EFSF- bzw. ESM-Kredite so gestaltet werden, dass der Zinssatz deutlich höher liegt. Beim damaligen Zinsumfeld hätte ich 7% angesetzt und heute würde ich vielleicht 4 oder 5% vorschlagen. Und das, was Griechenland dann im Gegensatz zur aktuellen Gestaltung mehr bezahlen muss, hätte ich ihm dann gegen Auflagen gegeben (und zwar nicht geliehen sondern geschenkt). Das Geld wäre ja direkt als Zinsgewinn über den ESM wieder an Deutschland geflossen.

      Denn:
      1. So hätte nicht durch günstige Zinskonditionen diese Vermengung von Solidarität und Refinanzierungshilfe stattgefunden. Es wäre klar getrennt und damit keine versteckte Subvention. 2. Für Griechenland wäre es auf diese Weise viel attraktiver, schnell wieder an den Kapitalmarkt zurückzukehren und die teuren Kredite abzulösen, statt immer wieder auf niedrigere Zinsen zu drängen.

      Wer nicht hören will…:
      …muss halt fühlen. Ich kann es nicht ändern, nur halt beschreiben. Und so wie ich dieses Problem vor dreieinhalb Jahren beschrieben habe (Punkt 4: Banklizenz für den ESM und höhere Zinssätze für Hilfskredite)und auch vor zwei Jahren schon davor gewarnt habe, dass ein Fortführen der Austerität sich bei den Wahlen rächen kann Eine Bilanz nach fünf Jahren Euro-Rettungspolitik, so schreibe ich jetzt, dass eine Kapitalverkehrssteuer massiv helfen würde. Aber auch da, wird es wohl anders kommen und Europa wird weiterhin durch schlechte Lösungen kaputt gemacht.

  • Anstatt den großen Wurf als Lösung zu sehen, würde ich in einer so akuten Situation empfehlen, konkrete Maßnahmen umzusetzen, welche die Situation für Griechenland und die Euro-Gruppe schnell verbessern. Eine Kapitalverkehrssteuer auf Auslandsüberweisungen in Höhe von 12% könnte in Griechenland binnen ein bis zwei Wochen umgesetzt werden und würde richtig helfen.

    Zurzeit kann ja nur mit Sondergenehmigung ins Ausland überwiesen werden, was ein ernsthaftes Problem ist. Durch die Steuer, die von den Banken als zusätzliche Gebühr erhoben und an das Finanzamt abgeführt wird, sobald jemand Geld ins Ausland überweist, würde sowohl die Einschränkungen wie auch den mit Sondergenehmigungen verbunden Verwaltungsaufwand abstellen.

    Der Effekt: Wer Geld ins Ausland überweist muss Steuern zahlen und das heißt: 1. Die Kapitalflucht wird entweder gebremst oder versteuert. Wäre die Maßnahme im Februar eingeführt worden, wären 50 Milliarden weniger ins Ausland geflossen oder Griechenland hätte 6 Milliarden erhalten. 2. Die Importe werden verteuert und versteuert. Der griechische Staat erhält auch hier Geld und gleichzeitig wird die heimische Produktion gestärkt.

    Der Euro bleibt erhalten. Die Maßnahme läuft dann ab einem Zeitpunkt langsam aus, wie die Kapitalverkehrskontrollen in Zypern.