Generation Y: Eine Abrechnung
Foto: Ryan McGuire (CC0 1.0)
Von Facebook traurig gemacht? Immer in der Krise und für die Sinngebung selbst verantwortlich? Julian Leitloff Unsere Zeit macht sich Gedanken zu seiner Generation. Er meint: "Wir sind schwer beschäftigt, diese Welt zu verstehen."
Hinweis: Dieser Text erschien erstmals auf dem Blog Unsere Zeit - Gedanken zur Gegenwart
Es ist anscheinend zum Verzweifeln mit der Generation Y. Wir sind die „erste Generation, die mit der Work-Life-Balance-Welle groß geworden ist. Behütet, in Wohlstand gebettet“. Der Economist publizierte erst zuletzt eine Umfrage, die bestätigte, dass wir als die schwierigsten Mitarbeiter mit der geringsten Arbeitsmoral, Teamfähigkeit und Problemlösungskompetenz seit dem Zweiten Weltkrieg angesehen werden. In vorauseilendem Gehorsam zweifelt ein Journalist der NZZ in seiner frühen Midlife-Crisis daran, „dass meine Generation, diese lethargische, verunsicherte, von einer postideologischen Welt im Stich Gelassene, es vermag, aufzustehen und fundamentale Konflikte zu lösen“. Selbst Sokrates bemerkte bereits über die Generation Y: „Die Jugend liebt heute den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt mehr vor älteren Leuten und diskutiert, wo sie arbeiten sollte“.
Der Abgesang auf die nächstfolgende Generation ist also nichts Neues. Neu dagegen ist, dass diese Generation tatsächlich einen Grund hätte, sich zu beschweren. Obwohl die heute über 47-Jährigen fast doppelt so viel Vermögen besitzen wie ihre Vorgängergeneration im Jahr 1980, hat sich bei den unter 30-Jährigen zumindest in den USA nichts getan. Vom Wachstum des Wohlstands haben sie nichts abbekommen. Die Jugendarbeitslosigkeit grassiert in Europa und zieht auch an Deutschland nicht ganz spurlos vorbei. Unsere Generation ist als direkte Folge generell misstrauischer, verkriecht sich wieder bei ihren Eltern und sieht sich mit einer Arbeitslosenrate konfrontiert, die ungleich größer ist als die anderer Generationen seit dem Zweiten Weltkrieg, wie The Atlantic zweideutig festhält.
Generation Krise
Ob der Atlantic mit seiner schnoddrigen Einschätzung da mal nicht baden geht. Schließlich sollen wir noch die Renten bezahlen, die sich die auflagenstarken und nun rentenreifen 68er in den Generationenvertrag geschrieben haben. Wir aber kennen Ludwig Erhard nur aus dem Geschichtsunterricht. Unser politisches Bewusstsein beginnt mit der Demontage von Institutionen. Während wir aufwuchsen, stürzten die Zwillingstürme, der neue Markt, die Immobilienpreise, Staatsfinanzierungen und der Glaube an das freie Internet in sich zusammen. Der Glaube an Institutionen ist uns genauso abhanden gekommen wie Fukuyamas Glaube an das Ende der Geschichte.
Diese sowohl ökonomische als auch soziale Unsicherheit steht im direkten Widerspruch zu den Versprechen unserer individualistischen Erziehung. Der Unterschied zwischen „du kannst alles werden, was du sein möchtest“ und der Realität sieht ziemlich erbärmlich aus, wie der geniale Tim Urban in seinem neuen Blog Wait-but-why treffend beschreibt. Generation Krise könnte man uns nennen, denn wir sind mit ihr aufgewachsen und leben immer noch in ihr. Und wie ein pavlov’scher Hund verhalten wir uns vermeintlich entsprechend im politischen Biedermeier. Die Option ist unser natürlicher Verbündeter.
Generation Why
Auch wenn es nicht danach aussieht – wir sind schwer beschäftigt. Wir sind für unsere eigene Sinngebung in einer widersprüchlichen, interdependenten und globalen Welt selber verantwortlich. Die sinngebenden Institutionen stiften längst nicht mehr die klare, unumstößliche Identität wie noch vor zwanzig Jahren. Wir können uns nicht an euch reiben, um unsere Kontur zu schärfen, denn im Zweifelsfall habt ihr in eurem Leben mehr Joints geraucht als wir und in lila Latzhose gegen den Nato-Doppelbeschluss demonstriert.
Wir bewegen uns in unseren Ambitionen im internationalen Maßstab. „Es ist mir nicht möglich“ ist in Zeiten des Internets keine Ausrede mehr – „Das wusste ich nicht“ ebenso wenig. Probleme in der Welt werden uns konsequent vor Augen geführt. Wie der Fernseher den Vietnamkrieg direkt in die US-amerikanischen Wohnzimmer getragen hat, werden mir eindrückliche Hilfeaufrufe eines syrischen Jugendlichen direkt unter die Urlaubsbilder meiner Freunde gepostet.
Ihr habt uns die Technologie gegeben und wir versuchen gerade den richtigen Umgang damit zu finden. Wie vielen Posts, Tweets und Statusupdates kann ich mich täglich aussetzen, ohne dass mich Facebook unglücklich macht? Ist ein Moment schöner, wenn ich ihn konservieren kann? Vergisst das Internet auch mal? Wie sicher müssen meine Daten sein? Wann darf ich endlich mal abschalten? Zudem können wir uns das Auf-den-Tisch-Hauen nicht leisten. Die mehrheitsorientierte Repräsentation der Alten bedeutet für unsere Generation eine beschränkte Einflussmöglichkeit.
Die Abrechnung
Eines sind wir dann auch noch, nämlich sehr pragmatisch. Zwischen vermeintlich alternativlosen Werdegängen gefangen, tun wir das einzig Richtige: Wir entziehen uns dieser Logik. Kerstin Bund von der ZEIT hat das bereits zusammengefasst: Warum sollten wir auch in unseren Zwanzigern temporär ausbrechen, nur um dann wie unsere Väter doch wieder bis zur Rente unseren Frondienst zu leisten? Mit unserer Marschverweigerung tragen wir das in die Institutionen, was im ersten Anlauf nicht geschafft wurde.
Ist das denn ein Zeichen einer desillusionierten Generation? Und entsteht Desillusionierung nicht erst aus der vorherigen Illusion und der darauffolgenden Enttäuschung, aus dem Hype und der Krise, aus Boom und Bust? Meine hehren Erziehungsideale aus der Flower-Power-Zeit sind nicht an den harten Klippen der Realität zerschellt. Ich habe mein Erbe nicht in der Dotcom-Krise verloren.
Wir sind nicht desillusioniert. In dieser komplexen neuen Welt, in der alles erreichbar ist und miteinander zusammenhängt, versuchen wir Lösungen zu finden. Wir sind schwer beschäftigt, diese Welt zu verstehen. Unsere Herausforderungen sind völlig andere und unsere Lösungen ebenfalls. Aber wir haben noch keine Lösungen, wir denken noch.
Das hier ist keine Abrechnung, denn die würde uns nicht weiter bringen. Es ist vielmehr die freundliche Bitte, uns in Ruhe zu lassen. Wir werden schon unsere Lösungen finden. Und in der Zwischenzeit machen wir das, was junge Generationen immer schon gemacht haben: Einfach leben.
Hinweis: Mehr von Julian Leitloff Unsere Zeit findet ihr auf: Unsere Zeit – Gedanken zur Gegenwart
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hallo julian, danke für den schönen artikel!
ich kenne diese strukturelle überforderung von der du schreibst persönlich gut (nun ja, wer kennt sie nicht) und auch diesen definitionswahn.
ich habe oft das gefühl dass viele von uns in ihrem kleinen raum herumwuseln (der ja dank diesem internet viel größer ist als noch vor 10 jahren), wir aber nicht das große ganze sehen (wollen). also nicht dass ich das irgendwie sehe, aber ich glaube nicht dass unsere generation das vertrauen in institutionen verloren hat sondern vielmehr nach möglichkeiten sucht diese mit ihrem lebensstil / wirkungsraum übereinzubringen.
was das nun für unsere staatlichen institutionen / zusammenleben bedeutet, darauf habe ich auch noch keine antwort...
viele grüße linn