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Aidin Halimi Asl: Beleidige nicht meine Generation


Foto: brainflakes CC BY-NC 2.0Was ist bloß aus der Revolution geworden? Foto: brainflakes (CC BY-NC 2.0)

Empört euch! Entrüstet euch! Protestiert endlich! Regelmäßig wird der 'Jungen Generation' vorgeworfen, nicht genug Revolution zu machen. Der Autor, Poetry Slammer und Blogger Aidin Halimi Asl schlägt mit seinem Pamphlet zurück. Zu Recht?


Hinweis: Dieses Pamphlet ist als Poetry-Slam-Text entstanden und erstmals am 30. April in der Printausgabe der TAZ erschienen (Online-Version)


Ein Text von Aidin Halimi Asl

Empört euch, posaunen die Wortführer! Protestiert richtig, schreien die Lehrmeister! Warum unsere Protestbewegungen keine Früchte tragen, fragen sich Kulturschaffende. Halbherzigkeit und Konzeptlosigkeit sind die Diagnosen. Occupy-Bewegung begann vielversprechend und ebbte ab. Der Arabische Frühling sprühte Hoffnungsfunken, um bald wieder zu verglühen. Was läuft bei uns schief? Rein gar nichts. Im Gegenteil, wir üben uns in Gleichgewicht, um historische Schiefen zu korrigieren.

Was genau wird von uns erwartet, wenn man in den Feuilletons aufschreit: „Empört euch richtig!“? Zwischen den Zeilen beschwört man eine Revolutionsromantik, für die unsere Generation nicht mehr empfänglich ist. 1968, 1918, 1848, alles Jahrgänge, in denen die Jugend mit Eisen und Blut Widerstand leistete, sich richtig empörte. Und wir nehmen unsere Kuscheltiere mit auf die Demo anstelle einer Steinschleuder, schlürfen unsere Cocktails, anstatt Molotowcocktails zu bauen. Warmduscher, Weicheier, Windelträger? Nein! Schüler, die ihre Geschichtshausaufgaben nachholen.

Wir haben gelernt, dass Revolutionen ihre Kinder fressen. Unsere Revolutionen sind samtig, sanft und seidig. Wir wissen, dass Gewalt Spiralen erzeugt. Wir bleiben kompromisslos friedlich. Das heißt aber nicht, dass wir uns nicht empören können. Wir suchen neue Wege, um unserer Wut Ausdruck zu verleihen. Wir besetzen öffentliche Plätze, sammeln Unterschriften, politisieren Graffiti, und erringen am Ende die Freiheit der Tempelhofer Freiheit. Wir sind wohl in der Lage, da hinzugehen, wo es wehtut, ohne jemandem wehzutun. Wir sind Aktivisten des passiven Widerstands.

Warum unterstellt man uns Halbherzigkeit? Weil wir den Zweifel zu einem Grundpfeiler unseres Denkens erkoren haben. Wir zweifeln alles an, was Gefahr läuft, sich schwarz-weiß zu färben. Freund-Feind-Unterscheidung gehört dem letzten Jahrhundert an, wir widmen uns der Freund-Freund-Gleichheit. Ideologien, Religionen und Lehransätze sind ein Teil vom Ganzen. Absolute Wahrheiten bewahrheiten sich nie. Eine einzige Richtung gibt es für uns nicht. Die alte Leier vom neuzeitlichen Menschen, der nach einer klaren Weltanschauung lechzt, ist ausgefranst. Die Kinderschuhe sind zu eng geworden. Das wissen wir.

Bevor Menschlichkeit in Theorien verpackt wird...

Geschlossene Weltbilder haben ausgedient. Wir sind im Begriff, den Ismen die Allgemeingültigkeit abzusprechen. Ismus ist für uns kein Ist-Muss, sondern ein -Kann. Kapitalismus, Marxismus, Anarchismus, Liberalismus sind nur Teile eines theoretischen Kuchens. Wir picken uns die Rosinen aus. Wir scheuen uns nicht davor, Gedanken verschiedener Denkansätze zusammenzudenken. Wir lieben die „win hoch n situations“. Ein Banker, der Yoga macht, abends persisch isst und Brecht doch nicht so übel findet. Ja! Warum nicht?

Wir lassen uns auf Vielfalt ein, selbst wenn Merkel und Sarrazin sie für gescheitert erklären. Althergebrachte Grenzen öden uns an. Eine neue Internationale braut sich zusammen, die sich intuitiv organisiert. Ein Gespenst geht um in der Welt, das tanzt, singt, feiert und lacht. Wir wollen zurück zu den Wurzeln der Menschlichkeit. „Leben, leben lassen und zusammenleben“ heißt unsere Maxime.

Wir wollen die soziale Gerechtigkeit, ohne uns auf Marx berufen zu müssen. Wir sind echte Demokraten, ohne aus Überzeugung wählen zu gehen. Wir sind das politische Spektrum jenseits von links und rechts. Wir werden unsere Ideale zugunsten einer Ideologie nicht verraten. Darum halten wir an flachen Hierarchien fest. Darum geben wir lieber auf, bevor Menschlichkeit in Theorien verpackt wird.

Das ist der Unterschied zu den Generationen vor uns.

Wir sind eins, und doch sind wir viele.

Ihr seid argwöhnisch genug, um diesen Text als zu pathetisch geraten zu belächeln. Ihr seid friedfertig genug, um den Poeten nicht von der Bühne zu prügeln.

Und ich

sage mit geschwellter Brust

Wir.


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Kommentare

  • Lieber Aidin Halimi Asl ,

    ich bin fast vollständig einverstanden, vor allem was das gesunde Misstrauen gegenüber Ideologien, -Ismen, den geschlossenen Weltbildern und der Revolutionsromantik angeht (die einmal scharf angeschaut oft in sich zusammenfällt).

    Drohende Fails

    Allerdings frage ich mich doch, ob diese vernünftige Generation mit ihren schönen Idealen es schafft, auf ihre Art die Welt zu ändern....die Plutokratie a la USA, den drohenden Überwachungskollaps, das kränkelnde, unfertige Europa usw. Lässt sie sich korrumpieren von den alten Hierachien, knechten von den verstaubten Strukuren (zum Beispiel an der Universität), entsolidarisieren durch die Heils- und Sicherheitsversprechen des Geldes? Ist sie außerdem zur Stelle, wenn mal ein wenig Revolution notwendig ist? Da bin ich mir nicht so sicher in einer Gesellschaft, in der eine gefälschte Doktorarbeit ein Rücktrittsgrund ist, das BND-Inferno aber nicht. Da sind die Maßstäbe schon sehr durcheinander geraten, was eben auch an der Lethargie und Mobilisierungs-Unfähigkeit der Massen und (jungen) kritischen Geister liegt.

    In der gesamten globalen Gerechtigkeits-Debatte (Occupy usw.) frage ich mich zum Beispiel: Wer soll an der schamlosen Vermögensverteilungs-Ungerechtigkeit etwas ändern, wenn niemand das Gemeinwohl-Interesse definiert und vertritt? Nicht marxistisch-revolutionär, sondern ganz nüchtern und rational?

    Antwort auf die Postdemokratie?

    Außerdem muss diese Generation eine Antwort darauf finden, dass Politik immer komplexer (Bsp Finanzmarkt) und multinationaler und damit post-demokratischer (?) wird. Vielleicht braucht es hierfür auch einen neuen Typus der (transnationalen?) Repräsentation. Fatal wäre diese eben doch weit verbreitete Einstellung: Da können wir ja doch nichts machen.

    • Lieber Emil, ich würde dich ungefragt duzen und hoffe, das ist für dich in Ordnung. Ob unsere Generation vernünftig ist, sei dahin gestellt. Die Qualität und Intensität, mit denen man die Welt verändern will, ist von Individuum zu Individuum unterschiedlich. Wenn ich die Frage für mich beantworten soll, in wie weit ich die Welt verändern wollte, dann würde ich die großen Probleme interessiert beobachten, versuchen, differenziert zu urteilen und nicht direkt einzugreifen. Selbstverständlich stehen wir heute großen politischen Ungereimtheiten und Unzulänglichkeiten gegenüber, von denen du hier einige anführst. Die Frage ist nun, wie damit umgehen? Mein Punkt ist, dass vielleicht die Erwartungen, die du hast - sprich Revolution und Massenmobilisierung - nur dann möglich sind, wenn man sich ideologisch festlegt. Ich werde nicht auf die Barrikaden gehen, wenn ich nicht von einem Denksystem überzeugt bin, das mir die Welt erklärt. Und wie du es sagst, ist alles komplexer als man denkt. Wenn unsere Generation lethargisch ist - dem ich nicht zustimme -, dann ist das vielleicht ein positives Signal, das die Standhaftigkeit andeutet, mit der wir uns gegen die Ideologien zur Wehr setzen. Sich nicht von einem einzigen, geschlossenen Denkmodell vereinnahmen zu lassen, bedeutet nicht dass man unentschlossen oder handlungsunfähig ist, sondern sich aktiv gegen Ideologisierung wehrt. Wir haben Antworten, die möglicherweise nicht die Welt verändern, aber doch etwas verändern können, sei es nur auf der regionalen Ebene. Das Beispiel mit dem Erhalt vom Flughafengelände Tempelhof, das ich im Text andeute, ist eine kleine Form des Protests, die nicht marxistisch motiviert sein musste. Wenn ich meine Eier nicht mehr aus dem Supermarkt hole, sondern vom Bauern meines Vertrauens, dann ist das auch eine kleine Form des Protests. Es sind banale Beispiele, aber vielleicht ändern sich die Widerstandsbewegungen dahin gehend, dass Revolutionen überflüssig werden, die meistens gewaltsame Umbrüche zur Folge haben. Ich würde mich deinem Schlusssatz anschließen. Fatal wäre, die Hände in den Schoß zu legen. Das wollte ich mit meinem Text keinesfalls behaupten. Wenn man eine einstellung ablehnt, dann braucht man ein wenig Zeit, um sich zu sammeln und neue Ansätze zu entwickeln. Möglicherweise gelingt uns das hier, Emil. ;) und zum Schluss eine Facebook-Post eines Bekannten, die zeigt, wir sind alles andere als uninteressiert oder lethargisch: "The embracing of the political process by people of all ages in Ireland over the past few months has been brilliant to watch. On both sides, people have seen this as an issue that must be tackled head on. Lets take this enthusiasm forward for all elections and referendums now that we see how important each of our voices are in shaping the course of our country. Its like the "a puppy isnt just for Christmas" thing. Stay involved after the polling stations close tonight. There will be other issues and will be other battles that wont be so obvious a choice and will need even more consideration and research than the issue of equality, but will also be important for Irelands future. Go team"

      • Alisa ist dagegen
        +3

        Respekt für dein Statement, Aidin! Ich fände es trotzdem spannend zu erfahren, von wem du sprichst, wenn du von einem "Wir" oder einer "Generation" sprichst. Für wen sprichst du? Wen vertrittst du? Meiner Meinung nach gibt es ein echtes "Wir" im Sinne einer eine ganze Generation umspannenden demokratischen Bewegung nicht, auch wenn ich mir das sehr wünschen würde. Dazu sind die Probleme und auch die Feindbilder, gegen die junge Menschen heute kämpfen könnten zu diffus und komplex: Eine Revolution gegen wachsende soziale Ungleichheit, die unmenschlichen Lebensbedingungen von TextilarbeiterInnen in Asien oder die Finanzkrise ist nicht unbedingt erfolgsversprechend - dies führt jedoch meiner Einschätzung eher nicht zu einer differenzierten Problemlösung, sondern eher zu einer enttäuschten Abwendung von jeder Art von Politik. Für unsere eigenen Normen und Ideale, die im übrigen in Bezug auf die großen Probleme sehr wohl auch radikal und ein bisschen weltfremd sein dürfen müssen wir als Individueen deshalb immer neu argumentieren, streiten, überzeugen, durchhalten lernen, um andere dafür zu gewinnen. Deshalb hat mich das Buch "Empört euch" im Übrigen auch sehr inspiriert: meiner Ansicht nach stimmt es :)

        • Da gebe ich dir recht. Ein "Wir" gibt es natürlich nicht. Alleine wo fängt "meine" Generation an und wo hört es auf? Ich habe mich für die Wir-Form entschieden, weil es nicht anders ging. Weil, wie du das selber erwähnst, die Aufforderung der Intellektuellen, etwas zu unternehmen, "uns" adressieren. "Empört euch", "Empört euch richtig", " Entrüstet euch"! Wer ist dieses "Euch" frage ich mich? Aus diesem Grund schreibe ich in Wir-Form. Mir ist es durchaus bewusst, dass es eine homogene Einheit nicht gibt.

          Dass die Revolution die einzige Lösung sein soll, um Ungerechtigkeiten zu bekämpfen, das glaube ich einfach nicht. und ich bin einfach zu pazifistisch, um radikale Handlungen unterstützen zu können :)

  • Vollste Zustimmung. Und das mit einem Lächeln im Gesicht. Der Text motiviert sehr.

  • Hallo @Aidin, danke für diesen schönen und inspirierenden Beitrag!!

    "Wir" (und ich zähle mich mit 33 einfach mal dazu) sind eine Generation, die Politik anders definiert als Generationen zuvor. Das ist Vielerorts noch nicht angekommen und liegt vielleicht auch dem Vorwurf zu Grunde, "wir" seien faul. Sind wir nämlich nicht, da gebe ich Dir recht ;) aber wir engagieren uns zum Beispiel immer seltener in Parteien und beteiligen uns dort an Debatten oder Aktionen, wo viele unserer Politiker nicht hinschauen (bzw. hinschauen, aber nicht ernst nehmen). Ein Vorwurf, den man ja auch immer wieder hört ist der, wir würden uns nicht nachhaltig organisieren. Aber man kann heute nicht mehr verlangen, dass jeder, der politisch Gehör sucht, einer politischen Partei oder sonst einem Club beizutreten habe. Das wird der Wirklichkeit einfach nicht mehr gerecht....

    Ich glaube, dass "wir" "denen" irgendwie klar machen müssen, dass das, was wir Engagement nennen, tatsächlich auch als politische Aussage gemeint ist und nicht nur als alternative Freizeitgestaltung. Derzeit erzeugen "wir" einfach keinen politischen Druck, der "uns" zu einer politisch ernstzunehmenden und identifizierbaren Masse macht.

    Können wir das ändern?

    Du schreibst in Deiner Antwort an Emil: "Wenn man eine Einstellung ablehnt, dann braucht man ein wenig Zeit, um sich zu sammeln und neue Ansätze zu entwickeln." Gelingt uns das? Und wenn (noch) nicht, was können wir tun? Wie können wir das am besten tun?

    • Hallo Mayte, Da bin ich mit dir voll d'accord, dass wir uns parteipolitisch weniger engagieren und dass diese Form der Wirklichkeit nicht mehr gerecht wird. Ganz genau! Die Frage ist, wie wir einen politischen Druck ausüben können. Ich arbeite gerade an einem Text, der sich mit diesen Fragen beschäftigt. Aber natürlich kann ich sie erstmal nur für mich beantworten. "Eure"Teilhabe am Mitgestalten ist unumstößlich ;-)

      • Ich finde es interessant, dass Ihr Euch wie die Piraten wieder nur um Euch selbst dreht. Schon mal überlegt, dass es noch andere Themen gibt, Digitaler Wandel, Europa, Flüchtlinge oder so?
        Außerdem wüsste ich wirklich mal gerne, was ihr glaubt, was Parteien eigentlich machen. Mit Politik können sie nach Eurer Darstellung ja eigentlich nichts zu tun haben.

        • Hallo MisterEde,

          meinst Du mit "Ihr" Publixphere (für die ich hier nicht spreche), oder Aidin und mich?

          Natürlich gibt es noch andere Themen, das hat auch keiner bestritten.

          Und natürlich haben Parteien was mit Politik zu tun, auch das hat keiner bestritten. Mir geht es nur darum, dass Parteien es offenbar nicht schaffen diejenigen zu erreichen, die Aidin mit "wir" meint. Ende 2013 lag das Durchschnittsalter von SPD, CDU, CSU und Linken bei 59 Jahren, der FDP bei 52, der Grünen bei 48 Jahren. Und ich glaube nicht, dass das daran liegt dass junge Menschen sich heute weniger für Politik interessieren.

          Ein parteipolitisches Engagement mag für Viele das Richtige sein, aber eben offenbar für zu Wenige jüngeren Alters. "Wir" sind parteipolitisch unterrepräsentiert. Mir geht es zunächst mal um das Bedürfnis vieler insb. junger Menschen, sich außerhalb von Parteien zu engagieren. Diejenigen, die es als Ausdruck von Politikverdrossenheit oder Faulheit sehen, dass sich so wenige junge Menschen in Parteien engagieren (und von denen gibt es ja so Einige), machen es sich meiner Meinung nach zu leicht.

          Letztens: Abgesehen davon, dass ich "uns" nicht unbedingt mit den Piraten vergleichen würde: Drehen sich nicht-Piraten-Parteien etwa nicht um sich selbst?

          • „meinst Du mit "Euch" Publixphere, oder Aidin und mich?“

            Ich meine Euch beide, Ihr diskutiert ja hier und nicht Publixphere.

            „"Wir" sind parteipolitisch unterrepräsentiert.“

            Ja und? So bleibt für den Rest mehr vom Kuchen des politischen Einflusses übrig. Wenn ihr was abhaben wollt, müsst Ihr es Euch schon holen, nachtragen wird es Euch niemand.

            „Und ich glaube nicht, dass das daran liegt dass junge Menschen sich heute weniger für Politik interessieren.“

            Sich für Fußball zu interessieren ist etwas anderes als Fußball zu spielen.

            Gegenfrage:
            Seid Ihr denn schon mal parteipolitisch aktiv gewesen oder beruht Eure Parteiabneigung auf der Wahrnehmung von außen?

            • Kurz vorweg: Von Parteiabneigung war nie die Rede. Im Gegenteil, ich halte Parteien für unverzichtbare Akteure im politischen System.

              "Ja und? So bleibt für den Rest mehr vom Kuchen des politischen Einflusses übrig. Wenn ihr was abhaben wollt, müsst Ihr es Euch schon holen, nachtragen wird es Euch niemand."

              Dass uns niemand den politischen Einfluss nachtragen wird ist uns schon klar. Wie wir Einfluss gewinnen können, genau darüber machen wir uns ja gerade Gedanken (Du kannst davon ausgehen, dass sich diese Gedanken nicht nur auf das oben Gesagte beschränken). Aus der Perspektive eines Parteimitglieds leuchtet Deine Perspektive schon ein. Aus unserer Perspektive - ich zumindest bin kein Parteimitglied, s. Antwort auf deine nächste Frage - ist diese Argumentation schwierig (@Aidin, widersprich mir gerne). Kann man angesichts der Masse von Menschen, die sich heute jenseits der politischen Parteien meinen zu engagieren, noch davon sprechen, dass sich politisches Engagement nur in politischen Parteien abspielt? Sollten sich da wirklich nur wir an die eigene Nase fassen, und nicht auch die Parteien?

              "Sich für Fußball zu interessieren ist etwas anderes als Fußball zu spielen."

              Richtig! Aber der Fußball ist ja keine Demokratie. Ein Fußballspieler wird nicht von seinen Fans gewählt, und die Fußballvereine haben nicht die Aufgabe die Gesellschaft zu repräsentieren. Es geht in erster Linie darum gegen andere Vereine zu gewinnen (vielleicht ist das ja das zentrale Mißverständnis). Politische Parteien hingegen haben sehr wohl die Aufgabe sich an der politischen Willensbildung des Volkes zu beteiligen und die im Volk vorhandenen Meinungen im Austausch mit den Bürgern, auch mit denen, die nicht Parteimitglieder sind, zu bündeln - gemäß ihrem eigenen Profil natürlich. Und natürlich auch im Austausch mit Interessengruppen usw. Nur weil jemand sich "nur" für Politik interessiert und nicht Politik "spielt" heißt das also nicht, dass er kein Recht auf politischen Einfluss hat, sei dieser noch so verwässert (weil: ist ja eine repräsentative Demokratie). Keinesfalls würde ich nicht-Parteimitgliedern das Recht auf politischen Einfluss absprechen.

              "Seid Ihr denn schon mal parteipolitisch aktiv gewesen oder beruht Eure Parteiabneigung auf der Wahrnehmung von außen?"

              Wie gesagt, ich habe keine grundsätzliche Abneigung gegen Parteien. Aber ich würde mich durchaus als politisch interessiert und auch engagiert bezeichnen, dennoch kann ich mich mit keiner einzigen Partei hinreichend identifizieren.

              Ich bin noch nie parteipolitisch aktiv gewesen, habe mich aber eine Zeit lang intensiv damit auseinandergesetzt einer Partei beizutreten. Wichtig war mir damals (2009) insbesondere Europapolitik (bei vielen anderen Themen die mir wichtig waren lagen die Parteien relativ eng beieinander), und das europapolitische Profil der Parteien war damals sehr wenig differenziert. Die europapolitische Debatte im Bundestag im Vorfeld der Bundestagswahlen war ein Witz und wurde der Bedeutung der EU in keinster Weise gerecht.

              Ich sehe schon ein, dass man sich nicht über Zustände beschweren sollte ohne zumindest zu versuchen sie zu ändern. Und so habe ich mich nach der Bundestagswahl 2009 eben intensiv mit verschiedenen Parteien auseinandergesetzt, durchaus auch mit dem Ziel eines Beitritts. Abgesehen davon, dass es schon aus logistischen Gründen schwer gewesen wäre (und bleibt) mich aktiv etwa in einen Ortsverband einzubringen haben mich Gespräche mit Mitgliedern verschiedener Parteien (Plural) davon überzeugt, dass ein parteipolitisches Engagement für mich nicht in Frage kam.

              Und das alles, nachdem ich in den Jahren zuvor schon mehrfach von Vertretern diverser Parteien gehört hatte, dass sie Politik-, Parteien- und Wahlverdrossenheit nicht unbedingt als Problem sähen, solange nur das größtmögliche Stück des Kuchens politischen Einflusses am Ende bei Ihnen landete. Das mag vielleicht Realität sein, aber ich habe mich darüber durchaus empört.

              Meine früheren berufsbedingten Einblicke (von außen) auf Parteipolitik haben mich zugegebenermaßen abgeschreckt. Ich hätte nicht gewusst, was ich dort zu suchen gehabt hätte.

              Um nochmal auf den Fußballvergleich zurückzukommen: Man muss nicht im Stadion sitzen oder Vereinsmitglied sein, um als Zielgruppe für die Vereine interessant zu sein. Warum ist das in der Politik scheinbar anders?

              Nachtrag: Das war natürlich ein sehr subjektiver Rant ;) Ich finde parteipolitisches Engagement großartig (wirklich) und ich kenne einige sehr kluge, engagierte und einfach beeindruckende (meist jüngere) Parteimitglieder, die für mich definitiv Positivbeispiele sind und von denen es m.E. mehr braucht! Eine Mitgliedschaft kommt für mich (ebenso wie ja für viele andere politisch Interessierte auch) aber aus diversen Gründen einfach nicht in Frage.

              • Es gibt nur eine einzige Gesellschaft:

                Es ist relativ simpel. Man kann auf den unterschiedlichen Ebenen (Gemeinde, Land, Bund) ganz viele verschiedene gesellschaftliche Ausgestaltungen diskutieren, aber eben immer nur eine einzige umsetzen, die dann auch gilt. Das heißt, wir können zwar hunderte verschiedene Ideen für eine Neuregelung des Urheberrechts haben, aber am Ende kann es nur ein einziges Urheberrechtsgesetz in Deutschland geben.

                Irgendwie muss also aus den vielen Ideen genau eine Gestaltung entwickelt werden, hinter der in einem demokratischen System dann auch die Mehrheit steht. Und das läuft eben über Diskussion und Kompromisssuche.

                „ich halte Parteien für unverzichtbare Akteure im politischen System“

                Das sehe ich genauso, weshalb ich eben dafür werbe, sich auch dort zu engagieren. Parteien haben außerdem gerade die oben beschriebene Funktion, Ideen zu bündeln und durch innerparteiliche Diskussionen erste Kompromisse zu erarbeiten, die dann gemeinsam getragen werden. Diese Bündelung hat nicht nur eine wichtige Funktion bei der Meinungsbildung, sondern schafft dann eben gerade die notwendige politische Schlagkraft, die einem Einzelnen sonst meistens fehlt und diese fehlende Schlagkraft beklagt ihr ja.

                „Kann man angesichts der Masse von Menschen, die sich heute jenseits der politischen Parteien meinen zu engagieren, noch davon sprechen, dass sich politisches Engagement nur in politischen Parteien abspielt?“

                Man kann sich vielfach auch außerhalb von Parteien politisch engagieren. Das ist auch genauso ehrenwert, wobei ich das „ehrenwert“ insoweit einschränken muss, als sich Engagement natürlich nicht ohne den Inhalt bewerten lässt. Pegida oder NPD sind zwar auch engagiert, aber eben nicht gerade ehrenwert.

                „Sollten sich da wirklich nur wir an die eigene Nase fassen, und nicht auch die Parteien?“

                Definitiv müssen das auch die Parteien! Vor ein paar Tagen habe ich bei einem Treffen nur mal vorsichtig angeregt, Parteiveranstaltung im Vor- und Nachgang im Netz zu betreuen und erntete ziemliches Unverständnis. Die Menschen wollten etwas zum anfassen, war das Argument. Zwar reden alle immer wieder davon, dass etwas geändert werden muss, aber sobald man nur minimale Veränderungen vorschlägt, kommt der große Widerstand. Dabei würde da noch nicht mal irgendetwas z.B. an einem Vortrag wegfallen, wenn er dann zusätzlich auch im Netz diskutiert würde.

                Nur umgekehrt, ohne Eure Bereitschaft Euch auf Parteien einzulassen, bringt es auch nichts, wenn sich die Parteien ändern. Insofern will ich nochmal betonen, niemand kann für Euch Euer parteipolitisches Engagement übernehmen.

                „Nur weil jemand sich "nur" für Politik interessiert und nicht Politik "spielt" heißt das also nicht, dass er kein Recht auf politischen Einfluss hat“

                Das sehe ich gänzlich anders, wobei ich mit dem Vergleich nicht nur eine Parteimitgliedschaft meinte, sondern politisches Engagement im Allgemeinen. Jeder hat das Recht wählen zu gehen, aber dieses Recht wahrnehmen, kann nur jeder selbst. Und wer das eben nicht macht, der braucht nicht die Schuld bei anderen zu suchen. Genauso darf jeder auf Demos gehen, seinen Abgeordneten Mails oder Briefe schreiben, sie auf Versammlungen befragen, seine Meinungen einbringen, Petitionen einreichen, Parteien gründen und so weiter. Dies alles muss aber jeder selbst machen. Und interessieren alleine reicht da halt noch nicht aus.

                „Aber ich würde mich durchaus als politisch interessiert und auch engagiert bezeichnen“

                Natürlich bist Du politisch engagiert, die Frage ist aber, in welchem Teilbereich des politischen Prozesses dein Engagement anzusiedeln ist. Zwar ist das Einbringen von Ideen und Vorstellungen eine wichtige Grundlage, aber hier beginnt der politische Prozess ja erst. Denn das Einbringen alleine trägt eben noch nicht dazu bei, dass diese Vorstellungen dann mit anderen abgeglichen und zu einem Kompromiss geführt werden. Das aber ist gerade der Kern der Politik und gar nicht so sehr das einbringen unterschiedlicher Vorstellungen.

                „dennoch kann ich mich mit keiner einzigen Partei hinreichend identifizieren“

                Vielleicht sollten wir zusammen mal überlegen, was die Individualisierung unserer Gesellschaft mit dieser Entwicklung zu tun hat. Wir ziehen die Kleidung an, die uns gefällt, das Auto hat die Farbe, die wir wollen, unsere Netz-Profile sind auf unsere Bedürfnisse eingestellt, nur eben bei Vereinen oder Parteien geht das so nicht. Die können nicht so sein, dass jedes Mitglied genau das bekommt, was ihm gefällt. Könnte das mit dazu beitragen, dass nicht nur Du, sondern viele Menschen heutzutage das Gefühl haben, keine Partei passt zu Ihnen?

                „Man muss nicht im Stadion sitzen oder Vereinsmitglied sein, um als Zielgruppe für die Vereine interessant zu sein. Warum ist das in der Politik scheinbar anders?“

                Politik machen alle Parteien um die Gesellschaft zu verändern und insofern ist die Zielgruppe die gesamte Bürgerschaft, weshalb ich diese Wahrnehmung so nicht teilen kann. Klar ist aber, vor dem Fernseher sitzen und bei einer vergebenen Torchance zu meckern, ist das eine, das andere ist es, auf dem Platz zu stehen und es besser zu machen.

                Abschließend: Ich habe mir jetzt als einfaches Parteimitglied wirklich sehr viel Mühe gemacht, um Euch davon zu überzeugen, zumindest Euer generelles Nein zum Parteienengagement zu überdenken. Dort wo Ihr seid, nicht nur im Netz, sondern sogar auf der Plattform, die Ihr nutzt. Es würde mich daher wirklich interessieren, ob Ihr trotzdem auch morgen noch sagt, dass Parteien nicht auf Euch zugehen? Gerade Dein Nachtrag, Mayte, „eine Mitgliedschaft kommt für mich aber aus diversen Gründen einfach nicht in Frage“, zeigt doch, dass Parteien bei Dir im Prinzip keine Chance haben, egal was sie machen.

                Zumindest ich bleibe an dieser Stelle ratlos…

                • Der Einfachheit halber fange ich mal von hinten an:

                  "Ich habe mir jetzt als einfaches Parteimitglied wirklich sehr viel Mühe gemacht, um Euch davon zu überzeugen, zumindest Euer generelles Nein zum Parteienengagement zu überdenken."

                  Das hast Du auch geschafft. Du hast meine Meinung tatsächlich ein Stück weit geändert bzw. sehe ich die Dinge jetzt immerhin aus einer anderen Perspektive.

                  "Es würde mich daher wirklich interessieren, ob Ihr trotzdem auch morgen noch sagt, dass Parteien nicht auf Euch zugehen?"

                  Da sieht man mal, was für einen Unterschied ein Einzelner machen kann ;)

                  "Gerade Dein Nachtrag, Mayte, „eine Mitgliedschaft kommt für mich aber aus diversen Gründen einfach nicht in Frage“, zeigt doch, dass Parteien bei Dir im Prinzip keine Chance haben, egal was sie machen."

                  Jein. Ich habe mich damals wie gesagt intensiv mit der Möglichkeit eines Parteibeitritts auseinandergesetzt und - nach einigen ziemlich gruseligen Begegnungen - für mich ziemlich deutlich entschieden, dass das für mich nicht in Frage kam. Ich muss dazu sagen, dass ich zuvor mehrere Jahre im Ausland verbracht hatte und noch nicht sagen konnte, an welchem Ort innerhalb Deutschlands ich längerfristig bleiben würde. Inzwischen wüsste ich außerdem vielleicht schon eher, bei welcher Partei ich mich verorten würde. Ich tue mich allerdings immernoch sehr schwer mit dem Gedanken, mich einer Partei ganz zu verschreiben.

                  Du bist tatsächlich der erste Vertreter einer Partei, der meine Meinung gegenüber einer Parteimitgliedschaft ernsthaft bewegt hat. Aber eben auch, weil Du Dich auf diese Diskussion hier überhaupt einlässt und Dich offenbar nicht damit bequemst, die Verantwortung einfach zu delegieren.

                  "... ohne Eure Bereitschaft Euch auf Parteien einzulassen, bringt es auch nichts, wenn sich die Parteien ändern. Insofern will ich nochmal betonen, niemand kann für Euch Euer parteipolitisches Engagement übernehmen."

                  Ich kann Deine Argumentation gut nachvollziehen. Allerdings würde ich mir wünschen, dass die Reibungsfläche zwischen Parteien und "uns" (ich benutze die Wir-Form jetzt mal der Einfachheit halber) viel größer wäre.
                  Kann man so jemandem wie Dir denn z.B. auch von außen helfen eine bestimmte Position parteiintern zu vertreten? Wenn Du z.B. mit ein paar Mitstreitern innerhalb der SPD eine bestimmte Position vertrittst, die auch viele politikinteressierte Nicht-Mitglieder teilen?

                  Zum Recht auf politischen Einfluss bei mangelndem politischen Engagement:

                  Ich sehe es auch so, dass man sich wenn möglich irgendwie engagieren sollte. Nur ist das eben nicht Jedem in gleichem Maße möglich. Job, Familie, Krankheit... idealerweise gibt es dann aber irgendeine Gruppe, die "meine" Interessen dennoch repräsentiert. Man darf aber glaube ich auch nicht unterschätzen, wie groß der Vertrauensverlust in die Politik inzwischen geworden ist und wie groß daher die Distanz zwischen Parteien und Bürgern ist, die man erstmal wieder überbrücken muss bevor eine Parteimitgliedschaft überhaupt mal in Betracht gezogen wird (s. diese Diskussion).

                  "...die Frage ist aber, in welchem Teilbereich des politischen Prozesses dein Engagement anzusiedeln ist. Zwar ist das Einbringen von Ideen und Vorstellungen eine wichtige Grundlage, aber hier beginnt der politische Prozess ja erst. Denn das Einbringen alleine trägt eben noch nicht dazu bei, dass diese Vorstellungen dann mit anderen abgeglichen und zu einem Kompromiss geführt werden. Das aber ist gerade der Kern der Politik und gar nicht so sehr das einbringen unterschiedlicher Vorstellungen."

                  Da würde ich Dir uneingeschränkt zustimmen. Um zu Kompromissen zu finden braucht man ja aber erstmal überhaupt den Austausch unterschiedlicher Meinungen. Und: Hätte ich denn z.B. meine Meinung über eine Parteimitgliedschaft überdacht, wenn Du hier nicht diskutiert hättest?

                  Zur Individualisierung der Gesellschaft:

                  Da hast Du sicher einen Punkt. Aidin beschreibt in seinem Text ja aber gerade, wie sich ein Wir-Gefühl aus dieser Individualisierung (?) herauskristallisiert. Zudem kann man sicher zwischen einer Individualisierung i.S.v. "mein Auto, mein Netz-Profil" und einem Kulturwandel i.S.v. "wir definieren uns zunehmend auch über Online" unterscheiden. Ich fand es sehr interessant zu lesen auf was für Widerstände Du z.B. parteiintern gestossen bist, als Du vorgeschlagen hast Debatten im Netz vor- und nachzubereiten. Hierbei geht es ja nicht darum, irgendwem etwas wegzunehmen (die Redezeit bliebe ja die gleiche) sondern einfach nur einen Schritt auf diejenigen zuzugehen, die nunmal viel Zeit im Netz verbringen, sprich: besonders die Jüngeren. Während eine Partei also natürlich nicht auf die Wünsche eines jedes Einzelnen eingehen kann und soll, kann man andersherum auch argumentieren dass Parteien bestimmte Türen einfach nicht öffnen.

                  "Politik machen alle Parteien um die Gesellschaft zu verändern und insofern ist die Zielgruppe die gesamte Bürgerschaft, weshalb ich diese Wahrnehmung so nicht teilen kann."

                  In Theorie gebe ich Dir Recht. In Realität wird ja aber nicht die Gesellschaft als ganze repräsentiert, sondern in erster Linie die Gruppen, die innerhalb der Partei gut vertreten und organisiert sind (deshalb haben wir ja gerade diese Diskussion...).

                  "Klar ist aber, vor dem Fernseher sitzen und bei einer vergebenen Torchance zu meckern, ist das eine, das andere ist es, auf dem Platz zu stehen und es besser zu machen."

                  Unbestritten. Damit ein richtiges Fußballspiel zustande kommt müssen einige Leute aber auch einfach auf dem Sofa sitzenbleiben. Sonst sähe das Spiel ganz anders aus.

                  (Diesen Vergleich könnte man ja unendlich weiterspinnen... ;))

                  "Zumindest ich bleibe an dieser Stelle ratlos..."

                  Ich glaube, man kann durchaus zueinander finden wenn man den Dialog auch wirklich eingeht. Und nicht zu früh aufgibt. Ich würde jedenfalls gerne mit Dir überlegen, wie man die Distanz zwischen Parteien und "uns" verringern könnte.

                  • Hallo Mayte,

                    vielleicht sollte ich kurz erwähnen, dass ich jetzt auch nicht derjenige bin, der Parteiarbeit als das ausnahmslos wichtigste politische oder gar gesellschaftliche Engagement empfindet.

                    Gesellschaftliches Engagement: Was gesellschaftliches Engagement anbelangt, liegt dieses für mich schon im „verantwortlichen Handeln“ des Einzelnen. Der Landwirt, der weder in einer Partei noch sonst irgendwo ehrenamtlich aktiv ist, dafür aber versucht, so ökologisch wie möglich zu produzieren, oder die Pflegekraft, die sich den ganzen Tag liebevoll um Menschen kümmert und dann abends einfach abschalten muss, tragen auch ihren Teil zur Gesellschaft bei genauso wie auch Eltern, die ihre Kinder großziehen oder Konsumenten, die sich ordentlich informieren, um fair zu handeln. Und ich würde das jetzt einfach nicht untereinander oder mit politischem Engagement (Demo, Partei, NGO) in Konkurrenz setzen wollen. Und ja natürlich, für all diese Menschen wollen und müssen Parteien Politik machen, auch wenn diese nicht in Parteien organisiert sind. Und normalerweise ist hier dann der Weg, dass auf den unterschiedlichen Ebenen (EU/Bund/Land/Kommune) die Parteien Programme erarbeiten und sich damit um die Vertretung der Bürger beim Bürger bewerben, der dann am Ende in einer Wahl entscheidet.

                    Insofern würde ich den weiten Bereich des gesellschaftlichen Engagements wieder zu machen, weil ich mich mit meinen Beiträgen auf den Unterpunkt des politischen Engagements beschränken wollte.

                    „Zum Recht auf politischen Einfluss bei mangelndem politischen Engagement“

                    Wie gesagt, der übliche Weg der politischen Einflussnahme ist zunächst die Wahl und hier kann eben nur jeder Bürger selbst aktiv werden. Selbiges gilt für das Zeichnen von Petitionen oder für Abstimmungen über Volksentscheide. Ansonsten gilt für die Repräsentation oben gesagtes, dass also natürlich auch Nichtwähler politisch repräsentiert werden müssen (z.B. Kinder und Jugendliche unter 16/18).

                    Politisches Engagement: Auch beim politischen Engagement sollten unterschiedliche Formen des Engagements nicht als Gegensätze, sondern als zusammengehörig betrachtet werden. Ob jemand auf eine Demo geht, eine Partei oder NGO mit einer Spende unterstützt oder sich darin engagiert oder so wie Du Texte publiziert, Fehler benennt, Kritik äußert, Ideen beisteuert oder den gesellschaftlichen Dialog mit Publixphere fördert, macht für mich absolut keinen Unterschied. Das alles hat nicht nur seine Berechtigung, sondern ist extrem wichtig.

                    In diesem Punkt bin ich übrigens ganz bei Aidin, wenn er sagt, dass auch diese Generation keineswegs unpolitisch ist. Deswegen bin ich ja auch extra auf Euren Kommentarstrang betreffs „politischen Druck erzeugen“ eingegangen und nicht direkt auf den Text von Aidin. Und da bin ich eben schon der Meinung, dass unterschiedliche Formen des politischen Engagements unterschiedliche Auswirkungen haben, z.B. auf die Frage, ob daraus „nur“ politischer Druck entsteht oder eben ein mehrheitsfähiger Kompromiss. Und du kannst mich ideologisch nennen, aber diese Mehrheits- und Kompromisssuche ist das, was für mich den Kern des demokratischen politischen Prozesses ausmacht. Wobei ich explizit anfügen will, dass auch das Suchen von Unterschriften für Petitionen, oder die Überzeugungsarbeit in einer NGO, dass eine Demo oder einen Informationsabend zu einem bestimmten Thema durchgeführt wird, nicht weniger Mehrheits- oder Kompromisssuche sind. Und genau das ist am Ende ja auch der Grund, warum es ein entsprechendes politisches Gewicht hat, wenn der Paritätische oder der Mieterschutzbund dann im Namen all ihrer Mitglieder eine Erklärung abgeben. Aus meiner Sicht lässt sich also die Frage nach der „politischen Schlagkraft“ gar nicht von der Frage der Kompromiss- und Mehrheitsfähigkeit trennen und das gilt natürlich auch für die Frage, ob Gruppen in Parteien gut organisiert sind und sich eben vorher schon auf eine gemeinsame Linie verständigen.

                    „Um zu Kompromissen zu finden braucht man ja aber erstmal überhaupt den Austausch unterschiedlicher Meinungen.“

                    Das stimmt und deshalb wünsche ich mir, dass Parteien, aber auch andere zivilgesellschaftlichen Organisationen (z.B. Stiftungen) in dieser Richtung mehr anbieten. Allerdings, wenn es um die Suche nach Kompromissen geht, braucht es nach meiner Auffassung neben dem Austausch eben auch die generelle Bereitschaft einer Mehrheit, sich auf einen gemeinsamen Weg zu einigen. Und diese Bereitschaft spiegelt sich eben darin wider, sich zunächst einer Gruppe (Partei, Verein, Initiative) anzuschließen, um dann gemeinsam für gewisse Ziele einzutreten.

                    „Kann man so jemandem wie Dir denn z.B. auch von außen helfen eine bestimmte Position parteiintern zu vertreten?“

                    Wenn Du bei Carta oder sonst wo Texte schreibst oder Aufmerksamkeit für Themen erzeugst, sie in den öffentlichen Diskurs einbringst und damit andere informierst und vielleicht sogar mobilisierst, machst Du das automatisch. Insofern habt Ihr beide, wenn ihr publiziert, ja durchaus einen direkten politischen Einfluss auf die gesellschaftliche Wahrnehmung von Themen. Nur eben die politische Schlagkraft im Sinne eines Einflusses auf z.B. Entscheidungen in Parlamenten oder Parteien ist eben sehr indirekt. Umgekehrt hat dafür z.B. ein Bundestagsabgeordneter zwar direkten Einfluss auf die Entscheidung im Parlament, muss aber damit leben, dass eben andere die Meinung machen. Das ist das, was ich damit meine, dass unterschiedliche Formen des politischen Engagements unterschiedliche Auswirkungen haben.

                    „Ich würde jedenfalls gerne mit Dir überlegen, wie man die Distanz zwischen Parteien und "uns" verringern könnte.“

                    Ende letzten Jahres war die Frage, wie die Distanz überbrückt werden kann, auch bei Carta ein Thema: Parteien auf der Suche nach Zukunft

                    Ansonsten weiß ich aber auch nicht ganz, ob ich hierzu der richtige Ansprechpartner bin. Wir betrachten das glaube ich recht ähnlich und ich bin auch nur Bürger und als einfaches Parteimitglied ja kein Politiker.

                • Hallo MisterEde, ich hab jetzt auch eine Weile überlegt, warum ein Partei-Beitritt so schwer fällt. Ich glaube es ist ein Mix aus Gründen.

                  1. Sich-Nicht-Festlegen können. Wir haben uns an die Multi-Optionen-Gesellschaft gewöhnt und vielleicht etwas verlernt (?), Farbe zu bekennen. Vielleicht denke ich morgen anders? Mal so mal so? Ich will kein "Parteisoldat" sein und auch eine "Parteilinie" macht Bauchschmerzen. Ich will in meinem Freundeskreis auch nicht als der Junge-Unions-Schnösel oder der Soze gelten, sondern mir auch privat alle Gesprächs- und Kontakt-Optionen offen halten. Auch weiß die Generation Lebenslauf nie so genau, ob eine Parteizugehörigkeit ihr zum Vorteil oder Nachteil gereicht. Soziale Vorteile "weil ich in der Partei bin" will ich überhaupt nicht. Ich finde Partei-Seilschaften unangenehm, Gedanken und Leistungen sollen belohnt werden, nicht der Parteiklüngel.

                  2. wie schmerzhaft die eigene Parteilinie sein kann, sehe ich speziell bei SPD-Freunden. Wer links oder digital tickt, muss sehr viel einstecken, zum Beispiel wenn die Alten in der SPD bei Themen wie TTIP, Vorratsdatenspeicherung und Leistungsschutzrecht plötzlich einknicken, als hätte es den massiven Widerstand der Jungen nie gegeben. Umgekehrt kenne ich Grüne, die den Tugendfuror und die Political Correctness und die Schwarz-Weiß-Malerei bei den Grünen so leid haben. Bei der CDU triffst du Leute, die konntest Du schon in der Schule nicht leiden. Und dass die LINKE nicht die Wirtschaftspolitik in Deutschland verantwortet, hat auch so seine Vorteile. Und so weiter und so fort ...(das ist hier alles nur beispielhaft so hin geworfen, es geht mir grad eher um die völlig sibjektive Situation, sich keiner dieser Parteien reinsten Gewissens und erhobenen Hauptes verschreiben zu können)

                  Nun kannst Du bestimmt sagen, sollen die Jungen ein paar Kröten schlucken, in der Partei kämpfen, nicht resignieren, die anderen überzeugen, (innerparteiliche) Demokratie und so. Ist sicher richtig, ich kann aber auch verstehen, wenn man sagt, ich hab anderes zu tun oder suche mir einen anderen fleixibleren Raum, um mich politisch zu artikulieren, in dem ich mehr gestalten kann.

                  • Ganz allgemein glaube ich haben Parteien diesen Ruch, es gehe ihnen nicht um Inhalte, sondern nur um (Versorgungs-)Posten, um Macht um der Macht willen. Sollen nun Parteien diesem Image entgegenwirken oder brauchen die BürgerInnen ein unverkrampfteres Verhältnis zu ihren Repräsentanten, die natürlich die Macht auch haben wollen müssen? Vielleicht beides.

                  Aber - nicht-festlegend wie ich bin :) - soll das überhaupt keine Plädoyer gegen die Partei sein. Ich bewundere mehr und mehr Freunde und Bekannte, die den langen Gang in die Partei antreten, sich für ihre Positionen einsetzen, dort ihre kleinen Siege und Niederlagen erleben. Vielleicht ist es bei mir auch irgendwann so weit :)

                  • „ich kann aber auch verstehen, wenn man sagt, ich hab anderes zu tun oder suche mir einen anderen fleixibleren Raum, um mich politisch zu artikulieren“

                    Das ist ja auch völlig in Ordnung. Nur darf man sich dann halt nicht beklagen, dass z.B. Delegierte auf Parteitagen die Themen besprechen, die diese interessieren. Und wenn das, überspitzt gesagt, halt zu 70% Rentner sind, ist das eben nicht die digitale Revolution.

                    „Sollen nun Parteien diesem Image entgegenwirken“

                    Das Image etablierter Parteien erklärt aber nicht, wieso keine neuen Parteien entstehen oder es mit den Piraten dann eben auch nicht klappt. Ich glaube, das Problem ist deshalb viel eher das fehlende Verständnis für das, was den politischen Prozess ausmacht – die Kompromiss- und Mehrheitssuche.

                • Lieber MisterEde, danke für deine Antwort! Ich werde vorauss. erst morgen dazu kommen darauf einzugehen, wollte den Dank hiermit aber schonmal vorausschicken. Also: Antwort folgt.

            • Eine Gegengegenfrage: Ist für dich das politische Handeln nur im Rahmen einer Partei mögich?

              Für Mich nicht.

              • „Ist für dich das politische Handeln nur im Rahmen einer Partei mögich?“

                Explizit nein! Aber Mayte schrieb von „parteipolitisch unterrepräsentiert“ und auf diesen Unterpunkt bin ich eingegangen.

                P.S. Nachdem ich Deine Frage beantwortet habe, beantwortest du dann auch meine Frage zur Parteimitgliedschaft?

      • Hi Aidin, ich bin gespannt auf deinen Text! Und freue mich auf weitere Diskussion :)

  • So ist es!

  • Was für ein wunderschöner Text!