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Was unser Essen wirklich kostet...


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Sarina Fetscher und Robert Hermanowski vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau e.V. werfen einen Blick auf die industrielle Landwirtschaft. Den Konsumenten raten sie dazu, weniger Fleisch zu essen - und wenn, dann aus Biolandbau. Zu Recht?


Ein Beitrag von Sarina Fetscher, Tierärztin, und Dr. Robert Hermanowski, Agrarökonom, beide Forschungsinstitut für biologischen Landbau e.V.

Der Begriff „Massentierhaltung“ suggeriert, dass das Problem allein in der Vielzahl der Tiere, also der Masse liegt. Das Problem liegt jedoch viel tiefer: wir haben den Bezug zum Nutztier als Lebewesen verloren. Das Tier ist zum Werkstück verkommen, das man den Produktionsprozessen anpasst. Schnäbel von Hühnern und Schwänze von Schweinen werden abgeschnitten, damit mehr Tiere in einen Stall zusammengepfercht werden können, ohne dass sie sich gegenseitig tothacken oder –beißen. Es geht also um „industrielle Landwirtschaft“. Unsere Enkel werden uns fragen, warum wir Hunde verhätschelt und die klügeren Schweine misshandelt haben. Da sollte sich schon mal jeder eine Antwort überlegen, der beim Grillfest so viel Fleisch auffährt, dass es allen zu den Ohren rauskommt („noch ein Würstchen?“, „uff, eigentlich kann ich ja gar nicht mehr…“).

Das Absurde an der Situation: es gibt nur Verlierer. Die Landwirte bekommen keine ausreichenden Preise für ihre Erzeugnisse, das Grundwasser wird durch zu viel Gülle verschmutzt, die Verbraucher leiden durch zu hohen Fleischkonsum an ernährungsbedingten Krankheiten und Übergewicht. Aber die größten Verlierer sind die Nutztiere, sodass einem beim Anblick so mancher Tierhaltung der Erziehungsgrundsatz für Kinder in den Kopf kommt „Quäle nie ein Tier zum Scherz, denn es fühlt wie Du den Schmerz“.

Alles übertrieben? Nein, ein Beispiel: nach seriösen Schätzungen werden jedes Jahr 180.000 tragende Kühe geschlachtet, sodass die Föten je nach Fortschritt der Trächtigkeit qualvoll ersticken. Ein anderes Beispiel: pro Jahr werden ca. 50 Millionen männliche Küken getötet, da man nur die weiblichen Küken zum Eierlegen braucht und die Mast der männlichen Tiere unrentabel ist. Dies nur, um ein Ei im Discounter für 9 Cent zu verramschen?

Was ist uns ein Ei wert?

Wie konnte es dazu kommen? Wer hat Schuld an dieser Situation? Die ernüchternde Antwort: wir alle. Unsere „Geiz ist geil“-Mentalität macht eben auch nicht vor dem Lebewesen halt. Musste man 1960 durchschnittlich noch 2,5 Stunden arbeiten, um sich ein Kilogramm Schweinekotelett zu kaufen, so sind es heute nur noch ca. 30 Minuten. Argumente, um den ganzen Konsum schön zu reden, gibt es viele: „Man weiß ja nicht, wie Tiere gehalten werden“, „Woran erkennt man artgerechte Tierhaltung“, „Was ist überhaupt artgerechte Tierhaltung“, „Wer kann sich das überhaupt leisten“. Alles Schutzbehauptungen, um nichts tun zu müssen, die Wahrheit ist einfach: grundsätzlich weniger Fleisch, und wenn, dann aus Biolandbau. Selbst Aldi und Lidl haben Biofleisch und -Wurst im Angebot, sodass nicht mal Billigheimer ihre Einkaufsstätte wechseln müssen.

Selbstverständlich kosten Bioprodukte mehr, denn „was nichts kostet ist nichts wert“, das lernt jedes Kind. Und Bioprodukte haben ihren Wert. So kostet beispielsweise ein Ei aus einer „Kleingruppenhaltung“ in einem Käfig – das häufig in verarbeiteten Produkten wie z.B. Eiernudeln eingesetzt wird und dann nicht deklariert werden muss - ca. 12 Cent oder sogar weniger. Ein Bioei bei dem die Tiere auch Grünauslauf haben kostet dagegen 23 bis 35 Cent. Und wenn dazu die männlichen Küken aufgezogen werden, kann das Ei auch schon mal über 40 Cent kosten. Zuviel? Ansichtssache. Wenn man davon ausgeht, dass man nicht mehr als 150 Eier pro Jahr essen sollte, macht es bei einem Mehrpreis von 30 Cent pro Ei im Jahr 45 Euro aus. Dafür weiß ich, dass den Tieren ein natürliches Verhalten ermöglicht wird. Jedes Huhn in ökologischer Haltung muss Raum zum Ruhen, Laufen, Picken, Scharren, Staub- und Sandbaden haben. Die Legehennen haben Zugang zu freiem Gelände und bekommen ökologisches Futter.

Hinweis: Dieser Standpunkt bezieht sich auf die Frage nach der Massentierhaltung, die brussell der Diskussion zur Postwachstumsgesellschaft eingebracht hat.


Links zur Debatte:


Kommentare

  • brussell ist dafür
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    Generell Zustimmung: Biofleisch ist meist besser – besser für die Umwelt, besser für die Tiere – als Fleisch aus konventioneller Tierhaltung. Und Reduktion des Fleischkonsums ist zusätzlich aus gesundheitlichen Gründen erstrebenswert. Richtig ist auch der Verweis auf Preise. Teurere Produkte führen zur Veränderung des Konsumverhaltens, wenn es alternative Produkte gibt.

    Aber zwei kritische Anmerkung:

    Erstens gehen die Bio-Auflagen der EU nicht weit genug. Strengere Auflagen für Zucht, Haltung und Schlachtung sind wünschenswert. Zudem müsste die Durchsetzung bestehender Auflagen verbessert werden.

    Der Zweite Punkt ist grundsätzlicher. Selbst wenn jedes Schnitzel mit Biosiegel von einem glücklich sich im Dreck wälzenden Schwein kommt, das ohne Angst und Schmerz geschlachtet wurde, es bliebe gewaltig viel zu tun. Das Framing [gibt's dafür einen schönen deutschen Begriff?] des Fleischkonsums als Lifestyle-Wahl der Konsumenten halte ich für unzureichend, um die gebotenen Veränderungen heranzuführen.

    Um beim Preis-Thema zu bleiben: Fleisch, auch und gerade konventionell hergestelltes, muss teurer werden. Dafür sind staatliche Eingriffe notwendig. Ich bin für eine allgemeine Fleischsteuer. Aber mir ist klar, dass dies mittelfristig kaum durchsetzbar ist. Fleisch gehört zur Kultur und traditionellen Essgewohnheit vieler Menschen. Man erinnere sich an den Aufschrei nach dem Veggie-Day Vorschlag der Grünen kurz vor der Bundestagswahl 2013.

    Der meines Erachtens einzig realistische Weg kurz- bis mittelfristig voranzukommen, ist über strengere Auflagen für umweltschonende, tiergerechte Produktion von Fleisch, Eiern und Milch. Und zwar nicht nur für die Bio-Kategorie. Das würde auch die konventionelle Produktion verteuern und in der Folge die Verbraucherpreise erhöhen, ohne den Konsumenten/Wählern zu sagen “Wir wollen eurer Fleisch teurer machen”. Demgegenüber steht aber natürlich die mächtigen Interessen von Agrar-Konzernen und Landwirten.

    Langfristig sind Aufklärungskampagnen zur Verbreitung vegetarisch/veganer Lebensweisen geboten, zum Wohle der Tiere und zum Wohle des Menschen.

    • Es bringt leider nichts, den Bio-Bauern über Richtlinine die "Daumenschrauben" noch fester zu ziehen, da dann Bio-Fleisch noch teurer wird. Völlig richtig ist, dass konventionelles Fleisch zu billig ist. Das könnte man volkswirtschaftlich so lösen: die Kosten für die Umwelt müssten als Steuer erhoben werden, also eine "Internalsierung externer Kosten", d.h. die Umweltkosten müssten auf das Produkt aufgeschlagen werden, damit nicht der Steuerzahler dies übernehmen muss. Das ist ein unserer zentralen Forderungen.

  • Hallo Bio-Forschungsinstitut, ihr habt ja Recht! Leider. Nur was ich, Schutzbehauptung hin oder her, immer noch ein Ding der Möglichkeit finde: Inhaltsstoffe checken. Die Nudeln, die Backwaren, das Joghurt. Ich mache mir nicht jedes Mal Gedanken über die Eier darin, die Milch und so fort. Müsste ich eigentlich, klar. Mach ich aber nicht. Nur Bio kaufen? Oder kann sich die industrielle Landwirtschaft nicht doch noch zu Menschlichkeit durchringen?

    • Selbst wenn du nur Bio kaufst, kann ja nicht mal dafür garantiert werden. Ich hab gerade keine Links parat, aber waren nicht vor ein paar Monaten wieder irgendwelche "Skandale" im Anmarsch, weil Bio eben nicht gleich Bio ist? Um ganz sicher zu gehen könnte man dann Demeter Ware kaufen...ist halt noch n bisschen teuer. Und meinem Kenntnisstand nach auch wirklich "Bio". ;)

      • Sicher ist nichts, auch Demeter kann nicht 100 % garantieren. Aber die Kontrolle funktioniert grundsätzlich sehr gut, und wer 100 % sicher gehen will, sollte am besten das Essen einstellen, was aber auch nicht ungefährlich ist.

    • naja, nicht ganz so verkrampft. Nicht jedes konventionelle Produkt ist ungenießbar, zudem kann man auch krank werden, wenn man sich zu viel Gedanken macht. Beispielsweise mache ich mir bei Milch, aber auch bei Getreide, nicht so viel Sorgen wie bei der Schweine- oder Hühnerhaltung, noch schlimmer Puten. Davon würde ich konventionell lieber die Finger lassen.