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Rede von Joachim Gauck: Muss ein Ruck durch die deutsche Außenpolitik gehen?


picture alliance / dpaBundespräsident Joachim Gauck bei seiner Eröffnungsrede der Münchner Sicherheitskonferenz. Foto: picture alliance / dpa

Ein Beitrag von FelixS Mitglied JDGAP

Bundespräsident Gauck hat sich heute auf der Münchner Sicherheitskonferenz als starker Anwalt einer aktiveren deutschen Außenpolitik präsentiert. In seiner vor allem in die Zukunft aufgerichteten Rede plädierte Gauck an vielen Stellen für mehr deutsches Engagement, u. a. in UN, NATO und EU.

Debatten über "gleiche Rechte" sind heute en vogue. Von gleichen Pflichten ist seltener die Rede. Da ist es bemerkenswert, dass der Bundespräsident vor einem internationalen Top-Publikum sagt, Deutschland sei nicht nur ein Partner mit gleichen Rechten, sondern auch mit gleichen Pflichten.

Die Gründe dafür leitet Gauck aus Deutschlands Interessen her. Man erinnere sich daran: Einer von Gaucks Vorgängern musste über ähnliche Aussagen zurücktreten. "Deutschlands wichtigstes außenpolitisches Interesse im 21. Jahrhundert", so Joachim Gauck, sei es, "dieses (internationale) Ordnungsgefüge, dieses System zu erhalten und zukunftsfähig zu machen."

Dabei kommentierte Gauck Europa und Deutschland mit deutlicher Kritik. Europa sei "mit sich selbst beschäftigt" und Deutschland könne nicht "einfach weitermachen wie bisher". Darüber hinaus werfe sich Deutschland der "finanziellen Auszehrung (der NATO) nicht entgegen".

In Sachen NSA legte Gauck einmal den Finger tief in deutsche Wunde. Zwar erhebt Deutschland gegenüber den USA moralisierend den Zeigefinger, bleibt aber wissend in der Abhängigkeit von Informationen anderer Nachrichtendienste.

Wie Frank-Walter Steinmeier und Ursula von der Leyen nimmt auch der Bundespräsident innerlich Abschied vom Mantra der Kultur der Zurückhaltung. Gauck: "So kann aus Zurückhaltung so etwas wie Selbstprivilegierung entstehen, und wenn das so ist, werde ich es immer kritisieren. Denn für mich ist ganz klar: Wir brauchen das Nato-Bündnis. Und gerade wenn die Vereinigten Staaten nicht ständig mehr leisten können, müssen Deutschland und seine europäischen Partner für ihre Sicherheit zunehmend selbst verantwortlich sein."

Wenn es nach Gauck geht, muss sich Deutschland - aber nicht allein, sondern mit Partnern "früher, entschiedener und substantieller einbringen".

Kurzum: Der Bundespräsident hat gegenüber der globalen sicherheitspolitischen Community ein Zeichen gesetzt. Mit Deutschland soll global außen- und sicherheitspolitisch wieder stärker zu rechnen sein. Keine Alleingänge, sondern mehr Berliner Input im multilateralen Rahmen.

Wie genau das geschehen soll, hat der Bundespräsident natürlich nicht gesagt. Genau da seit ihr gefragt: Was tun?

Die Rede im Volltext.


Kommentare

  • Muss nicht statt ein Ruck durch die deutsche Außenpolitik bei der Rede von Joachim Gauck ein Schrecken durch Deutschland gehen? Allzu schnell könnte es einen Präzedenzfall geben, der es verlangt, dass aus kernigen Worten kernige Taten werden. Wenn die Lage in der Ukraine weiter eskaliert, wenn die Armee gegen die Opposition vorgehen sollte, wenn Staaten der EU, allen voran Deutschland, sich gedrängt fühlen sollten, für die Opposition militärisch zu intervenieren, wenn Rußland zunächst nur die Olympiade abwarten sollte, um seinerseits der ukrainischen Armee zu helfen...Nicht auszudenken! Und das 100 Jahre nach 1914 und 75 Jahre nach 1939! Es geht nicht um ein Sich-Verstecken hinter deutscher Schuld gleichsam als Selbstprivilegierung, sondern um ein Lernen aus der Geschichte, um Klugheit und Gewaltprävention. Die Büchse der Pandora darf nicht geöffnet werden! Notfalls sollte die ukrainische Opposition, so sehr das Recht auf ihrer Seite ist, gedrängt werden, auf ihre Maximalforderung zu verzichten und sich auf die Kompromisse, die die Regierung ihr angeboten hat, einzulassen. Auch die Kompromisse wären ja nur ein Durchgangsstadium. Jedenfalls empfinde ich Gaucks Rede, zumal zum jetzigen Zeitpunkt, erschreckend. Und im Übrigen: Die Sicherheit Deutschlands und der EU wird nicht durch außereuropäische Bürgerkriege gefährdet, sondern eher durch ein militärisches Eingreifen in diese Bürgerkriege. Es gibt viele andere Optionen des Eingreifens!

  • Liebes Forum,

    hier ein kurzer Hinweis: es gibt auf Publixphere eine neue Diskussion zur europäischen Außen- und Sicherheitspolitik. Die Fragestellung: "Feindbild Russland - Findet Europa seine Stimme?"

    Euer Kommentar?

    Liebe Grüße, die Redaktion

  • Zu Deutschlands Außenpolitik, v.a. im Bezug auf Russland und die Ukraine, wurde nun auch folgende Debatte gestartet "Was kann der Westen Russland anbieten". Diskutiert hierzu und den dort aufgeworfenen Fragen, wie u.a. "Könnte man Russland nicht irgendwann selbst in die NATO und in die EU einbinden? Oder zumindest diesen Weg für die kommenden Jahrzehnte aufzeigen?" gerne mit!

  • Liebe Community,

    eine kurze Meldung aus der Redaktion. Wir haben den Hintergrund-Text zur Sicherheitspolitik um den Abschnitt "Deutschlands neue Rolle" erweitert. Darin findet ihr eine knappe Zusammenstellung der politischen Positionen (Gauck, Von der Leyen, Steinmeier...) und die Links zu den Original-Quellen.

    Wir freuen uns sehr über die vielfältige und erkenntnisreiche Debatte. Wenn ihr einzelne Punkte separat weiter diskutieren wollt (Bsp: Afrika-Strategie, Europaarmee etc.) könnt ihr das jederzeit tun, indem ihr eine neue Debatte anlegt.

    Auch euer Feedback interessiert uns: was könnte Publixphere als Diskussions-Plattform besser machen? Ihr erreicht uns hier im Forum oder Mail: redaktion@publixphere.de

  • Ich möchte Ihnen allen gern den Internationalen Frühschoppen von gestern empfehlen:

    http://www.phoenix.de/content/802679

  • Wie der einleitenden Text anmerkte, haben in den letzen Tagen verschiedene Politiker ins gleiche Horn geblasen und für ein stärkeres Engagement Deutschlands in der Welt geworben. Was das konkret bedeutet ist freilich recht bedeutungsoffen. Grundsätzlich möchte ich mich der Einschätzung von "Graustufe" anschließen, wonach Deutschland in keiner historischen Verantwortung steht eine Welt-Polizeifunktion auszuüben.

    Hinzufügen möchte ich, dass es nicht besonders lange her ist, dass vielen europäischen Staatschefs die Schweißperlen auf der Stirn standen, weil ihn die Macht eines wiedervereinigten Deutschlands alles andere als Geheuer war. Besonders die Franzosen hatten stärkste Vorbehalte geäußert. Nun steht Deutschland in Europa stärker als je zuvor da und alte Ressentiments unserer europäischen Nachbarn kommen - schon ganz ohne auch noch eine nennenswerte militärische Macht zu sein - wieder hoch. Jetzt läuft es mir kalt den Rücken runter; mit billigen "Sommer-vor-dem-ersten-Weltkrieg-Analogien" möchte ich gar nicht anfangen, aber eine Lehre kann man doch aus den hervorragenden und kürzlich erschienenen Büchern zum Thema ziehen: In Europa lebt es sich besser (und sicherer) seit dem die USA den netten Hegemon von Nebenan geben und damit die Frage nach der militärischen Vormacht in Europa ausklammert. Niemand sollte so kurzsichtig sein und denken, dass nur weil wir hier seit ein paar Jahrzehnten in Frieden leben, inneuropäische Agitationen ein Relikt vergangener Tage wären.

    Wenn Deutschland eine größere (militärische?) Rolle in der Welt spielen will, dann ist das eine nette Absicht, die sicherlich auch den ein oder anderen Staatschef auf der Welt froh macht, aber meiner Meinung nach gehört unser Fokus auf Europa und die Wahrung des hiesigen Friedens. Deutschland und ein gewichtiger Militärapparat passen nicht zusammen, das bringt Unheil.

    • Dazu ein zeitloser Klassiker: "Am deutschen Wesen, soll die Welt genesen."

    • Maik Mitglied JDGAP
      +1

      Hallo Pareoptimum, bezüglich Ihrer Aussage "In Europa lebt es sich besser (und sicherer) seit dem die USA den netten Hegemon von Nebenan geben und damit die Frage nach der militärischen Vormacht in Europa ausklammert." habe ich eine Anmerkung.

      Grundsätzlich haben Sie durchaus Recht. Wir hatten noch nie so eine friedliche Zeit in Europa wie die letzten 60 Jahre. Allerdings hat die USA vor genau 2 Jahren Amerikas pazifisches Jahrhundert ausgerufen und ihre Abwendung vom europäischen Raum angekündigt. Aus meiner Sicht entsteht hierbei durchaus ein Machtvakuum an der Peripherie (nicht im Zentrum) Europas. Frankreich versucht es bisher als einziges Land, dieses Vakuum zu füllen und seine aber auch europäische Sicherheitsinteressen zumeist im afrikanischen Raum zu verteidigen (Libyen, Mali, Zentralafrikanische Republik ...).

      Ich glaube, dass es unserer politischen Führung weniger um die Rolle Deutschlands einer "Weltpolizei" geht, sondern mehr um eine Führungsrolle bei der Verteidigung europäischer Sicherheitsinteressen im nordafrikanischen und osteuropäischen Raum.

  • Alexander Poel ist dafür
    0

    Also, ich finde die Rede von Gauck goldrichtig und vor allem: sie kommt zum richtigen Zeitpunkt.

    Vor Jahren habe ich mal über die Münchner Sicherheitskonferenz berichtet. Es war eine Zeit, in der sich Deutschland ob seiner Weigerung, in bestimmten Teilen Afghanistans zu kämpfen, viel Kritik anhören musste, insbesondere vom damaligen US-Verteidigungsminister Bob Gates ("Einige kämpfen, andere nicht"). Diese Haltung teilte ich damals nicht. Ich tat es als Überbleibsel Rumsfeldscher Rhetorik ab (Gates ist ja Republikaner).

    Auf eben dieser Siko hatte ich einen Interviewtermin mit Kenneth Roth, dem Direktor von Human Rights Watch. Und ich stellte ihm die - rhetorische - Frage, ob er nicht auch der Meinung sei (wie ich), dass sich Deutschland wegen seiner Geschichte beser militärisch zurückhalten solle. Die Antwort war frappierend:

    "Germany must stop hiding behind the Holocaust"

    Ich hatte es bis dahin noch nie von dieser Warte aus betrachtet: Das wir uns - in seinen Augen - hinter unserer Geschichte VERSTECKTEN. Und es war ja nicht Bob Gates, der da sprach, oder der US-Präsident. Es war der Direktor der bekanntesten und anerkanntesten Menschenrechtsorganisation überhaupt. Man stelle sich für eine Sekunde lang vor, ein Bundestagsabgeordneter hätte dies gesagt!

    Ich habe heute eine andere Sicht auf die Dinge. Ich bin nicht - wie Roth - der Ansicht, Deutschland solle den Parlamentsvorbehalt abschaffen. Ich bin aber dafür, dass man ihn so verändert, dass z.B. Einsätze der "SCHNELLEN Eingreiftruppe" möglich sind. Ich bin dafür, dass sich Deutschland in dieser Frage eng mit Frankreich abstimmt und - wie nun geschehen - etwa in Afrika Verantwortung übernimmt. Dies mus meiner Ansicht nach den Einsatz von Kampftruppen einschließen.

    Viel wichtiger als holterdipolter Truppen zu entsenden ist aber etwas anderes: Europa braucht endlich ein Sicherheitspolitisches Weißbuch. Bislang ist eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik - wenn überhaupt - nur schemenhaft erkennbar. Auch hier müssen Deutschland und Frankreich als Führungsnationen voran gehen. Politische Lösungsansätze, wie etwa Sarkozys Idee einer "Mittelmeer-Union" waren vielversprechend. Sie wurden dann aber u.a. von Deutschland kassiert, weil sie als Konkurrenz zur EU wahrgenommen wurde (wie kurzsichtig!). Diese Mittelmeer-Union sollte eben auch die Staaten Nordafrikas mit einbeziehen.

    Ein letzter Punkt betrifft das "sharing and pooling". Gemeinsame Auslandseinsätze können finanziell nur dann realisiert werden, wenn die Entwicklung und Anschaffung der Ausrüstung aufgeteilt wird. Das bedeutet: Jedes Land muss auch hier seinen Teil beitragen.Wenn sich also Herr Seehofer in diesen Tagen brüstet, er werde nichts gegen den Stellenabbau bei "Airbus Defense" tun, weil er Rüstung ohnehin für überflüssig oder nicht förderungswürdig hält, lässt das tief blicken. Wenn Europa mehr Verantwortung in der Welt übernehmen will, braucht es Hubschrauber, Truppentransporter und moderne Waffensysteme. Die Äußerung mancher Politiker zu diesem Thema sprechen jeder internationalen Verantwortung Hohn.

    Also: 1) Deutschland muss - im Sinne Gaucks - mehr Verantwortung übernehmen, auch mit Kampftruppen. Dies gilt im Moment für Afrika.

    2) Parallel dazu müssen die Europäischen Partner Richtlinien entwickeln, nach denen Einsätze von EU-Truppen möglich sein sollen (Kriterien und Procedere). Das schließt eine Modifikation des Parlamentsvorbehalts in Deutschland ein.

    3) Die Politik in Deutschland muss den Bürgern in Bezug auf derartige Einsätze reinen Wein einschenken. Sie muss raus aus dem Bundestag und sich den notwendigen Diskussionen auf Demos und in Townhall-Meetings stellen. Nur dann kann sie (vielleicht) auf die Unterstützung der Bevölkerung hoffen.

    4) Ursula von der Leyen könnte as Zeug dazu haben, eine solche Debatte zu führen. Zumindest ist dies mein Eindruck. Dazu ist es notwendig, dass sie sich langsam von der momentanen Debatte löst, die wir mit Blick auf die Bundeswehr führen und sich auf die Themen konzentriert, für die sie als Ministerin zu allererst zuständig ist: Sicherheit und Verteidigung.

    • Ich weiß nicht, ob Herr Gauck meinte, Deutschland müsse mehr "Kampftruppen" in alle Welt schicken. Genau diese Unklarheit werfe ich ihm auch vor. Seine Rede ist eine große Schwurbelei, auch was sein Bashing der deutschen Zurückhaltung angeht, an der ich in Punkto Kampfeinsätze aber auch gar nichts schlechtes entdecken kann. Also wenn es Herrn Gauck um Kampfeinsätze gehen sollte, dann soll er das klar sagen. Sollen Bundeswehr-Soldaten etwa malische Islamisten jagen und töten, wie das die Franzosen tun? Wollen wir das? Auf wessen Seite schlagen wir uns in den vielen Konflikten Afrikas, in denen es doch vor allem um den Kampf um Ressourcen geht, um ökonomische Konflikte? Und hätten wir nicht unendlich viele bessere Instrumente, etwas für die Menschen zu bewirken? Blauhelm-Missionen, Flüchtlinge aufnehmen, Ärzte, Lehrer, Bauern ausbilden? Eine Akadamie für afrikanische Nachwuchspolitiker (Good Gouvernance)...

      Und ich möchte Herrn Gauk sehen, wie er den Eltern gefallener Bundeswehrsoldaten erklärt, warum sie zwischen den wirren Fronten afrikanischer Bürgerkriegen fallen mussten.

      Also bitte geht doch nicht diesen Unverbesserlichen auf den Leim! Wenn uns Amerika feige nennt, ist das in meinen Ohren ein großes Kompliment!

  • agora Mitglied JDGAP ist dafür
    0

    Der Ruck heißt Europäischer Auswärtiger Dienst

    Es gibt zurzeit drei Rahmentendenzen der internationalen Beziehungen, in denen die Deutsche Außensicherheitspolitik agieren muss:

    1. Es gibt wesentlich mehr innerstaatliche als staatliche Konflikte.
    2. Bei der Mehrzahl von Staaten ist ihr Gewaltmonopol begrenzt. Sie können einer Durchsetzung von Wohlfahrt in ihren Ländern nicht nachkommen.
    3. Regierungen bevorzugen uni- oder bilaterale Strategien vor konzertiertem Handeln, mit oder durch internationale Institutionen.

    Wenn Deutschland als Land, also inkl. öffentlich-demokratischer Raison und historischer Verantwortung, in diesen Rahmenbedingungen effektive Außensicherheitspolitik betreiben will, muss sich Deutschland für eine vernetzte Sicherheit durch den Europäischen Auswärtigen Dienst einsetzen.

    Wie wird die Deutsche Außensicherheitspolitik dadurch effektiv?

    In einem Gastbeitrag in der SZ v. 27.5.2011 nennt Ischinger vier Bedingungen für den Einsatz militärischer Mittel, die ich auf die Deutsche Außensicherheitspolitik insgesamt übertrage.

    1. Ein Mandat ist notwendig, das außenpolitisches Handeln rechtlich-politisch legitimiert.
    2. Die Region, in der außenpolitisch gehandelt wird, muss die Maßnahmen unterstützen.
    3. Ein möglichst klar definiertes Ziel muss mit Mitteln erreichbar sein, die auch zur Verfügung stehen.
    4. Das außenpolitische Handeln muss aus deutschen sowie europäischen Interessen begründet werden können.

    Der Knackpunkt ist die vierte Bedingung, da sie auch immer im kleinen Kreis konstruiert sein kann und damit keine europa-außenpolitisch nachvollziehbare Begründung darstellen muss. Daher könnte die Grundlage einer effektiven Deutschen Außensicherheitspolitik durch den folgenden Ruck erreicht werden:

    Auf innenpolitischer Ebene: eine konsensuale Definition von Zielen und Wegen, ggf. durch breite Dialogprozesse. Die Dialoge müssen von anerkannten, erfahrenen PolitikerInnen moderiert werden, die sich mit Leidenschaft einem Thema annehmen. Die Wege müssen unbedingt systemisch gedacht werden, wie es eine vernetzte Sicherheit vorsieht. Ansonsten gibt es in dieser oder jener Angelegenheit kein Handeln, jedoch in anderen, wo Konsens erreicht werden kann.

    Auf europäischer Ebene: eine Moderation zur Konsensfindung zwischen den verschiedenen Innenpolitiken. Das Ergebnis ist das Mandat für den Europäischen Auswärtigen Dienst.

    Auf internationaler Ebene: strukturelle Durchsetzung von ökonomischen und normativen Anreizen der Europäischen Union, die den Adressaten ermöglichen die Erfahrung zu machen, dass der europäische Weg eigene Vorteile bringt.

    Die Schnittmenge, um die vielen, z.T. divergierenden, Ebenen und Interessen zu handhaben, ist der Europäische Auswärtige Dienst. Erst wenn Deutsche Außensicherheitspolitik stärkere Europäische Außenpolitik bedeutet, kann das „mehr Verantwortung“ auch mit konkreten, machbaren Strategien unterlegt werden, die die einseitige Betrachtung „mehr Zahlen“ vs. „mehr Schießen“ verlässt.

  • Graustufe ist dafür
    0

    Lieber Felix, ich stelle mir oft die Frage nach der "deutschen Rolle" in der Außenpolitik.

    Dabei lehne ich persönlich eine militärische Beteiligung der BRD aus folgenden Gründen ab. Zunächst ist unsere Bundeswehr keine Berufsarmee wie in den USA. Die meisten der Soldaten sind weder kampferprobt, noch haben Sie eine weitreichende Ausbildung im Kapfeinsatz. Nun könnte man behaupten, dass auch die Truppen anderer NATO-Mitglieder keine besondere Qualifikation aufweisen. Allerdings bin ich kein Freund von Vergleichen und sage deshalb, nur weil A aufs Dach klettert, muss B nicht auch rauf.

    Weiterhin sehe ich aus historische Verantwortung die Deutschen in keiner Welt-"Polizeifunktion". Wir haben weder die Erfahrung in Kriegs-Diplomatie, noch sollten wir uns anmaßen, mit unserer jungen Staatsgründungsgeschichte, Lehrmeister in Sachen Krisenmanagement zu sein.

    Ich sehe unsere Verantwortung in einer anderen Rolle. Die BRD ist inzwischen weltweit als ein offenes, tolerantes und einflussreiches Land hoch angesehen. Dabei sind vor allem unsere internationalen Verbindungshäuser, vertreten durch Institute, Unternehmen, Verbände und natürlich Botschaften, diplomatische Schwergewichte. Wir haben in dem Großteil der Welt einen guten Ruf und genießen Achtung. Eben diese Position müssen wir außenpolitisch stäker einbringen. Wir haben durch diese Stellung die Chance, uns als Vermittler und Berater in Konflikten einzubringen. Vor allem in der Entwicklungshilfe sehe ich mehr Potential, auch wenn man diesem Ministerium oft mit einem Schmunzeln begegnet.

    Seien wir uns dieser Stärke bewusst und nutzen wir diese, um Konfliktparteien an den Verhandlungstisch zu bringen, auf neutralem Terrain. Wie man es nicht macht, hat unsere Regierung im vergangenen Jahr gezeigt, als man sich mit syrischen Intelektuellen auf deutschem Boden traf und bereits die Staatsstruktur nach einem Sturz Assads verhandelte. Dies ist der falsche Weg. Wir schenken allen Gruppen, gleich welcher Kultur, Religion oder weltlichen Ansicht das gleiche Gehör. Diese Einstellung ist mehr Wert als Gold. Es fehlt nur noch die richtige Vermarktung.

    • FelixS Mitglied JDGAP
      +1

      Die Einschätzung der Bundeswehr ist schlicht falsch. Die Wehrpflicht ist abgeschafft und wir haben eine reine Berufsarmee. Zugegeben: Die Verpflichtungsmodalitäten unterscheiden sich dabei durchaus von denen anderer Staaten.

      Nach 20 Jahren Auslandseinsätze und gerade nach 12 Jahren in Afghanistan ist die Bundeswehr mittlerweile auch eine Armee mit Kampferfahrung. Das sagen auch unsere Verbündeten. Wenig thematisiert, aber kein Geheimnis sind die offensiven Kampfeinsätze des KSK in Afghanistan. Zuerst im Rahmen von Enduring Freedom (bis 2004) und später im Norden.

      Unsere Truppen und die unserer NATO-Verbündeten sind im globalen Vergleich allen Etatkürzungen zum Trotz immer noch die besten der Welt - neben den USA gerade in Frankreich und Großbritannien. Innerhalb der NATO wird dieses Niveau durch Manöver laufend aufrecht erhalten. Wir müssen uns nicht schlechter reden, als wir sind.

      Niemand hat von einer Polizeifunktion gesprochen. Weder Gauck, noch ich.

      In Deutschland wird immer wieder betont, man wolle ein in der Welt gemeinsam handlungsfähiges Europa. Meint man das ernst, dann muss die größte Volkswirtschaft der EU sich auch zivil, diplomatisch und - als Ultima Ratio - eben auch militärisch engagieren. Auch darf man nicht den Fehler machen, den Einsatz von Militär mit der Anwendung militärischer Gewalt zu verwechseln.

      Im Punkt diplomatisches Engagement als "Vermittler und Berater in Konflikten" sind wir uns völlig einig. Aber Gauck hat auch deutlich macht, dass es Situationen geben kann, in denen das nicht ausreicht.

      • Vielen Dank für Ihre Antwort. Ich freue mich, dass wir uns im Punkt "diplomatisches Engagement" einig sind.

        Ich möchte auf die anderen Punkte kurz antworten.

        Zunächst mögen Sie recht behalten, dass die Bundeswehr auf dem Papier eine Berufsarmee ist. Davon abgesehen, dass der Begriff der Freiwilligenarmee dennoch zutreffender ist, sollten Sie sich mit der Einschätzung des ehemaligen Soldaten Achim Wohlgetan beschäftigen. Sein Buch "Schwarzbuch Bundeswehr" beschreibt in wenigen Sätzen die Einschätzung der Bundeswehr als Berufsarmee besser, als ich es in tausend Sätzen formulieren könnte. Ein kurzes Zitat: "Es sind ja nur knapp 7000 Soldaten im Auslandseinsatz bei insgesamt derzeit noch 240.000 bis 250.000 Bundeswehrsoldaten." Wohlgetan hällt lediglich diese 7000 Soldaten auch für wirklich einsatzbereit.

        Nach dieser Einschätzung, welche durchaus viele Anhänger in Militärkreisen hat, sehe ich eine Kampferfahrung als nicht gegeben an.

        Deshalb sollten wir zunächst (nicht nur auf Papier) Voraussetzungen für eine Berufsarmee schaffen und diese ausbauen. Damit will ich keine Schwarzmalerei betreiben. Ich erwarte lediglich ein realistisches Bild des Status quo.

        Wenn Sie sich mit dem Begriff "Berufsarmee" näher beschäftigen, werden Sie schnell feststellen, dass nicht nur die Definition sondern auch das NATO-Verständnis von dem Einsatz der NATO-Truppen eine "Polizeifunktion" fest verankert sieht. Im Zusammenhang mit dem Jugoslawien-Einsatz, wurde die Polizeifunktion der NATO-Truppen oft betont.

        Über den Einsatz von Militär scheinen wir fast einig. Ich möchte mich deshalb nochmal in meiner Formulierung verbessern.

        Einen Truppeneinsatz zu Entwicklungshilfezwecken und Aufbauarbeiten kann ich nur unterstützen. Eine Teilnahme an militärischen Interventionen lehne ich grundsätzlich ab. Wir sollten für Abrüstung sorgen und nicht mehr Waffen aufs Feld tragen.

        • FelixS Mitglied JDGAP
          +1

          Die Bücher von Wohlgetan kenne ich. Aber er ignoriert, dass man die Zahl der eingesetzten Soldaten mit drei multiplizieren muss: ein Kontingent im Einsatz, eines in der Vorbereitung, eines in der Nachbereitung.

          Dazu kommt, in modernen Armee kommen auf jeden Soldaten im Einsatz zwischen fünf bis sieben Kameraden, die ihn versorgen. Die Zahl von 200.000 reicht ja vom General bis zum Koch. Würde man die Bundeswehr auf drei bis vier große Standorte konzentrieren, würde viel mehr Personal frei. Aber versuchen Sie mal, das im deutschen Förderalismus durchzusetzen.

          "Polizeieinsatz" war eine politische Floskel der 1990er. Das ist Schnee von gestern, denke ich. In der NATO redet heute niemand mehr darüber. Der Sprachgebrauch ist ein anderer geworden.

          Allerdings ist es richtig, dass man Militärs viel zu oft Polizeiaufgaben übertragen hat (Bosnien, Kososov, teilweise Afghanistan). Dabei gilt Kritik aber nicht dem Militär. Stattdessen hat es die Politik westlicher Staaten jahrelange (und bis heute) verschlafen, entsprechende im Ausland einsatzfähige Polizeikräfte aufzustellen.

          Ironie des Schicksals - Für Abrüstung sorgt Europa doch schon seit über zwanzig Jahren. Aber eben nur auf dem eigenen Kontinent. Während in allen anderen Weltregionen die Militäretats immer weiter steigen.

          Ich schließe Militärinterventionen nicht aus. Sie lehnen sie ab. Allerdings wird unsere Debatte bald irrelevant, wenn Europa zu großen Einsätzen nicht mehr in der Lage ist. In Libyen haben wir die engen Grenzen europäischen Handlungsspielraums schon gesehen. So gesehen werden wir wohl nicht mehr Waffen aufs Feld tragen.

          • Maik Mitglied JDGAP
            +2

            Hallo Graustufe, hallo Felix,

            als ehemaliger Bundeswehroffizier, der in verschiedenen Auslandseinsätzen tätig war, kann ich Felix zustimmen. Die 3er-Regel mit jeweils einem Kontingent in der Vor- und Nachbereitung sowie einem im Einsatz stimmt durchaus. Bei der derzeitigen Einsatzlage befinden sich somit ca. 20.000 Soldaten im permanenten Kreislauf. Damit hat die Bundeswehr jedoch auch die Schmerzgrenze erreicht. Ich behaupte sogar, in Spezialbereichen überschritten. Die Kampferfahrung ist durchaus gestiegen. Nicht jeder Schusswechsel wird in unseren Medien bekannt gegeben. Ein traurige Konsequenz daraus ist leider auch die hohe Anzahl an traumatisch belasteten Soldaten.

            Krieg und Diplomatie sind seit jeher die wesentlichen Instrumente der Außenpolitik. Wie Grauzone richtig erklärte, ist Deutschland im Bereich der Diplomatie geschätzt und anerkannt. Im militärischen Bereich hat die Bundeswehr in den letzten 12 Jahren viel an Erfahrung gewonnen und sich auch bei Partnern aufgrund ihrer Professionalität viel Achtung erworben. Beide Instrumente gilt es daher zu nutzen, um deutsche und europäische Sicherheitsinteressen zu verteidigen.

            • Eine sehr diplomatische Zusammenfassung. Ich kann mich dieser Sichtweise überzeugt anschließen.