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Diplomatie statt Rechthaberei


Ein Beitrag von Doro

Es gab soz. einen Countdown für den Ausbruch der Gewalt in Kiew, den man seit Wochen verfolgen konnte. Deshalb ist es verwunderlich, dass die Politiker in unserem Land und in den anderen EU-Ländern erschrocken sind und nun eine Reise-Diplomatie entfalten, um zu retten, was zu retten ist.

Schon auf der Münchner Sicherheitskonferenz hätte man sich mit den anwesenden russischen Politikern darauf verständigen müssen, einen Gewaltausbruch in der Ukraine zu verhindern. Eine weitere Gelegenheit wären informelle Gespräche mit der russischen Seite in der "weichen" Olympia-Atmossphäre in Sotschi gewesen. Aber da fuhr man ja nicht hin wegen der Menschenrechtsverletzungen in Rußland (als würden die Menschenrechte bei uns so lupenrein eingehalten!).

Dass sich der Westen mit seinem Demokratie-Verständnis mit der Opposition in der Ukraine solidarisiert und eine stärkere EU-Anbindung des Landes unterstützt, ist verständlich, aber es ist z.Zt. undiplomatisch. Man hätte der Opposition klar machen müssen, dass man sie grundsätzlich unterstützt, aber dass eine Neuorientierung der Ukraine Richtung Westen nicht von jetzt auf gleich zu haben ist, dass sie nur in langsamen Schritten erfolgen kann, und dass der Weg dahin aus jeweils vorläufigen, auch aus mit Demonstrationen erkämpften Kompromissen mit der noch herrschenden Staatsmacht besteht. Man hätte die Opposition zur Mäßigung aufrufen müssen.

Hier ist Joachim Gauck ein Vorwurf zu machen. Dass er aufgrund seiner Biographie den Freiheitsbegriff (Freiheit in der Gesellschaft, Freiheit in der Wirtschaft) als höchstes Gut propagiert und den Neoliberalismus vertritt, ist verständlich. Aber es ist situationsbedingt undiplomatisch. Es geht zur Zeit nicht um Rechthaberei, sondern um Pragmatismus, um Gewalteindämmung und das Setzen auf Zeit.

Es wäre fatal, wenn dem Westen von der Opposition in der Ukraine der Vorwurf gemacht werden müßte: in Mali und in Somalia pflegt Ihr die Kultur der militärischen Einmischung, aber uns, die wir auf Euch gesetzt haben, laßt Ihr im Regen stehen. Und wenn der Westen so in Zugzwang geraten würde. Große Worte vom Bundespräsidenten Deutschlands , sich schnell und substantiell einzubringen, aber keine Einlösung dieser Worte! Die Opposition in der Ukraine könnte sich nach Gaucks martialischen Worten, auf die sie vertraut haben, verraten fühlen.

Trotzdem, wenn es nicht schon zu spät ist, muss es endlich vernünftige Gespräche zwischen der EU und Rußland und Vertretern der Regierung und der Opposition in der Ukraine geben. Vielleicht wäre der Rahmen der OSZE dafür geeignet.


Kommentare

  • Hallo Doro, leider verstehe ich nichts von der Ukraine, die Fronten dort scheinen mir sehr komplex zu sein. Immerhin: Teile der heutigen Opposition waren dort auch schon mal am Ruder und wurden - auch wegen Korruption -hinweggefegt, ich meine abgewählt. Es ist also wohl alles nicht so schön einfach, wie sich das Journalisten hier vorstellen, nach dem Motto: "Pro EU = gut" und "Pro Russland = böse".

    Was mich aber auch stört, ist die Rolle von Herrn Gauck. Er scheint in seinen persönlichen Traumata völlig gefangen zu sein, wenn er den Maidan-Protest mit dem Aufstand des 17. Juni oder dem Prager Frühling 1968 vergleicht. Das östliche Europa kenne das Gefühl, allein gelassen zu bleiben, sagt Gauck dann. Abgesehen davon, dass Vergleiche, speziell historische, immer schief bleiben müssen: das ist schon sehr gewagt. Es gibt keine Sowjet-Union mehr und Herr Janukowitsch wurde in freien Wahlen Präsident. Deutschland lässt hier keine Sowjet-Republik hinter dem eisernen Vorhang alleine. Und worauf will Gauck denn überhaupt hinaus, soll die EU die Ukraine befreien? Von wem denn und wie denn, wenn dort offenbar ein Großteil der Politik korrupt ist?

    Ärgerlich finde ich dann die Schlüsse, die Gauck aus seiner Anti-UDSSR pardon Anti-Russland-Haltung zieht. In der deutschen Ukraine-Diplomatie dürften nicht die "größten Russlandversteher die Politik bestimmen" oder "Da können nicht Spezialisten mit besonderer Russland-Nähe dem restlichen Europa die Richtung vorgeben".

    Ich fände ein paar Russland-Versteher gar nicht so schlecht, wenn es um pragmatische Friedenspolitik geht. Wir haben ja auch für die USA grenzenloses Verständnis, die Grundrechte aller Nicht-Amerikaner bei der Internetüberwachung mit voller Absicht und gründlichst missachten, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Aber die bleiben ja für Herrn Gauck das größte auf der ganzen Welt.

  • Liebe Community,

    ebenfalls interessant für euch könnten die Thesen von Rebecca Harms, MdEP Bündnis 90 / Die Grünen, zur Rolle Europas im Ukraine-Konflikt sein. Diskutiert hier dazu mit. Alle Argumente können dann auch am 18. Mai live in die online Videodiskussion mit ihr per Google Hangout im Rahmen der Initiative "Euro Wahl Gang" eingebracht werden. Weiter Informationen dazu findet ihr hier.