Regierungsumsturz in Kiew
Die gegenwärtige Krise nimmt 2013 ihren Anfang (Siehe auch Chronologie der Bundeszentrale für Politische Bildung). Ende November setzt die ukrainische Regierung von Präsident Viktor Janukowytsch ein Assoziierungsabkommen mit der EU aus (Siehe hierzu „Ukraine und die EU“. Daraufhin kommt es zu monatelangen Protesten auf dem Maidan-Platz in Kiew (sie werden auch unter dem Begriff „Euromaidan“ gefasst). Neben Befürwortern einer engen EU-Anbindung demonstrieren auch Nationalisten und Ultra-Nationalisten.
Mitte Februar 2014 kommt es zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Sicherheitskräfte feuern in Kiew auf Demonstranten. Berichtet wird von bis zu 100 Todesopfern. Angesichts der Ereignisse handeln Regierung und Opposition Neuwahlen im Mai aus. Auch soll eine frühere Verfassung in Kraft treten, die dem Präsidenten weniger Befugnisse zubilligt. Die Außenminister Deutschlands, Polens und Frankreichs und ein Gesandter Russlands vermitteln bei den Gesprächen.
Kurz darauf flieht Janukowytsch aus Kiew. Am 22. Februar setzt das Parlament ihn als Präsidenten ab. Janukowytsch will seine Amtsenthebung nicht anerkennen. Von Russland aus wirft Janukowytsch den Vermittlern aus dem Westen Wortbruch vor. Zugleich kommt die frühere Präsidentin und Oppositionelle Julija Timoschenko frei. Sie war zwei Jahre lang wegen Amtsmissbrauchs bei Gasgeschäften inhaftiert, sah sich selbst aber als politische Gefangene. Timoschenko will im Mai wieder für das ukrainische Präsidentenamt kandidieren. Der Boxweltmeister und Politiker Vitali Klitschko zieht seine geplante Kandidatur zurück, zugunsten des Unternehmers Pjotr Poroschenko (Kurzportrait).
Bis zur Wahl übernimmt eine Übergangsregierung die Geschäfte. Als Interimspremier wird der ehemalige Parlamentspräsident, Wirtschafts- und Außenminister Arsenij Jazenjuk vereidigt. Interimspräsident wird der Timoschenko-Vertraute Alexander Turtschinow.
Russland spricht von einem „Staatsstreich“ in der Ukraine. Im Gegensatz zu EU und USA bezweifelt Moskau zunächst die Rechtmäßigkeit der neuen Regierung.
Krim-Krise
Auf der Halbinsel Krim ist traditionell die russische Schwarzmeerflotte stationiert. Die rund zwei Millionen Krim-Bewohner sind mehrheitlich ethnische Russen. Der sowjetische Generalsekretär Nikita Chruschtschow hatte die Krim 1954 der ukrainischen Sowjetrepublik übertragen (zum Hintergrund).
Nach dem Machtwechsel in Kiew sind auf der Krim Anhänger und Gegner eines pro-russischen Kurses aneinander geraten. Die sogenannten Krimtataren (zur komplizierten Zusammensetzung und Geschichte dieser Volksgruppe siehe den Eintrag auf Wikipedia) wenden sich gegen die Annäherung an Russland. Bei der russischen Bevölkerung erregt ein Gesetzentwurf der Übergangsregierung in Kiew Aufsehen, Russisch als Amtssprache landesweit abzuschaffen. Allerdings zieht Kiew den Entwurf wieder zurück.
Schließlich übernimmt der moskautreue Krim-Regierungschef Sergej Aksjonow die Befehlsgewalt über die Sicherheitskräfte der Region und bittet Russland um „Hilfe bei der Sicherung von Frieden und Ruhe“. Russland verlegt zusätzliche Soldaten auf die Krim. Die Sicherheit der in der autonomen Teilrepublik lebenden Russen sei gefährdet, so die Begründung. Das russische Parlament stimmt dem unbefristeten Armeeeinsatz auf ukrainischem Gebiet einstimmig zu. Auch Milizen in Uniformen ohne Hoheitsabzeichen werden auf der Krim aktiv. Da sie teilweise hochmoderne Waffen tragen, halten Beobachter sie für russische Spezialeinheiten. Russlands Präsident Putin bestreitet das. "Lokale Selbstverteidigungskräfte" hätten die Krim unter ihre Kontrolle gebracht. Die Uniformen könne man überall kaufen.
Anfang März 2014 beschließt die Regierung der Krim den Anschluss der Halbinsel an Russland. Bei einer bereits seit 2013 geplanten, aber nun vorgezogenen Volksabstimmung stimmen laut Angaben der Krim-Regierung am 16. März etwa 93 Prozent der Teilnehmer für den Anschluss. Rund 75 Prozent der etwa 1,5 Millionen Wahlberechtigten sollen sich beteiligt haben. Zur Wahl standen zwei Optionen, die beide auf eine russische Kontrolle der Krim hinauslaufen. Für einen Verbleib der Krim in der Ukraine konnte nicht gestimmt werden.
„Die Menschen haben für die Wiedervereinigung mit einem Volk gestimmt, mit dem sie immer gelebt haben“, so der stellvertretende russische Parlamentschef Sergej Newerow. Die russische Regierung erklärt, den "Wunsch der Krim-Bevölkerung zu respektieren". Die Krim-Bewohner sollen sich entscheiden können, zwischen einem ukrainischen und dem russischen Pass. Amtssprachen sollen künftig Russisch und Krimtatarisch sein, allerdings nicht Ukrainisch.
Die Übergangsregierung in Kiew und die internationale Staatengemeinschaft erkennen den Anschluss nicht an. Trotzdem wird er zügig vorangetrieben, etwa mit der Einführung des russischen Rubels. Die Ukraine zieht ihre Soldaten von der Krim zurück.
Abspaltung der Ostukraine?
Auch in russisch geprägten Städten der Ostukraine fordern Demonstranten ein Referendum über den Anschluss an Russland (wie auf der Krim) abzuhalten. Pro-russische Proteste gibt es zum Beispiel in Donezk und Charkiw. Moskau fordert Kiew auf, nicht militärisch gegen die Demonstranten vorzugehen. Die Lage bleibt angespannt. Kiew beginnt mit einem "Anti-Terror-Einsatz" gegen pro-russische Separatisten, die in mehreren ostukrainischen Städten Verwaltungsgebäude besetzt halten. Von ersten Gefechten wird berichtet. Moskau verurteilt die militiräischen Maßnahmen der Übergangsregierung.
Zugleich erwägt die Regierung in Kiew, in den östlichen Landesteilen über deren Verbleib in der Ukraine per Referendum abstimmen zu lassen – etwa parallel zur Präsidentenwahl am 25. Mai. Moskau lässt allerdings verlauten, es sei im Interesse Russlands, dass die Ukraine als Ganzes erhalten bleibe. Allerdings setzt sich Russland für eine föderal organisierte Ukraine ein (Siehe Hintergrund zu den einzelnen Forderungen). Gleichzeitig bestreitet die russische Regierung, dass Agenten und russische Soldaten die pro-russischen Proteste in der östlichen Ukraine unterstützen.
Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen warnt Russland vor einem Einmarsch in die Ost-Ukraine. „Wenn Russland in der Ukraine weiter intervenieren würde, wäre das ein historischer Fehler“. Möglich wäre dann, dass Abmachungen mit Russland aufgekündigt würden, wonach die Nato keine „substanzielle Streitkräfte“ in den einstigen Mitgliedsstaaten des Warschauer Pakts oder der Sowjetunion dauerhaft stationiert.
Reaktion von EU und USA
Der Westen verurteilt die Annexion der Krim. Obamas Sprecher Jay Carney erklärt zum Krim-Referendum: "Die internationale Gemeinschaft wird das Ergebnis einer unter Gewaltandrohung und Einschüchterung durch russisches Militär durchgeführten Befragung, die dem Völkerrecht widerspricht, nicht anerkennen." Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) kündigt an: „Auf das völkerrechtswidrige Referendum auf der Krim wird Europa eine klare und bestimmte Antwort geben.“ Zugleich warnt Steinmeier vor einer weiteren Eskalation, "die zur Spaltung Europas führen könnte".
Die EU beschließt am 17. März Sanktionen gegen Russland. 21 Personen erhalten Einreiseverbot in der EU, ihre Konten in der EU werden gesperrt. 13 Russen – auch Duma-Angehörige – und acht Spitzenpolitiker der Krim sind betroffen. "Das, was Russland betreibt, ist für die Europäische Union nicht hinnehmbar", so Steinmeier. Es müsse einen "Rückweg in politische Bearbeitung des Konfliktes" geben. Inzwischen sind schärfere EU-Sanktionen in Planung, die allerdings von allen 28 EU-Regierungen einstimmig beschlossen werden müssen. Ein militärisches Eingreifen lehnt die EU bislang strikt ab.
Die USA verweigern sieben russischen Regierungsbeamten die Einreise und haben ihre Konten gesperrt. Washington will weitere Sanktionen vorbereiten. Auch stellen die weltweit führenden Industriestaaten (G7) ihre Zusammenarbeit mit Russland ein. Im Kreis der G20 ist Russland aber weiterhin vertreten.
Verhandlungen in Genf
Die USA, die EU und Russland wollen mit der Ukraine über eine Lösung der Krise beraten. Am 17. April sollen in Genf die Außenminister der beteiligten Länder und die EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton zusammenkommen.
Russlands Außenminister Sergej Lawrow warnt im Vorfeld, die Chancen für Verhandlungen würden stark sinken, sollte die Regierung in Kiew gewaltsam gegen Separatisten in der Ost-Ukraine vorgehen.
Aus Europa kommen vor dem geplanten Treffen in Genf Vorwürfe gegen Moskau. "Vieles deutet darauf hin, dass die in der Ostukraine bewaffneten Gruppen Unterstützung aus Russland erhalten", so die stellvertretende deutsche Regierungssprecherin Christiane Wirtz am 14. April in Berlin. "Wenn man sich das Auftreten, die Uniformierung und die Bewaffnung einiger dieser Gruppen ansieht, kann es sich kaum aus spontan aus Zivilisten gebildeten Selbstverteidigungskräften handeln."
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