Großbritanniens EU-Austritt: Muss das sein?
Seit Jahren wirbt Nigel Farage (r.) mit seiner United Kingdom Independence Party (UKIP) für den EU-Austritt Großbritanniens. Foto: Stephen West CC BY 2.0
Ein Beitrag von Emil
Der Streit um die Nominierung Jean-Claude Junckers zum EU-Kommissionspräsidenten läuft auf die grundsätzlich Frage zu: soll/muss Großbritannien aus der EU austreten?
Hintergrund ist die Weigerung des britischen Premiers David Cameron, das neue Modell der Spitzenkandidaturen bei der Europawahl zu akzeptieren - und entsprechend den Wahlsieger Juncker zu unterstützen. Cameron soll im Kreis der EU-Staats- und Regierungschefs sogar gedroht haben. Wird Großbritannien in der Juncker-Frage überstimmt, könne er den Verbleib seines Landes in der EU nicht länger garantieren. Cameron liebäugelt offenbar damit, in diesem Fall ein Referendum zur EU-Mitgliedschaft vorzuziehen, dass er für 2017 versprochen hat (sollte er dann noch die Regierung führen). Angesichts der EU-skeptischen, ja feindlichen Stimmung auf der Insel, könnte das im EU-Austritt enden. Ausgemacht ist das allerdings nicht. 2013 sprachen sich in einer Umfrage 46 Prozent der Briten für einen Austritt aus - das sind viele, aber nicht die Mehrhreit.
Nun ist nicht schön, im europäischen Haus überhaupt solche Diskussionen führen zu müssen. Es ist ein Rückfall ins nationale Gegeneinander. Der "Spiegel" schreibt im Leitartikel seiner aktuellen Ausgabe: "Die Europäische Union sollte sich von Großbritannien nicht länger erpressen lassen." Die Insel sei wichtig. Noch wichtiger sei jedoch eine demokratischere EU. (also der Respekt vor dem Wählerwillen)
Machen wir uns den Verlust bewusst
Ich persönlich bin noch nicht überzeugt, ob diese Konfrontation der richtige Weg ist. Was wäre denn die EU ohne Großbritannien? Schon von der Landkarte her ein merkwürdiges "Rest-Gebilde". So vieles würde fehlen, die große Tradition der Demokratie, der Menschenrechte und Meinungsfreiheit zum Beispiel, die Debattenkultur.
Was würde aus der Insel?
Ich frage mich auch, welchen Status Großbritannien dann hätte. Das Modell Norwegen kann nicht im Interesse Londons sein - das hieße EU-Regeln übernehmen, ohne sie mitbestimmen zu können (der potenzierte Alptraum der nationalistischen UKIP). Oder könnte Großbritannien eine neue Schweiz sein? Oder machen sich die Briten da auch ökonomisch etwas vor (womit ich mich leider nicht genug auskenne)? Könnte die Briten trotz ihres Austritts den vollen Marktzugang in der EU behalten? Das fände ich irgendwie unfair, und könnte andere ermuntern, es London gleichtzutun. Erodiert dann nicht alles?
Wo ist der Mittelweg?
Ich würde also gerne wissen, ob die Lage wirklich so Spitz auf Knopf sein muss. Bricht jetzt wirklich alternativlos der Tag der Entscheidung heran, oder gibt es nicht doch noch Möglichkeiten des Gesprächs, der Einigung? Könnte man London entgegen kommen - oder ist jetzt pro-europäisches Hardliner-tum gefragt? Wäre nicht ein Referendum genau das richtige, um sich noch einmal zu vergewissern, was wir alle an der EU haben und was wir eigentlich wollen? Da hätte ich gerne Szenarien, Optionen und Ideen, damit es nicht beim plumpen "Wir gehen!" und "Haut doch ab!" bleibt.
nemo
Es ist viel „Metaphysik“ im Spiel, wenn es um die EU geht. Erinnern wir uns: Am Anfang gab es die Montanunion und dann die EWG. Von Beginn an standen ökonomische Interessen im Vordergund, der Wunsch nach einem frei zugänglichen Markt für Waren und Kapital. Viele Mitglieder wie die Briten sind der Union unter dieser Prämisse beigetreten. Der „Europäische Gedanke“, der Traum von einem geeinigten Europa, ja vielleicht sogar der Traum von einem einheitlichen Bundesstaat nach amerikanischem Vorbild ist uns dabei abhanden gekommen. Wenn uns das Vereinigte Königreich mit seinen vermeintlichen Drohungen auf den ökonomischen Primat der EU immer wieder hinweist mag dass viele nerven, es ist aber legitim, s.o. Solange das Wohl der Märkte und nicht das Leben ihrer Bürger im Vordergrund steht bleibt die EU ein Torso, der zu keiner wirklichen Bewegung fähig ist. Im Übrigen wird das Vereinigte Königreich die EU nicht verlassen, dafür wird die „City of London“ sorgen. Der freie und unbehinderte Zugang zum kontinentaleuropäsichen Markt ist zu wichtig für die Briten essenziell und unverzichtbar. Erst recht wenn sich die Schotten im Referendum im September „davonstehlen“ sollten. Dann droht ohnehin der Abstieg vom weltpolitischen A-Promi in die zweite Reihe. So etwas macht nun einmal nervös.