+5

Die neue EU-Kommission - was erwartet ihr?


Juncker; picture alliance / dpaJean-Caude Juncker auf dem Weg zu seinem großen Auftritt in Brüssel. Gleich wird er sein neues Team vorstellen. Foto: picture alliance / dpa


Ein Diskussionsanstoß der Redaktion

Nun steht fest, wer die neuen EU-Kommissarinnen und -Kommissare werden sollen. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker stellte sein Team am Mittwoch in Brüssel vor (Pressemitteilung). Das EU-Parlament muss der Besetzung noch zustimmen. Zuvor werden die designierten Kommissare in den zuständigen Parlamentsausschüssen befragt. Gibt das Parlament grünes Licht, kann die neue Kommission im November die Arbeit aufnehmen.

Paris und London besetzen wichtige Posten

Vorgeschlagen haben die Kandidaten die nationalen Regierungen der 28 EU-Staaten. Aus dem Lager der konservativen Europäischen Volkspartei kommen 14 Kandidaten. Europas Liberale stellen fünf, die Sozialisten und Sozialdemokraten acht. Der Frauenanteil würde in der vorgeschlagenen Besetzung gleich bleiben (9 Kommissarinnen und 19 Kommissare; 3 Vizepräsidentinnen und der 4 Vizepräsidenten).

Die Bundesregierung setzt weiter auf den bisherigen deutschen Kommissar Günther Oettinger. Statt weiterhin das Energie-Ressort zu leiten, soll Oettinger künftig für die Digitale Wirtschaft zuständig sein.

Für viele Beobachter überraschend: der britische Konservative Jonathan Hill soll neuer Finanzkommissar werden. Als Wirtschaftskommissar ist - offenbar gegen deutschen Widerstand - Frankreichs Ex-Finanzminister Pierre Moscovici vorgesehen. Für das viel diskutierte Freihandelsabkommen zwischen EU und USA (TTIP) soll künftig die Schwedin Cecilia Malmström verantwortlich sein. Die Liberale war bislang Innenkommissarin.

Das neue Ressort "Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum und KMU" soll - geführt von der polnischen Liberalkonservativen Elžbieta Bieńkowska die "Schaltzentrale der Realwirtschaft" werden.

Priorität: Investitionen

Seine politischen Leitlinien für die kommenden fünf Jahre hat Jean-Claude Juncker bereits vorgestellt. Oberste Priorität: ein "ehrgeiziges Paket zur Förderung von Arbeitsplätzen, Wachstum und Investitionen" in der EU. Bei der Vorstellung sagte Juncker, er halte private und öffentliche Investitionen in Höhe von 300 Milliarden Euro in den kommenden drei Jahren für möglich. Der Luxemburger will, dass die Kommission politischer vorgeht. "Sie sind nicht leitende Beamte hier, sie sind Politiker", so Juncker über sein Team.

Auch die Arbeit der Troika (Siehe Publixphere-Schwerpunkt) in den Euro-Krisenländern will der Kommissionspräsident reformieren. „In Zukunft sollte es uns gelingen, die Troika durch eine Struktur mit stärkerer demokratischer Legitimation und Rechenschaftspflicht zu ersetzen, die um die europäischen Institutionen herum angesiedelt ist, mit verstärkter parlamentarischer Kontrolle sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene."

Juncker selbst gilt als erster "gewählter" EU-Kommissionspräsident, weil er im Europawahlkampf als Spitzenkandidat der (kontinental-)europäischen Konservativen antrat, die am Ende gewannen.

Diskussion

Wir wollen mit euch diskutieren: Was ist von der neuen EU-Kommission und von den einzelnen Komissarinnen und Kommissaren zu erwarten? Welche Kommissionspolitik wünscht ihr euch in den kommenden fünf Jahren?

Link

EU-Kommission: "Die Juncker-Kommission: Ein starkes und erfahrenes Team für den Wandel", Pressemitteilung, 10.September 2014

EU-Kommission: The new structure of the Juncker Commission (Schaubild)


Kommentare

  • Eine Lanze für Oettinger, eine kleine

    wie ich das sehe prügeln jetzt alle auf Günther Oettinger ein: "Größte Fehlbesetzung" (Jan Philipp Albrecht, Grüne), "Degradierung" (AfD-Chef Bernd Lucke). "Keine Digital-Erfahrung!" (Allgemeine Meinung im Netz, nett formuliert).

    Aber erstens: Oettinger ist bald nicht irgend ein Kommissar, sondern Lebenskommissar, weil unser Leben selbst dann digital ist, wenn wir es nicht merken. Das Lucke das nicht begreift, wen wundert's?

    Zweitens: Einen überzeugenden Digitalpolitiker habe ich noch nie gesehen. Zwar gibt es clevere Kritiker (Überwachung, Netzneutralität, Big Data, Urheberrecht), aber ein Gestalter mit einem echten Plan? Fehlanzeige. Was hat denn Oettingers Vorgängerin Neelie Kroes erreicht? Könnte ich jetzt nicht an zwei Fingern abzählen.

    Drittens: Wer wäre denn die Digital-Wunderwaffe? Die Samwer-Brüder? Peter Schaar? Sascha Lobo? Es wäre nicht schlecht, jemanden zu haben, der a) verschiedene Generationen und auch die 'Langsamen' und 'Furchtsamen' im Blick hat (weil die digitale Revolution rasend und angsteinflössend ist) b) keinen Partikular-Interessen folgt und doch Wirtschaft nicht per se verachtet c) weiß, how the rabbit is walking in der Kommission und d) sich in Neues Baden-Württemberg-mäßig pragmatisch und nachhaltig reinfuchsen kann.

    Leider fällt mir nicht ein, wer das sein könnte. Oder doch....Oettinger?

  • Michael Wohlgemuth Open Europe Berlin
    +3

    "Team für den Wandel": klingt gut; und es gibt auch womöglich gute Nachrichten. Etwa hier:

  • Deutsche Interessen

    Eine Anmerkung zur Mainstream-These, Deutschland wäre nicht stark genug in der Kommission vertreten. Ich halte sie für Unsinn. Berlin prägt die EU-Politik sehr stark hinter den Kulissen, über die Bundesministerien und EU-Top-Beamte. Es ist geradezu schlau von Merkel, den deutschen Einfluss nicht auch noch für alle sichtbar raushängen zu lassen, z. B. mit einem deutschen Wirtschafts- oder Finanzkommissar. Diese leise und smarte Politik haben Deutschlands Politik-Machos noch nie begriffen. Nie.

    • Hallo Bachmann,

      ich denke auch, es ist geschickt von Merkel, den deutschen Einfluss zur Zeit nicht auch noch allzu sichtbar raushängen zu lassen.

      Mit Martin Selmayr als Junckers Kabinettschef besetzt Deutschland einen sehr wichtigen Posten hinter den Kulissen.

  • NOTHING NEW SO FAR

    Da bei der Europawahl kein Programm sondern mit Jean-Claude Junker eine Person zur Wahl stand wird es schwierig zu sagen was uns erwartet (Passiv) und was wir erwarten (Aktiv) wird die Kommission ohnehin nicht zum Maßstab ihres Handelns machen. Ich denke, Junkers neue Kommission macht da weiter, wo die alte aufgehört hat. Da es wie gesagt bis jetzt kein dezidiertes Programm der Kommission gibt, kann man nur aus den bisherigen Handeln oder dem Nichthandeln der neuen Akteure dekonstruieren. Ohne in Details zu gehen, kann man erwarten dass der gemeinsame Binnenmarkt weiter ganz oben auf der Agenda steht und dieser Raum a) auf den nordamerikanischen Kontinent ( CETA und TTIP) ausgeweitet und b) eine solche Ausweiterung in Richtung Osten mit der Ukraine vorbereitet wird. Gleichzeitig dient das Modell Ukraine als Blaupause für Weißrussland, wenn Lukaschenko dort einmal die Macht verliert. Also, „nothing new so far“.

  • Die politische Schwerpunktsetzung in Form der Vizepräsidenten ist gut und wird die Kommission hoffentlich kohärenter und politischer machen. Juncker hat versucht das Beste aus der personellen Vorherrschaft der Mitgliedsstaaten herauszuholen.

    Es bleibt jedoch noch abzuwarten inwiefern er es schaffen wir Akzente gegenüber den Mitgliedsstaaten zu setzen, denn es wäre wichtig ein großes neues Projekt anzuschieben, das Europa nach vorne bringt > sowohl um (junge) menschen in Arbeit zu bringen als auch um das Bild Europas bei den Menschen zu verbessern.

    Siehe auch: http://www.jef.de/jef/news/zwei-forderungen-an-jean-claude-juncker/

    • Liam Fitzgerald Project for Democratic Union ist dafür
      +1

      Ich denke auch, dass es ein kluger Schachzug ist, den Vizepräsidenten deutlich mehr Einfluss zu geben. Diese Maßnahme, in Kombination mit den Ressorts, für die die einzelnen VPs verantwortlich sind, macht einerseits deutlich, welche inhaltlichen Schwerpunkte wir erwarten können und andererseits, dass Juncker den Versuch wagen möchte, aus der Kommission in höherem Maße als bisher eine regierungsähnliche Institution formen möchte. Es bleibt natürlich abzuwarten, inwiefern EP und Rat darauf eingehen werden.

      Für den Erfolg Junckers, seiner Kommission und der EU im Ganzen wird es nötig sein, dass die europäischen Institutionen viel klarer als bisher erklären wie sie arbeiten und warum sie einzelne Vorschläge einbringen. Das 'demokratische Defizit' ist ein Problem, das Kommunikationsdefizit ein anderes. Auch dieser Aspekt dürfte vom Versuch einer Neustrukturierung der Kommission profitieren.

      Sicherlich das wichtigste Anliegen aus unserer Sicht muss es sein, die im Moment in der Troika zusammengefasste exekutive Autorität auf Kommission und Parlament zu übertragen und der Fiskalunion des Euroraumes eine politische Union beiseite zu stellen. So weit wird Juncker noch nicht gehen können (und wollen?), aber erste Schritte könnten versucht werden.

  • Der Mangel an Alternativen für den Posten rechtfertigt sicher nicht die Wahl von Herrn Oettinger, finde ich. Aber wie kann ein Politiker, der nicht mal ein Twitter-Profil hat, das digitale Ressort besetzen? Man wird ihn wohl an seinen Leistungen messen müssen, aber wie gesagt, was ich in Sachen Digital mit Oettinger verbinde - ich habe ihn einmal beim Einkaufen im Saturn gesehen.

    • Wie wichtig ist es denn, dieses Verständnis? Hat Ursula von der Leyen schon mal einen Panzer gefahren und scharf geschossen? Hat Sigmar Gabriel schon mal in einer Stahlfabrik malocht? Wie viele Kühe hat der Jurist und Landwirtschaftsminister Christian Schmid schon eigenhändig gemolken? Und da Twittern jetzt nicht so irre schwer ist, würde ich es nicht zur Schlüssel-Kompetenz erheben.

  • Na das kann ja lustig werden, mit Jonathan Hill. Wie er wohl Junckers Ideen findet?