Die vergangenen Jahre stand die EU-Politik fast ganz im Zeichen der Wirtschafts- und Finanzkrise. Europas Politiker haben neue fiskalpolitische Mechanismen geschaffen (
„Euro-Rettungsschirm“) und die Reform des Finanzsektors in Gang gesetzt. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat die globalen Finanzmärkte mit ihrer Ankündigung (Juli 2012)
beruhigt, notfalls alles zu tun, um den Euro zu retten.
Überwunden sind die Probleme aber noch nicht. Vor allem die hohe Arbeitslosigkeit im Süden Europas bleibt eine ungelöste Herausforderung. Gestritten wird auch um die Grundsatzfrage, wie der Weg aus der Krise institutionell zu meistern ist – mit einer Vertiefung der europäischen Integration oder eher mit einer Rückverlagerung von Kompetenzen auf die Mitgliedstaaten.
Diese Diskussion wird im Vorfeld der Wahlen auch von rechtspopulistischen und europaskeptischen Parteien vorangetrieben. Im Vereinigten Königreich steht sogar die EU-Mitgliedschaft des Landes zur Disposition. In Frankreich könnte bei den Europawahlen die europaskeptische und rechtsextreme Front National mit einem Stimmenanteil von 24 Prozent stärkste Partei werden. Front National-Chefin Marine Le Pen sieht in der EU "ein impotentes Imperium, das Frankreich ausgeplündert hat", und hat sich mit der „Freiheitspartei“ des niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders verbündet.
Eine Studie der Deutschen Bank in Kooperation mit der Universität Bonn schätzt: EU-skeptische Kräfte von Links wie Rechts könnten im neuen Parlament bis 27 Prozent der Sitze bekommen. Die Demoskopen von "PollWatch" rechnen mit insgesamt 29 Prozent für europakritische und -skeptische Parteien.
Festzuhalten bleibt: Institutionell ist die EU seit Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags bereits weiter zusammengewachsen. Allen voran hat das Europäische Parlament an Einfluss gewonnen: bei der Auswahl der Kommissare, bei der Zustimmung zu internationalen Verträgen oder beim europäischen Haushalt.
Auch in anderen Bereichen konnte sich das EU-Parlament ein Stück weit profilieren, zum Beispiel bei der Verhinderung des Anti-Piraterie-Abkommens ACTA. Dabei profitiert das Parlament auch von neu entstehenden europäischen Öffentlichkeiten: Bürger organisieren sich europaweit anhand bestimmter politischer Fragen, sei es, um – wie bei ACTA – über öffentlichen Protest Menschen von ihrem Anliegen zu überzeugen, oder, um ihre Auffassung mit Hilfe einer Europäischen Bürgerinitiative Gehör zu verschaffen.
Das EU-Parlament hat anhand von "Top-Themen" zusammengefasst, in welchen Bereichen es in den vergangenen fünf Jahren die EU-Gesetzgebung neu gestaltet hat, vom Datenschutz bis zur Fischereipolitik.
Ungeklärt bleibt allerdings, welche Rolle das Parlament künftig bei der Stabilisierung des Euro-Systems spielen kann. Sollen etwa Sparauflagen für Länder wie Griechenland und Portugal weiterhin am Parlament vorbei entschieden werden - in Gremien wie der Troika, bestehend aus Internationalem Währungsfonds (IWF), EU-Kommission und EZB?
Vor diesem Hintergrund scheint die kommende Europawahl die interessanteste und die relevanteste zu werden, seit dem die Bürger 1979 das erste Mal aufgerufen waren, ihre Stimme für die Wahl des Europäischen Parlaments abzugeben. Europa fragt sich: Wer vertritt welche politischen Meinung und wie positionieren sich die Parteien quer durch die Politikfelder von Jugendarbeitslosigkeit bis Verbraucherschutz?
Über die Diskussion der Wahl in den einzelnen EU-Ländern informiert unter anderem die europäische Presseschau eurotopics.
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