Europas Schande - zur rechtlichen Problematik der Seenotrettung
Ein Schiff im Einsatz für die EU-Grenzschutzagentur Frontex. Foto: picture alliance / AP Photo
Wer ist für die Seenotrettung auf dem Mittelmeer zuständig? Wozu sind die EU und ihre Mitgliedstaaten verpflichtet? Die Juristin Anna Mrozek (Universität Leipzig) gibt eine Einschätzung.
Ein Beitrag von Anna Mrozek
Europas Schande - anders sind die Vorkommnisse im Mittelmeer nicht zu umschreiben. Das Problem ist jedoch höchst komplex. Es überlappen sich ethisch-moralische, politische und juristische Ebenen, die zugleich doch voneinander getrennt betrachtet werden müssen. Die menschlichen Tragödien im Mittelmeer sind das Symptom globaler wirtschaftspolitischer und gesellschaftlicher Zusammenhänge, bedingt u.a. durch eine invasive Kolonialgeschichte und das auch in einer flüchtlingsfreundlichen Debatte nicht hinterfragten Dogmas der Unterscheidung zwischen der legalen, bzw. regulären, und der illegalen, bzw. irregulären Einwanderung.
Seenotrettung - ungeklärte Zuständigkeiten
Wenn man von Europas Verantwortung spricht, und mit Europa die Europäische Union meint, so sollte man den juristischen Rahmen betrachten. Aus juristischer Perspektive ist klar, dass die in den völkerrechtlichen Verträgen – Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), Seerechtsübereinkommen (SRÜ), Übereinkommen zum Schutz des menschlichen Lebens auf See (SOLAS), Übereinkommen über Such- und Rettungsdienst auf See (SAR) – verankerten flüchtlings- und seenotrettungsrechtlichen Verpflichtungen, einzuhalten sind.
Die Frage ist insbesondere im Falle der Seenotrettung jedoch durch wen und in welchen Rahmen. Der Teufel steckt wie immer im Detail bzw. nutzt die Schlupflöcher einiger im Bereich der Seenotrettung bereits auf der völkerrechtlichen Ebene ungeklärter Zuständigkeitsfragen.
Aus dem Blickwinkel des Unionsrechts ist zudem folgendes anzumerken: Als Folge der Errichtung des Binnenmarktraumes, dessen Basis der Wegfall von Grenzkontrollen an den Binnengrenzen bildet, übertrugen die Mitgliedstaaten der EU Kompetenzen im Bereich des Grenzschutzes, um das System einer integrierten Grenzverwaltung an den Außengrenzen zu errichten. Die EU schuf darauf hin in mehreren Verordnungen den Rahmen dieser Grenzverwaltung. Die Koordinierung der Maßnahmen zur Sicherung der Außengrenzen obliegt nunmehr FRONTEX, dessen Durchführung ist jedoch nach wie vor – und dies ist ganz entscheidend – Sache der Mitgliedstaaten.
Die Forderung also nach einer „europäischen Seenotrettung“ darf daher das Kompetenzgefüge zwischen den Mitgliedstaaten und der EU und die völkerrechtlichen Regelung des Seerechts nicht außer Acht lassen. Die materiellen Vorgaben für die Seenotrettung sind völkerrechtlich. Die EU hat weder also die primärrechtliche noch die völkerrechtliche Befugnis die Seenotrettung zu regeln. FRONTEX hat daher auch kein Mandat solche zu initiieren und zu koordinieren.
Pflicht zur Seenotrettung
Davon unabhängig, sind die an FRONTEX-Operationen beteiligten Einsatzschiffe dennoch selbstverständlich, aufgrund der Regelungen aus des SRÜ, der SOLAS- und der SAR-Konventionen, den die Mitgliedstaaten beigetreten sind, zur Seenotrettung verpflichtet, wenn ein Seenotrettungsfall auftritt. Die Schiffsbrüchigen sind dann in einen sicheren Hafen zu verbringen. Diese Maßnahme hat auch – jedoch ist dies nicht gänzlich unumstritten – die flüchtlingsrechtlichen Vorgaben zu berücksichtigen. Das bedeutet zum einen, dass bei konkreten Anhaltspunkten, dass es sich bei den Schiffsbrüchigen um Personen mit Anspruch auf einen Flüchtlingsstatus handelt, mit einem „sicheren Hafen“ jedenfalls nicht der Rücktransport etwa an die syrische Küste gemeint ist. Zum anderen bedeutet dies, dass den Personen der Zugang zu einem Asylverfahren in dem für die Seenotrettung nach der SAR-Konvention zuständigen Mitgliedsaat eröffnet werden muss.
„Triton“ ist keine Seenotrettungsoperation
Grundsätzlich ist es also so, dass die Seenotrettung als eine Art „Annex“ zu grenzschützenden Maßnahmen, auch im Rahmen der FRONTEX-Operationen zu berücksichtigen ist. Die FRONTEX-Operationen können aber nicht per se als Seenotrettungsaktionen ausgestaltet werden. So übersieht also die Kritik an dem räumlichen Geltungsbereich der FRONTEX-Operation „Triton“, die das italienische „Mare Nostrum“ ersetzt hat, jedoch im Gegensatz zu „Mare Nostrum“ nur im Küstenbereich agiert, dass „Triton“ eben keine Seenotrettungsoperation ist und auch keine sein kann, sondern eine Grenzschützende. Grenzschützende Maßnahmen haben aber, auch mit dem „Annex“ Seenotrettung, gemäß den Regelungen des SRÜ dem Grunde nach außerhalb der Küstengewässer, in der Anschlusszone nur bedingt und auf Hoher See grundsätzlich nichts zu suchen. Dass nämlich auch die Push-Back-Maßnahmen auf Hoher See völkerrechtswidrig sind, wird ebenfalls bereits länger kritisiert. Hier beißt sich die Katze also in den eigenen juristischen Schwanz. Juristisch betrachtet ist die Seenotrettung und die Eindämmung der Tragödien im Mittelmeer zunächst also „Recht“ und „Pflicht“ der Mitgliedstaaten selbst. Dass dies erfolgreich sein kann in einem bestimmten Rahmen hat „Mare Nostrum“ gezeigt. Wesentlich handhabbar und effizienter wäre es, solche Aktionen unter Berücksichtigung der SAR-Vorgaben transnational zu gestalten, wie dies mit der polizeilichen Zusammenarbeit an den Binnengrenzen im Rahmen von völkerrechtlichen Kooperationsverträgen der Fall ist.
Gemischte Migrationsströme
Die Durchführung dieses – extrem vereinfacht dargestellten – juristischen Mechanismus des Grenzschutzes an den Außengrenzen wird in der Praxis erheblich durch den Umstand erschwert, dass dieser Mechanismus mit sogenannten gemischten Migrationsströmen konfrontiert wird, d.h. die Boote mit Menschen besetzt sind, die Anspruch auf Seenotrettung haben, jedoch nach juristischen Kriterien nicht unbedingt auf ein Asylverfahren, auch wenn aufgrund aktueller politischer Entwicklungen in Arabien die Anzahl der Personen mit Anspruch auf einen Flüchtlingsstatus sehr hoch sein dürfte. Diese schwierige Handhabe gemischter Migrationsströme darf dennoch nicht die flüchtlings- und seenotrettungsrechtlichen Verpflichtungen umgehen. Vielmehr müssen die Aufnahmekonzepte zur Prüfung etwaiger Ansprüche besser durchdacht sein.
Finanzmittel aufstocken
Besonders wichtig ist die Erhöhung der finanziellen Mittel. Hier kann die Europäische Union eine Unterstützung leisten. Jedoch auch hier darf nicht gänzlich außer Acht gelassen werden, dass auch der finanzielle Handlungsrahmen der EU sich in dem ihr durch die Mitgliedstaaten zugestandenen Rahmen bewegt und auf einem statisch festgelegten Budget ruht. Dieses umfasst jährlich ca. 135-140 Millarden Euro, wovon, und auch das ist kompetenzrechtlich bedingt, allein ca. 85 Prozent für die Agrar- und die wirtschaftliche Wachstumspolitik vorgesehen sind, jedoch nur 2% für Maßnahmen im Bereich des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, wo gerade auch die Migrations- und Grenzschutzpolitik angesiedelt ist. Dies zu ändern, obliegt ebenfalls den Mitgliedstaaten. Und das dies ein zäher Kampf ist, ist wiederum ein politisches Problem.
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Europäischer Salon: Alle Diskussionen
Redaktion
Liebes Forum des Europäischen Salons, hier nun einige Stimmen von der Podiumsdiskussion am 27. April in Berlin.
"Kampagne gegen Frontex"
Dr. Ole Schröder (CDU), Parlamentarischer Staatssekretär des Bundesinnenministers, verweist auf die Verabredung, auf europäischer Ebene mehr Verantwortung für die Seenotrettung zu übernehmen, die bislang Sache der Mitgliedsstaaten sei.
Zugleich weist Schröder Kritik am Wegfall der italienischen Seenotrettungs-Mission "Mare Nostrum" und der Einführung der EU-Mission Triton zurück. Hierdurch seien nicht weniger italienische Schiffe auf dem Mittelmeer gewesen. Die Rettungszahlen seien in etwa gleich geblieben, so Schröder.
"Es ist selbstverständlich unser Anspruch, dass niemand ertrinkt", so der Parlamentarische Staatssekretär. Trotzdem könne man nicht jedes Risiko ausschließen, dass auf dem Mittelmeer Menschen ertrinken. Kriminelle Schleuser nutzten die Not der Menschen aus. Die Schleuserkriminalität gelte es besser zu bekämpfen."
Schröder kritisiert eine "Kampagne, die ständig gegen Frotex gefahren wird". Frontex schotte Europa gegen Asylsuchende nicht ab, im Gegenteil. Da wo Frontex vor Ort sei, würden die Mitgliedsstaaten auch dazu verpflichtet, Menschenrechtsstandards einzuhalten. Die Genfer Flüchtlingskonvention verbiete es, Flüchtlinge an der Grenze (etwa zwischen Griechenland und der Türkei) zurückzuweisen. In Fällen, in denen sich griechische Beamte anders verhielten und in denen auch deutsche Beamte zugegen waren, habe man das "entsprechend thematisiert".
"Landgrenzen dicht gemacht"
Ein anderes Bild zeichnet Günter Burkhardt, Geschäftsführer und einer der Mitbegründer von PRO ASYL. Die NRO dokumentiert in der Studie "Pushed back" (August 2014) Verletzungen des sogenannten Nichtzurückweisungsgebotes an der griechisch-türkischen Grenze.
Griechenland und Bulgarien hätten ihre Grenzen zur Türkei auch auf deutschen Druck hin dicht gemacht, so Burkhardt. Der versperrte Landweg treibe Flüchtlinge in die Arme von Schleppern und dazu, die Einreise über das zentrale Mittelmeer zu riskieren. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) habe sich zugleich lange gegen eine Europäisierung der Seenotrettung gewehrt.
Die Verantwortung für illegale Zurückweisungen ("Push Backs") sieht auch Burkhardt bei den Mitgliedsstaaten. Frontex ermögliche diese allerdings mit Aufklärungsdaten (erhoben etwa über Drohnenflüge). Zugleich fordert er von Deutschland, Griechenland und Italien Flüchtlinge abzunehmen, die aktuell in der Ägäis und Lampedusa ankämen.
Schröder erklärt, man wolle Länder wie Italien, in denen Flüchtlinge anlanden, noch mehr unterstützen und sei auch offen für einen neuen Verteiligungsmechanismus für Asylsuchende. Konkrete Zahlen, wie viele Flüchtlinge aus der Ägäis oder Lampedusa Deutschland aufnehmen könnte, nennt er nicht. Die von PRO ASYL berichteten Menschenrechtsverletzungen an den Grenzen wolle man prüfen.
Kritisch äußert sich Burkhardt zu den aktuellen EU-Plänen, Schlepperboote zu zerstören. "Wie soll das funktionieren?"