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Grenzkontrollen - Gefahr für die europäische Idee?


Foto:  picture alliance/APA/picturedesk.com Ein ungewohntes Bild: Autos müssen am Grenzübergang Walserberg von Salzburg nach Deutschland stoppen. Foto: picture alliance / BARBARA GINDL / APA

Das gab es seit Jahrzehnten nicht: die Polizei kontrolliert an Deutschlands südlichen Grenzen wieder Personen. Die richtige Maßnahme angesichts der Flüchtlingskrise? Oder ein Tabubruch im Europa der offenen Grenzen? Was denkt ihr?


Ein Beitrag von Redaktion

Die Grenze zwischen Deutschland und Österreich wird wieder kontrolliert. Mehrere Hundert Beamte der Bundespolzei halten Personen und Fahrzeuge an - etwa am Grenzübergang Freilassing in Bayern. In der Folge bildeten sich laut Medienberichten kilometerlange Staus. Wie lange die Kontrollen andauern, ist noch unklar. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann rechnet mit mindestens einigen Wochen.

Als Begründung nennt das Bundesinnenministerium den Flüchtlings-Zustrom nach Deutschland. Innenminister Thomas de Maizière erklärt: "Ziel dieser Maßnahme ist es, den derzeitigen Zustrom nach Deutschland zu begrenzen und wieder zu einem geordneten Verfahren bei der Einreise zurückzukehren". Die Polizei meldet erste Festnahmen von "Schleppern und Migranten".

Eigentlich haben 26 Länder in Europa (darunter 22 EU-Staaten) die Personenkontrollen an den Binnengrenzen abgeschafft. Doch die entsprechende Regelung - das Schengener Abkommen - erlaubt Ausnahmen. Möglich sind Grenzkontrollen, wenn "eine ernsthafte Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder inneren Sicherheit" für ein Land besteht. Darauf beruft sich die Bundesregierung.

"Deutschland für den allergrößten Teil nicht zuständig"

Hintergrund ist die Ankunft tausender Flüchtlinge aus Österreich und Ungarn. In den vergangenen zwei Wochen waren allein nach München 63.000 Flüchtlinge gekommen. Die Bundesregierung hatte die Weiterreise nach Deutschland zunächst mit einer Ausnahme-Genehmigung ermöglicht. Das europäische Recht sieht eigentlich vor, dass Asyl-Anträge dort zu stellen sind, wo Flüchtlinge zuerst den Boden der EU betreten (Dublin-System) - also etwa in Ungarn. Darauf verweist nun de Maizière. Deutschland sei für den allergrößten Teil der Schutzsuchenden nicht zuständig. "Auch die Asylsuchenden müssen akzeptieren, dass sie sich den Mitgliedstaat der EU, in dem Ihnen Schutz gewährt wird, nicht aussuchen können."

Derzeit berät die EU eine Reform der Flüchtlingspolitik. Die EU-Kommission schlägt vor, ein europäisches Verteilsystem einzuführen. So schnell wie möglich sollen 120.000 Flüchtlinge aus Griechenland, Italien und Ungarn auf andere EU-Länder verteilt werden. Die Zukunft des europäischen Asylsystems steht auf Publixphere auch hier zur Diskussion.

"Notwendiges Signal nach acht Tagen Vökerwanderung"

Die Grenzkontrollen treffen auf ein gespaltenes Echo. Ungarns Premierminister Victor Orbán äußert "großes Verständnis für Deutschlands Entscheidung". "Wir verstehen, dass diese Entscheidung notwendig war, um die gewachsenen Werte Deutschlands und Europas zu verteidigen", so Orbán gegenüber der BILD-Zeitung. Auch CSU-Chef Horst Seehofer begrüßt den Schritt: "Es war jetzt nach acht Tagen einer zusätzlichen Völkerwanderung dringend notwendig, dieses Signal zu geben".

Die EU-Kommission hat aktuell nichts an den Kontrollen auszusetzen. Die derzeitige Lage in Deutschland sei nach erstem Eindruck von den Regeln des Schengener Grenzkodex' gedeckt, so die Behörde. Ziel müsse jedoch sein, so schnell wie möglich zu offenen Binnengrenzen zurückzukehren.

Scharfe Kritik kommt aus Teilen der SPD und seitens der Opposition. Der Linke-Vorsitzende Bernd Riexinger wift der Bundesregierung "unfassbaren Egoismus" vor. Erik Marquardt, Sprecher im Bundesvorstand der Grünen Jugend, meint auf Twitter: "Die Bundesregierung spielt mit dem Leben der Leute, weil sie ihnen erst Hoffnungen macht und sie nun abweist. Eine Schande." Und weiter: "Grenzkontrollen werden dazu führen, dass deutlich mehr Refugees Schleuser nehmen. Eine lebensgefährliche Entscheidung der Bundesregierung." Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner meint: "Die Schließung der Grenzen darf kein dauerhafter Zustand sein, sonst beschädigt Deutschland das Haus Europa."

"Reisefreiheit in Gefahr"

David Schrock und Abdul Kerim Aydemir, die Vorsitzenden der Jungen Europäischen Föderalisten (JEF) in Deutschland und Österreich, kritisieren die Grenzkontrollen. “Mit den Grenzbäumen fällt die europäische Idee. Die Jugend will keine Grenzkontrollen innerhalb der Europäischen Union. Eine Abschottungspolitik wird die Probleme nicht lösen, sondern nur den Nationalismus befeuern.” Stattdessen fordern die JEF ein EU-Asylsystem, "das die Flüchtlinge auf alle EU-Mitgliedsstaaten fair verteilt und gleichzeitig deren Menschenrechte schützt".

Christian Moos, Generalsekretär der Europa-Union, sieht aktuell tragende Säulen der europäischen Integration ins Wanken kommen. Die Reisefreiheit sei in großer Gefahr. Zugleich sieht Moos eine "europäische Zivilgesellschaft, die nicht zu geschlossenen Grenzen oder gar zu Mauern und Stacheldrahtzäunen zurückkehren will".

Am Montag startete außerdem die Online-Petition "Don't mess with Shengen and freedom of movement". Die Forderung: Keine Einschränkungen der Reisefreiheit innerhalb des Schengen-Raums.

Diskussion: Wie bewertet ihr die Grenzkontrollen?

Wir möchten von euch wissen:

  • sind die Grenzkontrollen eine berechtigte Maßnahme?

  • ist das Europa der offenen Grenzen in Gefahr?


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Kommentare

  • Leute lasst uns realistisch bleiben. Mit Schengen stirbt zwar das letzte identitätsstiftende Projekt der Europäischen Union, die sich damit auf das reduziert was sie immer war und m. E. wohl auch immer bleiben wird: ein riesiger potenter gemeinsamer Binnenmarkt, der die freie und ungehinderte Zirkulation von Kapital, Waren & Profiten garantiert. Alles andere ist Beiwerk & Metaphysik und kann jederzeit aufgegeben werden, wenn das primäre Ziel in Frage steht.

    Allen die jetzt eine effektivere Kontrolle der Außengrenzen der Union fordern sei zudem ein Blick auf die Landkarte empfohlen. Diese Außengrenzen bestehen a) zum größten Teil aus kaum zu kontrollierenden Küsten und sind b) da, wo sie über festem Land verlaufen wirksam nur mit Grenzschutzanlagen wie in Ceuta oder Melillia zu kontrollieren. Da dieser Teil der Schengen-Außengrenze ausschließlich in Osteuropa verläuft kann man das polemisch einen neuen Eisernen Vorhang nennen oder nicht, verteidigen lässt er sich in letzter Konsequenz wie einst auch nur mit Waffengewalt.

    • Die Weltproblemlösung ist alternativlos

      Hallo nemo, ich befürchte Du hast Recht. Ich möchte gern der Kanzlerin glauben - "Wir schaffen das". Sie wächst gerade über sich hinaus, redet so empathisch und fast schon aktivistisch wie nie. Ich weiß nicht, was diesen Wechsel bewirkt hat. Auch die BILD ist ja plötzlich wie verwandelt, schreibt fast schon Uni-Seminar-reife Artikel zur Macht der Bilder. Also ich will glauben, lieben und hoffen - ist wohl der richtige Zeitpunkt religiös zu werden.

      Aber das nur nebenbei. Es hieß immer, wir können die Probleme der Welt nicht lösen. Aber vielleicht müssen wir das jetzt. Es gibt keine Alternative. Also die Armut bekämpfen, die Kriege beenden, wir müssen uns zusammen um alles kümmern.

    • Hallo nemo

      Außer der Einschätzung zu den Außengrenzen stimme ich Ihrem Beitrag voll zu. Das mit der „Metaphysik“ ist wohl bedauerlicher Weise richtig.

      Zu den Außengrenzen:
      Der Balkan wird in 10,20 Jahren Teil der EU sein.

      Ceuta und Melilla scheinen gut geschützt.

      Die meisten Küstenabschnitte stellen kein Problem dar.

      Die östlichen Nachbarn sind vorwiegend Russland, Weißrussland und Moldawien. Sofern sich an der Stabilität der Länder nichts ändert, ist der Grenzschutz kein Problem.

      Der Ukraine-Konflikt könnte ein Problem werden, könnte aber auch gelöst werden. Schwer abzuschätzen.

      Die Türkei kann meines Erachtens motiviert werden, ihre Küsten so abzuriegeln, dass wesentlich weniger Migration stattfindet.

      Welchen Erfolg der Kampf gegen Schlepper in Nordafrika hat, muss sich erst noch zeigen. Ich kann mir gut vorstellen, dass auch hier die Migration deutlich eingedämmt werden kann.

      Natürlich lassen sich Grenzen im Zweifel immer nur mit Gewalt schützen. Aber auch Mord und Totschlag lassen sich von der Polizei im Zweifel nur durch die Anwendung von Gewalt verhindern. In beiden Fällen sehe ich die Anwendung von Gewalt nicht grundsätzlich als ethische Hürde.

      • Danke, MisterEde, für deine wie immer sehr pragmatische Antwort. Sicher ist der Schutz der Küsten gegen unkontrollierte und ungewollte Immigration möglich, wenn man von Search & Rescue zu Search & Destroy übergeht. Dies wiederum ist mit einer Fülle rechtlicher und politischer Probleme belastet. Ethik lassen wir mal ganz weg, die ist m.E. hier sowieso den Bach heruntergegangen.

        Gut die Boote kann man zerstören, aber wie bekommt man die Insassen zurück nach Nordafrika? In welche nordafrikanischen Häfen dürfen dann Nato-Kriegsschiffe einlaufen, um ihre menschliche Fracht wieder auszuladen. Und was passiert mit den sogenannten Schleusern. Nach internationalem Seerecht müssen diese im Entsendeland des Kriegsschiffes von dem ihr Boot aufgebracht wurde einen ordentlichen Strafverfahren zugeführt werden. Zudem bracht man außerhalb von Hoheitsgewässern dazu ein UN-Mandat und innerhalb dieser Gewässer zusätzlich die Zustimmung und Kooperation der nordafrikanischen Staaten. Ich sehe das nicht.

        Was nun die Zurückweisung von Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlingen mit Waffengewalt an besonders gesicherten EU-Außengrenzen anbetrifft, so verstößt dies m. E. nicht nur gegen die UN-Menschenrechtskonvention sondern auch gegen die Genfer Flüchtlingskonvention. Beide hat die EU für alle ihre Mitgliedsländer unterschrieben.

        • Nachtrag: Mittwoch, 16.09.2015, 18:20 Noch fliegen nur Tränengasgranaten an der EU-Außengrenze in Ungarn, die auch unsere Außengrenze ist. Dann kommen Rubber Bullets und danach wird an unserer Außengrenze wohl scharf geschossen.

          • Krass. Das regt mich auch so auf. Dann wird alles auf Ungarn geschoben. Aber es ist die EU-Außengrenze, unsere Grenze.

          • Hallo nemo,

            dazu ist es zum Glück nicht gekommen, aber eine wirklich befriedigende Lösung ist noch nicht erreicht. Was müsste nun, ein dreiviertel Jahr später geschehen?

        • Hallo nemo

          Du wirfst interessante Punkte auf, die eine sehr gute Grundlage für eine weitere Debatte sind.

          zum 3. Absatz: Ich stimme Dir da uneingeschränkt zu. Was ich mich dabei aber gerade frage, wie lief das die ganze Zeit in Melilla? Deutschland kann sich natürlich sehr offenherzig zeigen, so ganz ohne Außengrenze, aber das war doch schon immer genau das Kranke und Perfide an diesem System. Auf der einen Seite Spanien kritisieren, aber dann auf Dublin pochen – diese Scheinheiligkeit deutscher Politik(er/innen) gibt es ja nicht erst seit gestern. Das ist auch ein wesentlicher Grund, warum ich mich so tierisch über Oppermann und seine Orbán-Kritik aufrege, obwohl auch ich Orbán als Feind von Freiheit und Menschenrechte ansehe.

          Flüchtlinge in Ungarn: Der Populismus des Thomas Oppermann (www.mister-ede.de – 8.9.2015)

          Zum 2. Absatz: Auch wenn das nicht vergleichbar ist, aber die Anti-Piraterie-Mission vor dem Horn von Afrika hat ja auch ihre Wirkung gezeigt. Eine Lösung oder gar ethisch ist das natürlich nicht.

          Zum 1. Absatz:

          Ethik lassen wir mal ganz weg, die ist m.E. hier sowieso den Bach heruntergegangen.

          An dieser Stell habe ich ernsthafte Zweifel, dass es überhaupt jemals eine Ethik gab. Die Kolonialgeschichte ist nicht wirklich alt und die Ausbeutung Afrikas und anderer Regionen seit dieser Zeit höchstens in neuem Gewand. Das Apartheits-Regime in Südafrika, die Unterstützung von Gaddafi, Mubarak oder bis heute auch des saudischen Königshauses.

          Gelegentlich kommentiere ich auch bei spd.de und zur Forderung Gabriels, die Golfstaaten müssten mehr für Flüchtlinge tun, konnte ich es mir nicht verkneifen: „Erstens müssen die Golfstaaten gar nix. Und zweitens: Wer war denn vor ein paar Wochen dort? Was hast Du denn mit denen besprochen Sigmar? Deine Forderung an die Golfstaaten wirkt auf mich wenig glaubwürdig, solange Du anders handelst als Du redest.“

          Deshalb finde ich deinen Punkt mit der Ethik hoch spannend, weil aus meiner Sicht daraus ein gänzlich anderes außenpolitisches Verhalten erwachsen müsste. Ich frag mich ja, wo der Bewohner des Schlosses Bellevue ist und über außenpolitische Verantwortung in Puncto „fairer Welthandel“, „Entwicklungszusammenarbeit“ oder „humanitärer Hilfe“ spricht.

  • Davon geht die Welt nicht unter - voraussgesetzt, die EU-Länder bekommen jetzt endlich ein überzeugendes Konzept zustande. Beim Flirt mit Orban sollte die CSU echt aufpassen.

    • Davon geht die Welt nicht unter

      Stimmt! Geht mal drüber und mal drunter. Doch einmal wird sie wieder bunter.

  • Entschuldigung, aber diese Grenzkontrollen sind nichts weiter als die Durchsetzung des europäischen Rechts. Ich kann daran nichts anti-europäisches entdecken.

    • Das sehe ich gänzlich anders. Der ungarische Grenzzaun zu Serbien ist die Durchsetzung des europäischen Rechts, nicht jedoch die Grenzkontrolle von Deutschland nach Österreich oder von Österreich nach Ungarn.

      Während aber Orbán (oder auch Spanien, Bsp. Ceuta) von links bis rechts dafür kritisiert wird, dass er das europäische Recht durchsetzt, wird Deutschland dafür gelobt, dass es das EU-Recht bricht.

      • Das verstehe ich nicht. Deutschland wird für die Grenzkontrollen gelobt? Oder für die Flüchtlingsaufnahme?

        • Die Einführung der Grenzkontrollen ist ein Bruch der europäischen Vereinbarung (da wird zwar behauptet, es wäre gedeckt von Schengen – das stimmt aber nicht). Daneben hat die Einstellung des Zugverkehrs überhaupt nichts mehr mit der europäischen Idee zu tun. Dennoch wird Deutschland dafür von vielen Seiten (Wirtschaft, Juncker, Ungarn) gelobt.

          Diese Bundesregierung schafft den Rechtsstaat wie wir ihn kannten ab. Und was machen diese Scharfmacher Oppermann und Gabriel? Die hetzen dann noch gegen jene, die sich an die vereinbarten Regeln halten, wie Ungarn oder Slowakei. Diese Bundesregierung müsste nach Art. 20 IV aus dem Amt gefegt werden, damit die verfassungsmäßige Ordnung wieder hergestellt werden kann und der Flüchtlingsandrang wieder im Sinne unseres Grundgesetzes und den europäischen Verträgen gemanagt wird.

          Ergänzung: Zunächst habe ich keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung gesehen, mittlerweile bin ich in Bezug auf die letzten Tage doch anderer Ansicht. Ob dies aber per Stand heute (17.9.) noch immer der Fall ist, bezweifle ich. Der Zugverkehr sollte daher umgehend wieder aufgenommen werden, was vereinzelte Kontrollen nicht ausschließt.

          • Hallo MisterEde, sorry aber ich finde Deine Kritik reichlich überzogen. Nicht mal die EU-Kommission hat etwas gegen die Kontrollen. Natürlich gibt es Schöneres als Grenzkontrollen in Europa, aber es geht doch nur um die Herstellung des Rechts. Demnach müssten sich die Menschen in Ungarn und der Slowakei registrieren. Dann können sie ggf. umverteilt werden. Wer hat denn was davon, wenn jetzt das völlige Chaos ausbricht? Das die Einreise Regeln folgt ist das normalste von der Welt. Was glaubst Du was passiert, wenn ich einfach illegal in die USA einreise oder nach Indien? Ich werde schlicht festgenommen, wenn ich keine Erlaubnis habe.

            • Nicht mal die EU-Kommission hat etwas gegen die Kontrollen.

              Das stimmt, aber nichts anderes schreibe ich. Deutschland bricht das Recht und erhält dafür noch Zustimmung.

              aber es geht doch nur um die Herstellung des Rechts

              Welches Recht soll damit in Deutschland hergestellt werden? Ein Recht auf Abschottung gibt es nicht. Wenn die Registrierung in Ungarn nicht funktioniert, dann muss Ungarn handeln und nicht Deutschland. Und auch rein logisch muss man dann doch das machen, was ich seit Wochen fordere: Nämlich Ungarn bei der Bewältigung dieser riesigen Herausforderung helfen und nicht einfach gegen jegliche Rechtslage den Zugverkehr nach Österreich untersagen.

              Wer hat denn was davon, wenn jetzt das völlige Chaos ausbricht?

              Das Chaos in Europa ist doch seit Monaten existent – in Griechenland, auf dem Balkan, in Ungarn. Nur weil wir besonders gut darin sind, wegzuschauen, verschwindet doch das Chaos nicht. Wo sind denn die Milliarden für das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNHCR? Wandelt den UNHCR doch zu einer Bank um, dann hilft Deutschland bestimmt gerne.

              Was glaubst Du was passiert, wenn ich einfach illegal in die USA einreise oder nach Indien?

              Mir ist neu, dass die USA und Indien Mitglieder im Schengen-Raum sind. Natürlich sind Grenzkontrollen in einem Land zulässig – wenn dieses Land nicht vertraglich vereinbart hat, darauf zu verzichten. Genau das hat Deutschland aber!

              Ich werde schlicht festgenommen, wenn ich keine Erlaubnis habe.

              Das ist doch gerade der Witz. Flüchtlinge dürfen ja weiterhin jederzeit einreisen und daran ändert sich durch die Grenzkontrollen überhaupt nichts.

              Da wird zwar behauptet, es ginge um Grenzkontrollen, aber das ist ein Märchen. Es geht einzig darum, den Grenzverkehr so auszubremsen, dass es so wenige Flüchtlinge wie möglich überhaupt an die Grenze schaffen. Das spricht natürlich kein Politiker aus, aber es ist doch erkennbar. Der Zugeverkehr wurde eingestellt. Auf den Grenzstraßen gibt es stundenlange Wartezeiten. Und am Ende kommen die Flüchtlinge dann wie aus Serbien nach Ungarn über die grüne Grenze.

              • Hallo MisterEde, wenn die ungarischen Behörden es Menschen an der Grenze verweigern würden, einen Asylantrag in Ungarn zu stellen, dann wäre das ein Verstoß gegen EU-Recht. Davon habe ich aber noch nichts gehört. Es geht um Menschen - die sicher aus guten Gründen - nach Deutschland und Schweden weiterwollen. Aber so ist das System bisher nicht ausgelegt.

                Aber Du hast Recht. Momentan versucht Europa einfach, die Grenzen dicht zu machen. Trotzdem wird den Menschen zu helfen sein, die dann in Serbien oder Mazedonien an der Grenze feststecken. Darum muss es gehen. Die bestehenden inner-europäischen Gesetze erstmal wiederherzustellen finde ich allerdings im ersten Schritt nur normal.

                • wenn die ungarischen Behörden es Menschen an der Grenze verweigern würden, einen Asylantrag in Ungarn zu stellen, dann wäre das ein Verstoß gegen EU-Recht. Davon habe ich aber noch nichts gehört.

                  Das wäre mir auch neu, weshalb ich ja nicht Ungarn, sondern Deutschland kritisiere.

                  Die bestehenden inner-europäischen Gesetze erstmal wiederherzustellen finde ich allerdings im ersten Schritt nur normal.

                  Das finde ich auch. Aber geschlossene Binnengrenzen entsprechen aus meiner Sicht nicht den Regeln der EU, im Gegensatz zu offenen Grenzen, die durch Schengen vereinbart sind. Deshalb bricht Deutschland mit seinem nationalistischen Alleingang die Regeln.

                  Flüchtlinge: Bundesregierung schafft Rechtsstaat ab (14.09.2015)

                  • Sind die Kontrollen legal?

                    Lieber Rakaba, lieber MisterEde,

                    die Frage der Rechtmäßigkeit der Grenzkontrollen hat der EU-Experte und Blogger Manuel Müller Der (europäische) Föderalist aufgegriffen. Müller schreibt:

                    "Dass Deutschland unmittelbar vor diesem Ratstreffen einseitig Grenzkontrollen einführt, verstößt offensichtlich gegen den Geist der Schengen-Reform: Da das Problem ja durch eine Krise an den Außengrenzen verursacht wurde, wären eher gemeinsame Maßnahmen nach Art. 26 Grenzkodex angebracht. Um darüber zu sprechen – und die notwendigen Kontrollen dann, wenn man sie tatsächlich für notwendig erachtet, gemeinschaftlich zu beschließen –, wäre das Ratstreffen genau das richtige Forum gewesen."

                    Und als Fazit:

                    "Der Idee eines europäischen Raumes ohne Binnengrenzen hat die Bundesregierung schon jetzt durch ihr einseitiges Vorgehen einen Bärendienst erwiesen. Die zentrale Logik der Schengen-Reform vor drei Jahren bestand darin, die Verantwortung für die zeitweise Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen von der nationalen auf die EU-Ebene zu heben. Deutschland jedoch hat gezeigt, dass es solche Entscheidungen nach wie vor lieber alleine trifft."

                    Liebe Grüße, Alex

                    • An dieser Stelle bin ich doch eher bei Rakaba. Müller schreibt, dass EU-Recht Vorrang vor nationalem Recht hat und ich glaube er irrt. Das GG ist das höchststehende Recht in Deutschland. Alles was sich nicht mit dem GG vereinbaren lässt, ist in Deutschland nichtig. Gefährdet irgendeine EU-Regel die verfassungsmäßige Ordnung, so darf sie nicht angewendet werden!

                      Ich stimme Rakaba auch insoweit zu, als dass ich mit meiner Kritik womöglich über das Ziel hinausgeschossen bin. Die vorübergehende Einführung von Grenzkontrollen dürfte in sehr engen Grenzen zulässig sein, weil nach meiner Einschätzung die öffentliche Ordnung tatsächlich gefährdet war.

                      • Manuel Müller Der (europäische) Föderalist
                        +2

                        MisterEde, nur ganz kurz zur Rangordnung von Europarecht und Grundgesetz: Wir leben in einem System des Verfassungspluralismus, in dem sowohl die EU-Verträge als auch das Grundgesetz (bzw. sowohl der EuGH als auch das BVerfG) den Anspruch auf Letztgültigkeit erheben, ohne dass der Konflikt zwischen ihnen rechtlich eindeutig aufgelöst werden könnte. (Mehr dazu hier.) Was die Schengen-Verordnung betrifft, ist das aber unproblematisch, da nicht zu erkennen ist, inwiefern sie gegen das Grundgesetz verstoßen sollte. Und der Vorrang von Europarecht gegenüber einfachem nationalem Recht ist völlig unstrittig.

                        Zur Rechtmäßigkeit der Grenzkontrollen: Man wird darüber streiten können, ob sich Deutschland zu Recht auf Art. 25 Grenzkodex berufen konnte oder auf Art. 26 hätte zurückgreifen müssen. Letztlich ist Art. 25 aber immer noch so schwammig formuliert, dass die Bundesregierung in einem hypothetischen Verfahren vor dem EuGH (das es vermutlich nicht geben wird) damit davonkommen dürfte. Deshalb habe ich bewusst von dem "Geist" der Reform geschrieben: Es ging 2012 darum, dass mit Situationen wie der jetzigen künftig anders umgegangen werden sollte, als es Frankreich 2011 tat und Deutschland heute tut. Allerdings wurde der alte Weg, die einseitige Einführung von Grenzkontrollen, nicht rechtssicher unmöglich gemacht. Indem die Bundesregierung ihn nun beschreitet, leistet sie ihren Beitrag zur faktischen Entwertung der Reform (will heißen: zur Verteidigung unilateraler nationaler Entscheidungsmacht anstelle von gemeinsamen Lösungen im Rat).

                        • Hallo Manuel Müller Der (europäische) Föderalist

                          der Vorrang von Europarecht gegenüber einfachem nationalem Recht ist völlig unstrittig.

                          Das ist richtig, der Rest aber wirklich nicht. Solange es keine europäische Verfassung gibt, die durch Volksabstimmung in Deutschland angenommen wurde, ist das GG die einzige Verfassung, die in Deutschland existiert. Alles europäische Recht muss sich daher am GG messen lassen, ausnahmslos und uneingeschränkt! Gibt es einen gleichwertigen Schutz auf europäischer Ebene, ist das natürlich hinfällig, aber nicht, weil das GG dann untergeordnet wäre, sondern weil das GG durch das europäische Recht zur Geltung kommt!

                          Was die Schengen-Verordnung betrifft, ist das aber unproblematisch, da nicht zu erkennen ist, inwiefern sie gegen das Grundgesetz verstoßen sollte.

                          Entweder erlaubt das EU-Recht den deutschen Behörden, die verfassungsmäßige Ordnung aufrecht zu erhalten (dann sind die Grenzkontrollen im Rahmen von Schengen zulässig) oder Schengen würde durch Art. 20 GG gebrochen, weil unsere Staatsorgane hierdurch zum Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung verpflichtet sind. Mein Einwand bezieht sich somit lediglich auf Ihre Fehleinschätzung zur Zulässigkeit der Grenzkontrollen im Rahmen der Schengen-Regeln. Ich sage also nur, dass Schengen GG-widrig wäre, wenn Ihre Einschätzung zur Unzulässigkeit von Grenzkontrollen stimmen würde – das tut sie aber nicht.

                          Knackpunkt bleibt damit die Frage, ob die öffentliche Ordnung durch die große Masse an Flüchtlingen gefährdet ist. Ist das der Fall, ist das Handeln der Bundesregierung GG- und Schengen-Konform, ist das nicht der Fall, sind die Grenzkontrollen unzulässig. Hier haben wir dann unterschiedliche Einschätzungen – das ist ja in Ordnung – aber Ihre rechtliche Beurteilung bleibt falsch.

                          Beste Grüße Mister Ede

                    • Hallo Alex, der Geist von Schengen gehört eben auch zur Metaphysik ( siehe mein Kommentar).