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Gefährdet das geplante transatlantische Freihandelsabkommen die kulturelle Vielfalt in Europa?


Ein Beitrag von Marc76

Es klingt abstrakt, aber es kann sehr schnell sehr konkret werden: Das transatlantische Freihandelsabkommen soll bereits in 2 Jahren in Kraft treten, letzte Woche startete die zweite Verhandlungsrunde in Brüssel. Wenn es so kommt, wird der Handel zwischen den USA und Europa von vielen nicht tarifären Hemmnissen befreit werden, die genauen Folgen sind aber unklar. Sicher ist nur, dass Vieles auch erfasst würde, was keinen monozentrischen wirtschaftlichen Blick duldet, sondern eher unter der Überschrift kulturelle Vielfalt einzusortieren wäre. Kulturelle Errungenschaften wie die Buchpreisbindung, der öffentliche-rechtliche Rundfunk, aber auch Bereiche des Umwelt- und Naturschutzes, der Klimapolitik, der Daten- und Lebensmittelsicherheit wären betroffen - kurzum: Wesentliche Bereiche unseres Lebens!

Die genauen Folgen sind noch unklar, das Verfahren ist höchst intransparent, der Verhandlungstext ist geheim (nachdem in der Vergangenheit ähnliche Versuche am öffentlichen Widerstand gescheitert sind), nicht einmal Mitglieder des Europäischen Parlaments haben uneingeschränkten Zugang zu den Verhandlungen. Der ambitionierte Zeitplan und die schnelle Entwicklung verdanken sich einer weitgehenden Unkenntnis der Öffentlichkeit über die aktuellen Vorgänge, auch weil die Materie ausgesprochen kompliziert ist.

Deutliche Worte spricht Lori Wallach, die Leiterin von Global Trade Watch und Direktorin bei Public Citizen, dieser Tage in ihrem Artikel in Le Monde Diplomatique. Sie sieht eine Wirtschafts-NATO mit grenzenlosen Befugnissen heraufziehen, zu der auch eine Schiedsgerichtsbarkeit gehört, die es Unternehmen erlaubt, Staaten wegen Behinderung ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit zu verklagen.

Zurzeit scheint es keine relevante Öffentlichkeit für das geplante Freihandelsabkommen zu geben. Über die Argumente für und gegen eine Freihandelszone kann man streiten - dass das Verfahren bewusst gegen jedwede Öffentlichkeit abgeschirmt wird, ist inakzeptabel.

Was denkt Ihr darüber?


Kommentare

  • Auf wikileaks wurden vor ein paar Tage Teile des TPP Dokuments veröffentlicht, ebenso gibt es eine lebhafte Debatte aus amerikanischer Sicht mit Pros und Kontras hier. Ich finde es auch schockierend, vor allem, weil die Diskussion so abstrakt und komplex ist. Trotzdem ist mir immer noch nicht ganz klar: Welche Auswirkungen hat das ganz konkret? Und v.a.: Gibt es eine Möglichkeit, etwas zu ändern?

    • Mayte ist dafür
      +1

      Gute und wichtige Frage. Ich hatte das Thema zwar auch schon länger auf dem Radar, aber noch nicht wirklich konkret über die Konsequenzen nachgedacht. Wir sollten versuchen, diese relevanten Informationen zusammenzutragen und aufzubereiten.

  • Hinweis: Unser Partnerprojekt, der Europäische Salon, widmet sich in seiner kommenden Veranstaltung dem Thema "Auf dem Weg zur transatlantischen Wirtschaftsgemeinschaft mit TTIP". Wir möchten alle Interessierten auf die Podiumsdiskussion am 20. November in Berlin aufmerksam machen und herzlich zu Online-Diskussion des Themas einladen! Ab jetzt kann hier diskutiert werden, alle Beiträge haben die Chance, in die Podiumsdiskussion einzufließen.

  • Liebe Foristen, ein kurzer Hinweis der Redaktion. Die Europaabgeordnete Nadja Hirsch (FDP) stellt nun ihre Position zu TTIP zur Diskussion: "TTIP – Nicht ohne Datenschutzabkommen"

  • Ich finde die Topic-Überschrift etwas zu polemisch. Was genau die genannten Problemzonen des TTIP Vorschlags mit der kulturellen Vielfalt (wie auch immer man das denn definieren will) zu tun hat, ist mir unklar.

    Fakt ist dass (zumindest aktuell) die EU Kommission kein Verhandlungsmandat hat für Kulturgüter (sprich Film, TV, Musik, Kunst etc. Industrien). Das mag sich noch ändern. Auch die Schiedsgerichte, bei denen auch momentan Verhandlungsstopp ist (zu Recht) kommen erfahrungsgemäß eher bei wirklich großen Investitionsschutzproblemen zum Zug, das könnte in der Pharmabranche, der Flugzeugindustrie etc. der Fall sein, Kulturthemen sehe ich hier wenig gefährdet, denn das wäre nachgelagert an eine Klärung was kulturelle Förderprogramme betrifft, wie sie Deutschland und Frankreich im Einsatz haben beispielsweise (Quoten für nationale Musik, etc). Aber auch in den USA gibt es ähnliche Provisionen und das bewegt sich selten auf Ebenen wo man klagen würde....

    Kurzum, lasst uns nicht alles in einen Topf werfen. Die Intransparenz der Verhandlungen sind ein graus, das heißt aber auch, dass vieles an Kritik reine Mutmaßung ist.

    • Hallo Xpuha, es ist verhext mit diesem Abkommen. Ich denke auch oft, die Kritik daran wirkt sehr überzogen. Andererseits: was sollen die vielen NGOs auch machen, wenn die Verhandlungen geheim sind? Sie müssen jetzt mobilisieren, sonst ist es zu spät, und ein bösartiges Abkommen huscht einfach so durch.

      Dass die Kommission selber darauf kommt, Kulturgüter oder die öffentliche Daseinsvorsorge zu schützen, ist leider nicht anzunehmen. Das sind Freihandelsfanatiker ohne tieferes Demokratiebewusstsein.

      Spannend wird, ob sich die Zivilgesellschaft noch von TTIP überzeugen lässt, wenn ihre Giftliste rausgestrichen wird (bleibt dann noch was von TTIP übrig?)

      Und wann merken die interessierten Kreise endlich, dass mit multilateralen, geheim verhandelten Handelsbkommen, bei denen am Ende nur eine Ja/Nein Entscheidung der Parlamente stehen, keine vernünftig demokratische Politik zu machen ist?

      Aus ACTA nichts gelernt, aber auch gar nichts!

  • Im Grunde wird hier weit in die Souveränität der Parlamente eingegriffen. Allein die Senkung der Nahrungsmittelstandarts (z.B. Genfood) wäre schon eine breite nationale Debatte wert. Die Beteiligten wissen jedoch genau, dass eine Beteiligung des Souverän das Abkommen gefährden würde. Für die Verbraucher ergeben sich eine Menge Nachteile. Inzwischen weiss auch jeder, dass das Wohl der Welt ganz bestimmt nicht abhängig ist von der Freiheit der Märkte. Das Deregulierungsmantra ist inzwischen Bullshit von gestern an den höchstens noch die FDP glaubt (FDP war mal eine Regierungspartei, für die, die sich nicht mehr erinnern....)

  • Die Debatte um das transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) auf www.publixphere.de war Anlass, einen Hintergrundtext zu schreiben, den ihr hier findet. Ihr könnt auch hier weitere Debatten rund um das Thema TTIP starten. Eure Publixphere-Redaktion

    • Und hier gibt es noch einen Beitrag von report München: "Ein Generalangriff gegen die Verbraucher"

  • Maxi ist dafür
    +1

    Hmmm... Marc76, danke für diesen Text. Das klingt finde ich alles ziemlich unglaublich, vor allem eine Art Schiedsgerichtsbarkeit, die es Unternehmen erlaubt Staaten wegen Behinderung ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit zu verklagen, klingt erstmal krass. Lustigerweise fühle ich mich über die Medienberichterstattung eigentlich ganz gut informiert, über einschlägige Artikel in den Leitmedien, aber was Du beschreibst macht das Ganze nochmals sehr viel greifbarer. Ist da wirklich was dran??

    • Hi Maxi, ich fürchte, das Ganze ist nicht übertrieben. Schon heute gibt es solche Schiedgesrichte, die vor allem im Rahmen der WTO tätig sind, siehe beispielsweise http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Lexikon/EUGlossar/W/2005-11-16-welthandelsorganisation-wto-.html oder etwas weniger neutral http://www.greenpeace-magazin.de/magazin/archiv/1-98/wto-richter-ohne-moral/. Gruß, marc76

    • Was heißt denn informiert? Ich gehe davon aus, dass wir hier wieder ein sehr ähnliches Problem wie bei ACTA haben: Die Kommission verhandelt nicht nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit, sondern ebenfalls ohne Einbeziehung des Parlaments. Diese Intransparenz ist unerträglich und schürt im Endeffekt nur Anti-Amerikanismus und Abneigung gegen die Eurokraten in Brüssel. Dabei geht der Inhalt vollkommen verloren. Und erst recht eine ernsthafte Debatte darüber. Wir bekommen nur Häppchen durch Leaks geliefert. Aber auch die sind nicht immer der neuste Stand der Dinge. Die Verhandlungsführer sind gut da drin zu verschleiern. Da kommt dann eine Namensänderung (nicht mehr TAFTA sondern TTIP) und lässt die Öffentlichkeit noch irritierter zurück. Dabei geht es - wie schon von Marc76 beschrieben - um Themen, die unser aller Leben in den unterschiedlichsten Formen betreffen. Doch aus der Forderung nach Transparenz, folgt auch, dass demokratische Entscheidungsstrukturen greifen können. Die EU-Abgeordneten müssen dann auch in der Lage sein über inhaltliche Themen abzustimmen. Und nicht erst im Endeffekt ob sie dafür oder dagegen sind, wenn alles schon verhandelt wurde.