Transatlantische Freihandelszone


FotoFoto & Teaser : ©Picture Alliance / Sven Simon

Zwischen EU und USA sollen die letzten Handelsbarrieren fallen. Doch das geplante transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) ist umstritten. Gerungen wird Transparenz und Details - vom Hormonfleisch bis zum Schiedsverfahren. Von Alexander Wragge

Hinweis: Die Europa-Union Deutschland nutzt Publixphere als gemeinnützige, überparteiliche Plattform, um ihren Bürgerdialog "TTIP - Wir müssen reden!" online zu begleiten. Aktuell lädt die Europa-Union ein, folgende Aspekte der TTIP-Debatte zur diskutieren: Demokratie, Transparenz und Legitimität; Handel, Investitionen, Wettbewerb; Umwelt-, Arbeitnehmer- und Verbraucherschutz.

Außerdem werden die Vor-Ort-Veranstaltungen des Bürgerdialogs mit Online-Foren vorbereitet. Aktuell kann diskutiert werden: Welche Chancen und Risiken bringt TTIP für Kiel und Umgebung?

TTIP - Worum geht es?

Mit TTIP soll die größte Freihandelszone der Welt entstehen, die „Transatlantic Free Trade Area“ (kurz TAFTA). Die EU und die USA wollen – im Rahmen eines völkerrechtlichen Vertrags – Handelshemmnisse abbauen oder abschaffen, und den Schutz von Investitionen im jeweiligen Markt einheitlich regeln...

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Innerhalb der TAFTA würde fast 60 Prozent des globalen Bruttoinlandsproduktes erwirtschaftet und etwa 40 Prozent des Welthandels stattfinden. Ungewöhnlich ist die Tiefe des Abkommens. So geht es nicht nur um Zölle – diese liegen zwischen EU und USA heute schon niedrig (im Durchschnitt bei vier Prozent). Die beteiligten Staaten wollen auch sogenannte nichttarifäre Handelshemmnisse abbauen. Diese entstehen durch unterschiedliche Normen in der EU und den USA, etwa bei der Produktsicherheit. Als Beispiel nennt die EU-Kommission Sicherheitsstandards für Autositze. Würden EU und USA hier ihre Standards gegenseitig anerkennen, müsste ein Autositzhersteller nicht länger getrennte Regelwerke erfüllen. Die Kommission erklärt, die nichttarifären Handelshemmnisse entsprächen in ihrer Wirkung einem Zoll von 10 bis 20 Prozent.

In manchen Bereichen sind die Standards eine politisch und kulturell sensible Frage, etwa wenn es um die Zulassung genetisch veränderter Lebensmittel geht. TTIP steht deshalb speziell bei Umwelt- und Verbraucherschützern scharf in der Kritik (Siehe Abschnitt: Was sagen die Gegner?). Welche nichttarifären Handelshemmnisse aus TTIP auszuklammern sind, wird noch verhandelt. EU-Handelskommissar Karel de Gucht versucht, zu besänftigen: „Wir werden nicht alle (…) Schranken abschaffen. In vielen Bereichen sprechen gute Gründe für unsere unterschiedlichen Regelungen.“

TTIP sieht auch einen einheitlichen Investitionsschutz vor. Hier geht es darum, welche Rechte etwa US-Unternehmen gegenüber EU-Staaten haben, in denen sie investieren. Bislang regeln bilaterale Investitionsabkommen mögliche Streitfälle, etwa wenn Staaten ausländische Unternehmen gegenüber der heimischen Konkurrenz benachteiligen. Laut EU-Kommission bedarf es einer Klarstellung und Verbesserung des Investitionsschutzsystems.

Die Idee einer transatlantischen Freihandelszone kursiert schon seit mehr als 20 Jahren – auch unter dem Namen „Wirtschafts-NATO“. Ein Vorläufer ist das Multilaterale Investitionsabkommen (MAI, das allerdings in den 1990er Jahren am Widerstand aus der Zivilgesellschaft und der französischen Regierung scheiterte. [weniger anzeigen]


Was ist der aktuelle Stand?

Eigentlich sollte TTIP noch im Sommer 2014 auf den Weg gebracht werden. Der Zeitplan ist wohl kaum zu halten. Die Frage des Investitionsschutzes wird aktuell nicht mehr verhandelt...

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Derzeit bestehen große Zweifel, ob TTIP wie geplant 2014 zustande kommt. Ignacio Garcia Bercero, Chefunterhändler der EU, sagte Anfang Februar 2014 vor dem Wirtschafts-und Energieausschuss des Bundestages, in diesem Jahr sei kein Abschluss der Verhandlungen zu erwarten. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble glaubt nicht einmal an einen Abschluss im Jahr 2015. „Das wird eher länger dauern", so Schäuble Ende Juli.

Hintergrund ist auch der Widerstand beidseits des Atlantiks – sowohl in den beteiligten Regierungen, als auch in der Zivilgesellschaft. Das Online-Kampagnen-Netzwerk Campact hat derzeit etwa 612.000 Unterschriften gegen TTIP gesammelt. Fast 70.000 Bürger forderten in einer Petition an den Bundestag, TTIP zu stoppen. Sie wird nun geprüft. Die Initiatoren dürfen ihr Anliegen voraussichtlich im Petitionsausschuss des Bundestages vortragen.

Dagegen erteilte die EU-Kommission einer Europäischen Bürgerinitiative (EBI) gegen das TTIP-Verhandlungsmandat am 10. September keine Zusassung. Die Begründung (Volltext) ist juristischer Natur. Das Verhandlungsmandate zu TTIP sei kein Rechtsakt, sondern eine interne Vorbereitungsakte zwischen den EU-Organen und durch eine Bürgerinitiative nicht anfechtbar. Hinter der Initiative stehen etwa 230 Organisationen aus 21 EU-Ländern. Der Mehr Demokratie e.V. , einer der Initiatoren, kritisiert die Entscheidung scharf. Diese sei "offensichtlich rechtsfehlerhaft". "Würde die Rechtsauffassung der Kommission Bestand haben, hieße das im Klartext: Der Bevölkerung sind bei der Entwicklung internationaler Verträge jeder Art die Hände gebunden – eine Auskunft, die ebenso erschreckend wie skandalös ist“, erklärte Michael Elfer, Bundesvorstandssprecher Mehr Demokratie.

Im umstrittenen Punkt des Investorenschutzes hat die Kommission die Gespräche im Januar 2014 ausgesetzt. Hier geht es um die Frage, wann und wie Unternehmen Staaten verklagen können, wenn Regelungen und Gesetze ihren Investitionen schaden. Zuständig wären möglicherweise Schiedsgerichte bei der Weltbank in Washington.

Kritiker fürchten, der Investorenschutz könnte dazu führen, dass Unternehmen beispielsweise gegen Umwelt- und Verbraucherschutzgesetze vorgehen – auch mit der Androhung von Schadensersatzforderungen (Siehe „Was sagen die Gegner?“). EU-Handelskommentar Karel de Gucht weist die Befürchtungen zurück. Zugleich rief er Bürger und Institutionen auf, Bedenken in einer öffentlichen Konsultation zu formulieren. Fast 100.000 kritische Eingaben legten laut einem Bericht zwischenzeitlich das IT-System der EU-Kommission lahm. Die Beiträge müssen nun geprüft werden. Die Bundesregierung setzte dagegen ein, Schiedsgerichtsverfahren in den Vertrag aufzunehmen.

Bislang fanden sechs TTIP-Verhandlungsrunden statt - und zwar im Juli 2013, im November 2013, im Dezember 2013, im März 2014, im Mai 2014 und im Juli 2014.

Um mehr Transparenz herzustellen, haben drei grüne EU-Abgeordnete die geheimen Verhandlungsziele der EU-Regierungen für die Kommission ins Netz gestellt (siehe www.ttip-leak.eu). Die Grünen formulieren zugleich Kritikpunkte. Sie fordern, die Verhandlungen auszusetzen und „fair“ neu zu starten. Die Linkspartei will das Abkommen verhindern. Die FDP sieht darin eine historische Chance.

Am 24. Juli veröffentlichte die US-NGO Institute for Agriculture and Trade Policy (IATP) den Entwurf eines TTIP-Kapitels, in dem es um das Themenfeld Gesundheit geht. IATP-Experte Steve Suppan meint in seiner Analyse, das Dokument gebe Anlaß zur Sorge, TTIP könne Gesundheitsstandards zu Gunsten von Unternehmensinteressen schwächen. [weniger anzeigen]


Wer verhandelt und wer entscheidet?

Die EU-Regierungen haben die EU-Kommission mit den TTIP-Verhandlungen beauftragt. Am Ende muss auf jeden Fall das EU-Parlament zustimmen. Die Beteiligung des Bundestages bleibt unklar...

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Von 2011 bis 2013 hat eine „Hochrangige EU-US Arbeitsgruppe für Arbeitsplätze und Wachstum“ (High Level Working Group – HLWG) Chancen und Risiken eines Freihandelsabkommens untersucht. In ihrem Abschlussbericht (11. Februar 2013) empfiehlt sie die Verhandlungen. Die EU-Staaten haben der EU-Kommission ein entsprechendes Mandat (17. Juni 2013) erteilt. Ein Ausschuss des EU-Parlaments gab den Verhandlungen in einer – rechtlich nicht bindenden – Entschließung (15. Mai 2013) seinen Segen.

Für die Verhandlungen zuständig sind der belgische EU-Handelskommissar Karel de Gucht und seine Generaldirektion. Mit Vertretern des US-Handelsministeriums (USTR) verhandelt die Kommission unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Die Kommission erklärt hierzu: „Damit Verhandlungen über den Handel erfolgreich verlaufen, bedarf es einer gewissen Vertraulichkeit – sonst würde man sich von den Mitspielern in die Karten schauen lassen.“ Allerdings berichtet die Kommission den zuständigen Ministerien der EU-Staaten über den Verlauf.

Wenn der fertige Entwurf vorliegt, entscheiden in jedem Fall der Kongress in den USA und das EU-Parlament, ob er angenommen wird. Unklar ist dagegen, ob auch die nationalen Parlamente der EU-Staaten zustimmen müssen. Das hängt davon ab, ob durch TTIP Kompetenzbereiche der Mitgliedsländer betroffen sind. Dann würde es sich um ein "gemischtes Abkommen" handeln. Andernfalls liegt die Entscheidung über TTIP allein bei den EU-Regierungen und beim EU-Parlament, das 2012 bereits das Anti-Piraterie-Abkommen ACTA nach jahrelangen Verhandlungen ablehnte. Die Grünen wollen von der Bundesregierung wissen (21. März 2014), ob TTIP auch im Bundestag zustimmungspflichtig ist. [weniger anzeigen]


Was will die Große Koalition?

Schon die vergangene Bundesregierung aus Union und FDP trieb TTIP voran. Im aktuellen Koalitionsvertrag sprechen sich Union und SPD für das Abkommen aus.

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Im Koalitionsvertrag (S.15) heißt es zu TTIP: „Das geplante Freihandelsabkommen mit den USA ist eines der zentralen Projekte zur Vertiefung der transatlantischen Beziehungen. Wir wollen, dass die Verhandlungen erfolgreich zum Abschluss geführt werden (…).“ Zugleich formulieren Union und SPD Bedingungen. Man werde auf die Sicherung der Schutzstandards der EU Wert legen - insbesondere in den Bereichen: Datenschutz, Sozial-, Umwelt- und Lebensmittelstandards, Verbraucherrechte, öffentliche Daseinsvorsorge und Kultur und Medien.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte zum Start der TTIP-Verhandlungen Mitte 2013: „Ein solches Freihandelsabkommen wäre ein Riesenschritt nach vorne, der auch Wachstum in allen Bereichen fördern und neue Arbeitsplätze schaffen würde.“ Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) erklärt, grundsätzlich biete das Freihandelsabkommen große Chancen für die europäische Wirtschaft und damit auch für die Arbeitsplätze in Deutschland. [weniger anzeigen]


Was sagen die Befürworter?

Weniger Bürokratie, mehr Handel, mehr Wohlstand, mehr Arbeitsplätze – TTIP-Befürworter wecken große Erwartungen. Schätzungen über mögliche Wohlstandsgewinne sind allerdings umstritten...

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Die EU-Kommission sieht viele Vorteile des Abkommens, allen voran ein höheres Wirtschaftswachstum und mehr Arbeitsplätze. „TTIP wäre das kostengünstigste Konjunkturpaket, das man sich vorstellen kann“, so die Kommission. Sie beruft sich auf eine Studie (März 2013, Englisch) des Centre for Economic Policy Research (CEPR) in London. In den CEPR-Szenarien steigert das Freihandelsabkommen bis ins Jahr 2027 das Bruttoinlandsprodukt in den USA und der EU um 0,2 bis 0,5 Prozent. Beispielsweise würden die Exporte von Kraftfahrzeugen aus der EU in die USA um bis zu 149 Prozent steigen. In absoluten Zahlen bringt TTIP laut CEPR-Schätzung der Wirtschaft in der EU einen zusätzlichen Profit von 119 Milliarden im Jahr, der US-Wirtschaft jährlich 95 Milliarden Euro mehr Profit.

Studien des Münchner Ifo-Instituts und der Bertelsmann-Stiftung sehen ebenfalls Vorteile. Sie halten es für möglich, dass EU und USA mit TTIP ihr Handelsvolumen verdoppeln und zwei Millionen neue Arbeitsplätze schaffen - davon 181.000 in Deutschland.

Umstrittene Schätzungen

Allerdings stehen die Annahmen und Modelle der TTIP-Studien in der Kritik (Siehe ARD-Magazin Monitor, Januar 2014). Der renommierte Ökonom Jagdish Bhagwati (Columbia University) hält die TTIP-Studien, auf die sich die Verhandlungsparteien berufen, für „hoch problematisch“. Bei der Frage, welche Annahmen den Studien zugrunde legen, komme man in die Nähe „reiner Meinungsäußerungen“.

Handelskommissar Karel de Gucht räumt ein: „Wie viel zusätzliches Wachstum die transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft in den kommenden zehn Jahren bringen wird, lässt sich nicht allzu genau sagen.“ Der US-Handelsexperte Charles Ries meint: „Vorstellungen über das wirtschaftliche Ausmaß eines möglichen TAFTA sind spekulativ und im Wesentlichen hypothetisch.“

Mehr Einfluss in der Welt

Auch soll TTIP den USA und der EU helfen, ihre Produkt- und Regulierungs-Standards weltweit durchzusetzen. Die EU und die USA seien heute schon die weltweit größten Märkte und die einflussreichsten Regulierungsinstanzen, so Handelskommissar de Gucht in einer Rede zu TTIP. Ein gemeinsames Konzept werde diesen Einfluss verdoppeln.

Industrie steht hinter TTIP


Auf Seiten der deutschen Wirtschaftsverbände bekennt sich vor allem der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) zu TTIP. „Das ist eine Win-Win-Situation für Europa und für die USA“, so BDI-Präsident Ulrich Grillo. Der BDI stellt seine Position auf Publixphere zur Diskussion. Die "Business Alliance for TTIP", ein Zusammenschluss europäischer und amerikanischer Industrie-Dachverbände, fordert, das Abkommen zügig abzuschließen. [weniger anzeigen]


Was sagen die Gegner?

TTIP stößt auf heftigen Widerstand. Kritiker fürchten: die Absenkung von Umwelt-, Verbraucher- und Sozialstandards, eine Aushöhlung der Demokratie und weniger Spielräume für eine nachhaltige Politik...

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Im November 2013 erregte Lori Wallach, US-Expertin für Handelsrecht und Direktorin der Verbraucherschutzorganisation Public Citizen, mit einer Analyse des TTIP-Abkommens großes Aufsehen. TTIP gleiche einem „Monster aus einem Horrorfilm“. Das Abkommen sei ein „trojanisches Pferd zum Abbau des Sozialstaats“, die Verhandlungen darüber ein „Staatsstreich in Zeitlupe“. Die Kommission versucht, Bedenken zu zerstreuen. Die Kritik im Überblick:

Demokratiedefizit und Intransparenz



Vertreter der Zivilgesellschaft sehen in TTIP rechtsstaatliche und demokratiepolitische Probleme. So fordert beispielweise ein internationales Bündnis aus Nicht-Regierungs-Organisationen (darunter etwa Friends of the Earth Europe") in einem offenen Brief an die Verhandlungsführer, alle TTIP-Dokumente offenzulegen.

Auch aus Sicht des Vereins „Mehr Demokratie“ ist vor allem das intransparente und geheime Zustandekommen nicht hinnehmbar. Die nationalen Parlamente, das EU-Parlament, Verbraucherschützer und Umweltverbände seien kaum oder gar nicht in die Verhandlungen einbezogen.

Die Kommission weist den Vorwurf zurück. Sowohl die Bundesregierung als auch die deutschen Abgeordneten im Europäischen Parlament hätten maßgeblichen Einfluss auf die TTIP-Verhandlungen.

Neben vielen Details kritisiert der Mehr Demokratie e.V., dass TTIP als völkerrechtliches Abkommen kaum noch umkehrbar wäre. „Die TTIP-Bestimmungen werden für alle Ebenen bindend sein (EU, Bund, Länder, Gemeinden), damit werden ganze Politikfelder dem Einfluss der gewählten und demokratisch legitimierten Politik und auch Volksentscheiden entzogen (...)“.

Klagerechte für Unternehmen

Besonders umstritten ist der Investitionsschutz, den TTIP vereinheitlichen soll. Hier geht es um die Frage, wie Unternehmen gegenüber staatlichen Eingriffen geschützt sind. Die EU-Regierungen nennen als Ziele für den TTIP-Investitionsschutz etwa die gerechte Behandlung von Unternehmen, das Verbot unverhältnismäßiger, willkürlicher oder diskriminierender Maßnahmen, den Schutz der Unternehmen vor direkter und indirekter Enteignung und das Recht auf unverzügliche, angemessene und effektive Entschädigung (Siehe S.8 der EU-Verhandlungsziele).

Kritiker fürchten jedoch, TTIP könnte Schadensersatzklagen von Unternehmen gegen Staaten stark begünstigen. Wenn staatliche Eingriffe Unternehmensgewinne oder Gewinnerwartungen schmälern, sind solche Klagen schon heute auf Grundlage bilateraler Investitionsschutzabkommen möglich. Ein geheim tagendes Schiedsgericht bei der Weltbank in Washington (ICSID) englische Abkürzung ICSID) entscheidet über die Streitfälle. Deutschland ist seit der Gründung des ICSID im Jahre 1966 Mitglied.

Aktuell klagt dort beispielsweise der schwedische Energiekonzern Vattenfall gegen die Bundesregierung. Vattenfall fordert Entschädigung für Milliardenverluste im Zuge des Atomausstiegs. Auch wollen Investoren beim zyprischen Staat entgangene Gewinne einklagen, weil dieser 2012 die Pleitebank Laiki größtenteils verstaatlicht hat. Die konzernkritische Nicht-Regierungs-Organisationen Corporate Europe Observatory (CEO) warnt bereits vor einer „Welle von Investor-Staat-Klagen gegen Europas von der Wirtschaftskrise gebeutelte Länder“. Auch die UN-Handelsorganisation UNCTAD meldet einen starken Anstieg der Investor-Staat-Schiedsverfahren.

Auch die EU-Regierungen sind sich der Gefahren zumindest bewusst. In den Verhandlungs-Leitlinien heißt es: „Der Mechanismus für die Streitbeilegung zwischen Investor und Staat sollte Schutz vor offensichtlich ungerechtfertigten oder leichtfertigen Klagen beinhalten.“ Ein Bündnis aus 140 zivilgesellschaftliche Organisationen beiderseits des Atlantiks fordert dagegen, die Investor-Staat-Schiedsgerichtsbarkeit (ISDS) ganz aus TTIP zu streichen, damit der Gesetzgeber bei Markteingriffen handlungsfähig bleibt.

Die EU-Regierungen erklären zumindest in ihren Verhandlungszielen für TTIP, der Investitionsschutz solle staatliche Handlungsspielräume in sensiblen Bereichen nicht einschränken. So sollen die EU-Staaten weiterhin Maßnahmen ergreifen können, um „legitime Gemeinwohlziele“ etwa in den Bereichen Umwelt und Gesundheit zu verfolgen.

Der grüne EU-Abgeordnete Sven Giegold hält dennoch an seiner Kritik fest. „Es kann nicht oft genug betont werden, dass internationale Schiedsgerichte, bei denen Unternehmen zum Beispiel gegen Umweltgesetze oder Arbeitsrechte klagen, die Parlamente in Europa entmachten können“, so Giegold.

Die EU-Kommission hat die Verhandlungen über den Investitionsschutz nach der massiven Kritik ausgesetzt, sieht sich aber auf dem richtigen Weg. EU-Handelskommissar Karel De Gucht erklärt, er wolle das Investitionsschutzsystem transparenter und unparteiischer machen. TTIP werde das Recht der EU-Mitgliedstaaten, Regelungen im öffentlichen Interesse zu treffen, uneingeschränkt wahren.

Absenkung von Umwelt- und Sozialstandards

Kritiker fürchten, TTIP könnte zu einer Verschlechterung von Umwelt- und Verbraucherschutzstandards führen. Das Abkommen könne beispielsweise den EU-Markt für gentechnisch veränderte Pflanzen (wie Mais und Tomaten), hormonbehandelte Rinder und mit Chlor gesäuberte Hähnchen aus den USA öffnen.

Die Kommission weist die Befürchtungen zurück. "Über Standards will die EU mit den USA nur unter einer strikten Bedingung sprechen: dass wir unsere in Europa erreichten Schutzmechanismen nicht aufgeben oder verwässern. Wenn es um Gesundheit oder Umweltschutz geht, wird die EU am Verhandlungstisch keine Kompromisse machen. Hormonfleisch zum Beispiel ist in der EU nicht zugelassen, und die EU hat nicht vor, dieses Verbot eines Abkommens willen anzutasten." In Punkto gentechnisch veränderte Organismen (GVO) verweist die Kommission darauf, dass diese bereits heute in der EU zugelassen werden können, auf Grundlage einer Risikobewertung durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA). An dieser Praxis soll sich durch TTIP nichts ändern.

Der Publizist Werner Rügemer fürchtet außerdem, TTIP werde Arbeitnehmerrechte aushöhlen. Es bestehe etwa die Gefahr, dass sich europäische Unternehmen vermehrt in US-Sonderwirtschaftszonen ansiedeln, in denen gewerkschaftliche Aktivitäten eingeschränkt werden. Der Deutsche Gewerkschaftsbund fordert, dass die USA im Rahmen des Freihandelsabkommens zumindest die acht grundlegenden Kernarbeitsnormen der IAO ratifizieren, darunter das Recht der Arbeitnehmer auf Vereinigungsfreiheit.

Gefahr für Europas Kulturförderung?

Der Deutsche Kulturrat fürchtet, TTIP könne die Kulturförderung einschränken. In einer Stellungnahme (06.05.2013) heißt es: „Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen und der europäischen Kultur- und Medienproduktion sind gezielte Fördermaßnahmen wie beispielweise die Filmförderung, die Buchpreisbindung oder der ermäßigte Mehrwertsteuersatz für Kulturgüter. Sie dürfen nicht zur Disposition gestellt werden“.

Die Kulturpolitische Gesellschaft e.V. (KuPoGe) verfolgt die Verhandlungen mit "großer Aufmerksamkeit und Besorgnis", wie es in einer Stellungnahme (26. Juni 2014) heißt. TTIP könne erhebliche negative Folgen für die Kulturentwicklung in Deutschland und Europa haben. Die KuPoGe drängt darauf, den Kulturbereich bei den Freihandelsvereinbarungen außen vor zu lassen. "Nicht jeder Bereich gesellschaftlichen Lebens muss sich an der wirtschaftlichen Verwertungslogik messen lassen. Kultur ist in Europa auch ein öffentliches Gut (...).

Die französische Regierung setzte vor Start der TTIP-Verhandlungen durch, dass der Kultur- und Mediensektor ausgeklammert wird. Auch das EU-Parlament unterstützt diese Haltung in seiner TTIP-Resolution. Allerdings kann der Bereich wieder Eingang in die Verhandlungen finden, wenn die EU-Regierungen zustimmen. Berlin scheint das nicht zu wollen.

Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) erklärte (06.02.2014): „Wir treten einer neuen Liberalisierungsverpflichtung der Kultur entgegen, weil wir Sorge haben, dass anderenfalls unsere einzigartige kulturelle Vielfalt auf dem Spiel stünde. In den Verhandlungen zu diesem Freihandelsabkommen muss das erneut zum Ausdruck kommen.“ Auch die Gremienvorsitzendenkonferenz der ARD mahnt, „die generelle Ausnahme des kulturellen und audiovisuellen Sektors vom internationalen Verhandlungsmandat beizubehalten“. Die Regulierungsfähigkeit auf nationaler und europäischer Ebene dürfe nicht durch internationale Handelsabkommen wie TTIP unterlaufen werden. [weniger anzeigen]


Links zum Thema

Presse

Welt: Handelsabkommen wird zu einem Fall ohne Hoffnung, 23. Juli 2014

Videos zum Thema

Zuletzt aktualisiert: 23.Juli 2014