Im November 2013 erregte
Lori Wallach, US-Expertin für Handelsrecht und Direktorin der Verbraucherschutzorganisation Public Citizen, mit einer
Analyse des TTIP-Abkommens großes Aufsehen. TTIP gleiche einem „Monster aus einem Horrorfilm“. Das Abkommen sei ein „trojanisches Pferd zum Abbau des Sozialstaats“, die Verhandlungen darüber ein „Staatsstreich in Zeitlupe“. Die Kommission versucht, Bedenken zu zerstreuen. Die Kritik im Überblick:
Demokratiedefizit und Intransparenz
Vertreter der Zivilgesellschaft sehen in TTIP rechtsstaatliche und demokratiepolitische Probleme. So fordert beispielweise ein internationales Bündnis aus Nicht-Regierungs-Organisationen (darunter etwa Friends of the Earth Europe") in einem offenen Brief an die Verhandlungsführer, alle TTIP-Dokumente offenzulegen.
Auch aus Sicht des Vereins „Mehr Demokratie“ ist vor allem das intransparente und geheime Zustandekommen nicht hinnehmbar. Die nationalen Parlamente, das EU-Parlament, Verbraucherschützer und Umweltverbände seien kaum oder gar nicht in die Verhandlungen einbezogen.
Die Kommission weist den Vorwurf zurück. Sowohl die Bundesregierung als auch die deutschen Abgeordneten im Europäischen Parlament hätten maßgeblichen Einfluss auf die TTIP-Verhandlungen.
Neben vielen Details kritisiert der Mehr Demokratie e.V., dass TTIP als völkerrechtliches Abkommen kaum noch umkehrbar wäre. „Die TTIP-Bestimmungen werden für alle Ebenen bindend sein (EU, Bund, Länder, Gemeinden), damit werden ganze Politikfelder dem Einfluss der gewählten und demokratisch legitimierten Politik und auch Volksentscheiden entzogen (...)“.
Klagerechte für Unternehmen
Besonders umstritten ist der Investitionsschutz, den TTIP vereinheitlichen soll. Hier geht es um die Frage, wie Unternehmen gegenüber staatlichen Eingriffen geschützt sind. Die EU-Regierungen nennen als Ziele für den TTIP-Investitionsschutz etwa die gerechte Behandlung von Unternehmen, das Verbot unverhältnismäßiger, willkürlicher oder diskriminierender Maßnahmen, den Schutz der Unternehmen vor direkter und indirekter Enteignung und das Recht auf unverzügliche, angemessene und effektive Entschädigung (Siehe S.8 der EU-Verhandlungsziele).
Kritiker fürchten jedoch, TTIP könnte Schadensersatzklagen von Unternehmen gegen Staaten stark begünstigen. Wenn staatliche Eingriffe Unternehmensgewinne oder Gewinnerwartungen schmälern, sind solche Klagen schon heute auf Grundlage bilateraler Investitionsschutzabkommen möglich. Ein geheim tagendes Schiedsgericht bei der Weltbank in Washington (ICSID) englische Abkürzung ICSID) entscheidet über die Streitfälle. Deutschland ist seit der Gründung des ICSID im Jahre 1966 Mitglied.
Aktuell klagt dort beispielsweise der schwedische Energiekonzern Vattenfall gegen die Bundesregierung. Vattenfall fordert Entschädigung für Milliardenverluste im Zuge des Atomausstiegs.
Auch wollen Investoren beim zyprischen Staat entgangene Gewinne einklagen, weil dieser 2012 die Pleitebank Laiki größtenteils verstaatlicht hat. Die konzernkritische Nicht-Regierungs-Organisationen Corporate Europe Observatory (CEO) warnt bereits vor einer „Welle von Investor-Staat-Klagen gegen Europas von der Wirtschaftskrise gebeutelte Länder“. Auch die UN-Handelsorganisation UNCTAD meldet einen starken Anstieg der Investor-Staat-Schiedsverfahren.
Auch die EU-Regierungen sind sich der Gefahren zumindest bewusst. In den Verhandlungs-Leitlinien heißt es: „Der Mechanismus für die Streitbeilegung zwischen Investor und Staat sollte Schutz vor offensichtlich ungerechtfertigten oder leichtfertigen Klagen beinhalten.“ Ein Bündnis aus 140 zivilgesellschaftliche Organisationen beiderseits des Atlantiks fordert dagegen, die Investor-Staat-Schiedsgerichtsbarkeit (ISDS) ganz aus TTIP zu streichen, damit der Gesetzgeber bei Markteingriffen handlungsfähig bleibt.
Die EU-Regierungen erklären zumindest in ihren Verhandlungszielen für TTIP, der Investitionsschutz solle staatliche Handlungsspielräume in sensiblen Bereichen nicht einschränken. So sollen die EU-Staaten weiterhin Maßnahmen ergreifen können, um „legitime Gemeinwohlziele“ etwa in den Bereichen Umwelt und Gesundheit zu verfolgen.
Der grüne EU-Abgeordnete Sven Giegold hält dennoch an seiner Kritik fest. „Es kann nicht oft genug betont werden, dass internationale Schiedsgerichte, bei denen Unternehmen zum Beispiel gegen Umweltgesetze oder Arbeitsrechte klagen, die Parlamente in Europa entmachten können“, so Giegold.
Die EU-Kommission hat die Verhandlungen über den Investitionsschutz nach der massiven Kritik ausgesetzt, sieht sich aber auf dem richtigen Weg. EU-Handelskommissar Karel De Gucht erklärt, er wolle das Investitionsschutzsystem transparenter und unparteiischer machen. TTIP werde das Recht der EU-Mitgliedstaaten, Regelungen im öffentlichen Interesse zu treffen, uneingeschränkt wahren.
Absenkung von Umwelt- und Sozialstandards
Kritiker fürchten, TTIP könnte zu einer Verschlechterung von Umwelt- und Verbraucherschutzstandards führen. Das Abkommen könne beispielsweise den EU-Markt für gentechnisch veränderte Pflanzen (wie Mais und Tomaten), hormonbehandelte Rinder und mit Chlor gesäuberte Hähnchen aus den USA öffnen.
Die Kommission weist die Befürchtungen zurück. "Über Standards will die EU mit den USA nur unter einer strikten Bedingung sprechen: dass wir unsere in Europa erreichten Schutzmechanismen nicht aufgeben oder verwässern. Wenn es um Gesundheit oder Umweltschutz geht, wird die EU am Verhandlungstisch keine Kompromisse machen. Hormonfleisch zum Beispiel ist in der EU nicht zugelassen, und die EU hat nicht vor, dieses Verbot eines Abkommens willen anzutasten." In Punkto gentechnisch veränderte Organismen (GVO) verweist die Kommission darauf, dass diese bereits heute in der EU zugelassen werden können, auf Grundlage einer Risikobewertung durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA). An dieser Praxis soll sich durch TTIP nichts ändern.
Der Publizist Werner Rügemer fürchtet außerdem, TTIP werde Arbeitnehmerrechte aushöhlen. Es bestehe etwa die Gefahr, dass sich europäische Unternehmen vermehrt in US-Sonderwirtschaftszonen ansiedeln, in denen gewerkschaftliche Aktivitäten eingeschränkt werden. Der Deutsche Gewerkschaftsbund fordert, dass die USA im Rahmen des Freihandelsabkommens zumindest die acht grundlegenden Kernarbeitsnormen der IAO ratifizieren, darunter das Recht der Arbeitnehmer auf Vereinigungsfreiheit.
Gefahr für Europas Kulturförderung?
Der Deutsche Kulturrat fürchtet, TTIP könne die Kulturförderung einschränken. In einer Stellungnahme (06.05.2013) heißt es: „Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen und der europäischen Kultur- und Medienproduktion sind gezielte Fördermaßnahmen wie beispielweise die Filmförderung, die Buchpreisbindung oder der ermäßigte Mehrwertsteuersatz für Kulturgüter. Sie dürfen nicht zur Disposition gestellt werden“.
Die Kulturpolitische Gesellschaft e.V. (KuPoGe) verfolgt die Verhandlungen mit "großer Aufmerksamkeit und Besorgnis", wie es in einer Stellungnahme (26. Juni 2014) heißt. TTIP könne erhebliche negative Folgen für die Kulturentwicklung in Deutschland und Europa haben. Die KuPoGe drängt darauf, den Kulturbereich bei den Freihandelsvereinbarungen außen vor zu lassen. "Nicht jeder Bereich gesellschaftlichen Lebens muss sich an der wirtschaftlichen Verwertungslogik messen lassen. Kultur ist in Europa auch ein öffentliches Gut (...).
Die französische Regierung setzte vor Start der TTIP-Verhandlungen durch, dass der Kultur- und Mediensektor ausgeklammert wird. Auch das EU-Parlament unterstützt diese Haltung in seiner TTIP-Resolution. Allerdings kann der Bereich wieder Eingang in die Verhandlungen finden, wenn die EU-Regierungen zustimmen. Berlin scheint das nicht zu wollen.
Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) erklärte (06.02.2014): „Wir treten einer neuen Liberalisierungsverpflichtung der Kultur entgegen, weil wir Sorge haben, dass anderenfalls unsere einzigartige kulturelle Vielfalt auf dem Spiel stünde. In den Verhandlungen zu diesem Freihandelsabkommen muss das erneut zum Ausdruck kommen.“ Auch die Gremienvorsitzendenkonferenz der ARD mahnt, „die generelle Ausnahme des kulturellen und audiovisuellen Sektors vom internationalen Verhandlungsmandat beizubehalten“. Die Regulierungsfähigkeit auf nationaler und europäischer Ebene dürfe nicht durch internationale Handelsabkommen wie TTIP unterlaufen werden.
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