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Europa und die BRICS: verliert die EU den Anschluss?


Ein Diskussionsanstoß der Redaktion

Am 29. Januar 2014 um 18 Uhr diskutiert der Außenpolitische Sprecher der CDU/CSU Bundestagsfraktion, Philipp Mißfelder, mit uns bei der Schwarzkopf-Stifung Junges Europa  zum Thema „Europa und die BRICS: verliert die EU den Anschluss?“

Diskutiert das Thema und gestaltet so die Fragen für die Moderation der Veranstaltung mit!

Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika gewinnen zunehmend an internationaler Bedeutung: die Länder vereinen knapp über 40 Prozent der Weltbevölkerung, weisen ein kontinuierlich starkes Wirtschaftswachstum auf und sind zunehmend präsent in der Diskussion globaler Herausforderungen. Obwohl die EU strategische Partnerschaften mit den jeweiligen BRICS Staaten aufgebaut hat, bevorzugen diese noch immer bilaterale Beziehungen zu einzelnen EU-Mitgliedstaaten. Abseits der Wirtschaftsbeziehungen wird die EU als außenpolitischen Akteur nur wenig wahrgenommen. Dazu kommt, dass die EU seit Jahren mehr mit sich selbst und der Eurokrise beschäftigt ist, als international eine große Rolle zu spielen.

Diskutiert bereits jetzt die These Philipp Mißfelders zum Thema „Europa und die BRICS: verliert die EU den Anschluss?“:

Die Bewältigung der Staatsschuldenkrise, die Diskussion über die Zukunft der Eurozone und zähe Reformprozesse in unseren Wirtschafts-, Finanz- und Sozialsystemen haben in den vergangenen Jahren zu einer inneneuropäischen Nabelschau geführt. Dennoch teile ich die Befürchtungen nicht, Europa könnte den Anschluss verlieren. Als Verbund von 28 Staaten mit knapp 500 Millionen Einwohnern und als größter gemeinsamer Markt der Welt kommt der EU zwangsläufig eine herausragende Bedeutung zu. Hinzu kommen ungelöste territoriale, soziale und demographische Probleme in den BRICS-Staaten, die mittlerweile das Wachstum in diesen Ländern signifikant beeinträchtigen.

Was denkt ihr? Fliegt Europa raus aus dem Konzert der Großen? Welche Herausforderungen muss die EU meistern, um mit den BRICS-Staaten mithalten zu können?


Kommentare

  • Nur wirtschaftlich gesehen: Obwohl die BIP (Bruttoinlandsprodukt) - Wachstumsrate der EU schon seit längerem niedriger liegt als bei den BRICS Staaten (siehe Eurostat 2012) , ist das BIP per capita  (was natürlich, meiner Sicht nach, der wichtigste Faktor für den Bürger ist) der EU mehr als 33% höher als das BIP  per capita Russlands (was wiederum dreifach so hoch ist als das BIP per capita Chinas ist). Auch das BIP in laufenden Preisen (und laufenden Wechselkursen) der EU liegt wesentlich höher als das BIP  at current prices der BRICS Staaten. Dies zeigt uns, dass es wirtschaftlich gesehen der  EU viel besser geht als den BRICS Staaten. Ob es aber so bleibt, ist nur Spekulation.

    • Danke für den Hinweis! Nur gefühlt hat uns China schon "überholt".

      Insgesamt glaube ich, die ökonomische Debatte ist nicht mehr so wie in den 90ern zu führen, als Produktion im großen Stil aus Europa in die BRICS wanderte, und zwar aus folgenden Gründen:

      1. In der Produktion brauchen wir immer weniger Menschen. Die Automatisierung lässt die Bedeutung der Lohnkosten stark sinken. Es macht eines Tages vielleicht gar keinen Sinn mehr, die Waren wochenlang aus China hierher zu schiffen. Große Hallen mit industriellen 3-D-Druckern in der Nähe der Ballungsräume reichen dann vielleicht schon. Auch die Rahmenbedingungen könnten in Europa attraktiver sein (Rechtssicherheit, weniger Korruption etc). Den Trend "Rückverlagerung der Industrie nach Deutschland" vermeldete 2012 die Berliner Zeitung. Ich weiß leider nicht, wie es aktuell aussieht.

      2. China will selbst nicht mehr die Werkbank der Welt sein. Stattdessen setzt man auf den eigenen Binnenmarkt, die Löhne steigen. Das Modell Billiglohnland ist für keinen der BRIC-Staaten auf Dauer attraktiv.

      Daher die Frage: Geht es hier um die ökonomische Konkurrenz oder um die politisch/militärische?

      • Gute Frage Rabaka! Was macht uns eigentlich am meisten Angst, wenn wir darüber diskutieren, ob andere Länder uns überholen oder nicht? Und beinhaltet das Überholen gleich, dass es uns dann schlechter geht oder den Menschen, in den anderen Ländern nur besser als zuvor?

      • Lieber Rabaka,

        das ist keine so leicht zu beantwortende Frage. Auch Herr Mißfelder konnte darauf keine klare Antwort geben. Was die BRICS-Staaten seiner Meinung nach auf politischer Ebene vereint, sei ihr ausgeprägter Anti-Amerikanismus.

        Es geht also um mehr als nur reines wirtschaftliches Denken. So haben die BRICS-Staaten auf ihrem Gipfel im südafrikanischen Durban 2013 beschlossen, eine gemeinsame Entwicklungsbank (als Gegengewicht zur Weltbank und dem Internationalen Währungsfond) zu gründen. Sie wollen den Einfluss des US-Dollars auf die Weltwirtschaft zurückdrängen und selbst darüber entscheiden, wo und wie investiert wird.

  • Ich finde die Debatte "Wer wächst schneller? Wer holt auf? Wer verliert den Anschluss?" oft eindimensional. Es sollte auch um die Frage gehen, wie nachhaltig Wachstum und Wirtschaft ist und wie breit der Wohlstand verteilt wird. Hier sollte Europa seine Standards (Umwelt, Sozialstaat, Rechtsstaat und Demokratie) nicht vorschnell über Bord werfen, nur um mit 'den' Chinesen und anderen 'mitzuhalten'. Für mich verlaufen die Fronten in diesem globalen Wettbewerb auch nicht unbedingt zwischen Staaten oder Kontinenten, sondern eher zwischen arm und reich, oben und unten. Schlimm fände ich, wenn man aus neoliberalem, Staaten gegeneinander auspielendem Denken heraus die Eurozone zu einer Art Wettbewerbs-Höllen-Maschine umbaut, in der wir uns alle zu Tode konkurrieren, damit uns "die Chinesen" nicht einholen - und all das nur zu Gunsten einiger weniger Superreicher.

    Ein Augenöffner ist dieses Video zur globalen Wohlstandsverteilung

  • Der Ansatz dieser Diskussion muss komplexer sein. Es ist zu pauschal, über "die" Wirtschaftsentwicklung der BRICS zu sprechen, da alle fünf Einzelwirtschaften zu unterschiedlich in ihrer Entwicklung sind. China ist den anderen um Jahrzehnten voraus, Brasilien und andere Länder wie Mexico oder Indonesien werden möglicherweise noch vor Indien zu Kraftzentren werden. Eine Krise in Brasilien oder Indien reflektiert nicht schon die Entwicklung in China, von der Russischen Föderation ganz zu schweigen. Hier ist Differenzierung vonnöten. Für richtig halte ich allerdings die These, daß Europa tendentiell abgehängt wird von den Schwellenländern, wenn wir die Integration der EU nicht konsequent fortsetzen und uns zu einem handlungsfähigen globalen Akteur entwickeln. Selbst Deutschland oder Frankreich, vor den kleineren EU-Statten ganz zu schweigen, sind in 30 Jahren zu klein, um im Konzert der Grossen mitzuspielen. Bis dahin aber hat gerade die deutsche Wirtschaft sehr gute Chancen, ihre Position auf den wichtigen Schwellenländer-Märkten zu halten und sogar weiter auszubauen.

    • Ich bin auch für mehr Differenzierung. Wer hat denn überhaupt behauptet, die EU verlöre den Anschluss? Ist Angela Merkel gemeint, die sich ständig um Europas Wettbewerbsfähigkeit sorgt? Widerspricht Herr Mißfelder also seiner Kanzlerin? Das wäre ja mal ein Ding :).

      • Momentan sieht es wirtschaftlich ja eh nicht mehr so gut aus für die BRICS-Staaten, da sich die Investoren zurück ziehen und Inflation droht. Aber auch wenn dem nicht so wäre: Muss es uns in Europa unbedingt schlechter gehen, wenn es 43% vom Rest der Welt endlich besser geht?

    • Hey dashi13! Auch Philipp Mißfelder stimmt mit dir überein, dass man die BRICS-Staaten nicht über einen Kamm scheren kann, da die fünf Einzelwirtschaften sehr unterschiedlich seinen. So hält er es eh für verkehrt, dass Südafrika zu diesem Verbund von BRICS-Staaten zählt und redet stattdessen noch von den BRIC. Zudem sieht er die Türkei als eines der wichtigsten aufstrebenden Volkswirkschaften, mit denen auch die Deutschen und die EU eng zusammenarbeiten müssen. Übrigens: Eine Meinung, die er erst in den letzten Jahren entwickelt hat.

  • Was ist denn mit dem am letzten Wochenende in Davos von Ökonomen angemerktem Fakt, dass der Boom der Schwellenländer bald zu Ende sei? Hier z.B.. Lustig finde ich die im Artikel von Aktienstratege Edwards verwendeten Interpretation des Akronyms „BRIC“ als „Bloody Ridiculous Investment Concept“ - klingt ja nicht so zukunftsträchtig.

    Wie auch immer - in Hinblick auf das „Platzen dieser Blase“, stelle ich mir die Frage, ob die Formulierung so richtig ist, ob die EU den Anschluss verliert? Denn es scheint mir doch eher so, als sei der Zusammenschluss BRICS am Wanken und würde zumindest deswegen nicht ein langfristiges Gegengewicht zur EU bilden.

    Mißfelder befürchtet in seinem Statement ja eigentlich auch nicht, dass die EU den Anschluss verliert. Dennoch würde mich seine langfristige ökonomische Einschätzung, auch in Bezug auf die Entwicklung der BRICS-Staaten, interessieren. Und auch wie er in dem Zusammenhang den Ausspruch „Hinzu kommen ungelöste territoriale, soziale und demographische Probleme in den BRICS-Staaten, die mittlerweile das Wachstum in diesen Ländern signifikant beeinträchtigen“ meint - Probleme also, die vom ökonomischen Volumen des BRICS-Zusammenschlusses eigentlich doch unabhängig sind.

  • Das ist jetzt vielleicht nicht direkt zum Thema, aber ich wunder mich nur warum Russland überhaupt zu den BRICS-Staaten gehört? Ja, es ist vielleicht wirtschalftich schwächer als den meisten EU Länder aber im vergleich zu China etc. ist Russland eine unheimliche wirtschaftliche Macht!

    • Gute frage! Versteh ich leider auch nicht. Und was ist eigentlich mit den MINT-Staaten? Sind sie wirklich die Zukunft unserer Wirtschaft oder nur ein verzweifelter Versuch?

      • Ja, butterbrot. Es ist irritierend, dass Russland Teil der BRICS-Staaten ist - denn zum Einen ist es eine alte Industriemacht und zum Anderen sogar (halbes) Mitglied der G8-Staaten.

        Andererseits ist doch eigentlich China die stärkste Wirtschaftsmacht in dem ganzen Konglomerat, oder? Ziehen alle anderen Staaten da nicht hinterher?

  • Liebe Debattanten,

    die Redaktion liefert einen kurzen Hintergrund zu "Europa und die BRICS".

  • "Als Verbund von 28 Staaten mit knapp 500 Millionen Einwohnern und als größter gemeinsamer Markt der Welt kommt der EU zwangsläufig eine herausragende Bedeutung zu."

    Vermutlich wird die EU nicht auf ewig der größte Wirtschaftsraum der Welt bleiben. Und der Abstieg hat doch längst begonnen. Ich würde aber sagen: das ist nicht schlimm. Europa sollte aufhören die alten imperialen Träume zu träumen und sich lieber klar machen, dass territoriale, soziale und demographische Probleme der BRICS-Staaten in der Weltgesellschaft auch unsere Probleme sind.

  • Was mich an diesem ganzen Vergleich zwischen der EU und den BRIC-Staaten (ohne Südafrika oder mit?) interessiert: Bringt er die gemeinsame Identität der Europäer voran? Fühlen wir uns als Europäer wirklich verbundener, weil wir gegen die anderen antreten - ökonomisch, intellektuell, machtpolitisch? Das war meines Erachtens stets der Plan hinter diesen Vergleichen, der vor allem in Brüssel vorangetrieben wird. Eine Gruppe konstituiert sich eben immer in Abgrenzung und in Konkurrenz zu anderen. Aber ich glaube, diese Identitätsstiftung zieht einfach nicht. Mir kommt ein Spanier nicht einen Milimeter näher, nur weil wir zusammen gegen die Chinesen antreten. Dieser Spin der EU-Eliten ist mir einfach zu plump.

    • Lieber Bachmann,

      wir haben Deine Frage Herrn Mißfelder gestellt, auf unserer Veranstaltung mit der Schwarzkopf-Stiftung (29. Januar) in Berlin.

      Er wies zunächst Ängste vor den BRICS zurück. Konkret nannte er hier die Überschrift "Die gelbe Gefahr", mit der das Nachrichten-Magazin "Spiegel" vor einigen Jahren den wachsenden Einfluss Chinas in der Welt beschrieb. Mißfelder zufolge sind etwa chinesische Investitionen in deutsche Unternehmen nicht per se als Bedrohung anzusehen. So sei beispielsweise nicht gesagt, was besser für einen deutschen Mittelständler ist, das Investment einer US-Firma wie Goldman Sachs oder des chinesischen Staatsfonds CIC. Chinesisches Kapital sollte in Europa willkommen sein, so Mißfelder, auch mit Blick auf klamme EU-Staaten.

      Die europäische Identität beschwor Mißfelder bezeichnenderweise auch nicht im Verhältnis zu den BRICS, sondern in den transatlantischen Beziehungen. Es bestehe in Europa der kulturelle Konsens, dass die Werte Sicherheit und Freiheit gleichwertig sind. Das vertrete man gemeinsam gegenüber den USA. Es gibt Mißfelder zufolge also keinen Vorrang der Sicherheit vor Bürgerrechten wie der Privatsphäre. Hintergund der Äußerung ist die NSA-Affäre.