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Online Politik diskutieren: Klappt das?


FotoMännlich, weiß, besserwisserisch. Über Online-Kommentaroren kursieren viele diffuse Vorstellungen und (Vor-)Urteile. Foto: Ryan McGuire (CC0 1.0 Universell)

Ein Diskussionsbeitrag der Redaktion

Am 25. und 26. März waren Eva (Communitymanagerin von Publixphere) und ich (Projektleiterin dieses Vereins) auf der reCAMPAIGN unterwegs. Dort diskutierten wir mit Expertinnen und Experten darüber, wie man Leute dazu motiviert online politisch aktiv zu sein.

Wir stellen uns kurz selbst in Frage und wollen wissen: Funktioniert politische 'Meinungsbildung' online überhaupt?

Oder konkreter gefragt: Kann eine Online-Plattform in irgendeiner Weise Leute 'empowern' ohne im 'realen Leben' ein Gefühl von Zusammengehörigkeit und/oder Vertrauen hergestellt zu haben?

Liebe Online-Diskutierenede, warum seid ihr hier – und warum nicht eure beste Freundin?


Kommentare

  • Mit der Diskussionskultur, die wir heute online vorfinden, verhält es sich ein wenig wie mit der Gleichstellung von Mann und Frau. Theoretisch wie gesetzlich sind viele Hürden abgebaut. Praktisch gibt es aber maßgebliche Hindernisse. Wir haben heute weitreichende Möglichkeiten uns online zu diskutieren und uns auszutauschen. Faktisch sorgen aber unter anderem unterschiedliche Zugangsmöglichkeiten (Abdeckung zu Breitband, Technik usw.) und mangelnde Medienkompetenz dafür, dass sich weite Teile nicht an Onlinedebatten beteiligen. Hier müssen also Grundlagen geschaffen werden, die Menschen dazu befähigen sich einzubringen. Auf der anderen Seite sorgt die vorherrschende Diskussionskultur dafür, dass viele sich abgeschreckt fühlen. Es gilt angstfreie Arenen zu schaffen in denen Menschen sich austauschen und diskutieren können (Bezug nehmend auf einen anderen Kommentar: Die Kommentarspalte bei Spiegel Online ist nicht und Facebook ist das auch nicht.). Zusammenfassend: Es reicht nicht die Infrastruktur zu stellen und davon auszugehen, dass Menschen demokratisch, selbstorganisiert und ergebnisorientiert diskutieren. Infrastruktur trifft immer auch auf gesellschaftliche Strukturen. Diese gilt es zu erörtern und entsprechend zu moderieren, um eine Debattenkultur zu schaffen, die dazu führt, dass Menschen (auch online) Interesse an Debatte und Diskussion haben.

    • Jonas ist dafür
      +2

      tnehren, ich bin voll bei dir! Ist das schon Beteiligung wenn man auf Spiegel Online seine Meinung hinausschreit? Irgendwie schon. Dort findet jedoch keinerlei Diskussion statt. Einmal etwas geschrieben, ist es bald schon wieder in den Tiefen der Timeline, des Threats oder was auch immer verschwunden. Nachhaltigkeit (auch wenn ich dieses Wort nicht mag) ist da nicht gegeben. Ich will die Möglichkeit haben, ein ernsthaftes Feedback zu bekommen. Und wie du gesagt hast: nur wenn ich keine Angst habe, dass ich danach weder gemobbt noch getrollt werde, kann ich das aussprechen, was ich wirklich denke!

    • Lieber tnehren, da Du Dich wohl auf meinen Kommentar unten beziehst mit der Äußerung:

      Es gilt angstfreie Arenen zu schaffen in denen Menschen sich austauschen und diskutieren können (Bezug nehmend auf einen anderen Kommentar: Die Kommentarspalte bei Spiegel Online ist nicht und Facebook ist das auch nicht.).

      Ja das stimmt. Die "Kommentarkultur" ist oft nicht zimperlich, oft scheint Wut die Motivation (darum ging es hier schon in dieser Diskussion weiter unten).

      Eine andere Frage ist, ob man seine Meinung heute noch sagen will und kann. Wer weiß schon, was man riskiert, wie die Daten auf Facebook eines Tages ausgewertet werden? Kriegt man vielleicht irgendwann keine Einladung mehr zum Vorstellungsgespräch, weil das digitale Profil nicht passt?

      Also wie schaffen wir die sozial und ökonomisch angstfreie Arena?

      Was das Soziale betrifft: Ein Schritt für mich ist, auch digital zu reflektieren, dass wir alle Menschen sind, und man wenigstens versucht, den anderen zu verstehen und ihn nicht zu verletzen. Das klingt etwa gutmenschenmäßig naiv, aber eine Selbstverständlichkeit ist das nicht. Zumal ich beobachte, dass die digitale Kommunikation bei vielen eine Art Ich-Behauptungs-Reflex auslöst. ICH will nicht mit lauter Ichlingen leben :).

  • Das Internet ist ein ganz wichtiger Baustein, um politische Meinungsbildung zu betreiben: Menschen können sich schnell und umfassend über Themen und die aktuelle politische Lage informieren. Außerdem können sich Leute miteinander vernetzen, die so vielleicht nie aufeinander getroffen wären und miteinander diskutiert hätten.

    Aber dennoch gibt es diesen Moment, in dem Leute "politisiert" werden. Denn zu den Schritten von Meinungsbildung über Empowerment bis zur möglichen Aktion braucht es mehr - v.a. das Gefühl, Teil einer Gruppe zu sein und sich mit anderen Menschen für die Veränderung einzusetzen. Ich denke, dass politische Meinungsbildung, Selbstorganisation von Gruppen und auch, im Rückschluss, Selbstorganisation von z.B. politischem Protest (wie z.B. im Iran über Twitter) wunderbar über das Internet funktionieren.

    Irgendwo muss es aber diese soziale, offline-Komponente und das Zusammentreffen von Menschen geben. Wir können mittlerweile bereits keine klare Trennung mehr zwischen Off- und Online machen, so dass ich die o.g. Frage eigentlich nur mit "Ja" beantworten kann > eine Online-Plattform kann all dies, um die Motivation aber langfristig zu halten, müssen die Diskussionen jedoch immer mal wieder auch den Online-Raum verlassen.

    • Hey werko, heißt das, dass es online niemals das Gefühl, Teil einer Gruppe zu sein, geben wird? Ich glaube, ich weiß, was du meinst. Aber was ist beispielsweise mit Anonymous? Das ist eine reine Online-Gruppe, oder? Inwieweit die sich wirklich durchgesetzt hat, ist natürlich eine andere Frage, aber widerspricht das nicht deiner These, dass es immer eine offline-Komponete geben muss?

  • Interessant finde ich, insbesondere wenn ich mir die drei untenstehenden Kommentare durchlese, dass die Zugangsbarriere zu diesen Diskussionen sehr hoch ist. Wieviel Prozent der Bevölkerung Deutschlands würde die meisten Debatten die hier geführt werden nachvollziehen können (und wollen)? Es stellt sich aber halt die Frage, ob das ein Problem der Debatte oder der Bevölkerung ist.

    • Linnea ist dafür
      +2

      Hey AronD, du hast vollkommen Recht. Wer kommt erst mal auf diese Seite, meldet sich dann auch noch an oder diskutiert sogar mit? Und dann noch in einer Sprache, die manchmal sehr abschreckend sein kann. Du bist auf publixphere.de anonym unterwegs. Hilft dir das, dich zu beteiligen? Mich würde es riesig interessieren, wenn du schreibst, warum du den Mut hast mitzumachen!

  • Schwierige Frage. Ganz praktisch stelle ich erstmal fest, dass ich ständig Online-Kommentare auf Spiegel Online, Zeit online und überall lese, das ganze Zeug, von der puren Besserwisserei bis zur leuchtenden Erkenntnis.

    Ich empfinde diese Forenkultur schon mal als Schritt der Emanzipation oder "Empowerment" wie Ihr das nennt. Im Vergleich zu vor 10 Jahren bilden wir unsere Meinung online schon viel pluralistischer und bunter. Jeder kann ganz einfach selber Urheber, Journalist, Kommentator, Publizist, was auch immer sein.

    Die alten Meinungsführer, die Kommentar-Zampanos, haben Konkurrenz bekommen. Verschwunden sind sie aber nicht. Vielleicht weil wir immer noch Halt und Orientierung bei Alpha-Männchen a ala Hans-Ulrich Jörges suchen, die "gut" reden können? Oder weil sie tatsächlich informierter sind und mehr zu sagen haben? Oder weil wir im Schwarm dann eben doch die Autoritäten und Anführer suchen?

    Ich glaube schon daran, dass Menschen online politisch mehr bewegen können als früher offline. Denn aus einem einzelnen Zweifel können Zweifel bei vielen werden, die schließlich in die Massenmedien reinschwappen - siehe TTIP oder auch Russland. Vorher kannten Medien die Gedanken der Leser und Zuschauer ja nicht.

  • Liebes Forum, ein Lesetipp: Üben Online-Kommentare zu viel Einfluss auf die Politik und Medien aus? Hierzu äußert sich aktuell der Medienpsychologe Martin Lehmann (Universität Zürich) im Interview. Auch zur Frage, wer eigentlich kommentiert und wer nicht.

    Liebe Grüße, Alex

    P.S: Die Diskussion hier kann natürlich auch nach der reCAMPAIGN fortgeführt werden. Unseren Überlick zum Thema findet hier, alle laufenden Diskussionen zur Online-Partizipation hier.

  • Online-Plattformen alleine holen schon lang keinen mehr hinterm Ofen vor. Die meisten bieten einfach zu wenig Mehrwerte. Meinungsbildung funktioniert wohl problemlos online. Weil, alles was man ließt zur Meinungsbildung beiträgt. Um Menschen zu "empowern", muss man allerdings wesentlich mehr machen. Dazu brauch es eine Plattform, die große Mehrwerte für den Nutzer selbst bietet. Eine Plattform für nur ein einziges Thema ist unzeitgemäß. Das einzige Modell, was ich in der letzten Zeit gesehen habe, dass das einen solch hohen Mehrwert anscheinend bietet, ist das BürgerJoker-Modell http://www.beteiligungskompass.org/article/show/999

    Hier kann man Ideen, Wünsche und Vorschläge , Fragen und Antworten, Mängel und Beschwerden, soziale Projekte und Projektideen sowie Umfragen und Befragungen eintragen, verorten, teilen, bewerten und diskutieren. Da das System als Community aufgebaut ist und sich auch Abgeordnete, Vereine und Organisationen beteiligen, also Fachleute mit Auskunft geben können, finden sich hier über das Benutzerprofil auch Gleichgesinnte. So hat man Ansprechpartner für seine Anliegen. Das System informiert wohl auch automatisch über für mich relevante Inhalte und schlägt Personen vor, die mich interessieren könnten. Also vom Umfang und Mehrwert her, ist das wohl etwas, das locken könnte. Aber ohne Aktionen im öffentlichen Raum gehts auch hier nicht.

    • Lieber FranzEhmke,

      herzlichen Dank für die Anmerkungen. Hast du / haben Sie denn eigene Erfahrungen mit dem BürgerJoker-Modell der Bertelsmann Stiftung sammeln können? Das würde mich sehr interessieren.

      Was mir in der Selbstbeschreibung des Projektes auffällt, ist der Punkt mit der (fehlenden) Einbindung in und an Verwaltung. Unter der Überschrift "Schwächen" steht dort:

      Ohne Verwaltungsanschluss ist die Community auf den guten Willen der beteiligten Abgeordneten und Bürgermeister in der Community angewiesen. Nur sie können Inhalte über das Parlament zur Abstimmung stellen und eine Umsetzung beantragen.

      Aber was bringt es uns, wenn wir im Endeffekt auf ein Goodwill der Politik angewiesen sind? Wenn solche Arten von Beteiligungsangeboten in einzelnen Kommunen angeboten werden, muss doch auch klar geregelt werden, welche Möglichkeiten der Umsetzung gegeben sind, wenn sich genügend Menschen einem geäußerten Wunsch anschließen. Dass den Beteiligten also klar ist, wie sich Verwaltung und Politik zu ihren Vorschlägen und Ideen verhalten werden. Das wäre mein Wunsch.

  • Liebes Forum,

    wir möchten euch gerne auf folgende Diskussion zur Kommentarkultur im Internet aufmerksam machen und freuen uns über eure Meinung!

    "Kommentarkultur im Internet: Die Hassgesellschaft"

  • ...auch wenn wir uns vielleicht von herrschaftsfreien diskursen verabschieden müssen. aber wie ist das nun mit minderheiten, meint ihr, die werden vielleicht sogar besser abgebildet als in der analogen öffentlichkeit?

  • Thorsten ist dafür
    +1

    Hallo, Eure Seite ist sehr hochwertig erstellt. Grundsätzlich glaube ich, dass sich die Diskussionskultur auf Online-Plattformen in einer positiven Entwicklung befindet. Die Zugangsbarriere ist wie schon geschrieben immer ein Problem, wie auch die Verwendung immer neuer Bearbeitungsmöglichkeiten. Wenn ich jetzt rechts schaue, frage ich mich was es bedeutet wenn da steht: "Andere dürfen diesen Kommentar bearbeiten." Heißt das, dass andere darauf antworten dürfen? Des Weiteren ist dieses Kommentarfeld bei mir so ausgelegt, dass ich es zwar vergrößern kann, es jedoch beim bei der ersten Eingabe wieder minimiert wird, so dass ich nicht in der Lage bin meinen Text, während ich schreibe, im Zusammenhang zu verfolgen, weshalb ich es gleich erst einmal hierbei belassen werde. Es geht nicht nur um Diskussionsinhalte, sondern auch um die Benutzerfreundlichkeit bzw. transparente Pfade. Ihr solltet zudem darauf achten dass der Pfad von der Startseite ins Diskussionsforum deutlicher aufgezeigt wird. Beispielsweise mit dem einfachen Satz: "Hier könnt ihr Themen Diskutieren."

    • Linnea ist dafür
      +1

      Hey Thorsten, danke für all deine Anmerkungen.

      Und du hast vollkommen recht. Die Benutzerfreundlichkeit ist einer der entscheidenden Punkte. Denn wenn wir schon Menschen auf eine Plattform holen, dann ist es extrem blöd, wenn wir sie gleich wieder verschrecken, indem sie logisch nicht nachvollziehbar ist oder man auf der Seite verloren geht.

      Das Gute: publixphere.de wird diese Woche noch umgebaut! Und genau die Probleme, die du angesprochen hast, werden dann hoffentlich aufgelöst. Die Startseite wird eindeutiger und die Logik um einiges besser. Dann kann man viel besser von einem Thema bzw. Diskussion zur anderen wechseln. Auch das Kommentarfeld wir dann anders aussehen.

      Aber was wir noch bedenken müssen: Das besser und schneller erklärt wird, was bestimmte Dinge (wie "Andere dürfen diesen Kommentar bearbeite") bedeuten. Ich habe dieses Feld nun angeklickt. Wenn du willst könntest du meinen Kommentar nun auch bearbeiten. Das stelle ich dir hiermit frei! Du könntest dann meine Argumentation weiterführen, ohne, dass du einen neuen Kommentar anlegen musst. Es ist also einen weitere Möglichkeit miteinander zu kollaborieren.

    • Mit der Startseite meine ich jetzt speziell Euer Facebookprofil, über das ich eingeladen wurde hier mit zu diskutieren. Ich denke, dass auch die meisten Anderen hier über soziale Netzwerke reinkommen und der weitergehende Weg deshalb möglichst einfach aufgezeigt werden sollte.

      • Linnea ist dafür
        +1

        Ahhh, auch ein guter Punkt! Bist du nachher auch auf der reCampaign Session? Ich würde mich sehr freuen, wenn du uns noch ein paar mehr Tipps geben könntest.

        • Hallo Linnea, danke für die Einladung! Bin ein wenig eingespannt und leider nicht in der Lage prompt zu reagieren. Ich werde mal auf der reCampaign Session reinschauen. OK das mit dem bearbeiten habe ich auch verstanden nachdem ich mit dem Cusor auf Deinen Kommentar gegangen bin. Die Frage ist ob es sinnvoll ist auf diese Weise die Möglichkeit zu bieten, dass jeder Teilnehmer einen vorherigen Kommentar weiterführen kann. Aber das steht ja über das Kommentarfeld frei und ist somit doch gut!