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Kommentarkultur im Internet: Die Hassgesellschaft


Foto: Rayi Christian Wicaksono, CC ZeroDas Internet als Raum, wo sich Kommunikation und Diskurse demokratisieren und neu erblühen - ein ausgeträumter Traum? Das fragt Martin Walter auf ARD.de. Sein Text steht nun hier auf Publixphere zur Diskussion. Foto: Rayi Christian Wicaksono (CC0).


Ein Beitrag von Martin Walter, ARD.de

Von Toleranz ist in vielen Foren und Netzwerken wenig zu spüren, der Umgangston ist oft rau. Wie "Triebtäter" trampeln sogenannte Trolle durchs Netz und vergiften mit ihrem Spam die Online-Diskussionen. Woher rührt der wüste Umgang? Und welche Wirkung geht von den Hass-Kommentaren aus? Eine Bestandsaufnahme.

Wüste Beleidigungen, niveaulose Beschimpfungen, Drohungen im Internet: Stefan Kießling könnte ein trauriges Lied davon singen. Doch der Bundesliga-Stürmer aus Leverkusen hat keine Lust mehr. Er hat die Nase gestrichen voll, hat genug geredet, will abschließen. Verständlicherweise.

Nach seinem Phantomtor im Oktober 2013 quillt Kießlings Facebook-Seite über vor Kommentaren. Der Stürmer hatte ein Tor erzielt, das keines war, aber dennoch zählte. Ein Kuriosum. Dem gebürtigen Franken schlägt daraufhin auf der eigenen Fanpage der blanke Hass entgegen. Ohne echte Mitschuld geraten er und seine Familie ins Zentrum eines Shitstorms, werden in aller Öffentlichkeit zur Zielscheibe übler Verbaltiefschläge. Der heute 30-Jährige zieht die Notbremse, zum Selbstschutz nimmt er die Seite vorübergehend offline.

Provokation als Vollzeitjob

Kießling kapituliert vor dem Pöbel-Terror und wird so zum prominenten Opfer einer wüsten Kommentarkultur, die in vielen Bereichen des Internets entstanden ist. Ob in Foren, Kommentarspalten oder Sozialen Netzwerken: Es wird provoziert und beleidigt, angeraunzt und angepampt, geschimpft und gezetert.

"Provozieren, das ist wie ein Orgasmus", gestand unlängst ein Vielkommentierer gegenüber der FAZ. Er kommentiert überall im Netz, von morgens bis in die Nacht, sieben Tage die Woche. Für Nutzer wie ihn hat sich der Begriff "Troll" etabliert. Kommentatoren, die keine Diskussion wollen, sondern auf Streit aus sind, destruktiv und zerstörend. Und damit oft genug eine Debatte an sich reißen und ersticken. "Sadismus, Psychopathie und Narzissmus" kennzeichnen laut einer Online-Studie aus Kanada den typischen Troll. Das Motiv? "Trolls just want to have fun", beschreibt es die Untersuchung - und das Internet ist der Spielplatz.

Nicht allein Einzelpersonen, auch Unternehmen und die Medien geraten in ihr Visier. "Systempresse", "Kriegstreiber" oder "GEZ-Mafia" sind dutzendfach unter geteilten Links und Artikeln zu lesen. Beschimpfungen, die noch zur harmloseren Sorte gehören. Trolle legen gefälschte Nutzerkonten, sogenannte Fake-Accounts, an, rotten sich in Foren zusammen und überfluten gezielt komplette Social-Media-Auftritte mit ihrem Spam.

Antisemitismus und Verschwörungstheorien

Beliebte Reizthemen sind Antisemitismus, Homophobie oder Feminismus, auch krude Verschwörungstheorien genießen Hochkonjunktur im Netz. Nach dem Tod von Robin Williams spammte ein einzelner Troll in kürzester Zeit mehr als 50 unappetitliche, teils antisemitische Kommentare unter eine Meldung bei Zeit Online - ungeachtet der Tatsache, dass Williams selbst gar kein Jude war.

Die Seitenbetreiber stehen dem Problem oft ratlos gegenüber. Während sich die einen tapfer durch die Kommentarflut wühlen und Ausreißer sperren, überlassen andere die Diskussionen ihrem Schicksal oder schränken die Kommentarfunktion ein.

Einige gehen selbst in die Offensive. Unter dem Motto "Wider den rauen Ton im Netz" warb das Handelsblatt Anfang Oktober 2014 mit einer Aktionswoche für eine bessere Debattenkultur. "Nicht wie Triebtäter durchs Netz trampeln", appellierte Online-Chefredakteur Oliver Stock zum Auftakt an die Trolle. Was oft in Vergessenheit gerät: Auch am anderen Ende der Internetleitung sitzt ein Mensch, der die unflätige Kommentarflut verarbeiten muss.

Ein Erklärungsansatz für den verrohten Ton scheint auf der Hand zu liegen: Anonymität. "Computerbasierte Kommunikation bietet generell die Möglichkeit zu anonymerem Verhalten," sagt Christiane Eichenberg, Professorin für Klinische Psychologie, Psychotherapie und Medien an der Sigmund Freud Privat Universität in Wien. Dies führe zu zweierlei Tendenzen: "Zum einen fühlen Nutzer sich freier und sind emotional ehrlicher, zum anderen verhalten sie sich rauer", so Eichenberg.

Die Wissenschaft spricht in diesem Zusammenhang vom sogenannten "Disinhibition Effect" nach Suler, zu deutsch so etwas wie ein "Online-Enthemmungseffekt". Ohne soziale Kontrollinstanz fällt es vielen Menschen im Internet schwer, ihre Impulse zu zügeln. Ein Phänomen, das sich nicht auf junge Menschen beschränkt - und keine neue Erscheinung ist. "Schon in den 1990er-Jahren gab es den Begriff des 'Flaming', der asoziales Verhalten im Netz charakterisiert", so Eichenberg.

Thilo Sarrazin, der Offline-Troll

"Ich glaube, dass im Netz etwas aufscheint, was offline schon zu einem großen Problem geworden ist: Es gibt keine richtige Diskussionskultur in diesem Land", meint Dirk von Gehlen, Leiter Social Media bei der Süddeutschen Zeitung. Das Verhalten der Online-Trolle auf den Webseiten großer Medien vergleicht er mit dem provokanten Auftreten von Thilo Sarrazin in der realen Welt. Folgt man dieser Betrachtungsweise spiegelt die Kommentarkultur im Netz eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung.

Dabei könnte es so schön sein. Das Internet als Raum, wo sich Kommunikation und Diskurse demokratisieren und neu erblühen - ein ausgeträumter Traum? Die Realität sieht vielfach anders aus. Dennoch glaubt Prof. Dr. Eichenberg an die Selbstregulierung vieler Foren und Communitys, indem Spammer ausgeschlossen werden und adäquaten Beiträgen Gehör verschafft wird.

"Don't feed the trolls" ("Trolle niemals füttern") gilt längst als goldene Regel für den Umgang mit den Störenfrieden. Allen anderen Nutzern rät Prof. Dr. Eichenberg zum Ignorieren: "Sich nicht verstricken lassen, aus der Diskussion aussteigen und selbst in dem Sinne ein Vorbild sein, dass es im Netz - wie im 'real life' - soziale Regeln und Normen gibt." Im Internet heißen sie "Netiquette". Zu finden sind diese Umgangsregeln auf den Social-Media-Seiten fast aller Medien, auch beim Facebook-Auftritt von ARD.de.

"Wir schicken den Scheiß zurück"

Längst treibt der Umgang mit dem Hass aber auch kreative Blüten. Für die YouTube-Reihe Disslike lesen Prominente wie Gregor Gysi oder Jan Böhmermann vor der Kamera abfällige Kommentare über sich selbst vor und erhalten die Möglichkeit, direkt darauf einzugehen. Ein unterhaltsamer Weg, den oft beleidigenden Aussagen die Ernsthaftigkeit zu nehmen.

Den gleichen Ansatz verfolgen die Macher der Satireshow "Hate Poetry". Seit 2012 geben Journalisten mit Migrationshintergrund auf der Bühne statt selbst geschriebener Poesie rassistische Leserpost zum Besten, die sie erhalten haben. "Wir sagen immer, wir schicken den Scheiß zurück in die Umlaufbahn. Sonst sind wir damit alleine, und dann tut das weh", erklärt Zeit-Journalist Yassin Musharbash den reinigenden Charakter.

Auch Stefan Kießling hat genug von all den Beschimpfungen. Seine Fanpage bei Facebook hat er vor wenigen Wochen endgültig abgemeldet, die Kontaktseite auf seiner Homepage läuft ins Leere. Interviewanfragen zum Thema lehnt er ab. Während die "virtuellen" Pöbler weiterziehen, lassen ihre verletzenden Kommentare "reale" Menschen mit Narben zurück. Um Hatern und Trollen nicht das Feld zu überlassen, bedarf es - wie im echten Leben - der Zivilcourage und Einmischung der anderen Nutzer - auch im Sinne einer konstruktiven Kommentarkultur.


Der Text dieses Beitrags steht unter der Creative Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0. Quellen: Christiane Eichenberg, Yassin Musharbash, Dirk von Gehlen, Martin Walter. Der Text ist zunächst am 16. November 2014 auf ARD.de erschienen.


Kommentare

  • Die ARD verdient sich ihre Trolle regelrecht!

    Was mich zum Beispiel stört, ist die Tatsache, dass sich einzelne Redaktionen nicht an die eigenen Programmgrundsätze, bzw. Werberegeln, der ARD halten. Abgesehen davon, dass Werbung nach 20 Uhr eigentlich nicht zulässig ist, sollen Einblendungen z.B. für Facebook-Angebote zumindest stets auch mit dem Verweis auf eigene Netz-Angebote ergänzt werden.

    Dennoch ist die Praxis der PlusMinus-Redaktion eine andere. Deutlich nach 20 Uhr wird dort nämlich einzig für die Diskussion auf Facebook geworben, ohne eigene Angebote zur Verfügung zu stellen. Dass es sich hierbei nicht um ein Versehen handelt, ist dadurch erkennbar, dass die PlusMinus-Redaktion ihre Praxis trotz meines Hinweises nicht geändert hat. Ein weiteres Ärgernis ist dabei, dass die PlusMinus Redaktion auf meine Mail bzw. meine Fragen schlicht nicht antwortete, sondern lediglich den Eingang bestätigte.

    Mit Mail vom 13.11.2014 schrieb ich an die PlusMinus-Redaktionen von BR, HR, MDR, NDR, SR, SWR und WDR sowie den Pressedienst der ARD:

    „Nach 20 Uhr ist Werbung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen verboten. Daher würde ich gerne für meinen Blog wissen:

    Wie stehen Sie zur regelmäßigen Nennung von Facebook in Ihrer Sendung sowie zu Ihrer Einladung dort über Ihre Sendung zu diskutieren? Wie verträgt sich Ihre Werbung für Facebook mit dem obengenannten Verbot? Werden Sie trotz des Werbeverbot weiterhin für die Nutzung von Facebook werben?“

    Nachdem ich keine Antwort erhalten habe, schließe ich nun: Wen man Facebook nicht nutzt, zum Beispiel weil man nicht bereit ist, Content für einen amerikanischen Internetdienstleister zu erstellen, wird man bei PlusMinus bewusst wie ein Mensch zweiter Klasse behandelt, dessen Meinung schlicht ignoriert werden kann. Ich denke, auch so verdient sich die ARD ihre Trolle. Denn, wer absichtlich Gebührengelder für die Bewerbung kommerzieller Internetdienstleister zweckentfremdet, darf sich am Ende nicht über den Stempel „GEZ-Mafia“ beschweren.

    P.S.: Inhaltlich bin ich mit PlusMinus zufrieden, aber der eine Satz „Wir sind gespannt, was Sie uns auf Facebook posten“ (26.11.2014) mit der entsprechenden Werbe-Einblendung, verleidet mir die ganze Sendung.

    • Auch wieder ein schönes Beispiel: Mein Versuch, einen Tagesschau-Beitrag zur ungleichen Verteilung von Vermögen in der Welt zu kommentieren, scheiterte:

      „Natürlich ist nicht nur unsere Wirtschaftspolitik alleine Schuld, aber auch sie trägt dazu bei, dass sich dieser Graben verschärft.

      Wenn westliche Gen-Nahrung heimische Bauern verdrängt, der durch die Industrienationen verursachte Klimawandel die Ärmsten trifft und Global Player die Rohstoffe für die reichen Teile der Weltbevölkerung sichern, dann ist das die Schrift des neoliberalen Zeitgeists, die uns sagt, "Der Markt ist gerecht".

      abc.mister-ede.de/politik/unsere-schuld-und-fremdes-leid/1579“

      Warum mein Beitrag nicht veröffentlicht wird? Keine Ahnung! Aber zumindest hat auch mein beim zweiten Anlauf angefügtes „Was ist an dem Beitrag so schlimm, dass Sie ihn nicht freischalten?“ nicht geholfen

  • Online/Offline: Mein Eindruck ist, dass immer dann, wenn unterschiedliche Auffassungen aufeinanderprallen, die Gefahr besteht, dass bei einer Auseinandersetzung die sachliche Ebene verlassen wird. Das ist allerdings meines Erachtens online nicht anders als offline. Das Netz allerdings ermöglicht, dass viel häufiger unterschiedliche Auffassungen aufeinanderprallen, womit es in der Folge häufiger zu groben Auseinandersetzungen kommt.

    Drüberstehen: Was Beleidigungen sowohl im Netz als auch außerhalb anbelangt, kommt es auch immer auf die Persönlichkeit an. Häufig prallen Beleidigungen an mir ab und gelegentlich empfinde ich diese sogar als Bestätigung, weil das je nach Situation zeigt, dass derjenige keine Argumente mehr hat. Außerdem suche ich z.B. online wie offline bewusst die Debatte bzw. den Dialog (durchs Sprechen lernen), weshalb ich im Gegenzug auch in einem gewissen Maße akzeptieren kann, wenn es mal etwas rauer zugeht. Gelegentlich ist mir das sogar lieber, als wenn Leute rumdrucksen und nicht klar sagen was sie denken.

    Beispiel: Hier fühle ich mich zum Beispiel überhaupt nicht beleidigt und gehe davon aus, dass das bei meinem Gegenüber auch der Fall ist, obwohl das eine etwas harschere Auseinandersetzung war (Kommentar-Debatte zur Krim beim Freitag)

    Trolle: Was ist ein Troll? Für mich sind Leute, die regelmäßig ihre Meinung, z.B. ihre Abneigung gegen die GEZ, kundtun, noch lange keine Trolle. Ich empfände es sogar als gefährlich, wenn gerade rassistische Kommentare leichtfertig als Trolltum abgetan würden, da ich vermute, dass diejenigen, die sich so äußern, das leider aus voller Überzeugung machen. Wirkliche Trolle sind für mich somit nur jene, die z.B. sinnlose Kommentare oder zum Thema unpassende Kommentare abgeben.

    Klarnamen: Das ist für mich ein echtes Reizthema und ich habe dazu auch einen Artikel, den ich aber bislang noch nicht online gestellt habe (Formulierung gefällt mir nicht).

    Ich habe das letzthin mal ausprobiert und auf einer Seite, die Klarnamen fordert als mister-ede kommentiert und auf einen passenden Blog-Artikel verlinkt. Folge: Der Artikel wurde nicht freigeschaltet, obwohl durch mein Impressum deutlich ist, wer ich bin. Ein paar Tage später habe ich dann mit einem ausgedachten Namen denselben Kommentar abgegeben und das war dann für den Seitenbetreiber in Ordnung. Macht das in irgendeiner Form Sinn?

    [Ergänzung: Den Artikel habe ich heute online gestellt, weil mir das einfach zu kaffkaesk ist um es zu vergessen.(www.mister-ede.de - Der Cicero und die Klarnamenregel bei Kommentaren)]

    Kießling: Vielleicht hätte ich an Kießlings Stelle einfach geschrieben, dass ich mit Bayer Leverkusen ausgemacht habe, für jede Beleidigung bei Facebook 10 Euro zu bekommen. Im Vorab hätte ich mich dann bei allen bedankt, die mich beleidigen und erwähnt, dass es für „Geldgeilen Sack“ gleich 20 Euro gibt.

    • Hallo MisterEde, ich sehe es ähnlich. Der ARD-Text ist auch etwas Bausch-und-Bogen.

      Augenhöhe und Hierachie

      ...das ist der Punkt, der mich an der Forumskultur am meisten interessiert. Mir kommt es vor, als ob Medienmacher dazu neigen, Kommentare als was Lästiges zu sehen. Es ist ja auch lästig, ein Gespräch mit potenziell Millionen Menschen zu führen. Und trotzdem: Kommentare sind immer häufiger das, was mich am meisten interessiert. Sie sind nicht nur oft freier, frischer, hintersinniger, lustiger formuliert als der redaktionelle 'Ausgangstext', manchmal weisen sie letzterem auch grobe (Denk-)Fehler nach.

      Aber Kommentare haben immer noch ein schlechtes Image. Sie bleiben in der Hierachie 'ganz unten', selbst wenn sie objektiv mehr zu sagen haben als der Journalist 'da oben'. Sie haben auch oft kein Gesicht, niemanden, der für sie einsteht, und sie dürfen potenziell alles, lügen, pöbeln, verwirren. Ich verliere mich fast jeden Abend im Lesen endloser Internet-Debatten, selbst wenn es um so etwas Lapidares geht wie einen US-Actionfilm.

      Und ich wünsche mir, dass diese latente Abfälligkeit gegen Kommentare aufhört. Hier sei noch mal an den Stern-Mann Hans-Ulrich Jörges erinnert, der 2007 über Kommentarspalten sagte: "Die guten Redaktionen sollten ihre Siele geschlossen halten, damit der ganze Dreck von unten nicht durch ihre Scheißhäuser nach oben kommt." (Jörges Wortwahl entlarvt ihn en passant selbst als Obertroll des "Stern").

      Ähnlich funktionierte in den Urzeiten des Internets auch der Spruch von Jean-Remy von Matt (Ein Werbefuzzi, na ausgerechnet!), der Blogs als “Klowände des Internets” bezeichnente. Da kann es jemand in seinem alten Denken nicht ertragen, dass andere plötzlich mitreden können und dürfen, ohne Erlaubnis, ohne "Redaktion", ohne Verlag und TV-Station. Das muss doch etwas Schmuddeliges, Anrüchiges, Stinkendes, halb Illegales, Verschämtes, Pubertäres und auf jeden Fall qualitativ Minderwertiges sein oder? (Ironische Frage, ich kenn übrigens auch voll gute Klowand-Sprüche und hätte gern eine Online-Sammlung).

      Es gibt nun einmal viele Bereiche, in denen ein Meinungsmonopol von Journalisten keinen Sinn macht. Sie sollten mit der Konkurrenz 'von unten' zusammenarbeiten, statt sie zu diffamieren. Das Internet macht's möglich.

      Lob des Kommentars (Ich mach mal auf ganz feines Feuilleton)

      Spiegel Online könnte, wenn es schon Geburtstag feiert, auch mal seine Kommentatoren feiern. Sie haben einen erheblichen Anteil am Erfolg. Wirklich viele Menschen lesen die Kommentare von anderen Menschen, freuen sich schon darauf, wenn Fleischhauer und Augstein mal wieder mit dem Pöbeln angefangen haben (in der manchnal verzweifelten Hoffnung auf viele Klicks und Kommentare).

      Texte ohne Kommentarfunktion wirken dagegen wie tote Texte. Und sind uns die Aggressionen denn so fremd, die überall hochkommen? Wünschen wir nicht auch die "Bankster" und die "Bananenrepublik Deutschland" des öfteren zur Hölle? Ich finds gut, auch das alles mal "rausgelassen" zu sehen, und dann zu überlegen, wie es wirklich ist. So eine Art "Katharsis" (ein kleines Schmankerl für alle schnöseligen Alt-Griechen, die sich immer so schrecklich viel auf ihre Distinktion zum gemeinen "Internet-Mob" einbilden).

      Das Lustige ist immer: Alle lesen die ersten Kommentare auf Spiegel Online, und alle finden sie immer ganz schlimm! Wer entdeckt den Widerspruch?

      Lasst euch nicht einschüchtern!

      Und die von der ARD beschriebenen Extrem-Phänome sollten isoliert und differenziert betrachtet werden. Sonst drängt sich der Eindruck auf, man wolle journalistische Meinungsmonopole absichern, sich gegen jede Kritik immunisieren, zu der mündige Bürger heute (hurra!) so technisch befähigt sind wie noch nie. Nur weil "Hater" sie kapern und Redaktionen sie am Liebsten vom Leib hätten, sollten wir uns unsere (Kommentar-)Freiräume (nicht Klowände), unsere Bühne nicht wegnehmen und madig machen lassen! Pathos Ende.

      • Hallo jkippenberg,

        Sie sprechen viele Punkte an, die ich recht ähnlich wahrnehme. Zumindest gelegentlich habe ich das Gefühl, dass die Kommentare nicht weniger informativ sind als ein Artikel selbst. Nicht selten ist sogar mein Eindruck, dass ein Artikel erst mit entsprechenden Kommentaren, die die Informationen aus dem Artikel einordnen und bewerten und zum Teil auch ergänzen, ein rundes Bild ergibt. Ihre Beschreibung, „Texte ohne Kommentarfunktion wirken dagegen wie tote Texte“, trifft es, finde ich, ziemlich gut.

        Bei Medienangeboten, die keine Kommentare oder nur sehr eingeschränkt zulassen, fühle ich mich entsprechend auch nicht sonderlich wohl, weil das für mich so eine Art Absolutheitsanspruch ist. Natürlich gibt es auch „Extrem-Phänomene“, aber auch da bin ich Ihrer Meinung, dass nicht von einzelnen Ausreißern auf die Mehrheit der Kommentare geschlossen werden sollte.

        Das mit dem „Lob für Kommentatoren“ sehe ich bei den Beiträgen, die sich inhaltlich mit den jeweiligen Artikeln oder Themen auseinandersetzen ähnlich. Immerhin bekommen Spiegel oder Tagesschau auf diese Weise kostenlos guten Content geliefert.

  • RAUMSCHIFF ARD/ZDF

    User Emil hat in einem Thread vor einigen Wochen von Paralleluniversen geschrieben. Ich habe damals widersprochen und nehme meine Aussagen hiermit ausdrücklich zurück. Nur bewegt sich in diesem Paralleluniversum nicht die Internet-Community, sondern das Raumschiff ARD/ZDF zieht hier unbeeindruckt seine Bahnen. Zu besichtigen war dies in einer Live-Diskussion bei phoenix aus Anlass der Verleihung des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises an die ARD-Journalistin Golineh Atai. Natürlich vor handverlesenem hauseigenem Publikum. Alles was Rang und Namen bei ARD und ZDF hat war wie Tagesthemenmoderator Thomas Roth auf den Rängen versammelt, lauschte und applaudierte brav.

    Diese Aufzeichnung ist vom 22.04.2014, wurde aber erst (warum ???) an drei Terminen zwischen dem 27.10. und 01.12.2014 zur „Primetime“ oder besser zur „Geisterstunde“ um 00:00 Uhr gesendet. Diese Diskussion war überaus aufschlussreich und ist nach wie vor in der Mediathek von phoenix zu besichtigen.

    Eine groteske „Veranstaltung“, um es vorsichtig zu formulieren. Frank Castorf, hätte er das 1:1, unverändert und ungekürzt auf der Berliner Volksbühne inszeniert wäre mit Lob in den bundesdeutschen Feuilletons überschüttet worden. Aber wie gesagt, das Original ist noch sehenswerter. Ohne hier auf Einzelheiten einzugehen, seien aber einige bemerkenswerte „Höhepunkte“ hier berichtet. Sonia Seymour Mikisch, WDR-Chefredakteurin, deren journalistische Arbeit ich sonst sehr schätze, konnte gerade noch verhindern, dass ihr die Bemerkung „scheiß Internet“ entglitt.

    Golineh Atai, Everybodys Darling bei der ARD - Standardspruch bei Live-Schalte nach Lugansk: "passen Sie gut auf sich auf, Golineh" - und zuständig für Osteuropa, will ihre Einbindung sozialer Netzwerke in die eigene journalistische Arbeit deutlich einschränken. Zu groß war offensichtlich der Schock über die Reaktionen auf ihre Arbeit bei Twitter, auf Facebook und anderen Plattformen, die etwas anders ausfielen als erhofft.

    Peter Frey, ZDF-Chefredakteur sieht heute, heute journal, tagesschau und tagesthemen gar verstärkt aus diesem „Shitstorm“ hervorgehen. Ob der Mann wohl die Einschaltquoten dieser Sendungen bei den 15 bis sagen wir 45jährigen Zuschauern kennt?

    Offensichtlich sind die Öffentlich Rechtlichen völlig überrascht von dieser asymmetrischen Kommunikation, die das Internet möglich macht. Überrascht wohl auch, jetzt entdeckt zu haben, dass das Netz viele Möglichkeiten bietet sich zu informieren und natürlich voller Misstrauen in die Fähigkeit gewöhnlicher Medienkonsumenten, diese Informationen richtig und objektiv zu bewerten und einzuordnen. Der TV-Konsument als Dummie, der belehrt werden muss. Gewohnt sind sie an das Gegenteil, einer symetrischen Kommunikation von oben nach unten (ich lehne mich mit diesen Begriffen an den Berliner Philosophen und Kommunikationswissenschaftler Byung-Chul Han an) pochen sie auf ihre Deutungshoheit, begründet auf die angeblich objektive, unbeeinflusste, handwerklich unübertroffen gute Arbeit ihrer Journalisten.

    Sie produzieren also nach eigenem Selbstverständnis so etwas wie Wahrheit. Wer die theologische oder von mir aus auch philosophisch- diskursive Nähe der Begriffe Wahrheit und Gott kennt, begreift, dass diese Damen und Herren die Kritik, die ihnen jetzt entgegen schlägt irgendwie als Gotteslästerung empfinden.

    • Auf mich wirkt diese Form des Internet-Journalismus gelegentlich wie ein in Stein gemeißeltes Denkmal, welches schon kurze Zeit später, ohne jeden Glanz auf seiner selbstgeschaffenen Schräge abwärts zu gleiten beginnt. Hier eine Parallele zu Stefan Kießling und seinem Phantomtor im Oktober 2013 zu ziehen, sind zwei nicht miteinander zu vergleichende Universen. Ich kenne die Diskussion auf Stefan Kießlings FB Seite nicht. Erfahrungsgemäß und normalerweise können derartige Aufwallungen, wie sie durch ein grotesk gegebenes Tor entstehen, durch eine eigene Statusmeldung, wie "Nicht schön tut mir selber leid und würde mich gegen meine eigene Mannschaft auch nicht erfreuen" oder "Ich war selber überrascht, dass das Tor gegeben wurde, aus sportlicher Sicht tut es mir leid, dass ich mich im ersten Moment über den Treffer gefreut habe" zurechtgerückt werden. Darauf eingehen eine Situation zu schildern ist immer besser als auf jeden Kommentator eingehen zu wollen, um damit ein Verständniß für die eigene Betroffenheit zu erwecken, die, mit ihren unter die Gürtellinie gehende Äußerungen, bewußt gewollt ist. Beim Mainstream- Journalismus dagegen, entsteht tatsächlich oft der Eindruck, es mit einem Himmelsnest zu tun zu haben, welches unkonformen Diskutanten jegliche Übersicht und Fähigkeit abspricht, Kritik am vorliegenden Werk zu äußern. Beispiele: Als Spiegel Online seinerzeit etwas übersteigert der Spur arabischer Despoten "folgte", tauchte eine bebilderte Überschrift auf, die Syriens Assad und Gaddafis Foltergefängnisse in Libyen durcheinanderwürfelte. Kommentare wie, "freudscher Versprecher der anderen Art", "Hauptsache böse" oder "da geht guter Journalismus lang", blieben damit beantwortet, dass die Meldung ca. eineinhalb Stunden später kommentarlos gelöscht wurde. Man hätte sich eine kurze Erklärung gewünscht. Bei der FB Tagesschau gab es eine Phase in der der größte Schenkelklopfer in Putin Comics bestand. Entstellende Photoshop-Bilder und Unterkommentare, die am Ende einfach nur noch abgedroschen und lächerlich wirkten. Auffällig wie dünnhäutig die Macher auf Kritik an ihrem Quatsch reagierten. Belanglose Nachfragen wurden verwarnt in der Folge Kommentare gelöscht. Ein späterer Diskutant schaffte es, dass jemand anderes seinen Screenshot eines völlig unverfänglichen Beitrages einstellte, aufgrund dessen man ihn gesperrt hatte. Der Mann war wohl ins Visir des öffentlich rechtlichen Journalismus geraten.

    • Der Mann vom Programmbereit macht doch einen super Job! Warum nur vertraulich oder nachts auf Phoenix?

  • Liebes Forum,

    wir möchten euch auf die Zusammenfassung der Podiumsdiskussion "Gewalt im Internet – brauchen wir neue Gesetze?" sowie die dazugehörige Videoaufzeichnung der Diskussion aufmerksam machen, die am 18. Februar in Zusammenarbeit mit dem Gunda-Werner-Institut in der Heinrich-Böll-Stiftung stattfand.

  • Liebes Forum,

    eine Zusammenfassung von unserem #pxp_thema zu Medienkritik steht nun hier online.

  • Liebes Forum,

    ein kurzer Hinweis auf ein aktuelles Beispiel aus der Netzwelt zum Thema: Am Wochenende trennte sich Youtube-Star Simon Unge mit viel Medienaufmerksamkeit von seinem Vermarktungsnetzwerk Mediakraft – und erhielt daraufhin viele negative Reaktionen im Netz.

    In dem neu veröffentlichten Postcast geht er deswegen auf "Hater" und beleidigende Kommentare ein und appelliert an eine bessere Kommentarkultur im Netz.