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Europäische Bürgerinitiative - Zahnloses Instrument oder ein Weg zu echter Bürgerbeteiligung?


Foto: CC BY-NC 2.0 by Andreas Bock/CampactDie Bürgerinitiative “Wasser ist ein Menschenrecht!” (Englisch: „Right2Water“) erreichte im Dezember 2013 mit rund 1,68 Millionen gültigen Unterschriften als erste das geforderte Quorum. Foto & Teaser: CC BY-NC 2.0 by Andreas Bock/Campact


Ein Beitrag von Regine_Laroche Mehr Demokratie e.V.

Seit April 2012 gibt es die im Vertrag von Lissabon verankerte Europäische Bürgerinitiative (EBI). Sie dient dazu, bei der Europäischen Kommission „einen Rechtsakt in Bereichen vorzuschlagen, in denen die EU zuständig ist“.

So läuft eine EBI ab: Initiatoren müssen sieben Wahlberechtigte aus sieben verschiedenen EU-Staaten sein. Sie bilden den sogenannten Bürgerausschuss. Die EBI muss bei der EU-Kommission registriert und von ihr genehmigt werden. Danach haben die Initiatoren ein Jahr Zeit, die erforderliche Anzahl von einer Million Unterschriften von wahlberechtigten EU-Bürgerinnen und -Bürgern zu sammeln. Neben diesem EU-weiten Quorum gibt es noch ein Nationalstaaten-Quorum, das in mindestens sieben EU-Staaten erreicht werden muss. Wenn beide Quoren erreicht werden, erfolgt eine endgültige rechtliche Prüfung auf Zulässigkeit. Danach haben die Initiatoren das Recht auf eine öffentliche Anhörung im Europäischen Parlament. Die EU-Kommission muss dabei vertreten sein. Sie hat danach drei Monate Zeit, zu dem Anliegen Stellung zu nehmen – und kann es entweder annehmen oder ablehnen.

Hört sich fast an wie eine Petition, denn es bleibt ein Geschmäckle der Bittstellerposition vor der „großen Politik“. Tatsächlich ist die EBI nur ein unverbindliches Instrument, hat also für die Kommission keinerlei bindenden Charakter. Mehr Demokratie fordert aus diesem Grund seit langem die Einführung verbindlicher Instrumente auch auf europäischer Ebene, wie europaweite Volksabstimmungen sowie einen direkt gewählten Bürgerkonvent. Neben dieser grundsätzlichen Forderung gibt es vor allen Dingen Kritikpunkte an den konkreten Rahmenbedingungen, mit denen Initiatoren einer EBI konfrontiert sind. Einer dieser Punkte bezieht sich auf die erste Vorprüfung durch die Kommission. Eine EBI wird nicht registriert, wenn sie gegen die Werte der EU verstößt, nicht im Rahmen der Zuständigkeit der EU-Kommission liegt oder missbräuchlich oder unernst ist. Diese Regeln sind jedoch sehr vage und geben der Kommission die Möglichkeit, ohne eine frühzeitige intensive Prüfung eine EBI zu blockieren. Bürgerinitiativen sind zudem begrenzt auf Themen, die nicht auf eine Änderung der EU-Verträge zielen. Ist die Vorprüfung überwunden und geht es an die Unterschriftensammlung, bleibt bis zuletzt ungewiss, ob das Anliegen von der Kommission behandelt wird oder nicht. Eine endgültige rechtliche Prüfung des Gegenstandes der EBI erfolgt nämlich erst nach Einreichung der notwendigen Unterschriften. Unter Umständen kann also der gesamte Aufwand, den die Organisation einer EBI mit sich bringt, vergeblich gewesen sein.

Es gib also definitiv noch viel zu verbessern auf dem Weg zu einer echten Möglichkeit für Bürgerinnen und Bürger, sich aktiv in die Politik einmischen zu können. Auch wenn die EBI also tatsächlich – im Hinblick auf die rechtliche Unverbindlichkeit – ein zahnloses Instrument ist, spricht jedoch jetzt bereits einiges für sie:

  1. Es ist die bisher einzige Möglichkeit für Bürgerinnen und Bürger, sich einzumischen.
  2. Erst durch die Anwendung werden die Defizite des Instruments erkennbar und öffentlich diskutierbar. Dies wiederum eröffnet die Chance auf Verbesserung.
  3. Das Mobilisierungspotenzial ist enorm, wie beispielsweise die EBI Right2Water gezeigt hat. Das Instrument eignet sich also, Themen wirksam auf die öffentliche Tagesordnung zu setzen – und das in verschiedenen europäischen Mitgliedstaaten
  4. Durch die Bildung europaweiter Netzwerke, die notwendig sind für die Durchführung einer EBI, wird auch das Entstehen einer europäischen Zivilgesellschaft gefördert.

Informationen zur EBI auf den Seiten der EU-Kommission


Kommentare

  • Liebe Frau Laroche, nur eine Anmerkung zu ihrer sehr guten Analyse. Auch wenn ich das Anliegen der ersten erfolgreichen EBI "Recht auf Wasser" völlig teile, zeigt das Beispiel auch die Probleme dieses Instruments. Meines Erachtens ging es hier um den Kampf zwischen den Vertretern einer staatlich getragenen Wasserversorgung mit der privaten Konkurrenz in Brüssel. "Verdi vs. Veolia", um es mal überspitzt zu sagen. Finanziert wurde "Right2Water" ausschließlich vom europäischen Bund der öffentlichen Dienstleistungsgewerkschaften (EPSU), mit 140.000 Euro, also von unseren öffentlichen "Wasserwerkern" wenn man so will. Die meisten Unterschriften (1,2 Millionen) kamen aus Deutschland (von Verdi, nehme ich mal an) Auch wenn ich ein großer Fan öffentlicher Dienstleistungen bin, geade im Bereich Wasserwirtschaft, hat es für mich Geschmäckle, wenn sich klassische Lobby-Interessen als "Menschenrechts"-Bürgerinitiativen tarnen. Da hätte ich mir mehr "offenes Visier" bei den Initiatoren gewünscht.

    Auch stellt sich die Frage, ob die EBI nicht nur Großorganisationen mit viel Geld und einem großen E-Mailverteiler in die Hände spielt. Ob wirklich "Bürger", Privatleute das neue Instrument nutzen können, muss sich erst noch zeigen. Schließlich war die Reaktion der Kommission auf right2water ziemlich ernüchternd. Sie liest sich wie "Wir machen eh schon immer alles richtig und damit einfach weiter". An den Knackpunkt Privatisierung / Kapitalismus in der Wasserwirtschaft traut man sich nicht so recht heran. Schade!

    • Regine_Laroche Mehr Demokratie e.V. ist dafür
      +3

      Ja, das stimmt. Momentan ist der organisatorische, technische und finanzielle Aufwand für eine EBI enorm. Es bleibt abzuwarten, ob sie nicht nur eine weitere Plattform für starke Lobbyverbände sein wird. Aber das sind auch die Erfahrungswerte, die wir sammeln müssen. Was wir auf jeden Fall jetzt schon sagen können: Auch im Hinblick auf den organisatorischen Aufwand muss die EBI vereinfacht und für "normale" Bürgerinnen und Bürger zugänglicher werden!

      • Sie schreiben von der Bildung europaweiter Netzwerke. Ich würde gerne wissen, wie stark die Direktdemokratie-Bewegung in anderen EU-Ländern ist. Gibt es da Treffen und Austausch? Wie einig ist sich der deutsche Mehr Demokratie e.V. mit Engagierten in anderen Ländern? Auf diese europäischen Koalitionen der Bürger kommt es ja bei den EBI an. Ich wüsste nicht, wie ich sowas anstelle.

        • Regine_Laroche Mehr Demokratie e.V.
          +2

          Wenn es um die Direktdemokratie-Bewegung in anderen Ländern geht fragen Sie besser bei unserer Partnerorganisation Democracy International nach - die Kolleg_innen dort können Ihnen mehr davon berichten (http://www.democracy-international.org/). Gute Kontakte haben wir bspw. in die Niederlande oder Österreich. Konkret für die Bildung von Bündnissen bei einer speziellen EBI erfolgt der Netzwerk-Ausbau auf verschiedenen Wegen. Mehr Demokratie plant bspw. gerade mit anderen Organisationen eine EBI gegen die Freihandelsabkommen TTIP und CETA. Speziell zum Thema TTIP bzw. Handelspolitik im Allgemeinen gibt es bereits seit längerem ein loses europäisches Netzwerk. Dort finden regelmäßig Bündnistreffen statt - bspw. parallel zur nächsten TTIP-Verhandlungsrunde in Brüssel. D.h. hier gibt es schon einmal einen guten Ansatzpunkt und viele potentielle Bündnispartner. Aber auch für uns ist diese Feld der europäischen Bündnisarbeit recht neu: Gibt es bspw. in einem Land noch überhaupt keine Kontakte, ist der erste Schritt normalerweise, eine zentrale Organisationen in dem Themenfeld ausfindig zu machen, die in gewisser Weise der "Türöffner" ist, um auch andere Organisationen und nationale Netzwerke anzusprechen. Aber der Bündnisaufbau und das Auffinden und Abstimmen mit potentiellen Partnern ist im Vorfeld der Teil, der am Aufwändigsten ist - aber auch am Spannendsten!

    • Zillatron ist dafür
      +1

      Dem kann ich nur zustimmen.

      Ein gutes Beispiel für eine EBI, bei der wir Bürger völlig alleine sind, ist EFVI (Europäische Initiative Freies Dampfen). Wir haben keinerlei Unterstützung durch finanzkräftige und logistisch erfahrene Organisationen. Lediglich die gewachsenen internationalen Netzwerke engagierter Bürger. Wir tun, was wir können. Zum Beispiel wurde für die Finanzierung von Sammelboxen für Offline-Unterstützungen eine spontane Sammlung durchgeführt, die innerhalb von wenigen Tagen die stattliche Summe von über 3000 € brachte.

      Andere EBI, wie z.B. Europäischen Initiative für Medienpluralismus haben neben etlichen etablierten Verbänden ebenfalls die Unterstützung von verdi und einigen Politikern.

      Von den Medien und Politikern werden wir weitgehend abgewimmelt, ignoriert und totgeschwiegen. Beispiele: Christian Schmidt (CSU), Harald Terpe (DIE GRÜNEN),
      Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE), Martina Stamm-Fibich (SPD). Bestenfalls verächtlich gemacht: Öko-Test

      Selbst wenn wir es schaffen sollten, trotz dieser widrigen Umstände die hohen Hürden zu überwinden, rechne ich nicht damit, dass ausgerechnet die EU-Kommission unsere Bitte nach einer vernünftigen Regulierung entsprechen wird. Zeigte sie doch schon beim Entwurf der TPD ihre Aufgeschlossenheit gegenüber den finanziellen Interessen der Pharmaindustrie. Auch das endgültige Ergebnis des Trilogs basiert auf einem "Papier" der Kommission, das die Einwände namhafter Wissenschaftler komplett ignorierte und einen "Kompromiss" darstellt, der ausschließlich die Interessen von Pharma- und Tabakindustrie berücksichtigt. Nein. Von diesem Verein erwarte ich weder Vernunft noch Interesse an der Meinung von Bürgern.

      Aber wir werden weiterkämpfen bis zuletzt!

      (Kontaktmöglichkeiten und Links zu weiterführenden Informationen in meinem Profil)

      • Nur zur Transparenz - sind Sie hier im Auftrag der E-Zigarettenhersteller unterwegs? Wär ja nicht schlimm, nur gut zu wissen.

        • Definitiv nicht!

          Ich bin nur ein ganz normaler Bürger. Mein einziger Kontakt zu E-Zigaretten-Herstellern/Händlern ist der eines normalen Kunden. (Ein deutscher Hersteller hat mir ein Vorführgerät geschenkt. ;))

          Meine Haltung zum Händler-Verband (VdEH) ist auch eher negativ, seit sie sich als Mitglied von TVECA für die unverhältnismäßig restriktive beschlossene "Regulierung" ausgesprochen haben.

          Ich dampfe jetzt seit gut zwei Jahren. Vorher habe ich über dreißig Jahre geraucht.

          Die Hetzkampagne, die Frau Steffens damals veranstaltete (mit freundlicher Unterstützung durch Frau Pötschke-Langer vom DKFZ) hat mich darauf aufmerksam gemacht. Das klang alles so absurd und unwissenschaftlich mit Konjunktiven überfrachtet. Also habe ich es selbst probiert. Und siehe da: Es schmeckt viel besser als Rauchen. Alles andere (Nikotin) ist auch da. Eine Zigarette habe ich seitdem mal probiert. Ergebnis: Solange ich Dampfen kann, will ich definitiv nicht mehr Rauchen.

          Und dann kam der erste Entwurf der Tabakproduktrichtlinie. Damals war ich noch so naiv zu hoffen, dass dadurch dem närrischen Treiben in NRW Einhalt geboten würde. Um so größer mein Entsetzen über das Ergebnis. Da begann ich mich intensiv mit der EU-Politik zu beschäftigen und habe u.a. jede öffentliche Sitzung zu dem Thema verfolgt. Und jede Menge Mails an diverse Politiker geschrieben, die meist vermutlich ungelesen im Papierkorb landeten.

          Zu den Herstellern und Händlern:

          Soweit ich weiß, sind die meisten europäischen Hersteller und Händler hochwertiger Geräte und Liquids kleine bis mittelständische Betriebe und produzieren sie in relativ kleinen Stückzahlen.

          Massenproduktion kommt entweder aus China (teilweise auch ganz brauchbar) oder ist jener Wegwerfschrott, mit dem jetzt die großen Tabakkonzerne den Markt zu erobern versuchen. Wie man meiner Wortwahl ennehmen kann, bin ich von diesen Produkten eher nicht angetan. Interessanterweise ist es zufällig dieser Müll, der die absurden Anforderungen am ehesten erfüllen kann. Auch dürften die Tabakkonzerne die zu erwartenden Kosten für so eine Zulassung aus der Portokasse zahlen, während es sich für die vielen Kleinsthersteller sicher nicht lohnen dürfte. Die können dicht machen.

  • Dem klugen Kommentar von Regine Laroche ist nicht viel hinzuzufügen! :-) Aber weil wir gefragt wurden, haben wir ein Statement auf unsere Website gestellt. Vielen Dank für die Diskussion, Berliner Wassertisch. Auch auf Twitter und Facebook.

    • Regine_Laroche Mehr Demokratie e.V. ist dafür
      +2

      Vielen Dank für das Statement, liebe Kolleg_innen vom Wassertisch!

  • Bilanz der Kommission

    Liebes Forum,

    es gibt Neuigkeiten:

    • Die EU-Kommission hat heute eine erste Bilanz zur Europäischen Bürgerinitiative vorgelegt (Vollständiger Bericht auf Englisch)

    • die Kommission meint: das Instrument der Bürgerbeteiligung funktioniert.

    • rund sechs Millionen Bürger haben sich seit Einführung (1. April 2012) an einer Europäischen Bürgerinitiative beteiligt.

    • 31 von 51 Initiativen wurden für zulässig erklärt (Eine Anti-TTIP-Initiative wurde zum Beispiel abgelehnt)

    • Drei Initiativen haben die Schwelle von einer Million Unterschriften geschafft:

    Right2Water

    gegen die Privatisierung der Wasserversorgung

    One of us / 1 von uns

    Stopp von EU-Geldern für Forschung mit embryonalen Stammzellen und Klonen

    'Stop vivisection' (hier läuft das Verfahren noch)

    gegen Tierversuchstransporte

    • zur Diskussion stehen Verbesserungen, etwa ein Online-Sammelsystem für Unterstützungsbekundungen auf den Servern der Kommission einzurichten

    Neue Fragen:

    • Was haltet ihr von der Bilanz?

    • Ist das Instrument tatsächlich ein Erfolg?

    • Was haben die EBI mit mehr als einer Million Unterschriften bewirkt?

    • Ist euch die EU dank dieses Instrument näher gekommen?