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Burka-Verbot in Frankreich: Straßburg lüftet den rechtlichen Schleier


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Ein Beitrag von treffpunkteuropa.de Viel öffentliches Aufsehen hat das „Burka-Urteil“, das der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) am 1. Juli 2014 gefällt hat, nicht erregt. Fussballfieber, der Einmarsch der Isis, der Ukraine-Konflikt und die NSA-Affaire bestimmten das Tagesgeschehen. Dabei ist das Urteil wegweisend, inwieweit ein europäischer Staat zum Wohl der Allgemeinheit in die Persönlichkeitsrechte eines Individuums eingreifen darf.

Wir wollen mit euch diskutieren. Wird der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte seinen ureigenen Prinzipien - nämlich dem Schutz der unveräußerlichen Rechte für jeden - noch gerecht? Oder haben die Richter die Interessen eines Staates über das Recht der persönlichen, religiösen Entfaltung eines Individuums gestellt? Inwieweit darf sich der Staat zum Schutze der Allgemeinheit in die Persönlichkeitsrechte der Individuen einmischen? Und welche Wirkung wird das Urteil auf andere Religionen haben?

Zum Hintergrundartikel auf treffpunkteuropa.de geht es hier: http://www.treffpunkteuropa.de/burka-verbot-in-frankreich-strassburg-luftet-den-rechtlichen-schleier


Kommentare

  • Ich halte dieses Verbot tatsächlich für ein großes Unding. Mich erinnert diese Debatte immer wieder an die Diskussion, die wir in Deutschland zu Lehrerinnen mit Kopftüchern vs. christliche Kreuze in Schulen führten. Auch die war geprägt und getragen von Unwissenheit und dummer Meinungsdominanz. Unsere Verfassungen garantieren Wahl-, Entscheidungs- und Religionsfreiheit, niemand darf und sollte über die Einschränkung dieser Rechte, speziell derer von Minderheiten, entscheiden. Unterschwellig unterstellen wir diesen Frauen doch immer einem Zwang zu unterliegen, ohne je mit einer gesprochen zu haben. Liebe Emma, liebe Femen, ihr wollt diese 'armen Frauen' aufklären, befreien? Hört ihr nicht, wie laut die Hierachie aus euch ruft? Emanzipation geht anders. Ohne Gerichte und ohne Dominanzkultur.

    • Die Burka ist noch einmal etwas Anderes als der Hidschab oder der Tschador. Letztere beiden Kleidungsstücke lassen wenigstens das Gesicht frei. Ich habe die Burka tragenden Frauen in Afghanistan gesehen. Wie unsicher sie sich in der Öffentlichkeit, im Straßenverkehr z.B. bewegen. Sie können nur durch eine Art Hohlsaum-Gitter schauen und tasten sich mit den Fußspitzen über Bürgersteige und Straßen. Die Männer erraten ihr Alter an den Falten über ihrem Fußhacken. Die Burka schließt sie aus einer normalen Teilhabe am öffentlichen Leben aus, von Berufstätigkeit ganz zu schweigen.

      Sicher müssen sich die Frauen in islamistisch geprägten Ländern selbst emanzipieren. Aber Frauen, die bei uns leben, können es erfahren, was es heißt, die gleichen Rechte vor dem Gesetz zu haben wie die Männer. Und die Befreiungserfahrung in ihre traditionell autoritär männlich dominierten Herkunftsländer zurück transportieren.

      Religiöse Toleranz ist gut und schön. Aber wenn es Ausprägungen von Religion gibt, die Frauen unterdrücken und sie ihrer Menschenrechte und Menschenwürde berauben, dann darf man das nicht unter dem Deckmantel der Toleranz dulden.

      Es ist überhaupt merkwürdig, wenn nicht ein Widerspruch: Wir Frauen im "christlich geprägten Abendland" haben uns längst emanzipiert von Dogmen der katholischen Kirche, die uns einzwängen, wie dem Verbot der künstlichen Empfängnisverhütung, aber meinen, Toleranz üben zu müssen gegenüber außerchristlichen religiösen Traditionen, die die Frauen dort unterdrücken. In der Konsequenz dieser großherzigen und liberalen Toleranz müßten wir eigentlich auch die religiös begründete Frauenbeschneidung dulden. Oder wo ist da die Grenze?

      Im Iran hatte der Schah den Tschador-Zwang aufgehoben. Khomeini hatte ihn wieder eingeführt, und am Anfang haben viele Frauen ihn bereitwillig wieder angezogen, weil sie als Revolutionärinnen darunter Waffen verstecken konnten. Inzwischen leiden die iranischen Frauen unter der Sittenpolizei, die jede Haarlocke, die unter dem Tschador hervorlugt, mit hohen Strafen (Auspeitschung etc) ahndet. Es wird ein Doppelleben geführt: Private Feiern ohne Tschador, wenn die Sittenpolizei klingelt, legen die Frauen ihren Tschador an, und die Männer, die mitgefeiert haben, verstecken sich. Eine Gesellschaft, die in die Verlogenheit gezwungen wird!

      Religiöse Traditionen, die einen Teil der Menschheit, nämlich die Frauen, unterdrücken und aus dem aktiven öffentlichen Leben ausschließen und unfroh machen, sind in unserer westlichen Welt nicht zu dulden.

      • mia ist dafür
        +1

        Deine Begründung gegen das Burka-Tragen kann ich voll unterstützen! Deine Argumente sind einleuchtend.

      • MisterEde ist dagegen
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        Sie müssen ja keine Burka tragen, insofern dürfen Sie doch frei entscheiden. Wenn man aber anderen hier in Deutschland verbieten würde eine Burka zu tragen, wäre das doch ein Zwang. Insofern verstehe ich nicht ganz, wie Sie einen Zwang, ein Verbot mit Freiheit in Verbindung bringen können, das Gegenteil wäre ja der Fall, es wäre Unfreiheit. Daher ist das in Deutschland auch so nicht mit der Verfassung vereinbar.

        • Hallo MisterEde,

          "Sie müssen ja keine Burka tragen, insofern dürfen Sie doch frei entscheiden". Ich glaube, Sie unterschätzen den Zwang, dem auch Frauen, die hier die Burka tragen, unterliegen, den Zwang durch ihre Ehemänner und durch ihre Famlien.

          m.E. ist die Krise islamischer Länder, die wir heute beobachten, z.T. darauf zurückzuführen, dass die Männer ihre Frauen total unterdrücken. Die Burka ist ein Unterdrückungsinstrument ersten Grades.

          Es ist gut, wenn Länder wie Frankreich sagen, Schluss, bei uns nicht.

          Wir sollten keine Waffen mehr exportieren in Emirate, die sie weiter geben in Kriegsgebiete des nahen Ostens. Wir sollten aber auch dem Männlichkeitswahn arabisch-muslimischer Männer nicht weiter huldigen.

          Muslimische Frauen, die sich emanzipieren, könnten viel zum Frieden beitragen. Die Emanzipation können sie bei uns lernen.

          • Liebe Doro, 'Emanzipation können sie bei uns lernen' ?! Das trifft wieder einmal prima, den von anne-marie schon oben aufgeführten Punkt...

            • "Emanzipation können muslimische Frauen bei uns lernen", in dem sie staatliche Gesetze und gesellschaftliche Strukturen auf ihrer Seite haben.

              Ohne Zwang " von oben" (Burka-verbot) können muslimische Frauen allein den familiären Zwang, der auf sie ausgeübt wird, nicht durchbrechen.

              Zwang gegen Zwang? Ja, tatsächlich. Genauso wie es eine Gewalt gibt, die befreit, und eine Gewalt, die unterdrückt (das war der Slogan der Befreiungsbewegungen im Südlichen Afrika in den 70er Jahren), gibt es einen Zwang, der unterdrückt, und einen Zwang, der befreit. Wenn man so will, sind alle Gesetze ein Zwang.

              • Hallo Doro,

                Ich bin der Auffassung, dass man jemand mit Gewalt zwingen kann oder man sich mit Gewalt gegen einen Zwang wehren kann, aber ein Zwang bleibt stets das Gegenteil von Freiheit. Freiheit ist per Definition das Fehlen von Zwängen und umgekehrt ist ein Zwang per Definition stets die Einschränkung von Freiheit.

                • Hallo MisterEde,

                  wollen wir philosophisch diskutieren? Ich bin bereit. Unter den Bedingungen des Hier und Jetzt muss das Leben von uns Menschen mit Gesetzen = "Zwängen" geregelt werden. Es fragt sich nur, welche Gesetze = "Zwänge" die besseren sind, die befreien, oder die, die sich auf eine göttliche, unhinterfragbare Autorität berufen und in ihrem Namen unterdrücken.

                  Eine absolute Freiheit gibt es nur im Paradies. Will man sie für das Hier und Jetzt postulieren, setzt sich das Recht des physisch Stärkeren durch, und das ist furchtbar.

                  Ich denke, der Kantsche Imperativ ist auch heute noch total gut: "Handle so, dass die Maxime Deines Handelns zum allgemeinen Gesetz erhoben werden könnte." Oder auch: die Freiheit des Einzelnen findet ihre Grenze an der Freiheit des Anderen.

                  Ohne Gesetze, die dem Einzelnen qua Gewissen innewohnen und die ein Staat zum Wohl seiner Bürger erläßt, geht es unter den Bedingungen des Hier und Jetzt nicht.

                  Zurück zur Burka: Das Tragen einer Burka unterdrückt nicht nur, sondern schränkt auch die Rechte des Gegenübers ein, der ein Recht darauf hat zu wissen, mit wem er es zu tun hat, der wenigstens das Gesicht des Anderen sehen können muß: Freund oder Feind? Mann oder Frau?

                  Warum gibt es bei uns das Vermummungsverbot für Demonstranten? Warum das Foto auf unseren Ausweisen ? Es hat seinen Sinn.

                  Wenn muslimische Frauen bei uns betonen, dass sie die Burka "freiwillig" tragen, dann kann es eine Schutzbehauptung sein, weil sie nicht zugeben wollen, dass sie sich die männliche Unterdrückung gefallen lassen. Es kann aber auch eine Provokation sein von fanatischen Musliminnen: Gott will, dass kein Mann außer dem Ehemann und den engsten männlichen Angehörigen die Frauen sehen dürfen. Es ist göttliches Gesetz. Und all die anderen Frauen, die ihr Gesicht oder noch mehr von ihrem Körper den Männern zeigen, sind Huren.

                  Die Burka = Ganzkörperschleier mit Augengitter = Vermummung muß in unseren Ländern verboten werden.

                  Wie auch immer, ob als Akzeptanz der Unterdrückung oder als Provokation, das Burka-Tragen gehört in unseren westlichen Demokratien verboten!

                  • Hallo Doro,

                    Kant passt gut. Wenn Du nicht willst, dass Dir jemand vorschreibt, welche Kleidung Du zu tragen hast, dann schreibe auch niemandem anderen vor, welche Kleidung er zu tragen hat. Statt auf die Tradition eines „christlich geprägten Abendlandes“ würde ich Kant entsprechend daher auch viel eher auf die Tradition eines humanistisch aufgeklärten Europas verweisen. Und zu dieser Tradition gehört auch der Respekt vor Andersgläubigen.

                    Zu Ihren Einlassungen zur Burka: Sie sprechen von einem Recht, zu wissen mit wem man es zu tun hat. Dieses Recht gibt es allerdings überhaupt nicht. Die Identitätsfeststellung ist eine hoheitliche Aufgabe und lediglich der Polizei gestattet. Das Vermummungsverbot gilt nur im Ausnahmefall einer öffentlichen Veranstaltung und nicht allgemein. Wie gesagt, in Deutschland wäre ein Burka-Verbot verfassungswidrig. Da haben sich die Verfassungsväter und -mütter etwas bei gedacht.

          • Hallo Doro,

            es ist unzweifelhaft, dass in vielen Ländern der Welt Menschenrechte missachtet werden. Das gilt in muslimischen Ländern, im orthodoxen Russland, in China und so weiter. Was dies allerdings mit der Frage zu tun hat, ob Aisha in Berlin eine Burka, ein Kopftuch oder einen Bikini trägt, verstehe ich allerdings nicht. Weder gilt das Burka-Verbot des EGMR im Iran noch lässt sich einer der EU-Staaten als muslimischer Staat bezeichnen. Aus meiner Sicht ist daher eine Vermischung dieser völlig unterschiedlichen Punkte „Leben der Muslime in Europa“ und „Menschenrechte außerhalb der EU“ nicht zielführend.

            • Hallo MisterEde,

              Wenn Aisha in Paris eine Burka tragen muss, weil ihre Familie sie dazu zwingt- dass sie das freiwillig tut, sagt eine Frau möglicherweise als Schutzbehauptung, die man ihr nicht abnehmen kann -, dann wird in Frankreich ein Menschenrecht mißachtet. Unsere Staaten haben sich auf die Einhaltung und den Schutz der Menschenrechte verpflichtet.

              Ich glaube, MisterEde, wir können noch endlos diskutieren. Sie nehmen die menschenverachtende und menschenunwürdige Unterdrückung der Frau nicht ernst, egal ob es sich um die Hälfte der Bevölkerung in einem ganzen Regime oder um einen Einzelfall bei uns, wo die Gleichstellung von Mann und Frau gilt, handelt.

              Ein etwas absurder Vorschlag sei erlaubt: Leihen Sie sich einmal eine Burka aus und tragen Sie sie einen ganzen Tag!

              Okay, wir müssen jetzt vielleicht beide lachen!

              • Hallo Doro,

                In Frankreich gibt es ja jetzt das Verschleierungsverbot, insofern müsste Aisha schon nach Berlin kommen ;D. Es stimmt wohl, wir haben zwei völlig gegensätzliche Auffassungen zu dem Thema.

                Selbstbestimmung ist für mich der zentralste Bestandteil, den ich mir in einer Gesellschaft wünsche. Aber das Wort sagt es ja schon „Selbst“bestimmung kommt eben von einem selbst und nicht durch „Fremd“bestimmung. Ich will, dass jeder Mensch selbstbestimmt leben kann, aber für welche Religion oder welche Kleidung sich die Menschen dann entscheiden, ist mir echt egal.

    • Hier ein, zugegeben etwas verspäteter Einwurf. Natürlich ist diese Entscheidung ein Unding. Ich würde hier gern doch noch einmal auf die Scheinheiligkeit hinweisen, mit der solche Debatten insbesondere in Deutschland geführt werden und dies an zwei Beispielen deutlich machen:

      • 1.) Das Kopftuch als Ausdruck religiöser Zugehörigkeit für Mitarbeiter z.B. im Schuldienst oder in Behörden ist verboten. Was passiert wenn ein orthodoxer Jude, zurecht (!) darauf beharrt im Dienst eine Kippah zu tragen. Und der Moment wird kommen, den Gott sein Dank wachsen alle jüdischen Gemeinden in Deutschland und damit auch die orthodoxen. Ich sage es euch, keiner wird es wagen ihm dieses Recht zu nehmen. Den Shitstorm hält kein Politiker aus.

      • 2.) Zurecht kämpft die westliche Welt und mit ihr auch die Bundesrepublik im Rahmen ihrer Möglichkeiten gegen weibliche Genitalverstümmelung in vielen afrikanischen Gesellschaften. Ähnliche wenn auch nicht so massive Eingriffe sind aber unter Frauen, insbesondere jungen Frauen in westlichen Gesellschaften seit einigen Jahren der letzte Schick, um einem bestimmten Schönheitsideal zu entsprechen. Ich will das hier nicht weiter explicit ausführen, aber das WWW ist voll von Werbevideos der entsprechenden Schönheitschirurgen. Wie wollen wir einen afrikanischen Stammesältesten davon überzeugen mit dieser Praxis Schluss zu machen, während wir eine ähnliche Praxis aus kosmetischen Gründen bei uns tolerieren?

    • MisterEde ist dafür
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      Volle Zustimmung. Ich finde gut, dass Sie das Gesetz kritisieren und nicht das Gericht. Ein solches Gesetz ist Nonsens, allerdings kann der Gerichtshof da wenig dafür.

  • Hallo treffpunkteuropa.de,

    ich habe mich bereits vor einiger Zeit mit dem Urteil beschäftigt, da ich die Mehrheitsmeinung, die auch in Ihrem Artikel vertreten wird, so nicht teile.

    http://www.mister-ede.de/politik/urteil-verschleierungsverbot/2699

    1. Es handelt sich nicht um ein Burka-Verbot. Ansonsten wären Burkas auch im nicht-öffentlichen Bereich verboten, bzw. andere Verschleierungsformen wären im öffentlichen Bereich in Ordnung. Sie beschreiben das im verlinkten Artikel zwar auch am Rande, allerdings ist das wesentlich für die juristische Bewertung.
    2. Ein Gericht ist nicht der Gesetzgeber, daher kann das Gericht nur anhand der Gesetze, z.B. der EMRK, entscheiden. Dem Gericht vorzuwerfen, dass die EMRK einen zu schwachen Schutz bietet, ist zwar weitverbreitet, aus meiner Sicht aber abwegig. Denn dies würde unterstellen, dass künftig Gerichte die Gesetze machen sollen und nicht mehr Parlamente. Ähnliches gilt für den Ermessensspielraum bei der Abwägung unterschiedlicher Rechtsgüter. Dieser steht ebenfalls dem Gesetzgeber zu, da dieser im Zweifel auch abgewählt werden kann. Es gilt der Grundsatz, politische Entscheidungen kann man nicht juristisch treffen.
    3. Vor allem sollte bedacht werden, dass dieses Urteil effektiv keine Auswirkungen auf die Rechtslage in Deutschland hat. Selbst ein allgemeines Verschleierungsverbot wäre in Deutschland verfassungswidrig.
    • Es gibt zwei schöne Filme, schon älteren Datums, die zeigen, was die Verschleierungspflicht für Frauen bedeutet:

      "Persepolis": Verschleierung und Sittenpolizei im Iran.

      "Das Mädchen Wadjda": Ganzkörperschleier und Religionspolizei in Saudi-Arabien.

      Der Schleier ist mehr als ein modisches Accessoire. Er ist ein Unterdrückungsinstrument.

      • Allerdings sind Iran und Saudi-Arabien keine EU-Mitglieder und insofern auch nicht europäischen Gesetzen unterworfen.