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Nein, es sind nicht beide schuld!


Auszüge aus einem Blogeintrag von Tim Huß zum Nahostkonflikt:

[...]

Die Hamas erklärt Israel den Krieg und erhöht ihre Raketenangriffe. Israel lässt sich tagelang im 10-Minuten-Takt beschießen, ehe es sich verteidigt.

Israel versucht, der Hamas die Instrumente für den Krieg – Waffen – zu entziehen. Die Hamas versucht, möglichst viele Jüdinnen und Juden zu töten.

Israel informiert die palästinensische Zivilbevölkerung über Angriffe auf Waffenlager und Tunnel per Telefon oder Flugblätter. Die Hamas ruft ihre Leute auf, an angekündigten Angriffspunkten zu verharren, um die Opferzahl und damit den Hass gegen Israel nach oben zu treiben.

Israel schickt Lebensmittel, Strom und Treibstoff nach Gaza, um den Menschen zu helfen. Die Hamas kümmert sich in der Praxis mehr um den Kampf gegen Israel (vor allem Bau von Tunneln) statt um das Leben und das Wohlergehen der Palästinenser – von Palästinenserinnen ganz zu schweigen.

Israel schützt seine Bevölkerung durch Abwehrraketen. Die Hamas schützt ihre Raketen durch die Bevölkerung.

Israel will eine Waffenruhe, um zu verhandeln. Die Hamas findet, Waffenruhen sind „Zeitverschwendung“.

Israel macht regelmäßig Kampfpausen, um Hilfslieferungen in den Gazastreifen zu bringen. Die Hamas feuert in dieser Zeit weiter Raketen ab.

Und noch ein Blick in die Grundsatzdokumente und in die Geschichte:

Israel ist als demokratischer Rechtsstaat verfasst (um genau zu sein: Israel hat keine Verfassung im engeren Sinne, sondern Grundgesetze, die den institutionellen Rahmen festsetzen, sowie unveräußerliche Grundrechte für die Bevölkerung). Die Hamas ist die politische und militärische Organisation der Einparteiendiktatur im Gazastreifen.

Israel bekennt sich in seiner Unabhängigkeitserklärung zum Frieden und zu einem Ausgleich zwischen den Völkern. Die Hamas hält im Artikel 7 ihrer Charta fest: „Die Zeit wird nicht anbrechen, bevor nicht die Muslime die Juden bekämpfen und sie töten; bevor sich nicht die Juden hinter Felsen und Bäumen verstecken, welche ausrufen: Oh Muslim! Da ist ein Jude, der sich hinter mir versteckt; komm und töte ihn!“

Israel gründete sich, da insbesondere nach der Shoa die Notwendigkeit eines jüdischen Staates zum Schutz vor Antisemitismus offensichtlich war. Die Hamas gründete sich, da ihr der Kampf gegen Israel wegen der friedensorientierten Tendenzen der PLO in den 80er Jahren nicht blutig genug war.

Israel akzeptierte die 2-Staaten-Lösungen von 1937 (Peel-Kommission), 1947 (UN-Teilungsplan), 1994 (Oslo-Prozess) und 2000 (Camp David). Die Hamas akzeptiert keinen Frieden, in dem der Staat Israel existiert.

Israel startete nach dem Sechstagekrieg eine „Land-for-Peace“-Initiative mit Ägypten, die mit der schrittweisen Übergabe des ölreichen Sinai (Land…) und dem Israelisch-Ägyptischen-Friedensvertrag 1979 (…for Peace) endete. Die Hamas verfünffachte 2005 ihre Raketenangriffe, nachdem Israel alle 21 jüdische Siedlungen im Gazastreifen gewaltsam räumen ließ (Land-for-even-more-War?).

Doch ist ein Krieg wirklich alternativlos? Nein, sicher nicht. Schauen wir uns die Alternativen an, die Israel und die Hamas hätten verfolgen können:

Alternative 1: Israel startet keine Gegenangriffe und keine Bodenoffensive. Israel ignoriert die antisemitische Vernichtungsrhetorik. Israel stellt sogar die Grenzkontrollen ein und lässt neben Lebensmitteln und Dingen des täglichen Gebrauchs auch Waffenlieferungen zu.

Was wäre die Konsequenz? Der Raketenhagel über Israel würde weitergehen. Die Hamas würde weiter jede Friedensinitiative ablehnen und versuchen, Israel zu vernichten. Die Menschen in Israel würden weiter jeden Tag um ihr Leben fürchten – oder es verlieren. Freiheit und Sicherheit würden für immer in weite Ferne rücken. Israels Misstrauen gegenüber der Hamas ist historisch begründbar und tagesaktuell nachzuvollziehen. Hätte Israel diese Alternative gewählt – es könnte den Staat Israel auflösen und die Jüdinnen und Juden wieder in jene Gefahr entlassen, von der sie bis und selbst nach 1948 aus Deutschland, Osteuropa, der Sowjetunion und aus arabischen Staaten flohen. Wie real die Gefahr auch in Deutschland ist, lässt sich am Einsatzplan der Polizei feststellen.

Alternative 2: Die Hamas schießt keine Raketen auf Israel.

Was wäre die Konsequenz? Die kriegerischen Auseinandersetzungen gäbe es nicht. Hunderte Menschen wären noch am Leben. Auf keiner Seite müssten Menschen um ihr Leben fürchten.

Mittelfristig könnte die Hamas auch ihre Waffen ablegen und das Existenzrecht Israels anerkennen. Sie könnte in Verhandlungen einsteigen, für Frieden sorgen und den Menschen ein Leben in Würde und Freiheit ermöglichen.

Was wäre die Konsequenz? Der Nahost-Konflikt wäre gelöst. Denn Israel hat ein natürliches Interesse an einem starken, friedfertigen Partner in Gaza und nicht an einem antisemitischen, militärischen Aggressor.

[...]

Viele Menschen wünschen sich tatsächlich, Israel solle sich einfach weiter beschießen lassen. Eine solche Ungeheuerlichkeit wird von keinem Staat der Welt verlangt. Mit Blick auf die menschlichen Leidenserfahrungen in der Jahrtausende langen Geschichte des Judentums und auf den aggressiven Antisemitismus der Hamas wirkt eine solche Forderung geradezu zynisch. Liebe „Israelkritiker“, was zur Hölle verlangt ihr von Israel eigentlich?

[...]

Wer das Handeln von Hamas und Israel vergleicht, kann nur solidarisch an der Seite Israels stehen – oder sich ein Leben in einem Kalifat wünschen. Unsere Solidarität muss auch den fliehenden Palästinenserinnen und Palästinensern gelten, die sich im Würgegriff der Hamas befinden. Viele bejubeln immer noch, gesteuert von Judenhass, die Propaganda der Terrororganisation. Mittlerweile haben aber mehr und mehr Menschen in Gaza die Schnauze voll von ihren Gottesführern und Gottesführerinnen, ihrer wirtschaftspolitischen Unfähigkeit, ihrer staatlichen Inkompetenz, ihrem friedenspolitischen Nichtstun. Die einzige Legitimation, aus der die Hamas ihre Existenz abzuleiten versucht, ist der Kampf gegen den Judenstaat und für einen islamistischen Gottesstaat, kein demokratisches Votum. Die Menschen versagen ihr gerade in Scharen die Unterstützung. Die Appelle führender Hamas-Mitglieder, das menschliche Schutzschild möge doch bitte menschliches Schutzschild bleiben, verhallen weitgehend ungehört.

[...]

Es ist im ureigensten Interesse Israels, Partner statt Feinde zu haben, Sicherheit statt Krieg. Das ist der Kern der zionistischen Idee. Israel wird auch zu einem Frieden mit den Palästinenserinnen und Palästinensern bereit sein, sofern seine Sicherheit gewährleistet wird. Die Sicherheit ist gewährleistet, wenn die führenden politischen Organisationen – vor allem die Hamas – Israels Existenzrecht anerkennen und die Gewalt in ein staatliches Monopol kanalisieren, das sich zum Frieden verpflichtet fühlt.

[...]

Kompletter Blogeintrag siehe: Nein, es sind nicht beide schuld!


Kommentare

  • Nein so einfach ist es nicht. Was völlig fehlt bei der Regierung Netanjahu sind Kompromissfähigkeit (Siedlungen) und ein ernstgemeintes Friedenkonzept, dass den Palästinsern eine Zukunft, einen eigenen Staat in Aussicht stellt. Nur mit einer glaubhaften Friedensvision können die gemäßigten Palästinenser gestärkt und die radikalen Teile der Hamas geschwächt werden. Nur die restlos Verzweifelten im Gaza befürworten Raketen.

    Und das Problem ist eben auch, dass sich die Welt nicht im Geringsten für Gaza interessiert, wenn es keine Raketen schießt. Diese Wahrnehmung muss sich ändern. Friedliche Bewegungen für den Frieden müssen ins globale Rampenlicht, so werden sie auch zu Hause stark. Hier eine davon: Jews & Arabs Refuse To Be Enemies. Aber die meisten Medien (und wir?) wollen ja nur immer Tote und Verletzte sehen.

    • Das sehe ich ebenso! Die etablierte Clique ist doch seit jeher weit davon entfernt ernsthaft nach friedlichen Lösungen zu suchen. Mir scheint ihnen geht es vor allem um Formen der Selbstprofilierung ohne Rücksicht auf die doch oft vernünftigen Forderungen derjenigen, denen sie weisungsgebunden sein sollten. Ich habe immer gehofft, dass eine jüdische Gesellschaft nachwächst, die in neuen Dimensionen denkt, ebenso wie auf Seiten der PalästinenserInnen. Gesellschaften, die für ernsthafte Lösungen bereit sind, daran glaube ich noch immer. Hin oder her, und mit Verweis auf den Antisemitismus-kritischen Artikel von nemo, dem ich voll und ganz beipflichte - Gaza ist ein Ghetto, ist blinder Fleck der Weltgesellschaft, ist humanitäre Katastrophe in Perfektion. Vielleicht würde es lohnen hier anzufangen...

  • Liebes Forum,

    ein kurzer Hinweis. Zum Antisemitismus, der im aktuellen Gaza-Israel-Konflikt zu Tage tritt, hat nemo eine eigene Diskussion gestartet: Es gibt keinen Platz für Antisemitismus in Deutschland!

    Kommentiert hat aktuell der Psychologe Rolf Verleger (Rolf Verleger), dessen Interview mit dem Deutschlandfunk hier bereits von Ingeborg und Rakaba verlinkt wurde bzw. zitiert wurde.

  • Also ich kann nur abraten, einer Seite die ganze Schuld zu geben. Rolf Verleger, ehemaliges Direktoriums-Mitglied im Zentralrat der Juden in Deutschland, hat die Verantwortung der israelischen Regierung beschrieben: "Es ist doch eine Absurdität, diese Gewaltbereitschaft, diesen nationalreligiösen Hass, der sich in der israelischen Gesellschaft aufgestaut hat, das mit der jüdischen Tradition von Nächstenliebe und dass das mal eine Religion war der tätigen Moral, wie es der Rabbiner Leo Baeck, der Führer des Judentums in Nazi-Deutschland, gesagt hat, das ist doch was völlig anderes geworden. Das muss man doch sehen und muss darauf reagieren. Man kann doch nicht jeden Quatsch, den Israel da macht, mitmachen."

  • Hallo Tim Huß , danke! Was könnte die Hamas für die Palästinenser nicht alles tun, wenn sie auf Gewalt verzichtet und Israel anerkennt! Die Blockade Gazas würde enden, sie wäre selbst dann nicht mehr aufrecht zu erhalten, wenn radikale Hardliner in Israel daran festhalten wollen. Ein Frieden würde näher rücken, auch der Friedensdruck auf die Rechten in Israel würde enorm steigen! Die Hamas weiß, dass sie diesen Konflikt nicht militärisch gewinnen kann. Dass sie es trotzdem probiert, einfach nur für den eigenen Machterhalt, auf Kosten der eigenen Bevölkerung, ist widerlich, das wird in Deutschland ständig ausgeblendet.

    • Ich kenne Israel nur oberflächlich durch zwei Studienreisen und Jordanien durch eine Studienreise und bilde mir nicht ein, ein fundiertes Urteil abgeben zu können. Dennoch beschäftigt mich alles, was dort passiert, sehr. Einige (naive?) Bemerkungen seien erlaubt:

      War es nicht schon ein Fehler der Mandatsmacht Großbritannien 1947, Israel zu der damals zwar absolut notwendigen Staatsgründung zu verhelfen, aber sich überhaupt nicht darum zu kümmern, was mit den Palästinensern innerhalb und außerhalb der damaligen Grenzen Israels passiert? Hätte man damals nicht schon auf einen Staat Jordanien, der auch das Westjordanland und Gaza umfaßt, dringen müssen? Eine Art palästinensischen Bundesstaat soz., wie er dem Historiker M. Wolfssohn vorschwebt? Dann wären die Verhältnisse von Anfang an klarer gewesen. Palästinenser, die weiter auf israelischem Gebiet leben wollten , hätten das ja gekonnt (und können das ja bis heute tun). Niemand zwang sie zur Flucht und zwingt sie heute zur Flucht. Aber sie hätten als Alternative die Möglichkeit zur Auswanderung gehabt in einen palästinensischen Staat.

      Ohne das Existenzrecht Israels im Geringsten anzweifeln zu wollen, beschäftigt mich auch die Frage der Palästinenser: Warum müssen wir die Folgen der Shoa ausbaden? M.E. ist ihnen zu wenig gezeigt worden, welche Entwicklung und Aufbauleistung Israel für Palästina bringen würde (und schließlich auch gebracht hat,) von der auch sie profitieren und noch mehr profitieren könnten, wenn sie sich arrangieren würden.

      Sowohl Israel wie die Palästinenser (vor allem in Gaza) müssten ihre radikalen Gruppierungen bzw. Führer, Israel die Ultrarechten, die Palästinenser die Hamas, isolieren. Sagen: "Hört auf, wir wollen friedliche Lösungen!"

      In Gaza gibt es viele Menschen, die kriegsmüde sind, auf israelischer Seite ebenso. Eine junge Generation ist auf beiden Seiten nachgewachsen. "Jews and Arabs refuse to be enemies". Warum geht es nicht, die Politik in ihre Hand zu legen? Warum bleiben die Ewig-Gestrigen die Entscheidungsträger? Und warum ordnen sich die jungen Kämpfer auf beiden Seiten den Alten unter? Und warum lassen sich die Frauen in Gaza mit ihren Kindern zu Schutzschilden machen? Sind sie so abhängig von ihren autoritären Männern? Haben sie keine eigen Meinung? Manchmal könnte ich an meinen eigenen Geschlechtsgenossinnen verzweifeln...

      Es wäre schön, wenn es im Ausland, bei uns z.B. und anderswo, gemeinsame israelisch-palästinensische Demonstrationen gäbe für arabisch-israelische Friedensintiativen.

      • Hallo Doro, überhaupt nicht naiv und genau den Punkt getroffen.

        Ich will hier nicht wieder auf meinem Lieblingsthema herumreiten, dem "langen 20. Jahrhundert“ und den Sollbruchstellen (Ukraine, Balkan etc.) die uns WW I hinterlassen hat. Der Nahe Osten gehört nach dem endgültigen Zusammenbruch des Osmanischen Reiches 1918 aber zweifellos auch dazu. Hier der Link auf einen ausführlichen und gescheiten Aufsatz zum Nahen Osten und dem Versailler Vertrag von Bernhard von Zand.

        Viele Völker haben im Laufe der Geschichte Teile ihres Staats- oder Siedlungsbebietes verloren, unverschuldet oder selbstverschuldet wie z. B. Deutschland nach 1945. Die Geschichte macht da leider keinen Unterschied. Ein friedliches Weiterleben mit den Nachbarn war immer (!) nur dann und da möglich, wo die Betroffenen diese schmerzliche geschichtliche Tatsache akzeptiert haben. Die Palästinenser haben dies bis heute nicht getan.

        Ein ganz offensichtlicher Grund dafür ist, dass alle arabischen Staaten diese historische Tatsache für ihre eigenen dubiosen politischen Zwecke instrumentalisiert und die Gründung eines eigenen palästinensischen Staates stets hintertrieben haben. Eine Folge war und ist, dass die Palästinenser bis heute unter unzumutbaren Zuständen in riesigen Flüchtlingslagern leben müssen. Keiner hätte z.B. die Al Sa’uds 1) daran gehindert mit ihrem unermesslichen Reichtum einen Großteil diese Palästinenser über die Jahre und Jahrzehnte aufzunehmen statt Lohnsklaven aus Bangladesch oder Indien zu importieren oder mit ihren Petrodollars die Lage in den Flüchtlingslagern im Libanon, in Jordanien und anderswo zu entspannen und diesen Menschen eine Perspektive zu geben. Gleiches gilt für alle Golfstaaten.

        Stattdessen existieren diese Lager mit ihrer Hoffnungslosigkeit und ihrer deswegen latent explosiven Stimmung weiter, der Konflikt wird je nach Bedarf auf kleiner Flamme gekocht, um ihn dann bei Bedarf eskalieren zu lassen.

        Das Emirat Katar ist ein schönes Beispiel. Es versorgt Hisbollah und Hamas mit Geld und Waffen und per Al Jazeera mit Propaganda. Und unsere Bundesregierung ihrerseits hat nichts Besseres zu tun als die herrschende Clique mit Waffen aller Art zu versorgen, bis hin zu Panzern. Mal gucken, wann die ersten deutschen Granaten in Israel einschlagen. Ich bin schon gespannt auf den Shitstorm, der dann bei Frau Dr. Merkel einschlägt. Absolut pervers!.

        Israel ist, wie Tim Huß oben richtig schreibt in der nicht weniger perversen Lage, dass sich dieser Konflikt so wie sich die arabische Welt derzeit verhält nur beenden lässt, wenn es sich quasi selbst freiwillig von der Landkarte tilgt. Damit wäre dann aber endgültig der Weg frei für ISIL, den „ Islamic State of Iraq and the Levant“. Was wiederum die Saudis, Ägypten und der Iran fürchten wie Pest.

        1) Sie waren übrigens die einzigen die in Versailles politisch selbst vertreten waren und haben sich einen beachtlichen Anteil der Beute gesichert. Nur mit Mühe konnten die Briten sie davon abbringen sich auch noch Palästina, Jordanien und Syrien einzuverleiben.

  • In dem Beitrag "Nein, es sind nicht beide schuld" ist fast jeder Satz eine Verdrehung der Wirklichkeit. Ich kenne diese Argumentationsketten aus israelischer Sicht - und als Conclusion müsste es dann heißen, dass das israelische Militär, die "humanste Streitmacht der Welt", die IDF den Friedennobelpreis verdient.

    Meine kurze Argumentation: Bei gewalttätigen Auseinandersetzungen sind immer diejenigen schuld, die Gewalt ausüben.

    Tim Huss unterstellt "es liegt im ureigensten Interesse Israels, Partner statt Feinde zu haben". Es handelt aber genau entgegen gesetzt und das nicht ohne Grund. Israel legitimiert sich und seinen Sicherheitsapparat dadurch, dass es eine ständige Bedrohung benötigt. Um diese aufrecht zu erhalten, werden Siedlungen gebaut, wird provoziert, wird im Stil der Besatzer schikaniert und notfalls auch eine feindliche Organisation aufgebaut oder unterstützt. Der Umgang mit der pal. Bevölkerung in Israel und den besetzten Gebieten geschieht nach dem Prinzip teile und herrsche. Religiöse Fundamentalisten unterschiedlicher Glaubensrichtungen spielen hier wunderbar mit. In der aktuellen kriegerischen Auseinandersetzung führt Israel gerade genüßlich vor, wie isoliert in der arabischen Welt die Muslimbrüder sind.

    Dieser Konflikt wäre nicht nötig gewesen. Bettina Marx (ARD-Korrespondentin in Tel Aviv) analysiert die Vorgeschichte dieses Juli-Krieges treffend in diesem Beitrag: http://www.dw.de/kommentar-provokation-und-gewalt/a-17785370

    Dieser Krieg ist eine brutale Antwort der israelischen Regierung auf die neue Regierung Palästinas, um den sog. "Friedensprozess" zu stören. Die Mehrzahl der pal. Bevölkerung ist es leid, als Untermenschen behandelt zu werden und im Gaza-Streifen eingesperrt zu sein. Viele sind durch die durch Israel seit Jahrzehnten zu verantwortenden Umstände so traumatisiert, dass es ihnen egal ist, ob, durch wen und wie sie abgeballert werden. Andere haben Rachgedanken und werden sie, wenn es ihnen möglich wird, auch irgendwann umsetzen. Dieser Waffengang wird die Probleme nicht lösen und damit hat Israel sein Ziel erreicht. Das ist leider die traurige Wahrheit.

  • Ich muss schon sagen, dieser Text ist schon sehr blind für die andere Seite. Ich habe den Eindruck, es geht Israels Regierung aktuell nicht nur um die Tunnel oder den Beschuss aus dem Gaza, sondern eher/auch um die Ausschaltung der Hamas an sich. Das ist dann aber etwas anderes als Selbstverteidigung, es ist Angriffskrieg. Werden so die Palästinenser "bekehrt"? Wird so der Frieden gestärkt? Oder wachsen nur neue, mehr 'Terroristen' heran, zu ganzen Armeen wie im Irak? Das möge mal jeder selbst für sich beantworten, wann wurden Menschen durch einen Krieg, durch die militärische Niederlage eines Besseren belehrt? Ich hoffe, auch die Deutschen haben sich aus innerer Einsicht vom Dritten Reich abgewendet, und nicht einfach nur, weil es den 2. Weltkrieg verloren hat - wobei ich natürlich weiß, Vergleiche sind bei diesem Thema immer riskant und naturgemäß schief.

    Ich vermisse bei der israelischen Regierung wie Bachmann eine klare FRIEDENSVISION! Die ist sie den Israelis, aber auch den Zivilisten im Gaza, genauso schuldig wie die Hamas! Meine Sorge ist außerdem, dass das radikale Klima auch in der israelischen Gesellschaft auch die israelischen Soldaten korrumpiert und ansteckt, dass sie "arabische" Leben eben doch nicht mehr als ganz gleichwertig ansehen, wie das unser aufgeklärtes, demokratisches Ideal verlangt.

    Das hat auch gar nichts mit Israel im Besonderen zu tun, sondern mit Krieg an sich. Ist die Vorstellung einer demokratischen, "anständigen" Armee, die Zivilisten schützt, nicht ein Märchen? Müssen Soldaten ihre Moral, ihr Mitgefühl und ihr Gewissen nicht zwangsläufig ausschalten und verdrängen, um diesen Wahnsinn (Häuserkrieg im Gaza!) überhaupt auszuhalten? Auch Israels Seele hat längst Schaden genommen, vielfach dokumentiert von vielen ehemaligen oder aktiven Soldaten. Es ist ein Märchen, dass hier eine Seite völlig im Recht ist, guten Gewissens bomben kann.

    • Hallo Rakaba, Israel zu unterstellen es hätte keine Friedensversion ist schon ein wenig grenzwertig. Natürlich ist dieses Land nach der SHOA 1946 voller Hoffnung auf ein Leben in Frieden in einem Jüdischen Staat gestartet und tut dies noch heute! Die historischen Fakten warum dies nicht so wie erhofft möglich war sind bekannt und ich will sie hier nicht wiederholen. Siehe dazu andere Beiträge in diesem Thread.

      Ich zitiere mich nicht gern selber, aber sei’s drum: Israel ist, wie Tim Huß oben richtig schreibt in der nicht weniger perversen Lage, dass sich dieser Konflikt so wie sich die arabische Welt derzeit verhält nur beenden lässt, wenn es sich quasi selbst freiwillig von der Landkarte tilgt. Damit wäre dann aber endgültig der Weg frei für ISIL, den „ Islamic State of Iraq and the Levant“.

      Soll Israel das tun, soll das Judentum einen neuen Exodus antreten, nur damit endlich Ruhe ist und die arabischen Mächte und die islamistischen Fundamentalisten weiter ihr Süppchen kochen können? Willst Du das?

      • Hallo "nemo", ich sprach nicht von Israel an sich, sondern bewusst von der israelischen Regierung. Auch das Recht auf Selbstverteidigung stelle ich nich in Abrede. Ich sage nur, der militärische Weg löst diesen Konflikt nicht, sondern konserviert und verstärkt ihn noch. Wenn Netanjahu den Frieden will, schließt er keine Koalition mit Ultranationalisten wie Außenminister Avigdor Lieberman, die ganz klar ein Problem mit Arabern im Allgemeinen haben, und nicht mit Kassam-Brigaden im Besondern. Dass die ganze arabische Welt - wie von Tum Huss suggeriert - Israel von der Landkarte tilgen will, ist Unsinn. Der Friedensprozess war schon sehr weit, selbst die Hamas stand schon davor, sich im Bündnis mit der Fatah zu mäßigen, nachzulesen hier und hier. Ich bleibe dabei: Gegner des Friedens sind die Radikalen auf beiden Seiten. Sie leben vom Konflikt. Sie sind "Brothers in Arms" (Achtung Wortspiel).

        Kompromisse und Pragmatismus sind möglich, vielleicht sogar ein UN-Protektoriat für Jerusalem (um mal dieses fundamentale Problem des heiligen Landes zu lösen), oder gar eine Bundesrepublik Palästina (Siehe hierzu den schon von Doro erwähnten Historiker Michael Wolffsohn). Einfach nur den "gerechten" Krieg zu führen ist zu wenig.

        @Tim_Huß nemo: Noch ein Text, der diese Diskussion glaube ich voranbringen würde (trotz des wenig aussagekräftigen Titels):

        Aachener Zeitung: RWTH-Student blickt auf den blutigen Konflikt in seinem Land

        • Nichts Grundsätzliches (dazu ist hier schon viel Weiterführendes geschrieben worden), sondern zur aktuellen gegenwärtigen Situation:

          Die Hamas kämpft mit unfairen, feigen Mitteln, indem sie Raketen aus Wohngebieten abfeuert und damit die eigene Bevölkerung in Geiselhaft nimmt und den Tod Vieler einkalkuliert. Das alles ist ja schon hinreichend gesagt worden. Worum es mir geht: Die israelische Regierung sollte die Kampfhandlungen einstellen, sofort. Mit solch einem Gegner kämpft man nicht und lässt es nicht zu, dass die Psyche der eigenen jungen israelischen Soldaten beim Tötenmüssen weiter beschädigt wird.

          Israel ist stärker und kann zuerst aufhören.

          • Die Macht der Bilder

            Sieht man die schrecklichen Bilder aus Gaza verliert eigentlich jedwede Argumentation pro oder contra, schuldig oder nicht schuldig hier ihre ethische Legitimation. Vor allem für Israel wird dies leider, weil selbst verursacht (sage ich) oder endlich (sagen andere) viele negative Folgen haben. Dazu gehört eine nachhaltig gestörtes Verhältnis zur den UN und die berechtigte Angst vor internationale Tribunale gezerrt zu werden. Der Hamas und ihren Kassam-Brigaden ist so etwas sowieso völlig egal.

            Dass hier Fotos und Videos eine solche Wirkungsmacht entfalten konnten, liegt nicht zuletzt daran, dass dieser schreckliche Krieg in den Medien wie in inszeniertes Event daherkommt. Vielleicht sogar von Seiten der Hamas so geplant, ich weiß es nicht. Die wenigen Kilometer oder manchmal nur hundert Meter, die Gaza und Israel trennen, die technische Top-Infrastruktur, die Israel allen Medienmitarbeitern der Welt zur Verfügung stellen kann und die Tatsache, dass Israel als einzige Demokratie dies Nahen Ostens eine freie und unbehinderte Berichterstattung garantiert machen dies möglich. So entstand, nimmt man diesen Krieg und die Berichterstattung darüber als ganzes, zynischerweise ein unglaublich wirkungsvolles Werbevideo für die Terrorbrigaden der Hamas und die zweifelhafte Legitimation ihres Handelns.

            Wo der Zugang für die Medien schwerer oder gar nicht möglich ist wie z.B. in Syrien oder in Teilen des Irak oder Afrikas, wo es dann logischerweise weder Fotos noch Videos gibt, die dann die europäischen Massenmedien füllen, leiden, sterben Menschen auf die gleiche unmenschliche Art und Weise und zwar in ungleich größerer Zahl. Täglich (!) werden Hunderte von Männer, Frauen, Alte erschossen, erschlagen oder exekutiert, werden Kinder verstümmelt und sind Christen und andere ethnische oder religiöse Minderheiten zu Hundertausenden auf der Flucht, Menschen, die nichts mehr besitzen, als das was sie auf dem Körper tragen. Nur kein Reporter nebst Fotograf wie in Gaza ist vor Ort, der das Grauen ablichtet, schnell die paar Kilometer in sein First-Class-Hotel nach Israel fährt, in der Hotel-Lobby bei einem eisgekühlten Becks seine Berichte oder Fotos über das hoteleigene WiFi hochlädt und sich dann abends in sein frisch gemachtes Bett legt.

            Diese anderen Orte des Gemetzels belasten uns nicht, weil wir nichts von ihnen wissen oder wissen wollen. Sie sind perverserweise auch nicht sexy genug für ein Tagesschau- oder Heute-Extra. Nur noch der abfotografierte Tod, die gefilmte Verstümmelung zählen.

            Israel hat so einmal mehr die schlechteren Karten in diesem Konflikt, der noch lange dauern wird. Liebe Doro, Israel ist deshalb leider nicht stärker und ich bin mir auch nicht sicher, ob wir den Israelis raten sollen die Waffen zu strecken und „zuerst aufzuhören“.

            • Hallo nemo,

              auch wenn wir beim Blick auf den grundlegenden Konflikt nicht einer Meinung sind, beschäftigt mich dein Kommentar, es ist etwas dran. Wir erwarten von der israelischen Regierung viel, eben weil Israel eine Demokratie ist, weil Israel uns so Nahe ist, wie jeder merkt, wenn er in Tel Aviv ist oder israelische Freunde hat. Es gibt einen - auch medial - präsenten Ansprechpartner. An wen soll ich mich richten, wenn mich die Opfer-Zahlen aus der Black Box Syrien verstören? Wer ist dort eigentlich "verantwortlich"? War es überhaupt "realpolitisch" eine gute Idee, Assad sofort zu isolieren? Ich weiß es schon gar nicht mehr. Wer hat einen Plan, was in Syrien passiert? Ich glaube wir arbeiten uns an Israel ab, auch weil wir es "können", so komisch es klingt.

              • War Porn - Tod und Schrecken in Zeiten der Selbstzensur. Man muss nur wollen, dann sieht man.