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Gewalt im Internet - Helfen mehr Gesetze?


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Ein Beitrag von Jana

Dass das Internet nicht nur ein gemütliches Wohnzimmer zum Quatschen und Austauschen ist, ist den meisten Nutzer_innen irgendwie klar. Aber gerade Menschen, die sich zu Feminismus, Sexismus, Rassismus u.s.w. in emanzipativem Sinne äußern, kennen die Schattenseiten - oder auch Personen, die von Sexismus, Rassismus etc. betroffen sind, selbst wenn sie sich zu irgendetwas Beliebigem äußern. (Wie oft passiert es zum Beispiel, dass eine Frau sich in eine Diskussion einbringt - egal welchen Themas - und beschimpft wird?) Das Ausmaß ist schwer zu überblicken: Es geht von Beleidigungen innerhalb von Diskussionen, über das Schreiben von Hassnachrichten, dem Erstellen von verhöhnenden Videos gegen diese Personen zu anderen Formen von Stalking...

Versuche, Anzeige zu erstatten, scheitern meistens. Da werden auf der Polizeistation schon einmal Morddrohungen, die per Email oder in Blogs eingehen, als "Beleidigung" verharmlost , oder den Attackierten wird das Gefühl vermittelt, sie reagierten überspannt. Die Dringlichkeit, tätig zu werden und zu ermitteln, wird nicht gesehen. Gewaltandrohungen (die ja schon eine Form der Gewalt sind) werden von Ermittlungsbehörden meist erst ernst genommen (wenn überhaupt), wenn sie in der persönlichen face-to-face-Kommunikation ausgesprochen werden, oder auf Papier geschrieben sind - im Internet ist doch alles nicht ganz "echt".

Wie können wir uns dagegen wehren, dagegen vorgehen?

Wie sind eure Erfahrungen mit Anzeigen? Brauchen wir neue, bessere Gesetze, die konkret auf diese Taten und die Internet-Übergriffe eingehen? Wie könnten diese aussehen? Oder haltet ihr Gesetze für den falschen Ansatz? Welche Lösungsideen oder Verhaltensweisen habt Ihr in solchen Fällen sonst? Und welchen Stellenwert hat in der Diskussion für euch die Rolle von Anonymität (der Attackierten und der Angreifer_innen)?


Kommentare

  • Ich sehe Gesetze für das Internet immer etwas differenziert. Auf der einen Seite braucht man Regeln, aber auf der anderen Seite schränken sie uns ein. Gleichzeitig sprechen wir auch von einem globalem Problem. In erster Linie würde ich eher die einzelnen Communitys, Blogs, Netzwerke, etc. dazu auffordern eine Nettiquette einzuführen und diese auch umzusetzen. Klar hat diese Strategien viele Schwächen, aber ich denke, dass es auch die Einfachheit ist jemanden zu beleidigen und auch positives Feedback von anderen (Trollen) weiter aufstacheln (s. Beitrag von GeertV). Wenn man dem pöbelden Mob diese Einfachheit nimmt, wird dies zwar den harten Kern dieser Menschen nicht abhalten weiter ihr Unwesen zu treiben, aber eher die anderen davon abhalten. Dementsprechend finde ich die Social Media-Strategie von einigen Nachrichtenmedien ganz interessant. Da wird gegen Trolle zurückgepöbelt und aktiviert sogar die eigene Community sich dem Troll entgegenzustellen, wodurch dieser dann signalisiert bekommt, dass er nicht erwünscht ist.

    Das wird zwar die Gewalt im Netz nicht verhindern, aber ich denke doch, dass sie damit einigermaßen begrenzt wird.

    Ansonsten bin ich gegen den Klarnamenzwang, weil nicht jeder Mensch, der mich googelt gleich herausfinden muss, was ich mag, bin und denke.

    • Ich denke "zurückpöbeln" vergiftet am Ende nur die Atmosphäre und verschreckt all jene, die sich gepflegt unterhalten wollen. Ein Seitenbetreiber, dem sein Forum wichtig ist, sollte sich meines Erachten deshalb bemühen, Trolling oder andere unangenehme Formen der Kommunikation zu verhindern.

    • Ja, da stimme ich dir zu. In den "Gewaltstufen" (wenn man das so nennen kann), die sich unterhalb der Stalking-Definition befinden, bzw. Situationen, in denen Menschen sich bedroht fühlen, bin ich auch für die Selbstregulierung durch die Community + einen Verhaltenskodex à la Netiquette. Das funktioniert ja oft auch sehr gut.

      Paroli bieten und Diskurse führen – entweder es als provokanter Gegenkommentar des Moderators oder anhand von Gegenwind der ganzen Community – sind sehr viel besser als das einfache Löschen eines Kommentars oder Accounts...denn dann fühlt sich der Troll erst recht bestätigt und kommt zurück, mit neuem Namen und neuem Account. Und der ganze "Spaß" geht von vorne los.

      • Das sehe ich interessanterweise genau umgekehrt. Geht man auf den Troll ein, hat er gewonnen und wird weitermachen. Ignorieren, löschen oder gar nicht erst freischalten bzw. sperren sind da meine Ansätze.

  • Die Grenzen zwischen Online und Offline verschwimmen doch bereits. Wie schnell ist der Sprung von Hasskommentaren und Online-Stalking in die Welt außerhalb des Internets gemacht? Klar, man muss differenzieren: Hasskommentare unter Blogbeiträgen? Da gibt es bereits Regeln wie die Netiquette oder schlussendlich die Möglichkeit, Nutzer für die eigenen Seiten zu sperren. Wenn daraus aber Stalking wird, geht das Ganze einen Schritt weiter. Hier handelt es sich nicht mehr um eine möglicherweise wütenden Meinungsäußerung, sondern ist ein konkret auf eine Person ausgerichteter Angriff, der sich wiederholt und in die Privatsphäre – sei es online oder offline – eindringt und einen Menschen bedroht. Ich bin ich ganz klar für schärfere Gesetze, wie es auch diese Petition auf change.org zur Änderung des Stalking-Paragraphen fordert.

    • Hallo Jana, Hallo @ClaraMey,

      ich glaube wir diskutieren hier zwei Dinge, die in einenander übergehen können. Hass im Internet und Stalking. Beim Thema Stalking kenne ich mich nicht aus, finde die Schilderung in der Campact-Petition aber erschütternd.

      Zum Hass im Internet finde ich die "Disslike"-Reihe auf Youtube sehr aufschlussreich, bei der wir mehr oder weniger bekannte Leute den ganzen Hass vorlesen sehen, der ihnen so aus Kommentare entgegenschlägt. Es ist wirklich bitter, zu welchen Beledeigungen sich Menschen hinreißen lassen.

      Beispiel: Böhmermann

      Am meisten fasziniert mich die Folge des ZDF-NEO-Moderators Jan Böhmermann, der selber gerne den Hass inszeniert und ordentlich austeilt. Er spielt im Grunde alle Reaktionen darauf durch, vom Heulen über die Ironie und Abgeklärtheit bis zum Zurückpöbeln und kompensierend auf Dritte eindreschen, und ich frage mich, wie kalt ihn das hinter seine Profi-Maske alles wirklich lässt.

      Ich finde Böhmermanns Sendung auch nicht gut (unlustige 90er Style-Medien-Selbst-Bespiegelung, obwohl's wahrlich genug echte Themen für Satire gäbe), und genau deshalb konnt ich mir gut überlegen, mit welcher Kritik ich noch sympathisiere und wo es massiv zu weit geht (und das geht's oft). Ich glaube das ist die Herausforderung. Den Respekt vor den Menschen wiederzufinden, die man nicht ausstehen kann. Die Grenze wieder zu markieren, die man auch anonym und geschützt vom Shitstorm nicht überschreiten will. Ich fände es jedenfalls schon mal eine gute Sache, wenn sich Kritiker regelmäßig distanzieren, wenn dem Ziel ihrer Kritik plötzlich Hass entgegenschlägt. Die Redelsführer eines Massenattacke stehen schon der Pflicht ihre tendenziell Gleichgesinnte das Stopp-Schild zu zeigen. Das finde ich auch an Pegida so irre, Wie können die "Normalos" da noch hingehen, wenn die NPDLer mitmarschieren?

      Diese eigendynamische Gruppenkeile, bei am Ende plötzlich alles erlaubt ist, muss auföhren.

  • Bevor wir Gesetze brauchen, liebe Jana, brauchen wir überhaupt erst einmal die Aufmerksamkeit für dieses Thema - deshalb danke für deinen wichtigen Beitrag! Ich glaube nicht, dass dieses Thema allerdings breite Massen mobilisiert - so wie alle Themen, bei denen vermeintliche Mehrheiten sich mit sogenannten Minderheiten auseinandersetzen müssten - auf vielen Ebenen, zu vielen Belangen. Fraglich ist, wie geht man nun mit diesem Thema um? Ich finde die Beiträge von paul und ClaraMey ziemlich einleuchtend - sollten wir nicht beginnen mit einer offenen Diskussion über Streitkultur und die Teilnahmechancen am öffentlichen Diskurs? - Gesetze allein werden uns nicht helfen, ebenso wenig wie ein Aufheben der Anonymität - das wir ja hoffentlich alle nicht wollen (!).

    • Jana ist dafür
      +3

      Vielen dank für deine Anmerkungen. Ich bin mir gar nicht so sicher ob es wirklich eine zeitliche Abfolge geben muss, erst gesellschaftlicher Diskurs und dann gesetzliche Regelungen (wenn es so läuft wie bei dem Thema Vergewaltigung in der Ehe, dauert der Prozess über 20 Jahre). Es ist ja schließlich so, dass bereits jetzt eine Vielzahl von Menschen von Gewalt im Internet betroffen sind. Denen muss, so finde ich, schnell die Möglichkeit gegeben werden sich effektiv zu wehren. Natürlich können Gesetze nur funktionieren, wo Gesellschaft diese und deren Notwendigkeit anerkennt, das steht außer Frage. Aber vielleicht beschleunigt eine Synchronität beider Prozesse (Diskurs & Politik) den Gesamtprozess. Bei dem es ja, wie vielfach schon in dieser Diskussion gesagt, um die gegenseitige Wertschätzung und Anerkennung geht.

      • In der Diskussion gehen unsere Definitionen des Begriffs "Gewalt" ja recht weit auseinander. Jana , kannst du nochmals konkret erläutern, ab wann du Aggressionen oder Hasskommentare als Gewalt bezeichnen würdest? Wo genau hört für dich die kritische oder kontroverse Diskussion auf? Und wo fängt Gewalt an? Beleidigungen und Schimpfworte sind nicht schön, weder offline noch online. Aber das würde ich persönlich nicht immer gleich als Gewaltakt verstehen.

        Wobei wir beim Thema Stalking natürlich wieder in andere Bereiche kommen. Mich interessiert viel mehr das Feld Diskussions- bzw. Streitkultur und mögliche Regeln. Beim Komplex "Gewalt im Internet" würde ich mir deswegen eine stärkere Differenzierung wünschen...bin aber selber gerade etwas ratlos, wo man am besten ansetzen sollte.

  • ich denke wir brauchen vielmehr eine neue gesprächskultur im web (auch wenn das nun wirklich kein revolutionärer gedanke ist). das web spiegelt im ende doch nichts mehr als den analogen schiefstand von gesellschaft - auch offline, finde ich, werden frauen im öffentlichen diskurs oft harsch & vor allem in bezug auf ihr geschlecht hin angegangen - das verhält sich imho mit vielen sogenannten minderheiten ähnlich. eine neue streitkultur also bräuchte es, in der sprecher*innen unabhängig von geschlecht, kultur, herkunft oder ressourcen anteil haben können, ohne später einzig für ihren persönlichen hintergrund angegriffen zu werden. mit argumentation hat das meiste geschrei - online wie offline - schon lange nichts mehr zu tun.

    • Ich stimme dir zu paul (sowie ein paar anderen schon geschreibenen Stimmen hier...): es geht auch um Gesprächskultur im Netz. Aber in der von @jana geschilderten Situation eben um noch viel mehr. So wie die Petition von Mary Scherpe zeigt – es geht um mehr, als um ein bisschen "gedisst" zu werde beispielsweise aufgrund des Geschlechts. Wie gehen wir damit um, wenn es nicht die Möglichkeit gibt anonym zu bleiben (beispielsweise aufgrund eines eigenen Blogs, auf dem Impressumspflicht herrscht)? Was können wir dagegen tun, wenn Menschen systematisch fertig gemacht werden. Wenn sich anderen Menschen gegen sie verbünden und das Leben ruinieren wollen? Dann reicht leider auch keine neue Streitkultur aus...

  • Hallo Jana, ich bin auch gar kein Fan von Gesetzen, wenn es doch eigentlich um Kultur und die Aushandlung von Konflikten geht.

    Ich kenne beide Seiten. Dass wuetend und im Affekt in die Tasten hauen, die Anonymitaet nutzend, und dass ganz schoen getroffen sein, wenn jemand einen namentlich und internet-oeffentlich beleidigt, und dafuer auch noch applaus bekommt (bringt mich immer noch auf die Palme, wenn ich dran zurueckdenke). Aber das tut mir nur weh, wenns von ernstzunehmenden Menschen kommt. Der Hass von Spinnern ist doch sofort zu erkennen und beruehrt mich gar nicht.

    Ok, also worum geht es bei diesem Thema eigentlich? Um Aggressionen. Wie haben wir uns selbst im Griff? Wie koennen wir uns artikulieren, ohne uns sprachliche Gewalt anzutun? Was koennen wir wegstecken ohne 'zurueckzuschlagen'? Die eigene Wut bzw. Ausgeglichenheit ist glaube ich eine ziemlich persoenliche Sache. Trotzdem lohnt sich vielleicht eine fruehe Reflexion, was fuer ein 'Typ" man eigentlich ist - ein wenig Psychotherapie an den Schulen? Mal drueber reden?

    Wer wie von Dir beschrieben drauf ist, hat jedenfalls selber schwere Probleme. Ich wuerde deshalb weder die Anonymitaet einschraenken noch deshalb das Internet weniger nutzen.

    • Aber geht es darum? Müssen wir gleich einen Klarnamenzwang einführen? Ich bin definitiv auch für Anonymität im Netz. Aber irgendwann muss es Grenzen geben. Und diese werden sich durch neue technische Möglichkeiten eben auch verschieben (müssen). Nur wo liegen diese? Ab wann darf ich nicht mehr anonym sein, weil ich andere Menschen so sehr verletze, dass diese kein normales Leben mehr führen können? Das muss meiner Meinung klar geregelt werden und darf nicht dem Einzelfall überlassen werden. Denn sonst bekommen ich Angst um meine (berechtigte) Anonymität, die mir gesetzlich fast unbegründet genommen werden könnte.

  • Ich bin nicht der Meinung, dass es hier Lücken im Gesetz gibt. Daneben sollte es aus meiner Sicht auch nicht wundern, dass Äußerungen in einer Internet-Öffentlichkeit eben auch zu Reaktionen führen können, die nicht nur zustimmend sind.

    • Ich stimmt dir zu, so lange es sich eben um Reaktionen handelt, die sich auf eine Thema zurückführen lassen und nicht direkt Personen angreifen. Was aber, wenn es nicht bei negativen Kommentaren auf z.B. Twitter bleibt und die Verfasser eines Beitrags persönliche Emails erhalten und Post und SMS? Wenn aus Online-Kommentaren Stalking wird? Gewalt im Internet muss natürlich immer aus dem jeweiligen Kontext heraus betrachtet werden – aber da bin ich der Meinung, dass viele Opfer zu sehr belächelt und nicht ernst genommen werden.

      • Wenn es soweit geht, dass private Daten genutzt werden (Telefonnummer die nicht im Telefonbuch steht, E-Mail die nur Freunde haben, Adressen die nicht veröffentlicht sind) sollte die Polizei durchaus reagieren, dafür brauchen wir keine neuen Gesetze, höchstens mehr Personal. Ähnlich verhält sich das, wenn man von einer Person wiederholt beleidigt oder verunglimpft wird z.B. in Kommentaren oder über eine öffentlich bekannte Mail Adresse. Auch hier sollte die Polizei den Betroffenen helfen und wenn sie nur den Täter ermittelt und einfach mal zu dem Sachverhalt befragt, so dass dieser dann z.B. weiß, dass er nicht mehr anonym ist.

        Ich denke dieser Bereich der Herabsetzung, also eher auf Basis einer persönlichen Auseinandersetzung, und sei es mit einem Anonymen, ist recht gut geregelt. Daneben gibt es aber auch weitere Formen der Entwürdigung, wie z.B. die gesellschaftliche Diskriminierung (Jobbewerbung Ausländer / Deutscher) oder gruppendynamische Prozesse, wie z.B. das Mobbing, die aber auch mehr oder weniger geregelt sind. So ist Mobbing genauso strafbar wie die Bevorzugung eines Bewerbers aufgrund der Herkunft unzulässig ist. Vorausgesetzt man kann die Zuwiderhandlung nachweisen, was schätze ich die Hauptproblematik hier ist, gibt es die entsprechenden Gesetze.

        Durch das Internet gibt es nun allerdings noch eine weitere Form der Herabsetzung, eine Art gesellschaftliches Mobbing, z.B. via Facebook. Ich hatte das mal als Blinde Masse beschrieben und meine damit, wenn eine anonyme Masse auf einen einzelnen losgeht. Hierbei muss der Ausgangspunkt des Shitstorms aber keineswegs im Netz liegen, wie z.B. auch Kießlings Phantomtor zeigt. Neue Strafgesetze wird es auch hier denke ich nicht brauchen, aber eventuell könnten Regelungen helfen, welche die Betreiber von solchen Plattformen z.B. zu einer schnellen Löschung und Sperrung verpflichten und die Nutzer auch sensibilisieren, damit Hexenverbrennungen nicht im 21. Jahrhundert medial wiederbelebt werden.

        Dieses Phänomen hat aber meines Erachtens nur bedingt mit den von Jana beschriebenen Sachverhalten zu tun, bei denen es eher um die Ebene "einer gegen einen anderen" geht. Und diese Ebene ist nach meinem Empfinden einfach schon ganz ordentlich geregelt ist.

  • Hallo Jana, dass das Internet, aufgrund der Anonymisierung, einen um einiges unangenehmeren Raum darstellt, steht außer Frage. Gewaltandrohung ist aber im Kontext des Internets nicht als Form von Gewalt zu beschreiben, da die Distanz (im Sinne von Anonymität) zwischen Drohendem und Bedrohtem zu groß ist. Anders sieht das natürlich aus, wenn eine oder beide Personen Informationen preisgeben, die diese Distanz verringern (z.B. Adresse, Name, usw.) Demnach sind Androhungen von Gewalt zwischen (untereinander) nicht-identifizierbaren Menschen Online meiner Ansicht nach nicht ernstzunehmen und strafrechtlich zu vernachlässigen.

    Wenn man als Nutzer bewusst mit seinen Daten umgeht und möglichst wenig Informationen preisgibt kann man, denke ich, Drohungen im Internet ignorieren. Wichtig wäre es deswegen, möglichst früh Kindern den Umgang mit Ihren persönlichen Daten Online beizubringen.

    • hallo larifari000,

      ich finde die Frage gar nicht so leicht zu beantworten. Zunächst einmal, wer ist denn überhaupt noch wirklich anonym im Netz (und da spreche ich jetzt nicht von den NSA-Skandalen). Bei facebook z.b. ist man gezwungen sich mit Klarnamen anzumelden. Wenn man einen Blog betreibt, ist man rechtlich zu einem Impressum (mit Namen und Anschrift) verpflichtet. Da wird mir die Entscheidung, wie sensibel ich mit meinen Daten umgehe schon abgenommen. Aber unabhängig von der Frage der Anonymität, die ja oft sowohl als auch herbeizitiert wird, einmal als Ursache des Problems und einmal als Lösung, finde ich, dass auch kommunikative Gewalt eine Form von Gewalt ist, die dazu führen kann, dass sich Menschen die davon betroffen sind aus dem Internet zurückziehen. Das vielbeschworene demokratische Potential (à la Facebook Revolution) des Netzes sehe ich auch dadurch mehr und mehr gefährdet und bin der Meinung, dass es Lösungen bedarf, die sich nicht nur auf Medienkompetenz stützen, sondern die gesellschaftspolitische Dimension einbeziehen.

  • Liebes Forum,

    wir möchten euch auf die Zusammenfassung der Podiumsdiskussion "Gewalt im Internet – brauchen wir neue Gesetze?" sowie die dazugehörige Videoaufzeichnung der Diskussion aufmerksam machen, die am 18. Februar in Zusammenarbeit mit dem Gunda-Werner-Institut in der Heinrich-Böll-Stiftung stattfand.

  • Mein Eindruck von der Debatte ist, dass sie kräftig aufgebauscht wird. Janas Behauptung, „Versuche, Anzeige zu erstatten, scheitern meistens“, lässt sich nicht wirklich belegen, sondern im Gegenteil deutet vieles darauf hin, dass die Polizei hier genauso aktiv wird wie bei anderen Taten. Ich vermute zwar, auch wenn das wohl die Polizeistatistiken und die PXP-Anfrage nicht hergeben, dass bei Straftaten im Netz seltener ein Täter ermittelt werden kann, wenn aber einer ermittelt wird, dürfte die Tat dann häufiger bewiesen werden. Nur selbst wenn dem so ist, ist die Polizei ja nicht untätig und dann nützt es auch nichts ihr das vorzuwerfen. (Wenn statt dem „meistens“ ein „kommt vor“ stehen würde, wäre das vielleicht ein nicht ganz so auffälliges Missverhältnis)

    Janas Frage, „Brauchen wir neue, bessere Gesetze, die konkret auf diese Taten und die Internet-Übergriffe eingehen?“, muss man nach der Debatte wohl eher mit „Nein“ beantworten. Neue Strafgesetze sind wirklich nicht das richtige Mittel, denn es gibt bereits jetzt ausreichend Möglichkeiten solche Taten zu verfolgen. Wenn, dann muss in anderer Richtung gedacht werden, wobei ich z.B. auch eine Vorratsdatenspeicherung für wenig zweckmäßig halte. Was aus meiner Sicht bleibt, ist die bekannte Forderung, die großen Dienstanbieter in die Verantwortung für das zu nehmen, was bei ihnen auf der Seite passiert. Das macht wegen des Binnenmarktes allerdings dann wieder nur mindestens EU-weit einen Sinn und die EU hat gerade andere Sorgen.

    Kino-Vergleich Wenn in einem Kino die Sitze unbequem sind, geht man ja einfach in ein anderes Kino und fordert nicht gleich neue Gesetze gegen schlechte Kinosessel. Wieso wechselt man also auch nicht einfach die Internetplattform, wenn es einem dort nicht gefällt?

  • Liebes Forum,

    es ist gar nicht so einfach herauszufinden, wie viele Beleidigungen, Drohungen etc. im Netz angezeigt werden und wie die Polizei in diesen Fällen verfährt. Eine Sprecherin der Polizei Berlin antwortet uns erst einmal Folgendes:

    mit Bezug auf Ihre Anfrage möchte ich zunächst mitteilen, dass allen zur Anzeige gebrachten (Straf-)Taten durch die jeweils zuständige Polizeidienststelle nachgegangen wird! Im Rahmen der Verbrechensbekämpfung bestehen Qualitätsstandards, die die Mindestanforderungen an die polizeiliche Arbeit darstellen und verbindliche Handlungsanweisungen für die Dienstkräfte der Polizei Berlin sind.

    Für die Bearbeitung von „Beleidigungen, Drohungen, Mobbing und Stalking im Netz“ gibt es bei der Polizei Berlin keine eigene Dienststelle oder abgestelltes Personal. Die Bearbeitungszuständigkeit regelt sich nach dem örtlichen Bezug (in Berlin nach den Bezirken und den zuständigen Polizeiabschnitten) sowie nach der Schwere der Tat.

    Gehen bei der Polizei Berlin Hinweise zu den von Ihnen geschilderten Taten über die sozialen Medien (Facebook, Twitter) ein, wird durch die Bearbeiterinnen und Bearbeiter der Sozialen Netzwerke zunächst ermittelt, ob eine örtliche Zuordnung zweifelsfrei möglich ist und die Tat auf Grund ihrer Schwere die Einleitung sofortiger Maßnahmen erfordert. Sodann wird die örtlich zuständige Polizeidienstelle (ggf. auch im Bundesgebiet) direkt und unverzüglich informiert.

    Grundsätzlich handelt es sich bei „Mitteilungen“ in den Sozialen Medien (gemeint sind Meldungen, etwa an Facebook und Twitter, Anm. d. Red) nicht um Anzeigen, denen polizeiliche Ermittlungen folgen. Die User werden vielmehr darauf hingewiesen, dass für die Aufgabe einer Anzeige das persönliche Erscheinen auf einer Polizeidienststelle oder die Nutzung der Internetwache der Polizei Berlin oder eines anderen Bundeslandes erforderlich ist.

    Nochmal die Frage ans Forum: Gibt es Erfahrungen im Sinne des Diskussionstextes von Jana , bei denen der Versuch gescheitert ist, Anzeige wegen online erfolgten Beleidigungen, Drohungen etc. zu erstatten?

    • Wahrscheinlich handelt es sich hierbei um die falsche Frage. Die Frage ist nicht, wie viele Ermittlungen eingeleitet wurden, sondern wie viele davon mit einer Ermittlung des Täters enden. Vermutlich ergibt das die Diskrepanz. Wenn Ermittlungen ins Nichts führen, z.B. weil Aufwand und Erfolg in einem groben Missverhältnis stehen oder es keinerlei Ansätze gibt, Daten zu erlangen, die auf ausländischen Servern lagern, dann heißt das ja nicht, dass die Polizei die Anzeige nicht aufnimmt, aber Opfer können es dennoch als Untätigkeit wahrnehmen.

      • Lieber MisterEde , danke für den Hinweis. Ich hab die Polizei Berlin auch nach entsprechenden Statistiken gefragt, also nach Anzeigen, die im Sande verlaufen, und nach Schwierigkeiten bei der Verfolgung solcher Delikte im Netz. Noch keine Antwort. Vielleicht werden manche Delikte auch statistisch gar nicht nach dem Ort (Internet) erfasst, an dem sie stattfinden.

        Stalking: Warum so wenig Verurteilungen?

        Zur Diskrepanz zwischen der Zahl der Anzeigen und Verurteilungen im Sonderfall Stalking (online/offline) gibt Wolf Ortiz-Müller (Psychologischer Psychotherapeut, Leiter der Beratungsstelle Stop-Stalking Berlin) eine Einschätzung:

        Zur Beurteilung des „Missverhältnisses“ zwischen Anzeigen nach §238 StGB ("Stalking-Paragraph", Anm. d. Red.)und erfolgten Verurteilungen, ist ein Vergleich der Verurteilungsrate bei anderen Straftatbeständen einer vergleichbaren Deliktschwere sinnvoll. Hierfür liegen mir leider keine exakten Zahlen vor; laut mündlicher Auskunft einer Abteilungsleiterin Häusliche Gewalt bei der Amtsanwaltschaft Berlin stellten die Strafverfolgungsbehörden ca. 70% aller anhängenden Strafverfahren ein, bei Nachstellung könnte die Quote noch etwas höher sein.

        Als Grund hierfür wird von ihr angegeben, dass viele Anzeigen wg. Verhaltensweisen, die sich anfangs als Nachstellung darstellen, „von alleine“ bzw. nach erfolgter Anzeige bei der Polizei aufhören und sich somit eine weitere Strafverfolgung erübrigt. Bereits nach Durchsicht der Ermittlungsakten ergebe sich in einer sehr großen Anzahl von Fällen, dass das zur Anzeige gebrachte Verhalten keinesfalls den Straftatbestand der Nachstellung erfülle.

        In den Medien und in der Bevölkerung fände sich eine falsche Vorstellung von der Intention des Nachstellungsgesetzes, wie es der Gesetzgeber erlassen habe, um bestimmte gravierende Verstöße, die schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung, zu sanktionieren. Es sei dem Gesetzgeber darum gegangen, vor „Verfolgung“ zu schützen, vor massivem Eindringen in die Privatsphäre – nicht, um sich vor den in der Realität überwiegenden, jedoch minderschweren Nachstellungsverhaltensweisen wie Emails, AB-Nachrichten und sms etc. zu schützen.

        In der Praxis der Amtsanwaltschaft können demzufolge vielfach keine „schwerwiegende Beeinträchtigungder Lebensgestaltung “ festgestellt werden, für die „realen Fälle“ stünde mit „Einstellung gegen Auflage“ nach §153a StPO, mit Strafbefehlen und ggfs. Eröffnung des Strafverfahrens ein ausreichende Sanktionierungsinstrumente als Erfolgsdelikt zur Verfügung.

        Das ganze Gutachten ist übrigens sehr lesenswert, wie ich persönlich finde, weil es eine Rundumperspektive liefert (Stalking-Opfer und Täter) Grüße, Alex

        Landtag NRW: Stellungnahme zur Anhörung im Rechtsausschuss am 19 März 2014 „Stalking-Opfer besser schützen“. Von Wolf Ortiz-Müller (Psychologischer Psychotherapeut, Leiter der Beratungsstelle Stop-Stalking Berlin)

        • Stalking und Beleidigung
          Stalking und Beleidigung sind zwei unterschiedliche Tatbestände. Beleidigung, Verunglimpfung, Gewaltandrohung oder so sind das eine und Stalking das andere. Wenn jemand einen anderen verfolgt, ist das nämlich zunächst eben noch keine Beleidigung oder keine explizite Drohung, weshalb dafür ein anderes Gesetz notwendig ist.

          Auf das Netz bezogen müsste entsprechend getrennt werden: 1. Schreiben 5 Personen einen beleidigenden Kommentar oder eine Mail, müsste fünfmal eine Anzeige wegen Beleidigung aufgenommen werden. 2. Schreiben 5 Personen jeden Tag jemandem eine E-Mail mit beleidigendem Inhalt, müsste fünfmal eine Anzeige wegen Stalking aufgenommen werden und jeden Tag fünfmal eine Anzeige wegen Beleidigung. 3. Schreiben 5 Personen jeden Tag Mails und Kommentare mit neutral gehaltenem Inhalt, müsste fünfmal eine Anzeige wegen Stalking aufgenommen werden.

          Anzeigen wegen Beleidigung dürften, sofern der Täter ermittelt wird, wahrscheinlich recht gute Chancen haben, weil anders als außerhalb des Netzes ja ein Beweis existiert. Schwierig dürfte es allerdings mit Stalking sein, wenn es dieser „schwerwiegenden Beeinträchtigung“ bedarf, die mit Mails vermutlich nicht erreicht wird, zumindest nicht ohne gleichzeitig eine Beleidigung oder Nötigung zu sein.

          Mobbing:
          Online wie Offline ist es schwierig gegen Mobbing vorzugehen, weil Mobbing ja häufig „neutral gehalten“ ist, z.B. Tuscheln oder Ausgrenzen, die beides keine direkte Beleidigung und auch kein Stalking darstellen. Allerdings dürfte Mobbing im Netz wesentlich häufiger beleidigenden Charakter haben, also nicht mehr „neutral“ sein, z.B. wenn das Tuscheln plötzlich öffentlich stattfindet.

          Keine neuen Strafgesetze
          Insgesamt bin ich immer noch der Auffassung, es braucht hier keine neuen Strafgesetze. Es ist gut, dass sich Stalking auf die schweren Fälle bezieht und z.B. Facebook-Kommentare nur in Fällen einer klaren Beleidigung oder Ähnlichem strafrechtliche Konsequenzen haben. Viel wichtiger erscheint mir weiterhin, dass Plattformbetreiber schnell mit Löschungen und Sperrung reagieren.

          Kernfrage
          Die Kernfrage ist abseits von Strafgesetzen eigentlich eine andere: Wie wollen wir es mit der Datenhoheit und der Anonymität im Netz halten. Wenn wir Internetanschlüsse wie Telefonzellen betrachten, dann gibt es eben keine wirkliche Rückverfolgungsmöglichkeit. Der Drohanruf aus einer Telefonzelle kann, selbst wenn er aufgezeichnet wurde, nur schwer einem Täter zugeordnet werden. Dennoch sind Telefonzellen bis heute erlaubt. Akzeptieren wir das auch im Netz, müssen wir damit leben, dass es in manchen Fällen schwer oder gar unmöglich ist, einen Täter zu ermitteln, wie das eben auch offline in einer nicht komplett überwachten Welt der Fall sein kann.

          • Hallo MisterEde, hier noch mal alle Antworten der Polizei Berlin als kommentierbare Position:

            Polizei Berlin: Straftaten gegen die persönliche Freiheit im Netz (19. Februar 2015)

            • Frau Keul hat es gestern ja gut dargestellt und sie kommt ja auch zu einem ähnlichen Schluss wie ich. Lediglich dann bei der Betrachtung möglicher Maßnahmen habe ich eine unterschiedliche Ansicht.