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Workshop 3: Wer ist das Volk? Neue Identitäten im neuen Deutschland


Foto: Alexander Rentsch, CC BY-NC-ND 2.0Foto: Alexander Rentsch (CC BY-NC-ND 2.0)

Deutsch-Sein wird weiterhin oft mit „deutscher Abstammung“ assoziiert. Was muss sich daran ändern?


Ein Beitrag von Junge Islam Konferenz

Deutschland ist mittlerweile vielfältiger denn je. Laut Statistischem Bundesamt haben rund zwanzig Prozent der Deutschen einen Migrationshintergrund, Tendenz steigend. Das Konzept der „deutschen Identität“ spiegelt diesen gesellschaftlichen Trend jedoch bislang nur unzureichend wider: Deutsch-Sein wird weiterhin oft mit „deutscher Abstammung“ assoziiert. Für viele junge Deutsche mit Migrationsgeschichte ist dieser Zustand problematisch, da er oft mit Benachteiligung und Ausschluss verbunden ist. Dies betrifft insbesondere Muslime, da „Deutsch-Sein“ und „Muslim-Sein“ oftmals als Gegenkategorien interpretiert werden. Wer ist also das Volk in der deutschen Einwanderungsgesellschaft? Wer gehört dazu und wer nicht? Und wie müsste sich die Idee von Deutsch-Sein im 21. Jahrhundert ändern, um der gesellschaftlichen Entwicklung Rechnung zu tragen?


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Kommentare

  • Die vermeintliche Inkompabilität von "Deutsch-Sein" und "Muslim-Sein" ist tatsächlich in der Debatte sehr stark. Dabei müsste uns doch längst klar sein, dass Identität niemals eindimensional ist. Wir können als gleichzeitig deutsch, muslimisch, vegetarisch und Fan vom FC Barcelona sein. Warum wird aber trotzdem im "Deutsch-und-Muslim-Sein" oft ein Widerspruch gesehen? Ich denke, dass diese Spielart der Islamophobie (und nichts anderes ist das im letzten Schritt) aus Überfremdungsängsten herrührt, die sich nicht mehr in der klassischen Ausländer-Inländer Dichotomie artikulieren lassen. Selbst Pegida-Anhängern wird es schwer fallen zu behaupten, dass Menschen, die in Deutschland geboren sind, hier leben und Deutsch als "Muttersprache" sprechen, deren Großeltern aber aus der Türkei eingewandert sind, keine "Deutschen" sind oder gar Ausländer sind. Beim Islam ergibt sich aber ein deutlich ambivalenteres Bild. Die vermeintliche Rückständigkeit des Islams, von der man sich ja angeblich tagtäglich im Fernsehen kann, eignet sich deshalb gut, um sich von "denen" abzugrenzen. Die Abgrenzung und Verteufelung des Islams und die vermeintliche Unvereinbarkeit vom Islam und demokratischen Werten oder gar "Deutsch-sein" ist letztlich eine Form von Xenophobie. Wer sagt, "Deutsch- Sein" und "Muslim-Sein" passen nicht zusammen bedient letzlich auch nur Überfremdungsängsten. Um einen Schritt weiterzugehen, der Begriff des "Deutsch-sein" enteleert sich sowieso, wenn er auf einen Leitkulturbegriff zurückgreift. "Deutsch-sein" ist kein Bekenntnis zu einer wie auch immer gearteten Kultur, welches man ablegt, es ist nichts weiter als eine Staatsangehörigkeit. Der Kommentar greift Gedanken auf, die ich in einem Blogeintrag auf Blickwinkel niedergeschrieben habe.

  • Wenn es um Bürger geht, die in der Bundesrepublik leben und sich zugleich dem islamischen Glauben bekennen, wird öfters ganz pauschal von „Muslimen“ gesprochen und ein vermeintlich homogener Block von Menschen kreiert. Hierbei sollte bedacht werden, dass wir ebenso wenig von „den Christen“, „den Juden“ oder „den Deutschen“ sprechen können und sich hierbei das Problem der Homogenisierung aufzeigt. Das Muslim-Sein eines Muslims stellt nur ein Teil seiner Identität dar, wenn auch die Zugehörigkeit zum Islam, aus der Perspektive des glaubenden Muslims, als ein wesentliches Merkmal seiner Identität und Handlungen aufgefasst wird. Wir vergessen, dass die vielfältige und umfassende Identität eines jeden Menschen von verschiedensten kulturellen, sozialen und ähnlichen Faktoren abhängig ist. Somit sind „die Muslime“ zunächst Bürger. Diese Bürger sind es, die Ingenieure, Sozialarbeiter, Lokführer oder Studierende sind. Bürger, deren Eltern aus ganz unterschiedlichen Kulturkreisen stammen können. Bürger, die treue Wähler einer Partei sind und in den örtlichen Sportvereinen und sozialen Initiativen mit Leidenschaft präsent sind. Bürger, die sich Deutschland zugehörig fühlen, bei der WM mitfiebern und ihre Zukunftsvorstellungen in Deutschland haben. Bürger, die sich als „das Volk“ verstehen……

    • Ich bin ganz Deiner Meinung. Ich kann die Überschriften nicht mehr sehen, die alle Moslems auf ihr Moslem-Sein reduzieren und auch noch (deutsche Staatsbürgerschaft hin oder her) gedanklich aus der Gesellschaft herauslösen, zum Beispiel "Deutschland und der Islam – wie passt das zusammen?" (Hart aber Fair).

  • Die Diskussion entspringt doch national-konservativem Denken. Welcher aufgeklärte Mensch braucht denn überhaupt für seine Identitätsbildung eine Nationalität?

    Ich bin Weltbürger und jetzt kommst du!

  • Fragen wie "Weshalb wird Deutsch-Sein und Muslim-Sein als Gegenkategorie gesehen?", "Wird Deutsch-Sein als Identifikation mit der Deutschen Kultur gesehen und was ist dann die Deutsche Kultur?" und darauf basierend die Frage "Gibt es die Deutsche Kultur" bzw. "Was macht eine Kultur aus?" beschäftigen mich bezüglich dieser Problematik. Es muss über Begriffe wie "Leitkultur", "Staatsbürgerschaft", "Transkulturalismus" und "Hybridität" gesprochen und diskutiert werden.

    • Hallo MeryamTinc,

      Deutsche haben selbst ein gebrochenes Verhältnis zum Begriff "deutsche Kultur", seit es zwischen 1933 und 1945 einen solchen Einbruch gegeben hat in die abgrundtiefe Kulturlosigkeit. Es hat vorher große Dichter und Denker und Komponisten und Wissenschaftler gegeben, und es gibt sie auch danach bis heute wieder. Aber Deutsche sehen sie als große Männer und Frauen und nicht in erster Linie als Deutsche.

      Umso erstaunlicher ist es, dass Ihr als junge deutsche Muslime Wert legt auf Euer Deutschsein. Wie geht es Euch damit im Ausland, wenn Ihr gefragt werdet, welche Nationalität Ihr habt? Sagt Ihr voller Stolz "wir sind Deutsche", oder setzt Ihr, wenn Ihr ein Stirnrunzeln erntet, gern hinzu, dass Deutschland nicht das Land Eurer Vorfahren ist?

      Es ist schön und eigentlich berührend, dass Ihr zusammen mit jungen Deutschen mit deutschen Vorfahren eine neue deutsche Identität schaffen wollt. Es braucht vielleicht noch eine Zeit, ehe junge Deutsche mit deutschen Vorfahren sich selbstbewusst zu ihrem Deutschsein bekennen.

      Möge Euch mit ihnen zusammen etwas Neues gelingen! Eine neue deutsche Kultur, eine neue Identität!

    • Hallo MeryemTinc,

      die Frage, gibt es deutsche Kultur und was ist deutsche Kultur lässt sich nicht mit einem Satz beantworten. Genauso wenig, wie, was ist englische Kultur, was ist französische Kultur, was ist iranische Kultur oder was ist die Kultur der Golfstaaten usw. usw.

      Fest steht doch, dass es nationale Unterschiede gibt, geprägt durch die Geschichte der Länder, durch ihre Sprache, durch ihren unterschiedlichen Humor, durch ihre Religion, durch ihre Traditionen. Die Vielfalt ist gerade das Schöne. Wer eine "bunte Gesellschaft" möchte, möchte gerade die gegenseitige Bereicherung durch die Vielfalt.

      Der interkulturelle Dialog ist wichtig. Das Positive in der eigenen Kultur und in der des Andern festhalten, das Negative in der eigenen Kultur und in der des Andern kritisch sehen. Aber ein "Transkulturalismus" scheint mir nicht erstrebenswert.

  • Nach vielen vielen Diskussionen zu diesem Thema habe ich eine Frage. Wäre es möglich, das "Deutsch-Sein" einmal eindeutig zu definieren? Also entweder als "deutsche Abstammung" ODER als "BügerIn Deutschlands" (also egal welcher Abstammung, Ethnie, Religion etc.)? Die Vermischung macht uns das Leben immer so schwer. Am liebsten hätte ich neue Wörter.

    • Hallo sahrasahara,

      entschuldigen Sie, dass ich am andern Ort, wo es um die Schule ging und die äußerlich sichtbaren Bekenntnisse von Lehrkräften, was ihre Religion oder Weltanschauung angeht, etwas harsch auf Ihren Kommentar reagiert habe.

      Ich denke, das ist mir in dieser Diskussionsrunde noch einmal deutlich geworden, in Deutschland braucht man aufgrund der unheilvollen Geschichte religions- und weltanschauungsfreie Räume. Es ist toll, wenn es immer mehr deutsche Lehrerinnen muslimischen Glaubens an deutschen Schulen gibt. Aber ist es nicht möglich, im Schuldienst auf das Kopftuch zu verzichten? Wenn Schüler/innen ihre Lehrerin verehren und dann erfahren, sie ist Muslimin, ist das doch für die Akzeptanz des Islam besser, als wenn umgekehrt die Schüler/innen sie sofort als Muslimin sehen und mühsam lernen müssen, dass sie Deutsche ist, deren Glauben gegenüber man tolerant sein muss?

    • wie wäre es mit folgender definition: deutsche*r ist jeder mit einem deutschen pass und (!) erklärter anerkennung des grundgesetzes. das schließt vermutlich viele aus, die normalerweise für deutsche erachtet werden. deutsche als wertegemeinschaft; so könnte ich mir das vorstellen. der pass ist dann sowas wie der mitgliedsausweis. wer sich zum gg bekennt und entsprechend handelt, darf dabei sein. alle anderen können sich einen ort suchen, an dem werte vertreten werden, die sie teilen.

      jetzt kenne ich aber eine, die ich für ziemlich deutsch (im sinne von anerkennung des gg) halte, die aber keinen deutschen pass bekommt. da muss mir mal jemand erklären, was jemand, der in deutschland geboren wurde und aufgewachsen ist, eigentlich tun muss, damit sie den mitgliedsausweis bekommt.

  • Ihr stellt gute Fragen. Wie müsste sich etwas ändern, damit sich Muslime in Deutschland als gleichberechtigt angenommen fühlen können?

    Vorab sage ich erst einmal, dass dies keineswegs ein deutsches Problem ist, auch wenn dieses Problem in Deutschland aus historischen Gründen einen anderen Ton besitzt als anderswo. Ich glaube sogar, dass viele Menschen eine Toleranz vorgaukeln, die sie tatsächlich nicht besitzen. Die Empfindung der deutschen Seele ist nicht so aufrecht, offen und klar, wie sie sich selber gerne wahrnimmt.

    25 % der Migranten in Deutschland sind Muslime. Viele der Übrigen, kamen mit einer neuen Welle, beginnend vor 30 Jahren aus dem nördlichen und mittleren Osteuropa. Sie lebten in Sozialghettos, es gab große Probleme mit Drogenkonsum, Kriminalität, Gewalttätigkeiten und anderen Auseinandersetzungen. Es war diese Zeit der speziellen Witze über Polen und der undifferenzierten Beschwerden über das Verhalten von Russen. Innerhalb kürzester Zeit hat sich dieses Problem selber gelöst. Dies ist auch daran zu erkennen, dass diese Migranten sich heute kaum darüber beschweren nicht angenommen zu sein. Ich habe inzwischen das Gefühl, dass hier ziemlich problemlos eine Verschmelzung mit der „angestammten Gesellschaft“ begonnen hat. Deutsch sein hat hier das Wesen der Abstammung schon weitgehend überwunden, weshalb ich den oft pauschalen Vorwurf des in Deutschland vorhandenen Rassismus nicht ganz gerechtfertigt finde.

    Der Zustrom von Muslimen hat schon früher begonnen, die Gebliebenen und deren Nachkommen fühlen sich jedoch vielfach noch immer nicht akzeptiert. Woran liegt das? Ich würde sagen, es liegt auch daran, dass viele Muslime ihrerseits auch nicht das tun was sie von Deutschland erwarten, nämlich sich zu öffnen.

    Bemerkenswert ist, dass es innerhalb der islamischen Glaubensrichtungen Unterschiede zwischen Sunniten auf der einen und Aleviten, Drusen und selbst Schiiten auf der anderen Seite gibt. Bei den Letztgenannten ist die Bereitschaft sehr viel größer einen realen kulturellen Austausch anzunehmen. Ebenso gibt es aus meiner Erfahrung jenseits der Konfession, etwas pauschal beschrieben, Unterschiede im Auftreten, die auf Herkunft beruhen. Kurden und Perser scheinen irgendwie weniger Berührungsängste zu besitzen, als andere Ethnien. Der beschriebene Graben ist aus meiner Sicht kein so statisches Gebilde, zwischen hüben und drüben, wie er beschrieben wird.

    Meiner Meinung nach müsste die Idee der Zukunft zumindest in einer beiderseitigen Bereitschaft zur Öffnung bestehen.

    Sollte ich falsch liegen oder die Verfasser dies anders sehen wäre ich über Kritik dankbar.