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No Britain, No Cry?


Foto: Rat der EUMit welchen Ergebnissen tritt Angela Merkel nach dem "Reformgipfel" in Brüssel vor die Presse? Foto: Der Rat der EU

Vor dem EU-Gipfel Ende Juni laufen sich die Protagonisten warm. Angela Merkel, François Hollande und David Cameron wollen die EU neu gestalten. Heißt der Kompromiss am Ende Kerneuropa?


Ein Beitrag von Redaktion

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande streben eine enger abgestimmte Wirtschaftspolitik in den 19 Eurostaaten an. Das berichten unter anderem die ZEIT, faz.net und Le Monde. Das entsprechende Memorandum hat der grüne EU-Politiker Sven Giegold geleakt.

Merkel und Hollande wollen ihre Vorschläge am 25./26. Juni beim Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs vorstellen. Ziel ist offenbar, die Währungsgemeinschaft politisch und ökonomisch zu vertiefen - ohne hierzu den EU-Vertrag zu ändern. Elemente der Euroreform sind:

  • regelmäßigere Gipfeltreffen der Eurostaaten
  • gemeinsame "Grundlinien der Wirtschaftspolitik in der Eurozone", die auf jährlichen Gipfeltreffen verabschiedet werden
  • eine stärkere Überwachung der wirtschaftlichen Entwicklung der Euro-Staaten durch die EU-Kommission
  • mehr Handlungsfähigkeit für die Eurofinanzminister
  • "spezifische, der Euro-Zone gewidmete Strukturen im Europäischen Parlament"

Folgende Themen sollen laut dem deutsch-französischen Papier bei der verstärkten Koordinierung Vorrang haben: Beschäftigung und soziale Inklusion; Arbeitsmarkt; Produkt- und Dienstleistungsmärkte; Steuerwesen; Rentenpolitik; Investitionen (insbesondere in Forschung, Innovation und Bildung), Effizienz des öffentlichen Sektors.

Rom und Madrid wollen mehr

Auch Italien und Spanien haben ihre Reformideen vorgelegt. Einer ausführlichen Analyse des EU-Experten Manuel Müller Der (europäische) Föderalist zufolge gehen sie über die deutsch-französischen Vorschläge hinaus. So liebäugelt die italienische Regierung des Sozialdemokraten Matteo Renzi mit einer europäischen Arbeitslosenversicherung - als Schritt in Richtung "Bürgerunion". Die konservative spanische Regierung unter Ministerpräsident Mariano Rajoy macht sich für ein eigenes Budget der Eurozone stark.

Die unterschiedlichen Euro-Visionen wären schon genug Gesprächsstoff für den Gipfel. Hinzu kommt, dass auch Großbritanniens Premier David Cameron seine eigenen Reformvorschläge vorstellen will, die auf weniger Integration in der EU zielen. Die britische Regierung möchte Kompetenzen von der EU zurück auf die nationale Ebene holen.

Diskussion

Der kommende EU-Gipfel verspricht also Spannung. Bewegt sich die Eurozone hin zu einer Art Kerneuropa, bei dessen Weiterentwicklung Länder wie Großbritannien nicht mehr mitziehen (müssen)? Oder bleibt alles beim Alten und Integrationsbefürworter und -gegner blockieren sich gegenseitig? An dieser Stelle laden wir alle Interessierten ein, die aktuellen (Euro-)Reformideen zu diskutieren.

Hintergrund

Die Debatte um ein Europa der zwei Geschwindigkeiten reicht bis in die 90er Jahre zurück. Auch die Frage, ob die Eurozone eine eigene parlamentarische Kontrolle braucht - Stichwort "Eurozonen-Parlament" - wird seit einigen Jahren erwogen.

Kritikern gilt die bisherige wirtschaftspolitische Koordinierung innerhalb der EU als zu unverbindlich und wirkungslos. "Die EU-Mitgliedsländer blamieren sich", so die Grünen in einer aktuellen Bilanz zum sogenannten Europäischen Semester.

Tiefergehende Reformwünsche formulieren die Initiative European Republic und die Jungen Europäischen Föderalisten (JEF), beispielsweise die Einführung einer europäischen Arbeitslosenversicherung. Der JEF-Bundesvorsitzende David Schrock JEF kommentiert die aktuellen Reformpläne, ein „Kerneuropa“ könne einen Fortschritt bedeuten.

Links zur EU-Reformdebatte


Kommentare

  • Austeritäts-Merkel, Luxleaks-Juncker und Referendums-Cameron, die jahrelang das System EU geprägt und gegen die Wand gefahren haben, wollen die EU reformieren? Entschuldigung, aber da ist doch jeder Bock als Gärtner geeigneter.

    „Geheimplan“

    Soviel zum Thema Transparenz und Bürgerbeteiligung. Der ultimative Beweis für das Komplettversagen!

    Inhaltlich: Ich überlege schon seit drei Jahren, wie ich den Widerspruch EU/Euro aufgelöst bekomme und schaffe es nicht, weil ich auf der einen Seite jene parlamentarische Kontrolle will, die mir bei der Eurogruppe schon jetzt fehlt, auf der anderen Seite weder ein eigenes Euro-Parlament noch ein 2-Klassen-System an Europaabgeordneten haben möchte. Aber was das anbelangt, werde ich einfach mal schauen, wie der „Geheimplan“ das Problem des Europas der unterschiedlichen Geschwindigkeiten angehen will. Irgendwo müssen dann einfach Abstriche gemacht werden, solange die Uneinigkeit innerhalb der EU so groß ist.

    Deutlich pessimistischer bin ich bei der Frage der generellen ökonomischen Ausrichtung. Da gilt oben gesagtes: Leute, die bislang mit ihrem Agieren das Problem heraufbeschworen haben (unfairer Steuerwettbewerb, Lohndumping, Austeritätswahnsinn), halte ich nicht für die geeignete Besetzung für einen wirtschaftspolitischen Kurswechsel. Juncker traue ich zwar den hierfür notwendigen wirtschaftlichen und politischen Verstand zu, allerdings mit Merkel und Cameron am Bein, bei denen in dieser Hinsicht Hopfen und Malz verloren scheint, wird er nicht viel ausrichten können.

    • Also ich schließe mich mal wieder MisterEde an. Diese jetzt ja nicht mehr so geheimen Pläne (s.o.) sind der untaugliche und durchsichtige Versuch die Probleme der Eurozone auf Kosten der gesamten Union zu lösen.

      Hier wird offensichtlich eine Art Druck aufgebaut, um noch mehr EU-Mitglieder dazu zu bewegen sich an dem fragwürdigen Projekt des Euro zu beteiligen und sich so über Masse statt Qualität etwas Luft zu verschaffen. Andenfalls droht ihnen nach diesen Plänen innerhalb der Union dauerhaft der Abstieg in so eine „zweite Liga“.

      Im Übrigen machen diese Pläne einmal mehr deutlich welchem Bedeutungswandel der Begriff „Reform“ in den letzten 30 Jahren unterworfen war. Leider haben das immer noch nicht alle mitbekommen.

      • Hallo nemo und MisterEde,

        euch ist es aber auch nie Recht zu machen! Das wolltet ihr doch immer, Schritte zu einer echten Euro-Wirtschafts- und Finanzpolitik.

        Angela Merkel von der Cool Demokratischen Union (CDU) macht es mal wieder richtig: im Verborgenen. Heimlich still und leise, ohne Wahlkampf, ohne Getöse, nicht getrieben von den Märkten, der AfD, den US-Ökonomen oder den RadikaLINKSkis, sondern nüchtern, bedacht und vernünftig. Ein Schritt nach dem anderen. Toll!

        Und Adios GB. Muss leider sein.

        MfG Rakaba

        • Hallo Rakaba,

          wenn sich dein Nachbar bei Dir über zu laute Musik beschwert, erschießt Du Ihn dann und sagst, er wollte doch seine Ruhe haben? Was ich will, lass also bitte mal meine Sorge sein, das weiß ich selbst schon am besten.

          Ich beklage z.B. die Machtverschiebung vom Parlament zu Regierungen, und wenn jetzt die nationalen Regierungen über die Eurogruppe noch mehr parlamentarisch unkontrollierten Einfluss erhalten, dann ist das das genaue Gegenteil dessen, was ich will.

          Und dass ich eine Neuausrichtung der europäischen Wirtschaftspolitik für genauso unerlässlich halte wie eine weitere Parlamentarisierung/Demokratisierung der EU, habe ich doch z.B. hier, hier oder zuletzt hier wirklich ausführlich beschrieben. Entsprechend bin ich logischerweise gerade gegen noch mehr Privatisierung und Sozialabbau und gegen noch mehr „Markt vor Staat“.

  • News: Euro-Zukunfts-Debatte wird offenbar verschoben

    Liebes Forum, kurze News: die Fraktion der Grünen im EU-Parlament hat über ihren Presse-Mail-Verteiler gerade mitgeteilt: "An diesem Freitag ist bekannt geworden, dass der französische Präsident Francois Hollande und die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel alle weiteren Gespräche über eine Vertiefung der Wirtschafts- und Währungspolitik auf nach 2017 – also nach die Präsidentschaftswahlen in Frankreich – verschieben wollen."

    Liebe Grüße, Alex

  • Manuel Müller Der (europäische) Föderalist
    +1

    Nur als Hinweis: Der deutsch-französische "Geheimplan" wurde inzwischen geleakt und ist hier öffentlich verfügbar. Und außer dem deutsch-französischen Plan gibt es auch noch jeweils einen aus Spanien und Italien, die in einigen Punkten noch ein gutes Stück weitergehen. Speziell Spanien fordert explizit eine Vertragsreform (wenn auch erst nach 2017). Ein Überblick über die verschiedenen Reformvorschläge ist hier zu finden.

    • Lieber Manuel Müller! Da haben wir uns gerade überschnitten, ich habe Deine Analyse gerade verlinkt und im Text oben drauf verwiesen.

      Liebe Grüße, Alex