Flüchtlingspolitik – eine nationale Aufgabe
Flüchtlinge auf dem Mittelmeer. Wie können Deutschland und Europa denen Schutz bieten, die ihn brauchen? Foto: picture alliance / dpa
Bei einem immer größeren Anteil der Asylbewerber handelt es sich um Wirtschaftsflüchtlinge, beobachtet Bastian Schneider, Mitglied im Bundesvorstand der Jungen Union. Ihr Aufenthalt dürfe die Aufnahme politisch Verfolgter nicht behindern und die gesellschaftliche Akzeptanz des Asylrechts nicht gefährden.
Ein Beitrag von Bastian Schneider, Junge Union Junge Union Deutschland (JU) , erstmals erschienen am 20. März 2015 im JU-Mitgliedermagazin Enscheidung
„Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“ Worte, wie in Stein gemeißelt, deren Kompromisslosigkeit noch heute erahnen lässt, wie gegenwärtig die bitteren Erfahrungen aus 12 Jahren NS-Diktatur den Vätern und Müttern des Grundgesetzes auch mehr als drei Jahre nach Kriegsende noch gewesen sein müssen. Nie wieder sollte von deutschem Boden politische Verfolgung ausgehen, und politisch Verfolgten aus aller Welt sollte das neue Deutschland ein ebenso sicherer Hafen sein, wie es viele Länder in den Jahren der Diktatur für Deutsche gewesen waren.
Dieser Impetus ist es, der das Thema Asyl zu einem besonders sensiblen macht. Asyl, das ist im Kern keine rechtliche, sondern eine moralische Frage. Menschliche Schicksale lassen sich in all ihrer Individualität und Komplexität häufig nicht ohne weiteres in rechtliche Kategorien fassen - und doch muss der Rechtsstaat gerade das tun, muss Sachverhalte feststellen und Entscheidungen treffen.
Das Asylrecht ist auf politische Verfolgung ausgelegt
Klar ist: Kein Mensch verlässt grundlos seine Heimat. Freunde und Verwandte zurückzulassen, sich auf eine Reise ins Ungewisse zu begeben, in ein Land, dessen Sprache und Kultur man nicht kennt, das ist keine leichte Entscheidung. Es ist eine Entscheidung, die wirklich nachzuvollziehen eine praktisch aller materiellen Sorgen enthobene Gesellschaft wie die unsere wohl nicht imstande ist.
Klar ist aber auch: In einer Welt mit mehr als sieben Milliarden Menschen kann der bloße Wille zur Flucht für sich genommen bereits aus rein räumlichen Gründen nicht hinreichend sein. Wie also unterscheiden? Dass syrische Bürger unserer Hilfe bedürfen, liegt auf der Hand, und zwar ganz gleich, ob im Rahmen internationaler Vereinbarungen oder nach nationalem Asylrecht. Wie aber steht es mit Fällen wie dem Kosovo oder vielen Staaten Afrikas, wo kleptokratische Regierungen ihren Bürgern praktisch keine Möglichkeit bieten, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten? Hier klaffen Ideal und Wirklichkeit auseinander: Das Asylrecht des Grundgesetzes ist ausgelegt auf genuin politische Verfolgung, also staatliche Repression aufgrund von Religion, politischer Auffassung, Volkszugehörigkeit usw., nicht hingegen auf den Ausgleich des globalen Wohlstandsgefälles.
Wirtschaftsflucht darf Akzeptanz des Asylrechts nicht gefähren
Tatsächlich aber handelt es sich bei einem immer größeren Anteil der Asylbewerber um Wirtschaftsflüchtlinge, die in der oft von Schlepperbanden genährten Hoffnung nach Deutschland kommen, hier dauerhaft ein besseres Leben finden zu können.
Zwar haben diese Menschen rechtlich kaum eine Aussicht auf ein Bleiberecht in Deutschland, jedoch blockieren sie bis zur rechtskräftigen Feststellung ihrer Ausreisepflichtigkeit durch Behörden und Gerichte oft monate-, wenn nicht jahrelang die knappen Unterbringungskapazitäten von Ländern und Kommunen. So verständlich die Beweggründe der Wirtschaftsflüchtlinge aus menschlicher Sicht auch sein mögen - ihr Aufenthalt in Deutschland darf nicht dazu führen, dass die Aufnahme politisch Verfolgter aus dem Irak, aus Eritrea oder aus Afghanistan behindert und die gesellschaftliche Akzeptanz des Asylrechts gefährdet wird.
Ausreiseverpflichtungen auch durchsetzen
An dieser Stelle sind Bund und Länder gleichermaßen gefragt. Um den für viele Wirtschaftsflüchtlinge bereits in einem auch nur zeitweiligen Aufenthalt in Deutschland liegenden Anreiz so gering wie möglich zu halten, sollten offensichtlich aussichtslose Asylverfahren durch Ausweisung weiterer sicherer Drittstaaten sowie Einsatz zusätzlichen Personals durch den Bund beschleunigt abgeschlossen werden. Die Länder wiederum müssen die Kommunen unterstützen, indem sie rechtskräftig festgestellte Ausreiseverpflichtungen auch tatsächlich durchsetzen. Pauschale, von der Betrachtung des Einzelfalls losgelöste Abschiebungsstops verstärken bestehende Fehlanreize für Wirtschaftsflüchtlinge ebenso wie das sogenanntes „Kirchenasyl“. Für besonders gelagerte Ausnahmefälle sind in allen Bundesländern Härtefallkommissionen eingerichtet, an denen auch Vertreter der Kirchen beteiligt sind.
Wenn diese Kommissionen sowie mehrere Behörden- und Gerichtsinstanzen in einem rechtsstaatlichen Verfahren festgestellt haben, dass ein Bleiberecht nicht besteht, dann kommt einem örtlichen Pfarrgemeinderat insoweit keine außergesetzliche Letztentscheidungsbefugnis zu.
Was Europa tun kann
Auf europäischer Ebene schließlich sollte darauf hingewirkt werden, bereits auf nordafrikanischem Boden Erstaufnahmestellen nach europäischen Standards einzurichten, um die Flüchtlinge von der lebensgefährlichen Überfahrt über das Mittelmeer abzuhalten und eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge auf alle europäischen Staaten zu gewährleisten. So können Deutschland und Europa auch in Zukunft all jenen Schutz und Zuflucht bieten, die ihrer wirklich bedürfen.
Zur Person: Bastian Schneider ist Mitglied im JU-Bundesvorstand und stellvertretender Vorsitzender der Kommission Gesellschaft, Werte und Recht.
Hinweis: Dieser Text erschien zunächst am 20. März im JU-Magazin Entscheidung, und zwar in der in der Ausgabe März/April 2015 zum Schwerpunkt: "Flüchtlingskatastrophe vor Europa - in Europa?"
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Europäischer Salon: Alle Diskussionen
Carolin
Dem Beitrag kann bezüglich der Notwendigkeit, bestehendes Asylrecht auch nutzbar zu machen, komplett zugestimmt werden. Alle anderen Behauptungen in diesem Beitrag sind empörend, populistisch und deshalb gefährlich: Dass aktuell auch diejenigen, die berechtigt wären, geltendes Asylrecht in Anspruch zu nehmen, kaum die Möglichkeit haben, liegt nicht - wie es der Beitrag behauptet - an "Wirtschaftsflüchtlingen", sondern daran, dass die Berechtigten überhaupt keinen Zugang zu diesem Recht haben: Sie müssen erst illegal einreisen, um Asyl beantragen zu können. Deshalb braucht es sofort: die Wiedereinführung des Botschaftsasyls und andere legale Zugangswege. Der Vorschlag im Beitrag, Erstaufnahmestellen in Nordafrika zu etablieren, ist Teil einer noch krasseren Abschottungsstrategie der EU. Sie schafft riesige Auffanglager als europäische Exklaven wie etwa in Libyen, wo staatliche Strukturen fehlen und ein rechtliches Vakuum herrscht. Aus solchen Lagern werden die Menschen zurecht fliehen. Und aufs Mittelmeer gehen. Und dann? Schießbefehl? Aktuell sind zwei Vorschläge am dringendsten und aus ethischen und politischen Gründen am wichtigsten: - Sofortige Einführung von legalen Zugangswegen zum Asyl sowie eine Erweiterung der Flüchtlingskontingente - Sofortige (Wieder)einführung von Seenotrettungsprogrammen
Nun zur Hetze gegen "Wirtschaftsflüchtlinge", die der Text betreibt:
Zeit.de: Wer steigt in die Flüchtlingsboote? 23. April 2015
Viele derjenigen, die von solchen Hetzern als "Wirtschaftsflüchtlinge" bezeichnet werden, müssten unter humanitären Gesichtspunkten asylberechtigt sein. Da das Asylrecht aktuell aber sehr eng formuliert ist, wird es von Institutionen, die dazu angehalten sind, so wenig Menschen wie möglich "aufzunehmen", auch entsprechend eng ausgelegt. So hat das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im ersten und zweiten Quartal 2014 beispielsweise keinem einzigen Nigerianer nach Artikel 16 des Grundgesetzes Asyl gewährt.
Für alle anderen braucht es einfache Wege, Visa zu beantragen, um Ausbildungen und Arbeiten in der EU nachzugehen, befristet und unbefristet. Konzepte hierfür müssen dringend entwickelt werden.
Wenn man schon auf der Ebene dieses schrecklichen Wortes "Anreiz" argumentiert, dann soll Bastian Schneider sich aber auch mal fragen, ob "Anreiz" vielleicht eher dadurch geschaffen wird, dass die EU sich abschottet. Etwas, das so streng bewacht werden muss und wo absolut nicht jeder reindarf, das muss doch wahnsinnig toll sein.