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Welche politische Union hätten Sie gerne?


Foto: EU-Kommisison1999 war die Euro-Euphorie unter den beteiligten Finanzministern groß. Braucht es 16 Jahre später einen Neustart? Foto: EU-Kommission (1999)

Aktuell feilen die Euro-Staaten an ihrer künftigen Währungsgemeinschaft. Auch auf Publixphere wird vom großen Wurf geträumt - etwa von einer Europäischen Republik. Der EU-Experte Michael Wohlgemuth Open Europe Berlin ist allerdings skeptisch. Machen es sich EU-Föderalisten zu einfach?


Ein Beitrag von Michael Wohlgemuth Open Europe Berlin

Es geht mir hier nicht um „Mehr Europa oder weniger Europa“ – solche Diskussionen sind meist oberflächlich und unsinnig. Es geht um eine „bessere EU“ – und das kann in manchen Bereichen mehr Macht für Brüssel bedeuten, in anderen weniger. „Mehr Union“ ist sicher in der Flüchtlingskrise angesagt. Aber darum geht es hier jetzt mal nicht. Sondern um die europäische Wirtschafts- und Währungsunion (WWU), kurz die Eurozone.

Die Binse hierzu lautet: die WWU sei ein „politisches Projekt“ und das entscheidende Manko der WWU die unvollendete „politische Union“. Das ist leicht gesagt. Kritisch wird es, sobald konkretere Vorschläge präsentiert werden. Nun liegen aus Brüssel, Berlin und Paris neue Konzepte und Visionen vor. Das dabei souverän ignorierte Problem ist nur: für weitgehende und konkrete Schritte in Richtung „politische Union“ fehlt die rechtlich und demokratisch legitimierende Substanz.

Diesen Sommer wurde ein „5-Präsidenten-Bericht“ vorgelegt: „Die Wirtschafts- und Währungsunion Europas vollenden“. Der Entwurf ist insgesamt überaus vage (hierzu mehr hier). Vor allem zur eigentlichen „politischen Union“ sagen die fünf EU-Präsidenten kaum Substantielles oder Konkretes.

Anders in Paris und Berlin (hierzu mehr hier).

Wirtschaftsregierung vs. Wirtschaftsverfassung

In Paris wurde schon immer von einer „politischen Union“ gesprochen. Europäische „Wirtschaftsregierung“ meint hier vor allem: Vergemeinschaftung der Schulden der Eurozone, noch mehr fiskalpolitisches Engagement der EZB, gemeinsame Steuern der EU, gemeinsames Budget der Eurozone, gemeinsame europäische Arbeitslosenversicherung, gemeinsame Einlagensicherung und mehr europäische Industriepolitik, konkret: Subventionen für europäische (französische) Champions, Hilfen und Protektion für „Verlierer“ der Globalisierung.

Anstelle ordnungspolitischer Regeln der Selbstbindung von Regierungen sollen „politische“ Entscheidungen stehen, intergouvernementale Willensakte von Staatschefs, die gedeckt oder getrieben von einer Mehrheit in einem Parlament der Eurozone über ein durch vergemeinschaftete Steuern und Schulden finanziertes Eurozonenbudget verfügen.

In Berlin fordert man (zumindest Wolfgang Schäuble) auch eine „Fiskalunion“, meint damit aber etwas ganz Anderes. Diese „politische“ Union soll weitgehend „entpolitisiert“ werden; verbindliche Regeln (etwa des „Fiskalpakts“) sollen durch möglichst automatische Sanktionen oder mithilfe unabhängiger Organe durchgesetzt werden. Wirtschaftsverfassung statt Wirtschaftsregierung! Diese Formel würde auf zentrale Ideen der ordo-liberalen „Freiburger Schule“ zurückgreifen, die einst als Grundlage der Sozialen Marktwirtschaft dienten. Das hieße aber Primat regelbasierter Ordnungspolitik gegenüber interventionistischer Prozesspolitik.

Voraussetzung: Volksabstimmung

Die Vorschläge aus Paris und Berlin entsprechen stärker der Vision eines europäischen Bundesstaats, wenn auch eines jeweils sehr unterschiedlichen: eines diskretionär-interventionistischen oder eines regelgebunden-ordnungspolitischen. Eine Zustimmung aller 28 Mitgliedstaaten zu dem einen oder anderen europäischen Wirtschaftsmodell ist illusorisch. Bestenfalls kommt es zu einer typisch „europäischen“ Lösung mit unklar definierten Elementen aus beiden Visionen.

Wie auch immer: jede Variante einer politischen Union verlangt demokratische Legitimation nicht nur der Vertragsänderung selbst, sondern auch des Vollzugs einer Verlagerung zentraler Elemente bisher nationalstaatlicher Ausübung von Souveränität.

Das Bundesverfassungsgericht wird nicht müde festzustellen, dass die EU kein Bundesstaat werden könne, solange das deutsche Volk einem solchen Schritt nicht in einer Volksabstimmung zugestimmt habe. Dabei geht es um den Kernbestand staatlicher Souveränität: das Budget- und Steuerrecht.

"EU-Föderalisten sind in einiger Verlegenheit"

Freilich haben sich die „roten Linien“ aus Karlsruhe am Ende noch immer als recht flexibel erwiesen. Die Pläne der fünf Präsidenten sind hinreichend vage. Solange deutsche Budgetbelastungen in ihrem Umfang begrenzt bleiben und der jeweiligen Zustimmung des Bundestags unterliegen, könnte da noch etwas gehen. Anders ist es mit bundesstaatlichen Visionen, nach denen EU-Organe eigene Steuerkompetenzen erhalten und Schulden, Arbeitslosenversicherungen oder Spareinlagen „vergemeinschaftet“ werden sollen. Dann gilt verfassungsrechtlich wie demokratietheoretisch die Losung der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung: “no taxation without representation!“ (übersetzt etwa: „Keine Besteuerung ohne gewählte politische Vertretung!“).

Das EU-Parlament oder ein daraus destilliertes „Eurozonen-Parlament“ ist hierauf keine Antwort. Denn es fehlt ein weiteres zentrales demokratisch-rechtsstaatliches Prinzip: „one man, one vote“. Die Stimme eines Maltesers hat bei Europawahlen über elf Mal mehr Gewicht als die einer Deutschen.

Gerade demokratisch-egalitaristisch gesinnte EU-Föderalisten sind deshalb in einiger Verlegenheit. Sie müssen eine pan-europäische Öffentlichkeit, Identität und Solidarität und damit entgegen empirischer Evidenz die Entstehung eines funktionierenden pan-europäischen Parteiensystems imaginieren oder simulieren.

Einfach schon einmal mit „politischer Union“ als europäischer Wirtschaftsregierung oder Wirtschaftsverfassung zu beginnen in der Hoffnung, dass ein europäischer Demos einem elitär-vorauseilenden Quasi-Bundesstaat schon eines Tages folgen wird, ist ein riskantes Unterfangen. Es könnte die europäische Einigung eher beschädigen denn fördern (mehr dazu hier und hier).


Einladung: Alle Interessierten sind herzlich eingeladen, unter #EURemix das Europa der Zukunft auf Publixphere zu diskutieren - über alle politischen Ansätze und ökonomischen Denkschulen hinweg.


Links zur Debatte:


Kommentare

  • Manuel Müller Der (europäische) Föderalist
    +5

    „Machen es sich die EU-Föderalisten zu einfach?“, heißt es im Teaser dieses Beitrags von Michael Wohlgemuth, und für jemanden, der wie ich ein Blog mit dem Namen Der (europäische) Föderalist schreibt, ist das a priori natürlich eine beachtenswerte Frage. Einfach macht es sich stattdessen aber erst einmal Herr Wohlgemuth selbst, indem er keineswegs föderalistische Positionen kritisiert, sondern die überaus intergouvernementalistisch inspirierten Vorschläge der deutschen und der französischen Regierung zur Reform der Währungsunion.

    Herr Wohlgemuth mag diese Vorschläge nicht, da sie ihm zu politisch-interventionistisch sind; lieber wäre ihm eine bloße „Wirtschaftsverfassung“ in Form eines vorab festgelegten Regelwerks, das dann durch „automatische Sanktionen“ bzw. durch „unabhängige Organe“ durchgesetzt wird. So viel Glauben an die Weisheit eines (unpolitischen?) Verfassungsgebers und an die „unabhängigen“, also ungewählten Technokraten, die dessen Willen durchsetzen sollen, ist bewundernswert. Besonders demokratisch ist diese Vision indessen nicht. (Und dass eine Währungsunion ohne automatische Stabilisatoren wie eine gemeinsame Arbeitslosenversicherung auch rein ökonomisch wenig Überlebenschancen hat, sei hier nur am Rande erwähnt.)

    Das Grundgesetz ist nicht die Bibel...

    Aber zurück zu den Plänen einer politischen Union. Völlig zu Recht merkt Wohlgemuth an, dass das Bundesverfassungsgericht sich einer weitgehenden Übertragung von Fiskalkompetenzen auf die EU bislang vehement entgegenstellt. Wo genau Karlsruhes rote Linien dabei liegen, sei hier dahingestellt – anders als Wohlgemuth suggeriert, dürfte eine europäische Arbeitslosenversicherung oder eine gemeinsame Einlagensicherung durchaus auch mit dem heutigen Grundgesetz vereinbar sein. Grundsätzlich aber gilt natürlich, dass das Grundgesetz nicht die Bibel ist und das Bundesverfassungsgericht kein Prophet: Wenn wir zu einem Punkt kommen, an dem es rechtlich notwendig und zugleich politisch-demokratisch geboten ist, die heutige deutsche Verfassung durch eine neue zu ersetzen, dann sollten wir nicht zögern, diesen Schritt auch zu tun.

    Nun versteht es sich von selbst, dass eine umfassende politische Union, ein europäischer Bundesstaat, eine ausreichende demokratische Legitimation braucht – und nun endlich erreicht Wohlgemuths Argumentation tatsächlich das Terrain der europäischen Föderalisten, die in den 1970er Jahren die Ersten waren, die das Demokratiedefizit der damaligen Europäischen Gemeinschaften kritisierten. Das Argument, dass im heutigen Europawahlsystem nicht alle Stimmen gleich gewichtet werden, lässt sich allerdings kaum gegen die Föderalisten verwenden. In der aktuellen Debatte über eine europäische Wahlrechtsreform sind schließlich gerade sie es, die einen konkreten Vorschlag präsentieren, um diesem Problem abzuhelfen: Die Lösung, mit der das „Eine-Stimme-pro-Person“-Prinzip europaweit umgesetzt werden könnte, heißt transnationale Listen.

    Eine europäische Öffentlichkeit existiert in Grundzügen

    Bleibt Wohlgemuths letzter Punkt: Um ihre Ziele zu begründen, müssten die Föderalisten „eine pan-europäische Öffentlichkeit, Identität und Solidarität und damit entgegen empirischer Evidenz die Entstehung eines funktionierenden pan-europäischen Parteiensystems imaginieren oder simulieren“.

    Darauf ließe sich nun mit zweierlei Argumenten antworten: Zum einen kann man auf die umfassende sozialwissenschaftliche Forschung verweisen, die in den letzten Jahren empirisch dargelegt hat, dass eine europäische Öffentlichkeit tatsächlich bereits in Grundzügen existiert und sich weiter verdichtet. Man kann die Logik des Mediensystems erläutern, das vor allem über Ereignisse berichtet, die sich dramatisieren, personalisieren und in klare Konfliktmuster fassen lassen – lauter Dinge, in denen die heutige EU eher schlecht ist, die aber bei einer umfassenden politischen Union durchaus gegeben wären. Und man kann die Hebel benennen, die ein funktionierendes gesamteuropäisches Parteiensystem braucht: Um als politische Akteure an Bedeutung zu gewinnen, müssten die gesamteuropäischen Parteien endlich die Macht über wichtige personalpolitische Entscheidungen bekommen. Und das geht wiederum durch transnationale Europawahllisten sowie eine Wahl der Kommission allein durch das Europäische Parlament – zwei Kernforderungen der europäischen Föderalisten zur institutionellen Reform der EU.

    Demokratie europäisch neu gestalten

    Man kann Wohlgemuth jedoch auch noch auf andere Weise antworten, nämlich mit der Frage nach den Alternativen. Wie der Ökonom Dani Rodrik mit seinem „Globalisierungs-Trilemma“ aufgezeigt hat, lassen sich nationale Souveränität und Demokratie nur so lange miteinander vereinbaren, wie auch die Märkte weitgehend national bleiben. Sobald man die Grenzen für ein staatenübergreifendes Wirtschaftssystem öffnet, geraten die Staaten in eine solch starke wechselseitige Abhängigkeit, dass eigenständige nationale Entscheidungen zunehmend unmöglich werden. Der Versuch, dennoch an den Formen der nationalen Souveränität festzuhalten, führt zu dem, was Rodrik eine „goldene Zwangsjacke“ nennt: eine Entleerung des demokratischen Handlungsspielraums, ein Diktat der wirtschaftlichen „Sachzwänge“, eine Welt der politischen „Alternativlosigkeit“.

    Wer sich wie Michael Wohlgemuth mit einer bloßen überstaatlichen „Wirtschaftsverfassung“ ohne demokratische Kontrolle und Interventionsmöglichkeit wohl fühlt, für den mag dieses Modell eine Option sein. Alle anderen sollten hoffen, dass der Brückenschlag zwischen grenzüberschreitender Wirtschaft einerseits und demokratischer Politik andererseits gelingt. Auch wenn das bedeutet, althergebrachte Formen der Nationalstaatlichkeit zu überwinden und die Demokratie auf europäischer Ebene neu zu gestalten. Genau hierin liegt das Ziel der europäischen Föderalisten. Und einfach machen sie es sich damit nicht.

    • Michael Wohlgemuth Open Europe Berlin
      +3

      Besten Dank für die anregenden Kommentare! Ich hab leider im Moment nicht die Zeit, ausführlich zu antworten, will das aber gerne bald tun. „A period of reflection“ – wie man in EU-Kreisen sagt :). Auf die Schnelle nur ein paar kleine Klärungen zum Kommentar von Manuel Müller Der (europäische) Föderalist :

      Sicher hab ich es mir bei 5.000 Zeichen einfach machen müssen, komplexer geht es hier zu.

      Und tatsächlich geht es mir auch da nicht um die Beiträge des „europäischen Federalist“, die insgesamt deutlich konkreter, umfangreicher und phantasievoller sind als der „fünf Präsidenten-Bericht“ und die Äußerungen aus Paris oder Berlin.

      Zudem sind wir uns da in der Kritik einig: „Demokratie ist für die Regierungen nur ein Nebenthema“.

      Die fünf Präsidenten, Schäuble, Hollande, Macron etc. sind halt das, was realpolitisch derzeit diskutiert wird und womit in der ein oder anderen Form vielleicht zu rechnen ist – obwohl Texte etwa von Graf Kielmansegg, oder Jürgen Habermas sicher mehr Substanz bieten. Das Gleiche gilt wohl für viele interessante Beiträge auf Der (europäische) Föderalist oder Open Europe Berlin. Jeweils eine Form des „Elitendiskurses“ – aber wie sollte es auch anders sein?

      Publixphere versucht eine Antwort, drum sind wir ja hier.

      Vorschläge nicht demokratisch legitimierbar

      Nur noch kurz zu meinem kleinen Artikel: Sie haben mich erwischt! Ich habe tatsächlich eine Präferenz für „Wirtschaftsverfassung“ gegenüber „Wirtschaftsregierung“, also für das deutsche Modell der ordnungspolitischen Regelbindung gegenüber diskretionärer „planification“ in wichtigen Bereichen.

      Das heißt aber nicht, dass ich etwas gegen demokratische Verfahren hätte (ich bin sogar für direkt-demokratische.

      Aber: ein demokratischer Souverän kann sich auch selbst binden, weil er um seine Willensschwäche weiß.

      Die Vorschläge von Macron und Schäuble (aber auch Ihre und selbst meine!) halte ich übrigens beide für derzeit kaum EU-weit demokratisch legitimierbar (schon die Vertragsänderung und dann im Vollzug).

      Also sind wir beide in der Bredouille. Aber so ist eben Demokratie.

      Nunmehr lohnte es ich, weiter über das Problem „europäische Öffentlichkeit und transnationale Parteiprogrammatik“ nachzudenken. Ihre Hoffnung, diese über „dramatisieren, personalisieren und klare Konfliktmuster“ herstellen zu wollen, ist nach der „Ökonomie der Aufmerksamkeit“ nachvollziehbar, hat aber auch Risiken. Hierzu nur als „teaser“ etwas hier

      Wir lassen uns unsere Träume auch nicht verbieten

      Zum Thema „constitutional moments“, 'Europa der Bürger' und „Globalisierungs-Trilemma“ hab ich es mir gelegentlich auch etwas weniger leicht gemacht: hier, oder hier.

      „Europa“ ist nie fertig, GeertV – auch die EU nicht! Das Ganze ist ein schwieriger, aber bisher dann doch insgesamt erfolgreicher, jedenfalls lohnender (Lern-) Prozess. Wir lassen uns unsere Träume auch nicht verbieten. Auch wenn die „Schleichfahrt“ noch lange weitergehen dürfte, Rakaba.

      Wir dürfen es uns dabei auch nicht einfach machen, richtig: Manuel Müller Der (europäische) Föderalist . Schlage vor: ich lese Ihre links, Sie lesen meine. Wir machen es uns gegenseitig schwer – aber wir gewinnen dabei auch gegenseitig Einsichten. Und diskutieren dann bald weiter.

      • Hallo ihr beiden,

        Jeweils eine Form des „Elitendiskurses“ – aber wie sollte es auch anders sein?

        Nun ja, dann zählt Euch zur Elite, wenn es Euch hilft.

        Aber es ist doch recht simpel: Manuel Müller Der (europäische) Föderalist will einen Europa-Staat, aber vergisst dabei mit Argumenten den Verstand und mit Überzeugungsarbeit die Herzen der Menschen mit dem europäischen Gedanken zu beseelen. Michael Wohlgemuth Open Europe Berlin hätte hingegen gerne das Nebeneinander von 28 EU-Ländern, ohne erklären zu können, wieso es dann überhaupt eine EU braucht, wenn doch die singuläre Ausrichtung auf den Binnenmarkt genau das ist, was die meisten Menschen beängstigt und abstößt.

        Alles was für die europäische Integration notwendig ist, liegt seit einem halben Jahrhundert auf dem Tisch, alleine der Zündfunke fehlt und ich glaube nicht trotz, sondern gerade wegen solchen (selbsternannten) europäischen Elite.

        Weder das mantraartige Wiederholen der immer gleichen Ideen (Manuel Müller Der (europäische) Föderalist ) noch die Realitätsverweigerung in Bezug auf die Anforderungen einer globalisierten Welt bzw. des globalisierten Wirtschaftens (Michael Wohlgemuth Open Europe Berlin ) bringt uns weiter.

        Mein Ansatz ist es, die wahren Europäer, also die Handwerker und Landwirte, die Krankenpfleger und Ärzte, die Eisenbahner, Arbeiter, Feuerwehrleute, die Lehrer oder kurz gesagt, all jene, die den Laden am Laufen halten, zu überzeugen.

        Mein Ansatz ist es, die nationalen Interessen in die Interessen der Eliten und die Interessen der Menschen zu unterteilen.

        Mein Ansatz ist es, den Menschen zu erklären, wie die Struktur der EU unsere Demokratie aushöhlt.

        Mein Ansatz ist es, den Bürgern reinen Wein einzuschenken und deutlich zu sagen, mit solchen Eliten werden wir kein gemeinsames Europa schaffen. Wir Bürger sind das wahre Europa, die EU ist für unsere Interessen da und die Demokratie ist unser Weg dorthin.

        • Sören Brandes Unsere Zeit
          +3

          Anders gesagt: Ihr Ansatz ist ein populistischer. Sie gehen antipluralistisch davon aus, dass "wir Bürger" alle dieselben Interessen hätten (die Sie natürlich kennen), und nur die wahlweise böse oder dumme Elite uns davon abhält, sie durchzusetzen.

          Jan-Werner Müller Was ist Populismus? - Ein Essay

          • Danke!

          • Wenn Sie mich nur kritisieren können, nachdem Sie mir irgendwelche Worte in den Mund gelegt haben, freut mich das.

            Immerhin ist es das beste Zeichen dafür, dass Sie meinem Beitrag nicht argumentativ begegnen können.

            • Sören Brandes Unsere Zeit
              +3

              Vielleicht. Vielleicht vertreten Sie aber auch tatsächlich ein populistisches Modell, in dem "Wir Bürger" das "wahre Europa" sind, "solche Eliten" jedoch nicht (diese Worte lege ich Ihnen nicht in den Mund, sondern zitiere sie einfach aus Ihrem Post). Den Aufsatz von Jan-Werner Müller gibt es leider nicht kostenlos online (hier ein Ausschnitt), ich würde aber an Ihrer Stelle tatsächlich mal dort oder in dem zugehörigen Buch nachsehen. In short: Konzeptionen des wahren, eigentlichen Volkes leiden immer darunter, dass dieses wahre, eigentliche Volk eine Chimäre ist, und zwar eine insofern anti- oder zumindest nichtplurale, als sie eben nicht berücksichtigt, dass sich das Volk (erst recht das europäische) aus ganz verschiedenen Gruppen mit ganz verschiedenen Interessen zusammensetzt - was übrigens genau der Grund ist, warum eine echte Demokratie mehrere Parteien braucht. Wenn den "Interessen der Eliten" nur die "Interessen der Menschen" gegenüberstünden (sic! als seien die "Eliten" keine Menschen), dann wäre eine plurale, multipolare Demokratie gar nicht nötig.

              • Wenn jeder, der von den widerstreitenden Nationalinteressen in der EU spricht, aus Ihrer Sicht ein Populist ist, dann machen Sie gerade weiter mit Ihrer Selbstdemontage. Sagen Sie das doch einfach mal Martin Schulz (SPE), Jean-Claude Juncker (EVP), Lutz Herden (Politik-Redakteur des Freitag) oder Ulrike Guérot (Publizistin), die sprechen nämlich auch alle davon – diese bösen Populisten ;D.

                Das wahre Europa besteht nicht aus irgendwelchen Verträgen oder Institutionen und auch nicht aus einer wie auch immer gearteten Elite, sondern aus der Gesamtheit der hier lebenden Menschen (ich nenne sie Bürger). Sie können es gerne anders sehen.

                Außerdem spreche ich von „den Interessen der Menschen“, was automatisch die Vielfältigkeit dieser Interessen impliziert. Das ist Pluralismus pur, auch wenn Ihnen das wohl entgangen ist.

                Worte lege ich Ihnen nicht in den Mund, sondern zitiere sie einfach

                Tut mir leid, aber Sie zitieren nicht, sondern reißen meine Worte aus dem (Sinn-)Zusammenhang und setzen diese zu neuen Sätzen zusammen.

                In etwa so: „Vielleicht“ „sind“ „Sie“ „eine Chimäre“ „.“

                • MisterEde,

                  Ich finde Sören Brandes hat vollkommen Recht. Wenn überhaupt dann geht es hier um das politische System, nicht um die guten oder bösen Eliten darin.

                  Die "Eliten" verhalten sich so, wie es das System von ihnen erfordert. Sie moderieren darin Interessen, denken natürlich an ihre Wähler. Schäuble hat es selbst gesagt, auf seiner US-Reise, über die Politico schreibt:

                  Europe had a “special nature” with 28 sovereign countries, Schäuble stated, a structure, he helpfully noted, “that some Americans sometimes find hard to understand”.

                  That “special nature” is the reason a pledge for a change of the EU treaties is part of Schäuble’s thinking. As long as there were 28 governments accountable to their 28 parliaments and electorate, nothing will ever happen that could harm politicians’ chances to be re-elected.

                  “In the actual EU treaties, there is always a temptation for leaders not to do what is needed,” he said, but to settle for an easier solution. “The risk of moral hazard is much higher than elsewhere in the world.”

                  Sie werden die "wahren Europäer, also die Handwerker und Landwirte, die Krankenpfleger und Ärzte, die Eisenbahner, Arbeiter, Feuerwehrleute, die Lehrer oder kurz gesagt, all jene, die den Laden am Laufen halten" nicht mit plumpen Eliten-Bashing überzeugen. Es sind die Eliten, die sich auch die Krankenschwester und der Handwerker zur Vertretung ihrer Interessen gewählt haben. Wenn Sie sozusagen den "kleinen Leuten" unterstellen, diese hätten sich dabei "verwählt", dann ist das reichlich überheblich. Glauben Sie ernsthaft, Sie gewinnen so ihre Herzen?

                  Die Arbeit von Manuel Müller und Michael Wohlgemuth ist genau die richtige. Sie bringen Klarheit in den Nebel, sie schälen die Alternativen heraus, die unterschiedlichen Wege, die wir gehen können, die sich oft in Brüsseler Dokumenten arg verstecken. Wenn die Optionen gedanklich durchdrungen sind, können die Dinge noch klarer ausgedrückt werden, bis der Diskurs sich verbreitern kann. Bis Systemänderung überhaupt denkbar, vorstellbar und diskutabel wird!

                  • Wenn überhaupt dann geht es hier um das politische System, nicht um die guten oder bösen Eliten darin.

                    Das mit den guten und bösen Eliten kommt jetzt aber von Dir und nicht von mir. Ich spreche ich von systemischen Problemen.

                    Und ich glaube schon, dass die Struktur der EU nicht ganz zufällig so ist wie sie ist, sondern durchaus viel damit zu tun hat, dass es den wirtschaftlichen Eliten, sprich großen Konzernen oder großen Vermögen nutzt.

                    Es sind die Eliten, die sich auch die Krankenschwester und der Handwerker zur Vertretung ihrer Interessen gewählt haben.

                    Vielleicht sprechen wir von unterschiedlichen Eliten, weil weder die Deutsche Bank noch die großen Automobilkonzerne, nicht die Piechs und Quandts gewählt sind.

                    • Hallo Mister Ede, ok, da haben wir uns missverstanden, ich dachte, Du meinst vorrangig die Politiker. Aber auch was die Wirtschaftseliten angeht - ist das eine Systemfrage. Ich kenne Leute, die bei Banken arbeiten, bei McKinsey, in Werbeagenturen, alles "Eliten", aber ich halte überhaupt nichts davon, sie über einen Kamm zu verdammen. Das führt nirgendwo hin, im Gegenteil es wird als kaptitalistischkritische Protestfolklore zum Teil des Systems, auf die eh niemand mehr hört (siehe fast alle Einwürfe der Linkspartei in Talkshows). Die Kritik bleibt in der Abstraktion komplett hängen, ändert gar nichts.

                      Wenn dann muss das Anreizsystem in unserer Marktwirtschaft stimmen - wer wird mit was reich und wie reich soll er werden? Und wie arm die anderen? Das ist für mich die systematische Frage, über die sich sachlich sprechen lässt.

                      Ich würde lieber in Interessen und Akteuren denken, denen das System Geschenke macht. Beispiel Steuerdumping. Da kommt jetzt seit Jahren endlich die demokratische Korrektur, endlich wird das EP wütend. Endlich. Als Marktwirtschafler regt mich dieses Dumping vielleicht noch mehr auf als so manchen verpennten SPDler. LEVEL PLAYING FIELD. Steuerdumping für bestimmte Anbieter ist Gift für den Markt, weil es mit dem Grundsatz 'gleiche Bedingungen für alle' bricht. Und natürlich haben wir es bei den Verantwortlichen mit Raubtieren zu tun, die das so eingerichtet haben, weil der Staat sie gelassen hat, weil sie im Staat Handlanger fanden. Aber ist der Löwe verantwortlich, wenn er ein Schaf reißt, das man ihm vors Maul stellt? Damit muss die (europäische) Demokratie im Kapitalismus immer rechnen. Sie muss wehrhaft sein gegenüber den Vertretern von Einzelinteressen sein.

                      Ich würde hier nur anders die Debatte führen. Apple und Amazon schaden auch der unterbezahlten Krankenschwester. Nicht "alle Eliten" tun das.

                      • Als Marktwirtschafler regt mich dieses Dumping vielleicht noch mehr auf als so manchen verpennten SPDler.

                        Und SPD-Bashing ist besser? Die Union, die FDP oder Bernd Lucke unterstützen doch genau diese Struktur der EU, die ein solches Dumping erlaubt (wobei es in der Union auch einige gibt, die damit nicht zufrieden sind). Wenn Du an dieser Stelle ausgerechnet die SPD in den Vordergrund rückst, wirkt das so ein wenig wie bei Rudi Carrell: Schuld am schlechten Wetter ist nur die SPD.

                        alles "Eliten", aber ich halte überhaupt nichts davon, sie über einen Kamm zu verdammen

                        Da stimme ich Dir voll zu. Aber gerade deswegen die Bitte: Geh solchen Leuten wie dem Brandes nicht auf den Leim. Der unterstellt mir irgendwas und ich soll mich dafür dann rechtfertigen. Das kann‘s wirklich nicht sein.

                        ok, da haben wir uns missverstanden,

                        Lag vielleicht an mir, weil ich den Begriff „Elite“ nicht einheitlich verwendet habe. An der einen Stelle sind die EU-Experten gemeint, wobei ich da nicht Wohlgemuth und Manuel Müller im Blick habe, sondern Janis Emmanouilidis oder Udo van Kampen, also jene, die sich zum Handlanger dieser wirtschaftlichen Eliten machen, die dann weiter unten im Kommentar gemeint sind. Gewählt sind aber weder die „Experten“ noch die wirtschaftlichen Eliten.

                        • Sören Brandes Unsere Zeit
                          +1

                          Als Marktwirtschafler regt mich dieses Dumping vielleicht noch mehr auf als so manchen verpennten SPDler.

                          Damit meint sie, dass sie in diesem Fall auf der Seite der SPD steht und dass sich eigentlich auch der verpennteste SPDler darüber aufregen sollte. Von SPD-Bashing also keine Spur.

                          Da stimme ich Dir voll zu.

                          Was, bitteschön, bleibt dann überhaupt von Deiner populistischen Polemik übrig?

                          • Gegenfrage: Was bleibt denn von Ihrem Vorwurf der Polemik übrig?

                            Außerdem habe ich Rakaba und nicht Ihnen zugestimmt!

                  • Hallo Rakaba,

                    dann sag mir doch mal, zu welcher Position du neigst. Zu der von Müller oder zu der von Wohlgemuth?

                    Beste Grüße Mister Ede

                    • Ich neige zu Herrn Wohlgemuth. Ich habe nicht das Vorstellungsvermögen von GeertV :). Nehmen wir an morgen hätten wir den Europäischen Bundestaat. Es würde Jahre dauern, sich auf allen Ebenen daran zu gewöhnen. Der Widerstand wäre riesig, die Nationalitäten würden in jedem Sachkonflikt um Ressourcen gegeneinander ausgespielt werden können. Nehmen wir an, du hast einen kourrpten deutschen Politiker. Darf ein Spanier ihn absägen? Oder andersherum? Ohne das alles im nationalistisch angestacheltem Hass explodiert?

                      • Hallo Rakaba,

                        das ist der Punkt der mich interessiert:

                        Ich neige zu Herrn Wohlgemuth.

                        Wohlgemuth präferiert nach eigener Aussage eine Art Wirtschaftsverfassung, welche die 28 EU-Länder in einer gewissen Form binden soll. Damit aber wird genau jene Struktur fortgeschrieben, die das Gegeneinander der Nationalstaaten erlaubt, welches vor allem den wirtschaftlichen Eliten, dem Großkapital, den Großkonzernen nutzt.

                        Wen freut es denn, wenn man sich im Konzert der 28 nicht auf einen gemeinsamen Datenschutzstandard einigen kann? Dich oder Facebook und Google, die sich dann eben in Irland niederlassen?

                        Wen freut es denn, wenn man sich im Konzert der 28 nicht auf strengere Abgasgrenzwerte einigen kann? Die Bewohner feinstaubbelasteter Städte oder die großen Automobilkonzerne, insbesondere jene, die das sogenannte „Premium-Segment“ bedienen?

                        Wen freut es denn, wenn man sich im Konzert der 28 nicht auf Mindeststandards bei Lohn und Sozialleistungen einigen kann? Die Arbeitnehmer?

                        Und es ist doch die Deutsche Bank, die verdammt gut damit leben kann, dass sich noch nicht mal 11 EU-Staaten auf eine gemeinsame Finanztransaktionssteuer einigen können. Es ist genau dieser Zustand des Gegeneinanders der überwunden werden muss, damit der Binnenmarkt nicht das Paradies für Großkonzerne ist und die Mehrheit der hier lebendenden Menschen das Nachsehen hat. Du sagst, Du bist Marktwirtschaftler. Dann müsstet Du mir doch zustimmen, dass ein Markt immer auch Rahmenbedingungen braucht, um einen fairen Wettbewerb zu gewährleisten.

                        Meine Frage an Dich: Glaubst du, dass sich diese Rahmenbedingungen tatsächlich im Gegeneinander von 28 nationalen (Eliten-)Interessen gestalten lassen, ohne dass dabei am Ende das Allgemeinwohl auf der Strecke bleibt?

                      • Zunächst: Ein korrupter Politiker sollte in einem Rechtsstaat das Gericht und nicht die Wähler zu fürchten haben. Und mit jemandem wie Seehofer (nicht korrupt, aber seltsam drauf) müssen wir halt auch z.B. in NRW leben, weil es alleine die Wahlentscheidung der Bayern ist.

                        Oder anders ausgedrückt: Ein Bundesstaat würde auch nicht verhindern, dass Orbán in Ungarn regiert.

  • Dieser Text entstand in einem anderen Land

    Sehr geehrter Herr Wohlgemuth, Sie beschreiben nuechtern und treffend - von ein paar polemische Spitzen in Richtung Paris mal abgesehen - die heutige, rechtliche Lage, die Huerden fuer ein neues Europa, Karlsruhe, der fehlende europaeische Demos und so fort...

    Aber: Wo bleibt Ihre Phantasie? In Berlin-Mitte steht ein Gebaeude. Daran der Schriftzug: "Dieses Haus stand frueher in einem anderen Land".

    Das ist nicht so lange her. Die Welt veraendert sich. Wer konnte sich schon das Ende des kalten Krieges und die Wende vorstellen? Das europaeische Come-Back Polens und Ungarns, Leipzigs und Rostocks? Wer? Ausser vielleicht ein paar Spinnern der Friedensbewegung?

    Gegen den Eisernen Vorhang sind doch ein paar EU-Vertraege nichts, wenn wir als europaeische Demokraten darueber befinden koennen.

    Also ich finde Ihren Rat zum Realismus gut. Die Traeume werden ihn aushalten lernen. Geschichte geht auch mal ganz fix.

    Was denken Sie? Ist Europa schon fertig? Als Binnenmarkt?

  • Lieber Herr Wohlgemuth, hier auf Publixphere eine Stimme der Vernnunft, wie schön :). Mir scheint das europäische Projekt gerade an ein Ende zu kommen. Noch weitere Integrationsschritte gehen nicht mehr nach der alten Methode - also weitgehend ohne die Menschen. Schon aus den Zeilen des Fünf-Präsidenten-Berichts scheint die Angst vor den Karlsruher Richtern und der potenziell empörten Öffentlichkeit hervor zu lugen - bloß nicht zu konkret werden. Aber auf Schleichfahrt wird es diesmal nicht gehen.

    Meine Frage an Sie: teilen Sie denn den Katastrophen-Befund 'Ohne politische Union war's das mit dem Euro' oder nicht? Ginge es auch ohne?

    • Hallo Rakaba, hübsches Bild mit der Schleichfahrt, bloß bei diesem U-Boot sind zusätzlich Sehrohr & Sonar kaputt und die Batterien reichen auch nicht mehr lange!

  • Liam Fitzgerald Project for Democratic Union
    +2

    Antwort eines Republik-Befürworters

    Von Seiten eines der Befürworter der Europäischen Republik hier einige Anmerkungen und Überlegungen zu den hier geäußerten wichtigen Bedenken.

    Einbindung der Bevölkerung

    Zum einen, das Thema Einbindung der Bevölkerung. Die Europäische Republik ist von Anfang bis Ende als ein Projekt der europäischen Bürger zu denken. Wir wollen einen europäischen Staat über Veranstaltungen und Diskussionen online wie offline mit Hilfe der vielen schon existierenden Gruppen und Organisationen an die gesamte Bevölkerung der EU herantragen. Wie manche Vorredner schon richtigerweise herausgestellt haben, gibt es schon greifbare Ansätze für eine gemeinsame europäische Kultur, Öffentlichkeit und für gemeinsame Medien. Darauf möchten wir bauen, um schon die Etablierung der Europäischen Republik zu einer Sache des Volkes und nicht nur der sogenannten 'Eliten' zu machen. Freilich ist das die größte Herausforderung in diesem Vorhaben.

    Referendum nach Debatte

    Ist diese Herausforderung erst einmal gemeistert, stimmen wir zu, dass es Sache des Volkes sein muss, die Verfassung der Europäischen Republik auszuarbeiten und zu bestätigen. Dafür stellen wir uns eine von der Bevölkerung der EU gewählte verfassungsgebende Versammlung vor. Die von dieser Versammlung ausgearbeitete Verfassung ist dann in einem europaweiten Referendum zur Wahl zu stellen. Noch einmal: es ist notwendig, zuvor eine breit angelegte Debatte in der gesamten EU geführt zu haben, die die Vorteile und Probleme der Europäischen Republik thematisiert und Lösungsvorschläge erarbeitet, die gesammelt der verfassungsgebenden Versammlung als eine Art Handbuch dienen sollte. Auf solche Weise ist von vornherein sicher gestellt, dass die Europäische Republik kein reines Elitenprojekt bleibt, sondern eben eine Sache des Volkes.

    Auch die wirtschaftliche Ausrichtung einer Republik ist zu diskutieren

    Was die wirtschaftliche Ausrichtung angeht, so ist dies ebenfalls im Verlauf des oben dargestellten Prozesses zu diskutieren. Auch eine föderal organisierte Europäische Republik kann ja verfassungsgemäß auf eine ordoliberale Politik ausgerichtet werden. Das sollte aber von den Bürgern bestimmt werden und regelmäßige Wahlen können innerhalb einer ordoliberalen Politik noch immer verschiedene Schwerpunkte setzen. In Krisenzeiten sollte es auch möglich sein, stärker interventionistisch zu handeln.

    Ja, eine gemeinsame Wirtschafte- und Finanzpolitik mit gemeinsamen Schulden, Sozialversicherungen usw kann für nordeuropäische Verhältnisse - wie sie jetzt stehen! - zu höheren Kosten führen. Für südeuropäische Verhältnisse - wieder, wie sie jetzt stehen! - würden Kosten für Geldmittel sinken. Dem implizierten moral hazard ist es durchaus vorstellbar, dass die Europäische Republik eine verfassungsmäßige Schuldenbremse erhält. Jedenfalls scheint es besser, gemeinsam für europäische Finanzen verantwortlich zu sein als in Zukunft in Krisenfällen wieder fragwürdige und teure Rettungspakete zu schnüren. Es wäre auch vorstellbar, einen Fonds einzurichten, in den in guten wirtschaftlichen Zeiten staatliche Überschüsse fliessen müssen, die für Krisenzeiten verwendet und strukturschwachen Regionen für verstärkte Entwicklung zur Verfügung gestellt werden können.

    Die europäischen Föderalisten machen es sich mit diesem Projekt keineswegs leicht. Vielmehr sind wir uns dessen bewusst, dass der Weg sehr schwierig und arbeitsintensiv ist - und wir haben auch Ideen, wie wir diesen Weg beschreiten können.

    • Hallo Liam Fitzgerald Project for Democratic Union

      Mir Ihrem Beitrag kann ich mich sehr gut anfreunden. Die EU muss die Sache der Bürger werden und entsprechend braucht die stärkere Integration hin zu einem Bundesstaat das positive Votum dieser Bürger. Gerne können hier auch unterschiedliche Varianten der Weiterentwicklung zur Wahl gestellt werden. In einem längeren Prozess könnten also zunächst Volksabstimmungen stattfinden, die klären, welche Form der Integration (parlamentarisch gewählte oder direkt gewählte EU-Kommission / unterschiedliche Formen der Finanzverfassung / …) gewünscht ist. Danach kann dann endgültig abgestimmt werden, ob die ausgearbeitete Verfassung von den Bevölkerungen der einzelnen EU-Länder angenommen wird. Außerdem könnten auch jene Länder, die sich gegen eine solchen endgültigen Schritt entscheiden, auf Basis der aktuellen EU-Regeln mit einem solchen Europa-Staat assoziiert bleiben.