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Deutsch als Sprache der Moscheen?


FotoDie Şehitlik-Moschee in Berlin-Neukölln. Die Gebetssprache ist hier vor allem Türkisch. Foto: onnola (CC BY-SA 2.0)

Braucht Deutschland ein Islam-Gesetz? Sollte in Moscheen deutsch gesprochen werden? Doro fragt euch, was ihr von Ideen der CSU haltet ...


Ein Beitrag von Doro

Unser Grundgesetz § 4 garantiert die Religionsfreiheit.

§ 4, Art. 1 Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

§ 4, Art. 2 Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

Über die Sprache, in der die Religionsausübung stattfinden soll, wird nichts gesagt. Es gibt unzählige religiöse Gemeinschaften in Deutschland , in der sich Menschen mit ausländischem Hintergrund (aus aller Welt) und unterschiedlichem Glauben (katholisch, protestantisch, freikirchlich, jüdisch, buddhistisch etc.) zusammen finden und in ihrer Muttersprache Gottesdienste feiern. Ihnen die deutsche Sprache für ihre Religionsausübung vorzuschreiben, würde das Ende ihrer freien Religionsausübung bedeuten, vielfach auch das Ende ihrer Existenz in Deutschland. Auch kann man ihnen sicher nicht verbieten, von der Religionsgemeinschaft ihres Mutterlandes mit finanziert zu werden. (Ich selbst habe ein Jahr lang im Iran gelebt und war dort Mitglied in der ev. deutschsprachigen Gemeinde in Teheran. Wenn der Iran der Gemeinde Farsi als Sprache vorgeschrieben hätte, hätte die Gemeinde nicht mehr bestehen können. Denn wer von den Deutschen beherrschte schon so perfekt das Farsi? Außerdem wurde die Gemeinde natürlich von der EKD finanziell unterstützt.)

Der CSU-Generalsekretär Scheuer fordert Deutsch als Sprache der Moscheen. Und er fordert, dass „die Finanzierung von Moscheen oder Islamischen Kindergärten aus dem Ausland, etwa aus der Türkei oder aus Saudi-Arabien“ beendet werden muss. Verstößt seine Forderung gegen das Grundgesetz? Gegen die Gleichbehandlung aller in Deutschland vertretenen Religionsgemeinschaften?

Ich denke, die Frage ist nicht so einfach mit „Ja“ zu beantworten. Wenn der „Islam zu Deutschland gehört“, dann sind Moschee-Gemeinden nicht mehr wie Auslandsgemeinden zu handhaben, sondern analog zu deutschen Kirchengemeinden und Freikirchen. Nicht mehr als Gemeinden auf Zeit, nicht mehr vom Ausland mitfinanziert und gesteuert, nicht mehr als Gastgemeinden mit ihrem Eigenleben, nicht mehr als Fremdkörper, nicht mehr als Parallelgemeinschaften, sondern sie sind als deutsche islamische Gemeinden zu betrachten. M.E. sollte in ihnen Deutsch gesprochen und gepredigt werden, sie sollten offen sein für deutschsprachige Nicht-Muslime und Jedermann in Deutschland, wie auch die christlichen Gemeinden in Deutschland offen sind für Andersgläubige. Transparent. Wenn der Islam zu Deutschland gehört und aufgrund der Vielzahl der Muslime in Deutschland, wäre es m.E. wünschenswert, dass der deutsche Islam eine Körperschaft des öffentlichen Rechts würde, wie es die katholische und die evangelische Kirche in Deutschland ist. Dann brauchte es kein Islam-Gesetz.

Was meint Ihr dazu?


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Kommentare

  • Jens Best ist dafür
    +3

    Die Antwort ist mehrstufig.

    Ebene 1

    Es ist völlig egal, welche Sprache eine Religionsgemeinschaft während ihrer Rituale in Deutschland spricht. Es ist auch egal, ob diese Religion seit Jahrhunderten im deutschen Raum exisitiert oder erst gestern in Deutschland angekommen ist.

    Allein dieses Thema diskutieren zu wollen, ist ein klares Zeichen dafür, dass die Aufklärung in Deutschland in weiten Teilen nicht verinnerlicht wurde.

    Ebene 2

    Eine Religionsgemeinschaft, die sich der Öffentlichkeit verschliesst und aus deren Richtung (Salafismus, Wahhabismus) bekannt ist, dass Elemente der Religion sich aktiv im Alltag über den Rechtsstaat stellen wollen, müssen beobachtet werden. Ein offene Gesellschaft, die nicht bereit ist, Mittel zu ergreifen, die ihre Verteidigung sicherstellt, ist bald keine offene Gesellschaft mehr.

    Die Überwachung solcher als Religionsgemeinde getarnten Orten, an denen gegen die freiheitliche Grundordnung planmässig agitiert und vorgegangen wird, ist ein notwendiges Übel und braucht ein gesetzliches Regelwerk, dass ihre Arbeit sinnvoll gestalten lässt und nicht unnötig verhindert.

    Wer sich durch Beobachter, die diese Aufgabe eingeschränkt fühlt, hat offensichtlich etwas zu verbergen.

    Man stelle sich vor es wäre eine durch eine Zeitreise in die Gegenwart versetzte Bauerngemeinde aus der Zeit der christlichen Ausdifferenzierung in Europa – auch dieser würde man ihren eigenen Raum gestatten, aber sicherstellen, dass dort nicht Hass gepredigt und Taten konspirativ vorbereitet werden.

    Ebene 3

    Die Ausbildung von Imanen und islamischen Religionslehrer und -lehrerinnen für den schulischen und außerschulischen Einsatz kann nicht in Ländern erfolgen, die nationalistisch-religionsextremistisch sind wie z.B. Türkei oder Pakistan.

    Entsprechend ist eine Ausbildung in Deutschland sicherzustellen, auch durch staatliche Förderung. Die Ahmadiyya-Gemeinden sind ein gutes Beispiel, eine konservativ-islamische Religionsgemeinschaft, die ihre Imane in Deutschland ausbildet und sich auch dem interreligiösen Diskurs und dem Diskurs in der offenen Gesellschaft stellt. Hierbei ist diese Gemeinde wesentlich erträglicher als manche Rechtskatholiken.

    Ebene 4

    Es fehlt eine Offenheits-Initiative seitens des Islams in Deutschland. Damit meine ich nicht ein paar Offene-Moschee-Tage, sondern mehr.

    Die Dominanz von konservativen Islam-Verbänden im politischen Diskurs in Deutschland ist einer progressiven diskussion abträglich. Liberale Vertreter eines modernen europäischen Islam werden zu wenig wahrgenommen.

    Insgesamt befindet sich der Islam in einer vor-reformationellen Phase, in dem konservative Kräfte stark sind und einen Diskurs zwischen dem Islam und der offenen westlichen Gesellschaft behindern.

    Ebene 5

    Die politische Ebene, in die die letzten hundert Jahre Nahost-Konflikt multidimensional hineinspielen, ist bei einem Diskurs um und mit dem Islam immer präsent. Hierfür gibt es viele Gründe, die den Diskurs vergiften – nicht alle liegen auf seiten des ambivalenten Westens.

    • Felix Blickwinkel Blog
      +2

      Ebene 1

      Da sind wir uns wohl einig.

      Ebene 2

      Schwierig. Im Grunde bin ich, was das Hinsehen bei „Anti-Offenen“-Bewegungn angeht auf Ihrer Seite. Allerdings würde mich hier interessieren, worauf Sie hinauswollen. Soweit ich in der Materie stehe, hat sich ja auch wieder nach Brüssel gezeigt, dass es nicht zwangsläufig an Informationen scheitert, sondern eher an der Verwendung und Verwertung dieser. Gerade was Inner- und Transnationale Kooperation angeht.

      aber sicherstellen, dass dort nicht Hass gepredigt und Taten konspirativ vorbereitet werden.

      Das ist nun eine Frage wie viel Offenheit wir uns zutrauen. Aus meiner Sicht hat eine offene Gesellschaft auch Hassprediger nicht zu verbieten/ untersagen. Wer seine Werte als die Überlegenen ansieht, sollte eben gerade zersetzenden Kräften Aufklärung entgegensetzen. Das Dauert eben nur länger. Zudem haben wir m.E. nach wie vor kein wirkliches Problem mit religiösen Fanatikern – im großen Kontext gesehen – sondern mit verschwundenem Vertrauen in eben jene Werte/ die offene Gesellschaft/ dem Rechtsstaat (…) (vollkommen andere Diskussion). Daher ja auch die im 21. Jahrhundert entflammende Debatte wie man denn nun diese eine Religion irgendwie behandeln soll. Man kann als Gesellschaft nicht Halboffen sein. Entweder wir sind eine offene Gesellschaft oder wir sind eine in verschiedenen Abstufungen zu betrachtende, geschlossene Gesellschaft. Oder nicht?

      Ebene 3

      Stimme ich ebenfalls zu.

      Ebene 4

      Eine Religion muss m.E. in keinster Weise eine Offenheitsdebatte führen. Die katholische Kirche mindestens genauso langsam und geschlossen und von „offen-demokratischen Mechanismen“ ist man hier auf die Gesamtorganisation gesehen auch noch weit entfernt. Natürlich finde ich Diskurse in allen Bereichen immer wünschenswert. Aber im Rahmen der innerpolitischen Debatten immer wieder darauf zu verweisen, dass im Islam die konservativen Strömungen zu überwiegen scheinen, ist auf der politischen Ebene m.E. eher kontraproduktiv. Es hat dort schlicht nichts zu suchen. Wieder der Vergleich: In der Katholischen Kirche dominieren konservative Strömungen doch seit jeher. Daran stört sich niemand. Was und wie man Strömungen wahrnimmt, liegt ja vor allem an den Wahrnehmenden. Wenn im öffentlichen Diskurs die liberalen Strömungen zu kurz kommen, scheint es doch eher an den Diskurstreibenden Parteien (der Öffentlichkeit?) zu liegen und weniger an den Nicht-Wahrgenommenen. Man sollte einer Minderheit nicht vorwerfen Minderheit zu sein und deswegen nicht zu Wort zu kommen. Es geht beim Terror immer um Fundamentalisten, nicht um religiöse Strömungen. Islamismus mit konservativem Islam gleichzusetzen, halte ich für gefährlich. Letzten Endes ist aber nur der Islamismus von politischer Brisanz. Wie sich hingegen der Islam nun in Deutschland im Sinne einer religiösen Gemeinschaft entwickelt ist genauso unwichtig wie die innerpolitischen Geschehnisse der evangelischen oder katholischen Kirche. Dafür sind wir ja offene Gesellschaft. Solange hier nur dafür gesorgt wird, dass liberale und konservative Muslime ihren Glauben gleichberechtigt ausüben können – denn DAS ist die eigentliche Aufgabe des Staates hinsichtlich der Regulierung des Islam.

      Ebene 5

      Diesen Punkt/ diese Ebene verstehe ich ehrlich gesagt nicht. Würden Sie diese vielleicht noch etwas erläutern? Mir zumindest erschließt sich hier nicht so richtig die Kernaussage.

      • zu 2:

        natürlich sind Hassprediger zu untersagen, zu bestrafen oder auszuweisen. Ebenso gehört Salafismus oder Wabhabismus in Deutschland verboten. Ebenso wie Faschisten oder anderen Staatsfeinden müssen auch religiös motivierte Feinde der offenen Gesellschaft ab einem Punkt ausgeschlossen, verboten oder bekämpft werden. Die offene Gesellschaft ist kein Ringelpietz mit Anfassen, sondern sie hat Regeln und wer gegen diese verstösst, ist raus.

        zu 4:

        Natürlich ist es ein Problem, wenn im Dialog Religion und säkularer Staat/Gesellschaft mehrheitlich konservative Kräfte auf der religiösen Seite auftreten. Qua Definition muss der Staat diesen immer wieder die Grenzen aufführen, die Rechtsstaat, Menschenrechte und die allgemeine Grundordnung dieser konservativen Religionsprägung auferlegt. Schächtung und Beschneidung sind bereits große Zugeständnisse seitens des Staates, der zivilisierte Tier- und Kinderschutzgesetze hat. Auch die Burka-Diskussion zeigt klar, dass die Frage der Emanzipation oder hier bereits reduziert, überhaupt die Möglichkeit zur Emanzipation gestellt werden muss. Wenn ein konservstiver, soziokulturell stark kontrollierter Bereich die Emanzipation des Individuum über die Maßen unmöglich macht, muss der Staat dieser konservativen Religionsauslegung Auflagen machen oder im Einzelfall mit der Staatsgewalt eingreifen, um seine Hoheit über die Menschenrechte und die Gesetze sicherzustellen.

        Das aktuell im innerpolitischen Diskurs von Regierung und regierenden Parteien die aufgeklärten Strömungen im hiesigen Islam nicht genügend eingebunden werden oder sogar de facto konservative Verbände (DITIB, Zentralrat der Muslime etc.) bevorzugt von Medien und Politik angesprochen werden, ist ein falsches Signal. Ein Problem, das unter Merkel aber nicht mehr gelöst werden wird.

        Eine zu konservative Auslegung einer Religion, wie z.B. die Quaker in den USA, sollte von einem aufgeklärten, europäischen Land nicht geduldet werden. Europa hat, im Gegensatz zu den USA die Religion als bestimmenden soziokulturellen Faktor in der Gesellschaft überwunden. Dies ist ein wichtiger Schritt zu einer zivilisierten Gesellschaft und darf nicht wieder, im aktuellen Fall durch den Islam und seine Auslegung und soziokulturelle Alltagsbedeutung, untergraben werden.

        zu 5:

        Der Islam ist die vorherrschende Religion auch in einer Weltregion, die aktuell durch viele lokale und westliche Fehler der letzten 100 Jahre in Unfrieden geworfen wurde. Entsprechend ist die Religion dort ein Halteanker für die Menschen und wird entsprechend sozial und politisch aufgeladen und aufgewertet.

        • Felix Blickwinkel Blog
          +1

          natürlich sind Hassprediger zu untersagen, zu bestrafen oder auszuweisen. Ebenso gehört Salafismus oder Wabhabismus in Deutschland verboten. Ebenso wie Faschisten oder anderen Staatsfeinden müssen auch religiös motivierte Feinde der offenen Gesellschaft ab einem Punkt ausgeschlossen, verboten oder bekämpft werden. Die offene Gesellschaft ist kein Ringelpietz mit Anfassen, sondern sie hat Regeln und wer gegen diese verstösst, ist raus.

          Dann ist sie aber eben nicht mehr Offen. Das mag Haarspalterei sein, erscheint mir aber sehr wichtig, denn letzten Endes wird hier zwischen „Guten“ und „Bösen“ Meinungen entschieden bzw. staatsgefährdenden und staatstragenden. Begründung ist also letzten Endes der Staat, nicht die Freiheit/ Offenheit. Es trifft sich eben nur gerade, dass wir eine vermeintlich überaus offene Gesellschaft sind. Davon abgesehen ist es natürlich Realität und daran wird sich vorerst sowieso nicht viel ändern.

          Zu 4. Ja, ich wollte auch nicht bestreiten, dass es sich dabei um ein Problem handelt. Auch hier ist jedoch die Frage, wie eng die Grenzen gezogen werden sollten. Für mich liest sich Ihre Eingrenzung mit starkem Bezug zum Islamismus. Dieser ist aber nun gerade keine Religion, sondern eine Ideologie.

          Die Frage die sich der Staat hier stellen sollte, ist, inwieweit die durch Verbote zu erreichende Verhinderung der Ideologie in die Rechte der schlichten muslimischen Gläubigen eingreifen darf/ soll. Hier gilt es also abzuwägen und m.E. nach ist gerade im Hinblick auf die (vermeintlichen) Gefahren des Islamismus das Recht des freien Glaubens noch höher zu Werten.

          Ebenso bzgl. der Emanzipation gilt es letzten Endes Abzuwägen was schwerer wiegt: Der mögliche Zwang zur Burka (&/oder Kopftuch) durch die Familie in einem Rechtsstaat wie dem unseren gegenüber dem Zwang zum Verzicht auf Burka (&/oder Kopftuch) und dem damit in Kauf genommenen massiven Angriff auf die seelische Unversehrtheit von Musliminnen, die genannte Bedeckungen freiwillig tragen.

          Gerade eine offene und rechtsstaatliche Gesellschaft sollte hier letzteres höher Bewerten, was ja auch mehr oder weniger Linie des BVerfG ist – zmd. Bzgl. der Kopftuchdebatte.

          Das aktuell im innerpolitischen Diskurs von Regierung und regierenden Parteien die aufgeklärten Strömungen im hiesigen Islam nicht genügend eingebunden werden oder sogar de facto konservative Verbände (DITIB, Zentralrat der Muslime etc.) bevorzugt von Medien und Politik angesprochen werden, ist ein falsches Signal. Ein Problem, das unter Merkel aber nicht mehr gelöst werden wird.

          Kann dem nur zustimmen.

          Eine zu konservative Auslegung einer Religion, wie z.B. die Quaker in den USA, sollte von einem aufgeklärten, europäischen Land nicht geduldet werden.

          Auch hier haben wir wohl in den grundlegenden Punkten einfach unterschiedliche Ansichten. Das ist ja aber erstmal nichts Schlimmes. Aus meiner Sicht sollte im Gegenteil gerade ein aufgeklärtes, europäisches Land diese Dulden. Wer sonst hätte diesen Ideen etwas entgegenzuwerfen, wenn nicht ein aufgeklärtes Europa?

          Die Überwindung von Religion erscheint mir keinesfalls als Errungenschaft der Zivilisation. Die wirkliche Errungenschaft liegt doch in der Toleranz der (aller?) Religionen und genau diese darf nicht wieder, wie im aktuellen Fall anhand des Islams und seiner Auslegung sowie soziokulturellen Alltagsbedeutung untergraben werden.

          5. Da haben Sie natürlich Recht.

          • zu 2:

            Nein, dann ist die offene Gesellschaft nicht geschlossen, sondern dann hat sie sich gegen ihre Feinde verteidigt. Es wird in der zeitgenössischen Diskussion immer das physische Offen mit dem Offen verwechselt, das gemeint ist, wenn es um Offene Gesellschaft geht.

            Eine offene Gesellschaft, die sich nicht mit rechtsstaatlichen und in letzter Konzequenz auch Methoden der Gewalt vor seinen inneren und äußeren Feinden schützt, ist ein zum Untergang geweihtes System, ein idealer Traum, den es aber erstmal nicht geben wird.

            zu 4:

            wenn ich von Religionen spreche, dann spreche ich vom Islam, in diesem Fall von seinen konservativen Auslegungen und nicht vom Islamismus.

            Dass Islamismus und Islam (konservativ) aber nichts miteinander zu tun hätten, ist eine weitere Traumvorstellung, die ebenso, wenn man sie nicht mit einem pragmatischen Blick auf die rechtsstaatliche Einhegung der jeweiligen Religion ergänzt, zu einer Gefährdung der offenen Gesellschaft führt.

            Wichtig ist an dieser Stelle zu betonen, dass es wesentlich mehr Dialog braucht, denn auch dieser ist ein wichtiges Element bei der Einhegung von anti-rechtsstaatlichen, anti-liberalen Ausprägungen innerhalb einer Religion.

            weiter zu 4:

            Sie müssen genauer lesen: Ich habe nicht von der Überwindung der Religion als Ziel (Errungenschaft) der Zivilisation gesprochen, sondern von folgendem:

            Es gilt die Religion als bestimmenden soziokulturellen Faktor in der Gesellschaft überwinden.

            Religion teilt sich auf in drei Funktionen:

            I. Die kollektive Befriedigung nach einem noch vielen Menschen innewohnenden Drang zum Übersinnlichen, dass ihre Welt mit der Unermesslichkeit des Weltalls und der Zeit verbindet (inkl. Verarbeitung des Todesgedanken und alltäglicher Spiritualität)

            II. Bindungskraft für eine Ansammlung von Menschen (Gemeinde, Wir-Gefühl, in der Vergangenheit auch wichtig in der Abgrenzung zu Fremden, Sicherheit)

            III. Narrativer Rahmen für die täglichen Freuden und Pflichten in der Gemeinschaft (Ernte, Winter, Beichte uvvm.)

            Solange diese Elemente nicht anderweitig gebunden werden oder (aber das ist eher für die merkwürdige transhumane Fraktion wichtig) überwunden werden, hat Religion wichtige Aufgaben für eine funktionierende Gesellschaft - auch wenn sie durch ihre Traditionen im Gegensatz zu Rechtsstaat, Individueller Freiheit und liberal organisierter Solidaritätsgemeinschaft stehen können.

            Es gilt also für eine aufgeklärte Gesellschaft den individuellen und gemeinschaftlichen Wunsch, insbesondere zur Spiritualität, gerecht zu werden, aber gleichzeitig darauf zu achten, dass wichtige soziokulturelle Funktionen nicht stark von Religion abhängen. Eine Religion und die offene Gesellschaft stehen, gerade bei monotheistischen Versionen, in letzter Konsequenz im Gegensatz zu einer liberalen, offenen Gesellschaft, weil ihnen ihr religiöser Kodex Vorschriften macht, die in einer offenen Gesellschaft allein beim Individuum in der Wahl und dem Staat in der Rahmen(gesetz)gebung liegen.

            In sofern geht es nicht um das Überwinden von Religion, aber um die soziokulturelle Einhegung oder Überwindung.

            Bei konservativen, orthodoxen Religionsgruppierungen ist der moderne Staat aktuell immer gezwungen in gewissen Teilen eine Ausnahme von den Regeln zu machen, dies ist auf die Dauer aber kein Zustand. Genannt seien die besonderen Regeln für Charedim in Israel oder viele Sonderregeln in hinduistisch geprägten Staaten. Aber auch Schächtung und Beschneidung stellen einen Kompromiss dar, der gesetzlich in Deutschland festgehalten ist. Ein weiteres aktuelles Beispiel ist die Diskussion um die Sonderrechte christlicher Betriebe im Arbeitsrecht (Kündigung wegen Scheidung etc.) - hier wird in der konkreten politischen Arbeit sicher ein nahes Streitthema liegen.

            Die Burka-Thematik wird auch nicht mit gesetzlichen Regelungen gelöst werden können, da gebe ich Ihnen recht. Es ist sollte die freie Entscheidung einer Frau sein, ob sie Schleier, Kopftuch etc. trägt. Dies kann aber weder durch staatl. Kontrolle oder Zwang geschehen, sondern muss sich, wenn ich das mal so salopp formulieren darf, im freien Wettbwerb der kulturellen Angebote entscheiden. Nur eine gute Integration kann einen möglichen Druck zum Tragen in einem bestimmten Alter verhindern oder stark erschweren. Ebenso ist es für viele gerade junge Frauen sicherlich auch eine Art ihre Vorstellung von Tradition als Sicherheitsleine beim Erwachsenwerden zu leben.

            OT:

            Der Wettbewerb der Kulturen wird im 21. Jahrhundert nicht mehr durch Verbote gewonnen, sondern durch Angebote, die eine gute Balance für Freiheit und Sicherheit bieten, wie sie dem globalen Anspruch an diese großen Säulenwerte in der heutigen Zeit gerecht werden.

            In diesem Wettbewerb steht der aufgeklärte Westen gerade ein wenig farblos, ausgelebt und wenig kämpferisch dar. Europa scheint müde und vergessen zu haben, was sie für eine wunderbare große Idee in den schmerzvollen Wehen des 20. Jahrhunderts in die Realität gesetzt hat.

            Ein offenes System funktioniert nicht mit einfachen Regeln, deswegen werden wir nicht umherkommen, für ein System zu werben, dessen Komplexität Bestandteil seines materiellen und immateriellen Reichtums ist.

            • Felix Blickwinkel Blog
              +1

              Eine Offene Gesellschaft ist doch letzten Endes eine Utopie. Das war zumindest der Punkt auf den ich hinauswollte. Es erscheint mir wichtig, gerade im internationalen und interkulturellen Kontext, dass wir eine der offensten Gesellschaften dieser Welt, aber eben beileibe keine offene Gesellschaft sind. Anders gesagt: Entweder ist man Tolerant, dann toleriert man auch Hass oder man pickt sich heraus, gegenüber wem man tolerant ist: Demokraten, Faschisten, Terroristen, Pazifisten, Muslim, Christen, Kommunisten, Revolutionäre, Monarchisten.. – wem auch immer. Dann ist man nicht mehr wirklich tolerant. Man entscheidet schlichtweg wen man mag und wen nicht. Wir mögen einfach nur eine Menge Menschen, dass lässt uns offen erscheinen. Es ist ja genau diese Zuteilung, die wir in anderen Ländern so sehr kritisieren.

              Kurzum: Es ist schon definitiv nicht schlecht wie es ist. Aber man sollte immer auf dem Boden bleiben. Wir/ „Der Westen“ haben den heiligen Gral der Gesellschaftsformen/ Zivilisation nicht gepachtet. Das haben Sie natürlich auch nicht behauptet, aber es klingt in der Debatte, gerade um Islamismus doch schon recht häufig durch.

              Dabei geht es mir gerade nicht um das physische Offen. Eine offene Gesellschaft kann per Definitionem keine Feinde haben, i.S. einer speziellen Behandlung. Es gibt natürlich Menschen, die gegen offene Gesellschaften sind. Diese aber auszgrenzen ist eben genau das Gegenteil von Offen. Alles andere ist nur so gering gehaltenes Maß an Intoleranz/ Verschlossenheit wie möglich. Etwas sehr zu Befürwortendes im Hinblick auf das Unerreichbare. Aber je mehr man beginnt zu Unterscheiden in staatstragende und staatsgefährdende Gruppen, desto mehr nähert man sich genau der – im Hinblick auf Offenheit und Toleranz – Willkür an, die man woanders so sehr kritisiert.

              Davon sind wir aber natürlich trotz allem noch ziemlich weit entfernt.

              Unser System ist m.E. nach auch eben nicht durch äußere Kräfte gefährdet. Hart gesagt: Ein Mensch der sich in Brüssel in die Luft sprengt, gefährdet nicht unsere Grundrechte, unsere Demokratie und unsere Offenheit.

              Wir die wir als Reaktion unsere Freiheiten einschränken, nach hunderten von Jahren Kampf und Tod für Religionsfreiheit und kulturelle Akzeptanz, wir die auf einmal der Meinung sind, wir müssten dieser einen Religion vorschreiben wie sie auszuüben ist, wir sind es, die die demokratisch-freiheitliche Grundordnung gefährden, scheinbar sogar die Einzigen, die ihr wirklich gefährlich werden könn(t)en. Der einzige Weg sich gegen uns selbst zu verteidigen, erscheint mir nicht über Segregation zwischen uns und „den“ Anderen zu gelingen.

              Wären wir nicht die Gefahr, wäre der islamistisch-fundamentalistische Terror im Grunde auch wirkungslos – sieht man von den absolut bedauernswerten Todesfällen ab. Das mag zynisch klingen, ich möchte hier auch keinesfalls den Tod und das individuelle Leid herunterreden/ diskreditieren, dass die islamistischen Anschläge in Europa erzeugt haben.

              Das zeigt sich ja auch vor allem daran, dass die Terrorgefahr in Europa geringer ist als in den vergangenen Jahrzehnten, aber dramatisch höhere Aufmerksamkeit erlangt und Angstdebatten geführt werden. Eben gerade weil es „fremder“ Terror ist – ein weiteres Indiz unser hochgelobten und nicht wirklich vorhanden „Offenheit“.

              Der Fokus der Rechtedebatte auf die Begrenzung und Einschränkung einer Religion, nur weil Terroristen und Ideologen sich in die Luft sprengen, erscheint mir eine fatale Antwort. Keine Anwort, also einfach Status-Quo, ist natürlich genauso sinnfrei.

              Zu 4.

              Nun da sind wir wohl unterschiedlicher Meinung. Ich unterscheide sehr wohl zwischen Islamismus und Islam. Das der Islamismus nichts mit dem Islam zu tun hat, ist in der Tat eine Traumvorstellung. Dem Islam jedoch zu unterstellen, er hätte etwas mit dem Islamismus zu tun ist ein schlimmer Fehler auf Kosten all der Millionen friedliebender Muslime. Auf politischer Ebene und internationalem Parkett sollte man diesbezüglich ziemliche Samthandschuhe anfassen.

              Weiter zu 4:

              Dann habe mich wohl tatsächlich verlesen. Im Sinne der sozialen Einhegung kann ich Ihnen nur zustimmen.

              Den Abschluss haben Sie sehr schön formuliert. Auch wenn wir hier sicherlich ebenfalls in einigen Detailfragen zu diskutieren hätten, sind wir uns in der Grundprämisse vollkommen einig!

              • Sie sehen mich einigermaßen baff. Ihr Behauptung, dass die offene Gesellschaft keine Feinde haben könne ist schlichtweg naiv. Und das man in einer offenen Gesellschaft auch Hass tolerieren müsste, ist auch naiver Unsinn.

                Es gibt eine Menge Ideologien, die die freie offene Gesellschaft auf unterschiedlichste Weise bedrohen. Der Kapitalismus ist sicher die perfideste, aber es gibt auch etliche Ideologien, die sich mit einem religiösen Mantel tarnen. Es ist primär die Aufgabe derjenigen, für die diese missbrauchte Religion die eigene ist, sich gegen diesen Missbrauch zu wehren. Darin sollten andere sie unterstützen und, falls es nicht ausreichen geschieht, diese Abwehr einfordern und fördern.

                In diesem Sinne wünsche ich uns allen eine wehrhafte offene Gesellschaft und empfehle die nachstehend verlinkte Literatur, um einen etwas realistischeren Blick auf Idee und Praxis einer offenen Gesellschaft zu bekommen.

                Deswegen beende ich das mal hier und empfehle ihnen als Einstieg eines von Poppers Hauptwerken "Die offene Gesellschaft und ihre Feinde"

                Falls sie nicht gleich Primärliteratur lesen wollen, hier ein paar Links zum Einstieg:

                http://www.zeit.de/2002/31/200231_popper.xml/komplettansicht

                http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/philosoph-sir-karl-popper-ueber-eine-offene-gesellschaft-13913183.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2

                https://www.getabstract.com/de/zusammenfassung/klassiker/die-offene-gesellschaft-und-ihre-feinde/5464

                • Felix Blickwinkel Blog
                  +1

                  Dann ist es wohl vorbei. Abschließend möchte ich noch klarstellen, dass ich keinesfalls behaupten wollte (und nicht behauptet habe), eine offene Gesellschaft hätte keine Feinde.

                  Eine offene Gesellschaft kann per Definitionem keine Feinde haben, i.S. einer speziellen Behandlung.

                  Die Frage ist wie man diese "Feinde" behandelt.

                  Vielen Dank für die Links und den freundlichen Unterton.

  • Denken wir doch Scheuers Vorschlag mal zu Ende

    Hallo Doro, danke für den Diskussionsanstoß, es macht ja Sinn, endlich mal wieder konkrete Gesetzgebungs-Vorschläge zu diskutieren. Und damit bin ich schon beim Punkt: Ich halte die Sprachregelung in Moscheen nicht für eine Aufgabe des Gesetzgebers, schon gar nicht, wenn hier die Mehrheit der Minderheit die Sprache vorschreiben soll.

    Ich hatte mal das Glück, einem griechischen Ostergottesdienst in München beizuwohnen. Er dauerte 4 Stunden. Ich verstand kein Wort. Die ganze Leidensgeschichte Christi wurde in Stationen nachgesprochen und gebetet und gesunken. Ein absolut fremdartiges Ritual für mich. Die Wurzeln dieser griechischen Gemeinde reichen bis ins frühe 19. Jahrhundert zurück. Seit dem Königtum Ottos konnten sich Griechen einfacher in Bayern niederlassen oder kostenlos studieren, gibt die Wikipedia Auskunft. Diese Griechen sind natürlich Teil der deutschen Gesellschaft - was sonst? Vielleicht haben die meisten sogar einen deutschen Pass. Aber sie sind nun mal - wenn noch religiös - dann griechisch-orthodox. Soll man ihnen den Ostergottesdienst in griechischer Liturgie verbieten? Ernsthaft? Was unterscheidet Deutschland dann noch von China, das den Tibetern ihre Kultur verbietet? Und zu was würde das denn führen? Dazu dass Muslime und alle anderen ihren Glauben heimlich in ihrer Sprache praktizieren, vor der "Staatsgewalt" versteckt. Und dann kommt die Polizei reingestürmt und beendet gewaltsam das Gebet? Was für ein Alptraum das alles.

    Noch ein anderes Beispiel. In Berlin gibt es mehr und mehr Versammlungen auf Englisch. Keine religiösen, aber eben auch soziale, gemeinschaftsstiftende Treffen. Wären die gleich mitzuverbieten?

    Was ich natürlich befürworte ist den innerislamischen Diskurs zu dieser Frage, ob es Sinn macht, in der Moschee deutsch zu sprechen. Das haben (junge) Muslime selbst auszuhandeln, welche Sprache, welche Auslegung, welche Glaubenspraxis wollen sie und welche nicht?

    Und ich finde es auch überfällig, dass muslimische Gemeinschaften wie die christlichen Kirchen rauskommen aus dem "Hinterhof", Körperschaften des öffentlichen Rechts werden, ganz normaler Sozialpartner von Staat und Gesellschaft. Nur: genau das haben eben die vielen Akteure ja gerade nicht im Sinn, die Ängste vor dem Islam schüren (und von einem Herrn Scheuer nachgeäfft werden).

    Beispiel: Die AfD hetzt nun gegen den Moschee-Bau der muslimische Ahmadiyya-Gemeinde in Erfurt, ganz egal ob diese auf Deutsch predigt, den Status einer Körperschaft öffentlichen Rechts hat, eine Moschee am Stadtrand bauen will, (um eben aus dem Hinterhof rauszukommen) und stock-konservativ ist (so wie viele AfDler selbst). Für mich hat da eher Herr Höcke unser Grundgesetz nicht verstanden ( "Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet"), genauso wie sein Publikum, aus dem schon mal der "Genickschuss für Imame" gefordert wird. Und wer protesiert denn als erstes, wenn die christliche Religionsausübung in muslimischen Staaten behindert wird? Eben.

    Wann hört diese Obsession auf?

    Generell möchte ich noch etwas zur sogenannten Islam-Debatte sagen. Sie ist keine Debatte, denn sie wird nicht mit Muslimen geführt. Die AfD weigerte bis zuletzt hochnotpeinlich dagegen, mit islamischen Vertretern ins Gespräch zu kommen, man fürchtete wohl das Foto vom Handschlag mit den deutschen Mitbürgern muslimischen Glaubens. Jetzt bin ich gespannt, was dabei rauskommt, wenn sie der Einladung des Zentralrats folgt (nebenbei: hätte die AfD nicht den Zentralrat einladen können, bevor man ein Anti-Islam-Programm beschließt?). Was ich statt einer echten Debatte sehe ist eine komplett kontaktlose Islam-Obession bis in weite Teile des Bürgertums. Anstatt sich mit den wahren Problemen auseinanderzusetzen (Kapitalismus-Krise, Klima-Krise, Demokratie-Krise, Postwachstum, Steuerungerechtigkeit, EU-Krise, Rentenkollaps usw.) und konstruktiv an der Zukunft zu arbeiten (Zukunft der Bildung und der Arbeit, Wohlstandsverteilung, Integration, Digitaler Wandel, Nachhaltigkeit), reagiert man seine Triebe, Ängste und seinen ganzen Hass an einer Minderheit ab, speziell an Muslimen in bildungsfernen und einkommensschwachen Schichten (die gut verdienenden und studierten sind ja immer die "Ausnahme", die nicht in den eigenen Rassismus passen). Man seziert den ganzen Tag den bösen Koran ohne auch nur mit einem einzigen deutschen Moslem gemeinsam über die Zukunft dieses Landes und des Zusammenlebens zu sprechen.

    Bildungsschwache Nicht-Muslime lassen sich gegen bildungsschwache Muslime aufhetzen, sehen in ihnen den Grund ihres eigenen Prekariats, während manche junge Muslime sich am Ende nach der Anerkennung von Salafisten, IS und Co. sehnen. Eigentlich ist das alles ein unglaublich trauriges Schauspiel. Und das Bürgertum, das es besser wissen müsste, macht munter mit bei der Hetze. Aus der Geschichte nichts gelernt, von den sozio-ökononischen Zusammenhängen nichts verstanden. Ist ja auch wunderbar bequem so.

    • Hallo Alexander,

      danke für Deine Antwort.

      Ich war mehrfach in der griechisch-orthodoxen Gemeinde in Berlin. Stundenlang wird dort die griechisch-orthodoxe Liturgie zelebriert. Die Gottesdienstteilnehmer kommen und gehen währenddessen. Es ist offenbar ein Stück Heimat, ein Stück Identifikation für sie. Und das geht gar nicht auf Deutsch. Eine Predigt gehalten wird m.E. nicht. Es geht gar nicht um eine Aktualisierung ihres Glaubens für ihren Standort heute hier bei uns. Aber die Orthodoxie ist insofern ein schlechtes Beispiel, weil ja nicht postuliert wird, dass die Orthodoxie (egal ob die griechische oder die russische oder welche auch immer) zu Deutsch- land gehört. Die Orthodoxen, die hier sind, gehören zu Deutschland ja, aber es wird nicht behauptet, dass die Orthodoxie schon immer prägender Bestandteil unserer westlichen Kultur gewesen sei. Orthodoxe Gemeinden sind m.E. wie Auslandsgemeinden oder wie, wenn auch Jahrzehnte oder Jahrhunderte alte Ausländer- bzw. Emigranten-Gemeinden zu behandeln. Wie es auch deutsche kath. oder prot. christliche Gemeinden in aller Welt gibt, die oft schon ins 19. Jh. zurückgehen und bis heute dort ihr kulturelles Erbe auf Deutsch pflegen.

      Anders verhält es sich m.E. beim Islam. Wenn postuliert wird, dass der Islam (schon immer) zu Deutschland gehört, dann müsste es auch einen deutschen Islam geben.Es müßte Moscheengemeinden geben, in denen der islamische Glaube in Predigten auf Deutsch für die Muslime hier bei uns und alle, die es interessiert, auf unsere Gegenwart in Deutschland aktualisiert wird.

      Der Koran selbst muss nach seinem eigenen Selbstverständnis auf Arabisch rezitiert werden. Denn Allah hat sich nach dem Selbstverständnis der Muslime nicht nur im Koran offenbart, sondern auch mit seinem Wort an die arabische Sprache gebunden. Übersetzungen sind nicht mehr Gottes ureigenes Wort. Aber das heißt ja nicht, dass die Predigten der Imame auf Arabisch gehalten werden müssen. Längst halten Imame aus den verschiedensten muslimischen Ländern in den Moschee-Gemeinden Predigten in ihrer Landessprache. Z.B. auf Türkisch. Wäre es nicht wünschenswert, wenn es sich durchsetzen würde, dass deutschsprachige Imame auf Deutsch in den Moscheen ihre Predigten halten? Viele Muslime, die in der 2. oder 3. oder 4. Generation in Deutschland leben, verstehen ihre Muttersprache inzwischen schlechter als das Deutsche. Und deutsche Predigten deutschsprachiger Imame könnten auch von Nicht-Muslimen verstanden werden. Ich weiß nicht, ob es stimmt, aber die Freitagspredigten in den Moscheen wären meistens hochpolitisch. Auf Deutsch gehalten, könnten Muslime und Nicht-Muslime darüber ins Gespräch kommen.

      Der Islam gehört zu Deutschland. Aber so lange es keinen deutschen Islam gibt, verhindert der islamische Glaube der hier lebenden Muslime ihre Integration in die deutsche Gesellschaft. Integration der Muslime ist nicht nur eine Forderung an die nichtmuslimische Gesellschaft, sondern auch eine Forderung an die Muslime, sich zu integrieren.

      • Felix Blickwinkel Blog
        +3

        Der Islam gehört zu Deutschland. Aber so >lange es keinen deutschen Islam gibt, >verhindert der islamische Glaube der hier >lebenden Muslime ihre Integration in die >deutsche Gesellschaft.

        Hierin sehe ich einen Trugschluss und kann Alexander nur zustimmen: Von allen anderen (Religions-)Gemeinschaften würde man das nie verlangen, es ist auch völlig absurd. Und selbst wenn es denn wirklich "mit dem Islam etwas anderes" sei, ändert es nichts daran, dass, wer sich einer freiheitlichen, demokratischen Gemeinschaft verschreibt, nicht einfach irgendwelche Gesetze zu Religionsgruppen/ Minderheiten erlassen darf.

        Was ich meine, wird vielleicht durch die leichte Veränderung deutlich, in dem drittletzten Abschnitt Ihres Kommentars Islam mit Judentum zu ersetzen - was Sie sicherlich nicht beabsichtigt haben. Aber es verdeutlicht doch den Punkt wie ich finde.

        Repression wird und kann nicht zur Integration beitragen. Das Nicht-Deutschsprechen in Gottesdiensten hat ja weder griechisch/ russisch-orthodoxe Menschen oder jüdische Gläubige je daran gehindert, sich zu integrieren.

        Da muss es andere Wege geben (oder gar keinen). Man kann nicht einerseits postulieren es müssen sich alle in unsere freihtliche Gesellschaft integrieren und andererseits genau dafür immer mehr Freiheiten Beschneiden, da beißt sich die Katze irgendwann in den Schwanz.

        • Hallo Felix,

          Zu Deinem Satz: "Das Nicht-Deutschsprechen in Gottesdiensten hat ja weder griechisch/russisch-orthodoxe Menschen oder jüdische Gläubige je daran gehindert, sich zu integrieren." Das sehe ich etwas anders.

          M.E. sind Religionsgemeinschaften, die eine Verbindung eingegangen sind mit der Nationalität und Sprache ihrer Gläubigen, ein starker desintegrativer Faktor für ihre Gläubigen im Ausland, wenn sie dorthin transportiert und dort weiter gepflegt werden. Ich denke z.B. an die Deutschen in Namibia, die dort schon in der 2. oder 3. Generation leben. Von ihrer Staatsangehörigkeit her sind sie inzwischen Namibianer. Aber insofern sie ihr kulturelles, religiöses und sprachliches Erbe in ihren ev. oder kath. christlichen Gemeinden pflegen, integrieren sie sich nicht wirklich in das Land. Sie hinken auf zwei Seiten. Sie haben eine gespaltene Identität.

          Ich denke, man kann der Frage der angestammten Religion nicht genug Gewicht beimessen.

          Muslime in Deutschland können sich so lange nicht wirklich als Deutsche verstehen, so lange es keinen deutschen (deutschsprachigen) Islam gibt. Sie müssen auf zwei Seiten hinken, der Religion und Tradition ihrer nichtdeutschen Vorfahren und der ganz anders gearteten Tradition und Einstellung zur Religion bei uns.

          Mein Postulat wäre: ein deutscher Islam. Der Katholizismus hat ähnlich wie der Islam internationale Ausmaße. Trotzdem gibt es einen deutschen Katholizismus, Gottesdienste, in denen deutsch gesprochen wird (neben der lat. Liturgie).

          Ich denke, in einer Religion ist das abzulehnen, was den Gläubigen seinem Leben im Hier und Jetzt, in einem bestimmten Land, in einer bestimmten Kultur entfremdet, was seine Persönlichkeit spaltet, was ihn zerreißt.

          Andererseits, wie weit darf die Anpassung in einem andern Land, in dem die eigene (auch religiöse) Sozialisation nicht stattgefunden hat, gehen? Erdogan beschwört die Türken in Deutschland, sich nicht zu assimilieren.

          Okay, es sind schwierige Fragen...

          • Felix Blickwinkel Blog
            +1

            M.E. sind Religionsgemeinschaften, die eine Verbindung eingegangen sind mit der Nationalität und Sprache ihrer Gläubigen, ein starker desintegrativer Faktor für ihre Gläubigen im Ausland, wenn sie dorthin transportiert und dort weiter gepflegt werden.

            Das stimmt natürlich. Für mich stellt sich aber hier vielmehr die Frage, ob man nicht die Rolle der gläubigen Menschen verkennt. Vielleicht ordne ich Ihre Gedanken hier falsch ein, dann Bitte ich hier schon einmal um Verzeihung.

            Das Vorhaben per Gesetz eine Integration zu erzwingen, halte ich für Falsch. Das Sprechen von Deutsch in muslimischen Gottesdiensten hingegen halte ich für ein zu befürwortendes Vorhaben.

            Die Frage ist doch in der gesamten Debatte um den muslimischen Glauben sowie eigentlich um die gesamte Religionsfreiheit, wo die Zuständigkeit der gesetzesgebenden Gewalt und damit "uns" aufhört. Ich finde eben genau hier.

            Man wird die Liberalisierung innerhalb einer Religionsgemeinschaft nicht per Gesetz vorschreiben können, geschweige denn erzwingen können. Im Zweifelsfall erreicht man hier - wie so oft - eher das Gegenteil.

            Ich denke, in einer Religion ist das abzulehnen, was den Gläubigen seinem Leben im Hier und Jetzt, in einem bestimmten Land, in einer bestimmten Kultur entfremdet, was seine Persönlichkeit spaltet, was ihn zerreißt.

            Das haben Sie sehr schön formuliert. Ich finde man kann dieses Postulat weiter Denken und möchte behaupten, in einer freiheitlichen und offenen Gesellschaft ist ebenfalls "abzulehnen, was den Gläubigen seinem Leben im Hier und Jetzt, in einem bestimmten Land, in einer bestimmten Kultur entfremdet, was seine Persönlichkeit spaltet, was ihn zerreißt". Dazu zählt der Zwang zur deutschen wie auch zu irgendeiner anderen Sprache (s. Erdogan).

            • Hallo Felix,

              zu Ihrem Satz: "Man wird die Liberalisierung innerhalb einer Religionsgemeinschaft nicht per Gesetz vorschreiben können, geschweige denn erzwingen können. Im Zweifelsfall erreicht man hier - wie so oft - eher das Gegenteil."

              Ja, das stimmt, und das ist sicher so. Fundamentalistische Religionsgemeinschaften, die eine enge Verbindung eingegangen sind mit ihrer Entstehung in bestimmten Nationen oder Regionen dieser Welt und deren Werten und Traditionen sind ein "harter Brocken", ein "stumbling block" für ihre Gläubigen, wenn sie im Ausland, in einem anderen Wertesystem weiter gepflegt werden, sie wirken jeder Integration entgegen. Ihre Liberalisierung kann man in einem religiös liberalen Land nicht per Gesetz erzwingen. Das sehe ich auch so.

              Der Diskurs darüber spielt sich innerhalb der Religionsgmeinschaften ab. Und den können Außenstehende und sogar staatliche Stellen aufmerksam verfolgen. Innerhalb des Islam gibt es Strömungen, die eine Reform des Islam wollen, die eine Liberalisierung wollen, eine Angleichung seiner Werte an die Werte westlicher, durch das Christentum geprägter Kulturen (z.B. in der Stellung der Frau). Diese Islam-Reformer sollten m.E. von unserer Gesellschaft unterstützt werden. Und unser Staat sollte m.E. vor aller undifferenzierten Solidarisierung mit dem Islam (den es so einheitlich nicht gibt), versuchen zu differenzieren und den reformorientierten Islam fördern. Ich denke, viele Muslime in Deutschland würden das als Befreiung empfinden und Staat und Gesellschaft danken. Es gibt, glaube ich, inzwischen etliche Moschee-Gemeinden in Deutschland, die zweisprachige Gottesdienste befürworten. Die in Deutschland ankommen wollen. Denen unsere Toleranz gegenüber allem, was Islam heißt, dieser Toleranz aus Unkenntnis ihrer Religion mit ihren vielen Ausprägungen, gar nicht behagt.