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Freihandel über alles?


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Ein Beitrag von Timo_Wans Mitglied JEF Trier

Über das zweifelhafte Demokratieverständnis der EU-Kommission

Die Europäische Kommission verhandelt mit den USA über das gemeinsame Freihandelsabkommen (TTIP, Transatlantic Trade and Investment Partnership) und schließt Parlamente und Zivilgesellschaft weitgehend von den Verhandlungen aus. In einer demokratischen Europäischen Union darf es das nicht geben. Wer für eine demokratische Union streiten will, muss dieses Handelsabkommen schon wegen der eigenen politischen Prinzipien bekämpfen!

Die EU-Kommission zeigt in den Verhandlungen öffentlich, was sie unter Demokratie versteht. Nämlich einen Störfaktor für den freien Handel. Während die Konzerne selbstverständlich und gleichberechtigt mit der Kommission und den USA verhandeln, sitzen Parlamente und NGOs am Katzentisch. Wie es sich für Haustiere gehört, wirft man ihnen hier und da ein Informationshäppchen hin und erwartet offensichtlich Zustimmung und Einverständnis mit diesem Vorgehen. Als Gleichberechtigte verstehen sich nur die Bürokraten aus den Verwaltungen der USA, EU und aus Konzernen.

Informationen erlangen die offensichtlich zweitrangigen Verhandlungspartner nur durch undichte Stellen und Pannen. Was durchsickert, steigert das Misstrauen der kritischen Öffentlichkeit und scheint deren schlimmste Befürchtungen zu bestätigen.

Dies legt den Blick frei auf eine EU-Kommission, die sich in Wirtschaftsfragen von der demokratischen Teilhabe verabschiedet hat und den letzten Rest demokratischer Regulation der Weltmärkte scheinbar nicht verteidigen möchte. Vielmehr sieht sie ihre Aufgabe darin, den Freihandel vor der demokratischen Einflussnahme durch die Zivilgesellschaft und der Parlamente zu verteidigen. Die Kommission sieht damit ihren Platz an der Seite der Konzerne, nicht an der Seite der Bürger.

Junge Menschen, die sich zu einem demokratischen Europa bekennen, müssen sich dem Kampf der Zivilgesellschaft gegen dieses Abkommen anschließen. Diskussionen über das Für und Wider eines Freihandelsabkommen sollten an dieser Stelle nicht den Blick auf das Wesentliche verschleiern: Die Missachtung der demokratischen Beteiligung an den Verhandlungen und die Aushöhlung rechtsstaatlicher Prinzipien durch Schiedsgerichtsverfahren zugunsten multinationaler Konzerne. Es geht also um unsere Zukunft. Um eine Zukunft, in der Parlamente auf Basis demokratischer Entscheidungen beschließen, was, wie und wo in Europa gehandelt werden darf. Ein politisches System, in dem die Menschen in Europa und ihre Vertreter darüber nicht entscheiden dürfen, verdient das Wort Demokratie nicht.

Dieser Artikel ist ursprünglich als Langfassung im Treffpunkt Europa erschienen.


Kommentare

  • Hinweis: Unser Partnerprojekt, der Europäische Salon, widmet sich in seiner kommenden Veranstaltung dem Thema "Auf dem Weg zur transatlantischen Wirtschaftsgemeinschaft mit TTIP". Wir möchten alle Interessierten auf die Podiumsdiskussion am 20. November in Berlin aufmerksam machen und herzlich zu Online-Diskussion des Themas einladen! Ab jetzt kann hier diskutiert werden, alle Beiträge haben die Chance, in die Podiumsdiskussion einzufließen.

  • Liebes Forum,

    für euch der Hinweis:

    Die Europa-Union Deutschland nutzt Publixphere als gemeinnützige, überparteiliche Plattform, um ihren Bürgerdialog "TTIP - Wir müssen reden!" online zu begleiten. Aktuell lädt die Europa-Union ein, folgende Aspekte der TTIP-Debatte zur diskutieren: Demokratie, Transparenz und Legitimität; Handel, Investitionen, Wettbewerb; Umwelt-, Arbeitnehmer- und Verbraucherschutz.

    Außerdem werden die Vor-Ort-Veranstaltungen des Bürgerdialogs mit Online-Foren vorbereitet. Aktuell kann diskutiert werden: Welche Chancen und Risiken bringt TTIP für Kiel und Umgebung? Weitere Städte werden Folgen.

    Fühlt euch herzlich eingeladen, TTIP in diesem Rahmen weiterzudiskutieren.

  • Liebe Foristen, ein kurzer Hinweis der Redaktion. Die Europaabgeordnete Nadja Hirsch (FDP) stellt nun ihre Position zu TTIP zur Diskussion: "TTIP – Nicht ohne Datenschutzabkommen"

  • Frage: Was hat man denn zuvor unfrei gehandelt?

  • Lieber Timo Wans,

    danke für diesen Beitrag. Bei TTIP sind mir allerdings noch viele Dinge nicht klar. Immerhin haben die EU-Staaten die Kommission mit diesem Abkommen beauftragt. Warum? Hätten die Hauptstädte nicht wissen können, dass dieser Prozess so nicht demokratisch ist?

    Eigentlich hätten erst einmal alle sagen müssen, ob und wie sie so ein Abkommen wollen. Und dann hätten Parlamentarier über das Mandat an die Kommission abstimmen können, im Bundestag, im Europaparlament. Und dann noch einmal über die Ergebnisse der Verhandlungen. Ich finde es reicht doch auch nicht, würden jetzt alle Umwelt und Verbaucherorganisationen in den Verhandlungen sitzen. So ehrenwert ihr Engagement auch ist, sie vertreten auch nicht alle Bürger.

    Ich kann mich nur wundern, wie wenig Verständnis für Demokratie bei allen Beteiligten besteht. Denn am Ende wird das zum großen Eigentor. Dann muss das EU-Parlament TTIP einfach ablehnen, wenn auch nur ein Hauch der vielen Kritikpunkte übrig bleibt, weil der Druck so groß ist. TTIP wird wohl scheitern. Was für eine Steuerverschwendung in all den Abteilungen und Verhandlungen!

    • Timo_Wans Mitglied JEF Trier
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      Hallo Ingeborg, die beteiligten Akteure haben schlicht nach "Schema F" gehandelt. Ihr Verhalten ist nämlich für Aushandlungsprozesse von Freihandelsabkommen keineswegs unüblich, sondern die Regel. Am Ende stellt man dann die Parlamente vor vollendete Tatsachen. Meistens ging der Plan auf. Doch bei ACTA hat das EU-Parlament ein ähnlich ausgehandeltes Abkommen abgelehnt. Es bleibt also Hoffnung! Wie könnte man so ein Abkommen anders aushandeln? Zunächst müsste sichergestellt werden, dass keines der beteiligten Länder Nachteile hinnehmen muss. Regulierungen des Marktes dürfen nicht verwässert werden, die als Resultat eines demokratischen Prozesses entstanden sind. Wichtig ist auch, dass man sich viel Zeit nimmt und umsichtig handelt. Am Ende muss auch noch eine Lösung für die Frage nach der demokratischen Kontrolle des "Freihandels" gefunden werden. Du siehst, wie unglaublich kompliziert solch ein Unterfangen wäre und wie groß die demokratischen Probleme wären. Vielleicht sollte man schon deshalb nicht so einen Markt schaffen. In Europa hat man dieses Komplexitätsproblem übrigens versucht zu lösen, in dem man die EU gegründet hat ;).

      • Hallo Timo, danke für den Hinweis auf die EU-Gründung, da musste ich lachen. Aber Du hast Recht. So ging es auch mal mit der EU los. Gerne würde ich wissen, bist Du generell gegen den Freihandel oder nur gegen die Art dieses Abkommens? Die Vorteile des gemeinsamen Wirtschaftsraums EU werden ja immer wieder gerne betont.

        • Timo_Wans Mitglied JEF Trier
          +1

          In meinem Artikel wollte ich bewusst nicht auf die Debatte über die Vor- und Nachteile des Freihandels eingehen. Das würde von den eigentlichen demokratiepolitischen Problemen im konkreten Fall ablenken. Bei TTIP gab es offensichtlich den Versuch Märkte zu schaffen, die sich nur noch schwer regulieren lassen. So etwas darf man nicht zulassen, denn das wäre das Ende jeder parlamentarischen Demokratie. Aus diesem Grund sollte man dieses Abkommen ablehnen. Dabei ist es eigentlich vollkommen egal, wie man zum Freihandel steht.

          • Es scheint mir aber auch nötig, nicht einfach das Demokratiedefizit zu beklagen, sondern auch die Behauptung, Freihandel schafft immer Wohlstand und Beschäftigung, in Frage zu stellen. Die bisherigen Freihandelsabkommen bestätigen dies nämlich nicht. Theoretisch sagen viele heute: Es sind sehr wohl Wohlfahrtsgewinne durch Handelsbarrieren zu beobachten. Eine heute populäre Begründung dafür setzt beim Problem zunehmender Skalenerträge an: Internationaler Handel und größere Märkte können zu sinkenden Preisen führen, wenn bei steigendem Produktionsvolumen die Produktionskosten pro Stück sinken. Das nennt man zunehmende Skalenerträge. Das beobachtet man z. B. Bei Softwareprodukten: die Entwicklungskosten eines neuen Programms sind sehr hoch, beim Verkauf oder Download an Kosten entstehen nur noch sehr geringe Kosten. In solchen Märkten funktioniert Konkurrenz nicht dauerhaft: wer als erster am Markt war oder den größten Marktanteil besitzt, wird kann seine Marktdominanz ausbauen. Ein heimisches Unternehmen kann rascher in den Genuss von Skalenerträgen kommen, wenn die ausländische Konkurrenz in der Einführungsphase vom Markt ferngehalten wird. Nicht nur die Stärken japanischer Konzerne beruhen auf Marktbarrieren und industriepolitischen Weichenstellungen. Der Schutz der heimischen Industrie durch Zölle und Subventionen kann zu mehr Beschäftigung führen. Es kann Sinn machen, dass eine bestimmte Industrie erhalten wird, weil sie technologische/strategische Bedeutung hat. Freihandel nützt historisch gesehen immer den wirtschaftlich Starken; deshalb wurde er in der Geschichte immer von den wirtschaftlich starken Nationen verfochten, die dann durchaus Bereiche, in denen sie nicht überlegen sind, durch Subventionen u.ä. abschotten. Die Theorie des „ungleichen Tausches“ behauptet, dass die globale, durch Kolonialismus erzwungene Arbeitsteilung auf arbeitsintensive Bereiche im Süden und kapitalintensive im Norden dazu führt, dass durch die stärker steigende Produktivität bei kapitalintensiven (mehr Möglichkeiten zur Rationalisierung)die Menschen im Süden bspw. In der Rohstoffproduktion für das gleiche Produkt länger arbeiten müssen, um die Tauschrelationen aufrechtzuerhalten. Die Vorteile des Freihandels, darauf wollte ich hinweisen, sind theoretisch wie praktisch alles andere als unumstritten; darauf wollte ich hinweisen.