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Wie sind intransparente Verhandlungsführung und Investitionsschutzklauseln mit europäischen Grundwerten vereinbar?


campact cc by nc 2.0Foto & Teaser: Campact (CC BY-NC 2.0)


Auf Publixphere.de wurde von den Nutzer_innen gefragt:

Stellen die intransparente Verhandlungsführung und etwaige Investitionsschutzklauseln einen Widerspruch – oder gar eine nachhaltige Gefährdung für gemeinsame europäische Grundwerte wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit dar?


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Kommentare

  • Problematisch ist zudem, dass auch das Europäische Parlament als Vertretung der BürgerInnen der EU nicht in die Vertragsgestaltung eingebunden ist. Es kann lediglich über den verhandelten Vertragstext entscheiden.

    Wo sich die BürgerInnen einzubringen versuchen, wird ihnen das zudem verwehrt. Die formalistische Argumentation, mit der die EU-Kommission die Registrierung der Europäischen Bürgerinitiative "Stop TTIP" verweigert hat, macht stutzig: Die Verhandlungsmandate zu TTIP und Ceta seien keine Rechtsakte, sondern interne Vorbereitungsakte. Europäische Bürgerinitiativen könnten aber nur Rechtsakte anfechten.

    • David Krappitz Mitglied JEB
      +2

      Juristisch kann man über die Ablehnung der Bürgerinitiative streiten, politisch war sie ein riesiges Eigentor.

      TTIP hat das Potenzial, eine europäische Debatte auszulösen (wie es in meinen Augen auch schon geschehen ist), und diese Debatte kann zur Verbesserung der europäischen Öffentlichkeit und zu einer "Europapolitisierung" der Bürgerinnen und Bürger führen, was der europäischen Demokratie sehr gut tun würde.

      Das Instrument der Bürgerinitiative ist genau zu diesem Zweck geschaffen worden. Die Ablehnung von "Stop TTIP" war in der Hinsicht ein großer Rückschlag!

      • Ich sehe das genauso, trotzdem rate ich davon ab, diese Europäische Bürgerinitiative zu überschätzen. Am Ende steht nur der Zwang für die Kommission sich mit einem Anliegen zu beschäftigen, mehr nicht. Sie könnte in diesem Fall schlicht mit irgendwelchen Null-Aussagen auf den Prozess verweisen und zurecht erklären, die Parlamente entscheiden, mit deutlich höherer Legitimation als eine Million TTIP Gegner. Das Spiel hätte früher beginnen müssen, die Gegner hätten erst das Verhandlungsmandat diskutieren/beeinflüssen können müssen und jetzt müssten sie eigentlich die CDU / die Konservativen und deren Wähler überzeugen, TTIP nicht zuzustimmen, worauf sie aber scheinbar keine Lust haben. So ist das halt in einer repräsentativen Demokratie.

    • Nach Abschluss der Verhandlungen müssen EP und die Europäischen Regierungen dem Vertrag ja im kommenden Jahr noch zustimmen...hier frag ich mich, ob das dann nur noch eine formelle Sache ist, oder ob bis dahin zumindest die Arbeit und Mobilisierung der Bürgerinitiative "Stop TTIP" und allen weiteren Anti-TTIP-Engagierten das Thema in der europäischen Öffentlichkeit so kritisch publik gemacht haben, dass der Vertrag in dieser Form nicht abgesegnet wird (so wie man denn weiß, was da überhaupt drin steht....)...aber wer weiß, vielleicht sind diese Gedanken auch einfach zu naiv.

  • Andreas Povel Podiumsgast EU-Salon #3
    +1

    TTIP steht nicht im Gegensatz zu europäischen Grundwerten. Bei jeder Verhandlung ist eine gewisse Vertraulichkeit notwendig. TTIP ist nicht intransparenter als Koalitionsverhandlungen deutscher oder europäischer Parteien. Obwohl die Verhandlungen in einem frühen Stadium sind, ermöglicht die Offenlegung des Mandats einen hohen Einblick in die Freihandelsgespräche. Die nationalen Parlamente werden auch vor, während und nach jeder Verhandlungsrunde informiert. Das Abkommen ist komplex, aber das ist nicht mit Intransparenz gleichzusetzen.

    Außerdem braucht ein Freihandelsabkommen dieser Größenordnung klare und faire Regeln für inländische und ausländische Investoren. Aus Sicht der USA ist die EU eine Vereinigung von sehr unterschiedlichen Staaten mit großen Abweichungen bei den wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen. Interessant ist, dass Deutschland bereits mehr als 130 Investitionsabkommen unterschrieben hat. Darunter 13 mit Staaten der EU. Ergo: Rechtsstaatlichkeit und Investitionsschutz schließen sich nicht aus.

    • David Krappitz Mitglied JEB
      +2

      Zu Fragen der Transparenz verweise ich auf die parallel geführte Diskussion, ich glaube, da wird einiger Dissens zu Ihrer Position deutlich.

      Zur Frage des Investitionsschutzes: Nein, Rechtsstaatlichkeit und Investitionsschutz schließen sich nicht aus, das ist aber auch nicht die Frage. Die Frage ist die nach dem Zweck von Investitionsschutz.

      Zweck des Investitionsschutzes ist es, zwischen Staaten und Unternehmen eine Win-Win-Situation zu schaffen: Dabei sichern Staaten Unternehmen einen gewissen Rechtsschutz zu, womit Unternehmen einen größeren Anreiz erhalten, in diesem Staat zu investieren. Der Staat verstärkt damit seine eigene Wirtschaft.

      Investitionsschutz macht daher dort Sinn, wo Unternehmen Rechtsunsicherheit erkennen, welche ein starkes Argument gegen eine Investition ist. Rechtsunsicherheit soll durch Rechtsstaatlichkeit aber gerade aus dem Weg geschafft werden.

      Daher kann man sehr wohl die berechtigte Frage stellen, ob es in funktionierenden Rechtsstaaten völkerrechtlich zugesicherten Investitionsschutzrechten überhaupt bedarf? Oder ob mit solchen Rechten nicht letztlich nur ein Geschäftsmodell der Klage gegen demokratisch (und rechtsstaatlich) vorgenommene politische Entscheidungen gefördert wird?

      Wenn in Deutschland bereits verwaltungsgerichtlichen Klagen in Millionenhöhe gegen die Abschaltung von Atomkraftwerken aufgrund von Verfahrensfehlern stattgegeben wird: Wo braucht es da noch größeren Rechtsschutz für Unternehmen!?

    • Art 15 TFEU (AEUV) ist hierbei maßgeblich in Sachen Transparenz. Hier sind die Mitgliedstaaten schuld, dass der Lissabonvertrag in dieser Frage noch nicht umgesetzt wurde. Was an TTIP minder transparent ist, ist es bei jedem Handelsvertrag, weil die Staaten nicht ihre Hausaufgaben gemacht haben.

      Beim "Investitionsschutz" widerspreche ich: ISDS ist inakzeptabel, weil inländerdiskriminierend und außerhalb der höchtrichterlichen Kontrolle stehend. Personen ohne Qualifikation zum Richteramt dürfen sich über höchtsrichterliche oder parlamentarische Entscheidungen stellen und Schadensersatz zusprechen. Investorenabkommen der Bundesrepublik sind ungleiche Verträge für Staaten, bei denen Rechtstaatlichkeit nicht gewaht ist. Diese Instrumente erfüllen keinen sinnvollen Zweck in Verträgen mit entwickelten Rechtsordnungen wie den USA oder Kanada.

  • Ganz einfach: gar nicht! Es kann nicht sein, dass solch ein relevantes Abkommen, das in alle Lebensbereiche eingreift, die BürgerInnen so wenig einbezieht. Betrachten wir einmal den Bereich Verbraucherschutz. Würde ein Angleich der Standards bedeuten, dass sich die USA Europa anpassen – oder doch eher umgekehrt (wohl eher!!)? Ich als EU-Bürgerin möchte aufgeklärt werden, was wie verhandelt wird – v.a. darüber, wie es sich auf meinen Lebensbereich auswirken wird. Und dann möchte ich ein Mitbestimmungsrecht haben – alles andere würde meinem Verständnis einer lebendigen Demokratie widersprechen.

    • Ein indirektes Mitbestimmungsrecht könnte BürgerInnen wohl insoweit zukommen, als CETA und TTIP in den nationalen Parlamenten Zustimmung erfahren müssen. Ist dem so, oder reicht die Zustimmung des EP?

      • Andreas Povel Podiumsgast EU-Salon #3 ist dafür
        +2

        Generell wird hier zwischen sog. "gemischten" und "nicht gemischten Abkommen" unterschieden

        • Gemischte Abkommen sind völkerrechtliche Übereinkommen an denen auf europäischer Seite sowohl die EU als auch die Mitgliedstaaten als Parteien beteiligt sind. Gemischte Abkommen bedürfen der Zustimmung der Union und aller 28 Mitgliedsstaaten nach den jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften. Auf Europäischer Ebene ist die Zustimmung des Europäischen Parlaments erforderlich. Ein gemischtes Abkommen ist zwingend erforderlich, wenn dessen Inhalt über die Kompetenzen der EU hinausgeht und in den Zuständigkeiten der Mitgliedsstaaten fällt.

        • Nicht gemischte Abkommen sind bilaterale Handelsabkommen laut Art. 207 AEUV zwischen der EU und einem Drittland. Der Vertragsgegenstand fällt in die ausschließliche Kompetenz der EU. Im Bereich ‚Gemeinsame Handelspolitik‘ hat die EU die ausschließliche Kompetenz. Sie ist zuständig für Fragen, die den Handelsverkehr mit Drittstaaten regeln sowie alle Maßnahmen deren Hauptzweck in der Beeinflussung der Handelsströme und des Handelsvolumens liegt.

        Gemischtes Abkommen in der EU zum TTIP

        Alle EU-Mitgliedsstaaten vertreten die Auffassung, dass es sich beim geplanten europäisch-amerikanischen Freihandelsabkommen (TTIP) um ein gemischtes Abkommen handelt, bei dem sowohl die EU als auch die Mitgliedstaaten Vertragspartner der USA sind. Die Europäische Kommission weist darauf hin, dass diese Frage erst beantwortet werden kann, wenn der Inhalt des Abkommens feststeht.

        In Bezug auf den Ratifizierungsprozess auf Europäischer Ebene müssen bei gemischten Abkommen alle 28 Mitgliedsstaaten im Rat einstimmig entscheiden. Im Europäischen Parlament ist hingegen eine Mehrheit ausreichend. Auf nationaler Ebene müssen alle 28 Parlamente das gemischte Abkommen zum TTIP ratifizieren.

        • Vielen Dank für diese gute Erklärung der unterschiedlichen Abkommen!

          Haben Sie ein Beispiel für ein gemischtes Abkommen, das in der Vergangenheit abgeschlossen wurde? Gab es jemals schon solch ein vergleichbares Abkommen zu TTIP?

      • Ja, stimmt. Das hab ich oben auch nochmal angebracht. So weit ich weiß muss der Vertrag durch das EP UND die nationalen Parlamente...zumindest....

        • Eine "Ratifizierung" ist ja keine gesetzgeberische Debatte, sondern eine Annahme eines fertigen völkerrechtlichen Vertrages. Der Gesetzgeber muss genau darauf achten, dass seine Prärogative gewahrt bleiben.