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25 Jahre Mauerfall: Gibt es eine „innere Einheit“?


Körber StiftungWer kennt diese Drei? Pittiplatsch, Moppi und Schnatterinchen sind die Helden der ostdeutschen Kindheit. Gibt es nach 25 Jahren Mauerfall nun wirklich eine 'innere Einheit'? Im folgenden Text fragt die Körber-Stiftung nach euren Erfahrungen in der wiedervereinigten Bundesrepublik. Alle Interessierten sind eingeladen, sich mit Kommentaren einzubringen. Foto: Ingrid Euelenfan, CC BY-NC-SA 2.0


Ein Beitrag der Körber-Stiftung

Ab 9. November wird gefeiert. Schon jetzt werden 25. Jahre Mauerfall und Friedliche Revolution öffentlich zelebriert und im kommenden Jahr steht das Silberjubiläum der Wiedervereinigung an. Eine Erfolgsgeschichte? Die anfangs gravierenden wirtschaftlichen und sozialen Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland scheinen mittlerweile einer normalen Entwicklung unterschiedlich starker Bundesländer gewichen zu sein. Mit Angela Merkel im Kanzleramt und Joachim Gauck als Bundespräsident kann auch in der Bundespolitik auf den ersten Blick keine Rede mehr von einer Diskriminierung „des Ostens“ sein. Dennoch: Von wahrer Gleichberechtigung im Umgang von Ost- und West wird erst in der nächsten Generation die Rede sein können, meinen Marianne Birthler, die ehemalige Beauftragte für die Stasi-Unterlagen, und die jungen Ostdeutschen, die das ZEIT-Magazin vor Kurzem befragte. Auch der Umgang mit der Geschichte der DDR sorgt nach wie vor für emotionale Debatten, wie die Warnungen vor „den Stasis von gestern“ rund um die aktuelle Regierungsbildung in Thüringen zeigen. Wie nah sind wir nach 25 Jahren also wirklich an der „Deutschen Einheit“?

Am 2. November sprach Marianne Birthler mit dem Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk und Deutschlandfunk-Chefredakteurin Birgit Wentzien. Im Rahmen der Initiative „25 Jahre Mauerfall. Blick zurück, Blick nach vorn“ ging es um die Vorgeschichte des Mauerfalls, aber auch um den Umgang mit dem „Erbe“ der DDR-Vergangenheit. Die Veranstaltung wurde in der Reihe „History@Debate“ live übertragen. Tweets unter dem Hashtag #hist89 oder Diskussionsbeiträge auf dieser Seite wurden in das Gespräch mit eingebunden.


Kommentare

  • Liebe Community,

    gerne möchten wir euch auch auf folgende neue Diskussion von treffpunkteuropa.de aufmerksam machen, die das 25. Jubiläum des Mauerfalls zum Anlass nehmen, folgende Frage zu diskutieren: "Die Mauer von damals als Außengrenze von heute? - Braucht Europa Grenzen?"

    Wir freuen uns über eure Meinung in der Diskussion!

  • Herzlichen Dank für die rege Diskussion, die sich in den Argumenten und Fragen unserer Diskussion am 2.11. gespiegelt hat, als die Rede auf Politik und Gesellschaft im vereinigten Deutschland kam. Einige Defizite sehen beide Gesprächsteilnehmer noch, bis die Unterscheidung zwischen ost- und westdeutsch nicht mehr zu spüren ist. Frau Birthler wies darauf hin, dass ein Großteil der Schlüsselpositionen in Wirtschaft, Politik und Verwaltung immer noch von Westdeutschen besetzt sind. Herr Kowalczuk ist der Meinung, dass sich auch die westdeutschen Bundesländer in den Jahren nach der Wiedervereinigung massiv verändert haben – allerdings war dieser Bruch nicht so auffällig und wurde bislang noch nicht reflektiert. Das Gespräch über historische Unterschiede sehen beide als absolut nötig an, denn nur so könnten Ost- und Westdeutsche, die die Teilung bewusst erlebt haben, sich jenseits von Klischees ein Bild voneinander machen. Dieser Dialog hat in ihren Augen gerade erst begonnen, da die 1990er Jahre sehr stark vom pragmatischen Umgang mit den wirtschaftlichen und sozialen Umbrüchen geprägt waren. Eine Bilanz der Wiedervereinigung würde Herr Kowalczuk als Historiker daher erst zum 50. Jahrestag des Mauerfalls ziehen wollen. :-) Das Gespräch steht als Video in unserer Mediathek zur Verfügung.

    • Hallo Körber-Stiftung,

      hier ein kleines Feedback zum Vortrag. Insgesamt ein schöner Beitrag der die politischen Vorgänge in der DDR aufarbeitete, allerdings insgesamt habe ich eine etwas andere Wertung / Meinung zum Thema Wiedervereinigung und auch zur Frage der theoretischen Reformfähigkeit von autokratischen Systemen.

      Zu Kapitel 1: Auf die Frage, was wäre wenn das DDR-Regime schon früher mit Oppositionellen in den Dialog getreten wäre, bzw. ob eine Reform der DDR möglich wäre, hat Herr Kowalczuk schon sehr vorsichtig formuliert, dass er „glaube“, dass solche Diktaturen insgesamt das Problem haben, dass sie vom System her keine Reform zulassen können.

      Dem will ich einen anderen „Glauben“ entgegenstellen: Ich denke, dass alle Gesellschaften veränderungsfähig sind, weil der Mensch veränderungs- und anpassungsfähig ist. Das heißt alle Gesellschaften, ob nun autokratische oder demokratische, können sich schneller (Revolution) oder langsamer (Reform)verändern und zwar zum Guten wie zum Schlechten. Die Machtergreifung der Nazis würde ich z.B. als Reform hin zum Schlechteren bezeichnen. Reform insofern, als nicht ein Volk auf der Straße war oder die Nazis als Guerillatruppen das Militär besiegt hätten, sondern das Volk sie mehrheitlich ins Parlament wählte.

      Umgekehrt geht es aber auch, ansonsten hätte z.B. Großbritannien als Staatsoberhaupt keine Königin mehr. Und mein Eindruck ist auch bei Kuba oder dem Iran, ohne mich jetzt näher mit beiden befasst zu haben, dass sich dort leichte Verbesserungen einstellen. Zumindest wird Rohani hierzulande als liberaler dargestellt als sein Vorgänger und bei Kuba gibt es auch hin und wieder mal Meldungen, dass sich das Land zumindest ein wenig bewegt. Beides wäre für mich ein Zeichen von Reform in Richtung Gutem.

      Genau dieser Glaube ist der Grund, warum ich überzeugt bin, dass es immer notwendig sein wird, sich dafür einzusetzen, dass sich eine Gesellschaft zum Guten (z.B. Umgang mit Homosexuellen) reformiert und nicht zum Schlechten verändert (z.B. Le Pen oder Orban in unserer europäischen Gesellschaft).

      Zu Kapitel 2/3: Dass ich Helmut Kohl mal zustimme, hätte ich nie geglaubt, aber wenn er sagt, die Einheit war im Wesentlichen eine Folge der wirtschaftlichen Situation, ist das auch meine Einschätzung. In der gesamten Sowjetunion waren die Wirtschaften so marode, dass das planwirtschaftliche kommunistische System im Prinzip kollabiert war. Wäre die Sowjetunion nicht so marode gewesen, hätte es von vorneherein keine Perestroika gebraucht und es hätte nie die Bereitschaft der UdSSR gegeben, der DDR und anderen Ländern den Austritt aus diesem Bund gegen Wirtschaftshilfen aus „dem Westen“ zu ermöglichen. Dennoch, Die Freiheitsbewegung, bzw. die Demokratisierung der DDR oder auch Polens waren dann zum größten Teil Leistungen der dortigen Gesellschaften. Die Einheit der beiden deutschen Staaten wurde nach meiner Ansicht hingegen eher von der BRD forciert. Ich denke, die schwarz-gelbe Bundesregierung hatte ein großes Interesse an einer schnellen Wiedervereinigung. Zum einen, weil sie erwartete, mit der Einheit im Rücken auch die nächsten Bundestagswahlen zu gewinnen, zum anderen, weil sie ungerne bereit war, mit finanziellen Hilfen das Überleben eines zweiten deutschen Staates zu finanzieren, der wirtschaftlich zusammengebrochen war. Das Angebot war entsprechend ja auch ein echtes Lockangebot: Umtausch der Währung 1:1, Übernahme der Rentenverpflichtungen und die Bereitschaft von schwarz-gelb sich mit den ehemaligen Blockflöten ohne weitere Prüfung zu vereinigen. Ich denke, bei einer objektiven Bewertung, muss man dem wirtschaftlichen Zustand der DDR für den Punkt der „Wiedervereinigung“ eine viel größere Rolle zumessen, als das in den meisten Debatten und auch in dieser der Fall ist. Ich denke, das ist auch der Grund dafür, dass viele Ansätze in der DDR, die darauf abzielten ein eigenes System aufzubauen, bzw. Politik neu zu denken, in der damaligen Zeit, also ab dem Frühjahr 1990, ziemlich untergingen.

      Beste Grüße Mister Ede

      • Hallo Mr. Ede, danke für das nette Feedback zur Veranstaltung und die intensive Beschäftigung mit der Diskussion! Eine detaillierte Reaktion oder Antwort können wir leider schlecht liefern, da wir damit ja die Argumente unserer Podiumsgäste interpretieren müssten. Daher nur kurz: wir sind recht sicher, dass Herr Kowalczuk Ihren Appell zum Einsatz gegen Diskriminierung und für Verbesserungen unterschreiben würde und sehen in seinen Zweifeln an der Reformfähigkeit der DDR auch keinen Widerspruch. Die Umwelt- und Friedensgruppen sind zwar am Versuch gescheitert, die DDR zu reformieren. Ohne ihre Aktivitäten hätte es aber die Friedliche Revolution wohl nicht gegeben, da sie ja vielfach von den gleichen Personen und deren vorangegangenen Erfahrungen getragen wurde. Dass die Opposition dann im Herbst 1989 zu einer solchen Massenbewegung wurde, wovon sich viele Bürgerrechtler im Nachhinein selbst überrascht zeigen, hat bestimmt auch etwas mit der wirtschaftlichen Situation zu tun.

        • Hallo Körber-Stiftung,

          danke für die Antwort. Ich wollte damit auch gar nicht seine Ausführung in Frage stellen, weil das eh so eine hypothetische Frage war, sondern nur auf meine unterschiedliche Blick hinweisen, weil die Reformfähigkeit von solchen Systemen ja auch Bedeutung für den Umgang mit solchen Systemen heutzutage hat.

          Beste Grüße Mister Ede

  • Mauerfall und Wiedervereinigung waren eine Zeit voller Hoffnungen. Jedoch blieben diese meistens unerfüllt. Das ergab eine Studie, die das Institut für Demoskopie Allensbach im Auftrag von SUPERillu und den ostdeutschen Tageszeitungen in Zusammenarbeit mit der Agentur Zebra durchführte. Nur ein Drittel der Befragten gaben an, dass ihre Hoffnungen erfüllt wurden. Mehr als die Hälfte der befragten Ostdeutschen fühlen sich im Vergleich zu Westdeutschen benachteiligt und haben zugleich das Gefühl, Bürger ,,zweiter Klasse" zu sein. Die Vorurteile gegenüber Ostdeutschen und die damit einhergehende Diskriminierung ist auch 25 Jahre nach dem Mauerfall Alltag. So haben nur wenige Ostdeutsche in die Vorstandsetagen großer deutscher Unternehmen geschafft. Das geht aus einer Untersuchung der Personalberatung Korn/Feery hervor. Von 182 Dax-Vorständen stammen lediglich vier aus dem Osten – genauso viele wie aus Indien. Eine Erhebung durch die ZEIT ONLINE GmbH im Jahr 2013 ergab, dass nur 18 Prozent der Abteilungsleiter in den Landesverwaltungen der neuen Bundesländer gebürtige Ostdeutsche sind. Generell sind Ostdeutsche in Führungspositionen deutlich unterrepräsentiert. Ihr Anteil nimmt stetig ab. Dies wird durch Gutachten und Studien belegt. Es ist schon ziemlich pervers, dass in den neuen Bundesländern die Mehrzahl der Politiker eine ostdeutsche Herkunft besitzen, aber Ostdeutsche in allen anderen Bereichen unterrepräsentiert sind. Dies führt in der Bevölkerung zu Akzeptanzproblemen. Solange Ostdeutsche nicht in allen Ebenen, insbesondere in Führungspositionen angemessen repräsentiert sind, wird die „innere“ Einheit nicht vollzogen sein. Das Nichteinschreiten gegen Diskriminierung von Ostdeutschen wird oftmals damit abgetan, dass sich dies mit der Zeit von selbst „auswachsen“ würde. Dies ist aufgrund der bestehenden Vorurteile und der verfestigten diskriminierenden Strukturen ohne ein aktives Handeln der Politik und der gesamten Gesellschaft nicht erreichbar.

    • Lieber Zeitzeuge,

      ist nicht diese ganze Benachteiligungs-Debatte kleingeistig und angesichts des für alle Deutschen historischen Ereignisses des Mauerfalls und angesichts des seitdem Erreichten typisch deutsch kleinkariert? Man muss als Deutscher offenbar immer zuerst und vor allem unzufrieden sein. Glück und Dankbarkeit empfinden, ist nicht.

      Und die Noch-Unterrepräsentation von Ostdeutschen in Führungspositionen hat ja wohl zum Teil noch historische Gründe. Es scheint einem gut zu tun, sich "diskriminiert" - ein großes Wort! - zu fühlen, weil man daraus seine Berechtigung zu Ressentiments ziehen kann. Ich finde diese Debatte, die medial aufgeheizt wird, damit sie den Deutschen rechtzeitig zu den "25-Jahre-Mauerfall"- Feiern die Stimmung verdirbt, schrecklich.

      Und sie entspricht längst nicht mehr der Einstellung junger Deutscher in West und Ost, die längst viel weiter sind. Siehe die Beiträge von pedroB5 an diesem Ort. Ich hoffe, sie lassen sich nicht anstecken und zurückwerfen.

      • Ich verstehe nicht die mediale Aufregung um Gaucks Antwort im ARD-Interview auf die Frage, wie er eine mögliche Rot-Rot-Grün-Regierungskoalition unter Führung der Linken in Thüringen sehen würde. Er achtet den Wählerwillen und überschreitet insofern nicht sein Amt als Bundespräsident. Er meldet nur Zweifel an hinsichtlich der Frage, ob sich die Linke insgesamt schon genug gelöst hat von den Positionen der früheren SED.

        Und ist da nicht unser aller Aufmerksamkeit verlangt, nicht nur die der Thüringer?

        Außerdem fürchte ich, dass die Koalition mit der Partei "Die Linke" der SPD nicht gut bekommt. Sozialismus vs soziale Marktwirtschaft. Die SPD könnte weiter an Erkennbarkeit verlieren.

  • ...und plötzlich, 25 jahre nach mauerfall, ist das thema überwachung wieder in aller munde..schon seltsam! dabei gibt es die stasi schon längst nicht mehr. natürlich leben wir nicht in einem überwachungsstaat (und die überwachung ist eine ganz andere) aber trotzdem scheint sich zumindest psychologisch ein bestimmtes gefühl in der Bevölkerung zu wiederholen...oder auszubreiten.

    genau deswegen finde ich es wichtig, behutsam mit der vergangenheit umzugehen, sich zu erinnern und mit zeitzeugen zu sprechen – aus ost und west. ich denke es gibt immer noch eine unsichtbare trennlinie zwischen ost und west, was man aber auch nicht verübeln kann, denn 25 Jahre ist noch nicht mal eine generation, es braucht einfach noch etwas zeit, bis deutschland ganz zusammengewachsen ist.

  • Liebes Team der Körber-Stiftung!

    "Im Rahmen der Initiative "25 Jahre Mauerfall. Blick zurück, Blick nach vorn" wird es um die Vorgeschichte des Mauerfalls, aber auch um den Umgang mit dem "Erbe" der DDR-Vergangenheit gehen." Entsprechend richtet sich die Frage "25 Jahre Mauerfall: Gibt es eine "innere Einheit"? " vornehmlich an Ostdeutsche. Auch Ihr einleitender Text mit seinen lesenswerten Links zum Interview mit Marianne Birthler und zu den Voten junger Ostdeutscher im Zeit-Magazin stellt die Frage nach der "inneren Einheit", wie mir scheint, in erster Linie an Ostdeutsche. Als hätten nur sie die äußere Einheit zur inneren Einheit zu machen und sich zu integrieren bzw. integriert zu fühlen. Das empfinde ich als einseitig.

    Die Frage, wie weit es schon mit der inneren Einheit steht, muss genauso an (junge) westdeutsche und westberliner Erwachsene gestellt werden.

    Zum Beispiel: Ist ein Studium an einer ostdeutschen Universität schon eine gleichwertige Option zu einem Studium an einer westdeutschen Universität?

    Oder: Welche Erfahrungen machen Westdeutsche oder Westberliner, die in einer ostdeutschen Stadt arbeiten und leben?

    Gibt es noch Berührungsängste, Fremdheiten, was den Freundeskreis angeht?

    Mein Eindruck ist: Da gibt es unter jungen Erwachsenen aus West und Ost schon viel mehr selbstverständliches Miteinander, als es Ihre Fragestellung suggeriert.

    • Hallo Doro,

      danke für den Kommentar und das Interesse. Die Frage was „der Westen“ (sorry für die Verkürzung) zur inneren Einheit beitragen sollte, nehmen wir gerne mit auf. Da wir mit dem Podium auch über die Entwicklung der gesamtdeutschen Politik in den letzten Jahren und über ihre Wahrnehmung der „Mauerfallfeierlichkeiten“ in diesen Tagen sprechen wollen, findet sich da bestimmt ein guter Anknüpfungspunkt!

      Offen gestanden waren wir bei der Vorbereitung der Diskussion überrascht zu sehen, dass das Gefühl des „Andersseins“ und der immer noch bestehenden Vorurteile nach wie vor so stark ist und vor allem auch von der jungen Generation, die den Großteil ihres Lebens im vereinten Deutschland verbracht hat, noch wahrgenommen wird. Natürlich wären hier Perspektiven junger Westdeutscher ein interessanter Vergleich. Da sind unsere Podiumsgäste am 2. November allerdings nicht die richtigen Ansprechpartner.

      Aber vielleicht gibt es hier ja die Eine oder den Anderen, der diese Perspektive einbringen kann?

      Herzliche Grüße

      Körber-Stiftung

      • Körber-Stiftung!

        Vielen Dank für Ihre Antwort!

        Sie wollen über die Wahrnehmung der Mauer-Feierlichkeiten sprechen: Die geplante 12 km lange Installation "Lichtgrenze" kommt vielleicht etwas sentimental rüber. Man wird sehen. Es ist eine Idee, jungen Leuten heute den ehemaligen Mauerverlauf ins Bewusstsein zu bringen.

        Ich gehöre zur älteren Generation und bin Westberlinerin. Ich wage einfach mal die These, die konträr ist zu Ihrer Einschätzung:

        Die "innere Einheit" zwischen West und Ost war nie wirklich zerrissen. Auch nicht in Zeiten der Spaltung Deutschlands in "BRD" und "West-Berlin" und "DDR". Jedenfalls bei sehr vielen Deutschen nicht.

        Die Spaltung wurde schmerzhaft empfunden, und die Unfreiheit der Ostdeutschen war auch eine Unfreiheit der Westdeutschen und Westberliner. Ich denke nur an die Reisebeschränkungen, die ja auch Westdeutschen und Westberlinern die "Einreise" in die DDR oder nach Ostberlin ungeheuer kompliziert machten.

        Oder ich denke an den "Korridor", an die Grenzkontrollen, die einem klar machen sollten, dass man durch verfeindete Länder fährt. Und trotzdem haben die Deutschen auf beiden Seiten an der "inneren Einheit" mit den Menschen, mit denen sie verwandtschaftlich oder freundschaftlich verbunden waren, festgehalten.

        Und man hat sich voreinander geschämt, dass alles so war, wie es war. Spätestens, wenn die Geschenke, Kaffee, Orangen, Jeans etc übergeben wurden. Beide Seiten haben sich dann geschämt. Der Schenkende und der Beschenkte, der sich die Sachen gewünscht hatte.

        Ich weiß nicht, ob sich junge Deutsche heute überhaupt noch vorstellen können, welche äußere Befreiung und auch innere (psychologische) Befreiung der Fall der Mauer und die Wiedervereinigung für die Eltern- und Großelterngeneration in Ost und West bedeutete.

        Und die 25 Jahre seitdem? Eine Erfolgsgeschichte? Ich kann es nicht anders sehen. Jungen Ostdeutschen die Frage vorlegen, ob sie sich (noch) diskriminiert fühlen, empfinde ich als suggestiv. Und wenn ihre Eltern oder Großeltern nostalgisch werden, empfinde ich das als ebenso geschichtsvergessen, wie wenn Westberliner sich die Mauer oder Westdeutsche sich die innerdeutsche Grenze zurückwünschen.

        Herzlichen Gruß! Doro

        • das finde ich besonders spannend, das leben zur zeit der mauer in westberlin. man muss sich doch frei im unfreien gefühlt haben, wie in einer enklave, oder? haben sie sich so richtig als BRD-bürgerin gefühlt (geografisch war man ja abgetrennt) oder gab es so ein ganz eigenes gefühl in west-berlin? kann mir wirklich kaum vorstellen, wie das gewesen sein muss.

      • Da muss ich widersprechen! Ich bin in den 80ern geboren und habe die Trennung Deutschlands noch bewusst wahrgenommen. Bin sogar selbst einmal in die DDR gereist Ende der 80er. Trotzdem gibt es für mich keine gefühlte Trennung zwischen Ost und West. Nie. In meinem Freundeskreis vermischen sich "Ossies" und "Wessies" – es gibt keinen Unterschied. Ich glaube, ich habe gerade in diesem Kommentar zum ersten Mal bewusst diese beiden Begriffe niedergeschrieben (da sie in meiner Lebensrealität keine Rolle spielen).

        Natürlich aber unterschieden sich Kindheitserinnerungen, wie z.B. Erzählungen von "Jugendweihen" oder Sendungen, die man als Kind angeschaut hat oder Orte, in die man in Urlaub gefahren ist.

        Und heute natürlich besteht der Unterschied immer noch darin, dass in den neuen Bundesländern die Arbeitslosigkeit massiv höher ist und es vielen wirtschaftlich einfach nicht so gut geht.

        Allerdings: In den letzten Jahren kann ich eine zunehmende Attraktivität der neuen Bundesländer feststellen. Viele junge Leute ziehen zum Studieren in den "Osten": Leipzig, Dresden, Jena sind sehr attraktive Städte. Halle, Görlitz, Ilmenau, Potsdam sind sehr gute Universitäten für bestimmte Studienfächer. Ich denke, dass in der jetzigen jungen Generation und der nachfolgenden die Trennung keine Rolle mehr spielen wird. Kulturelle Erfahrungen und Erinnerungen sind immer mehr die selben, genauso wie Ausbildungen und Lebensumstände.

        Vielleicht ist die "innere Einheit" jetzt noch nicht zu 100% Realität. Wir sind aber auf einen sehr guten Weg dahin, denn die Jugend hat diese Schranken einfach nicht mehr im Kopf und definiert sich selbst nicht mehr als "Ossie" oder "Wessie". Und das ist der erste Schritt zu einer gelebten Einheit.

        • Hallo Pedro,

          danke für den Kommentar und die „junge westdeutsche“ (zumindest von Ihrem Geburtsort her) Perspektive. Die wirft natürlich die interessante Frage auf, ob Sie gerade deshalb optimistischer auf das Thema Einheit blicken, weil Sie aus dem Teil Deutschlands stammen, dessen „kulturelles Gedächtnis“ dominiert (siehe Pittplatsch/Micky Maus oder Die kleine Hexe/Der Traumzauberbaum und so weiter). Aber es kann natürlich auch sein, dass gerade die großen historischen Daten dazu einladen, sich noch einmal an die Besonderheiten in der Geschichte zu erinnern und dadurch Unterschiede zu betonen, die im Alltagsleben keine große Rolle mehr spielen. Wie seht ihr das?

          Mit herzlichen Grüßen

          Körber-Stiftung

          • Ja, das mag natürlich sein. Wobei sich meine optimistische Meinung va. auch aus Gesprächen und Erfahrungen mit gleichalten Ostdeutschen Freunden speist. Diese Sicht bedeutet jedoch nicht, dass mir der historische Background und die unterschiedliche Geschichte nicht bewusst sind. Ich habe Ihre Frage nach einer "inneren Einheit" auf das Heute bezogen verstanden. Dass kulturelle und historische Unterschiede bestehen, will ich gar nicht verschweigen. Ich finde nur, dass wir – auch mit einem unterschiedlichen kulturellen Gedächtnis – immer näher aneinander rücken....(vielleicht weil die Erinnerung auch bei der jüngeren Generation einfach nicht mehr so da ist).

            Den jetzigen Tag zum Anlass zu nehmen, um an die Geschichte der DDR & BRD zu erinnern ist richtig und wichtig! Ohne Zweifel! Jedoch sollte man gleichzeitig in die Zukunft schauen und versuchen, gerade die alten Stereotypen von Ossie und Wessie usw usw nach und nach abzubauen...

            • Die Frage war auch "auf heute" bezogen. Nur ist die Tatsache spannend, dass immer wieder mit Geschichte argumentiert wird - ob einfache Alltagserinnerungen oder die großen Begriffe wie "Diktatur" oder "Stasistaat" - und sicher gutes Futter für unsere Diskussionen.

              Grüße aus der Körber-Stiftung

              • Ja, das stimmt! Und da muss man, denke ich, wirklich differenzieren..."Geschichtsbewusstsein" ist ja so ein Thema...die Linie zwischen subjektivem Empfinden, Nostalgie und faktischen geschichtlichen Ereignissen ist recht dünn.

                Alles Gute für die Diskussion, und ebenfalls viele Grüße!

                • An die Körber-Stiftung:

                  Eine Frage hätte ich noch für Ihre Diskussion:

                  Die "Wiedervereinigung" war ja eigentlich, genau genommen, ein Beitritt der DDR zur BRD. Anerkennung des bundesrepublikanischen Grundgesetzes - einschließlich Gottesbezug in der Präambel - durch die DDR. Forciert vom damaligen Kanzler Helmut Kohl. Manche in der DDR fühlten sich über den Tisch gezogen. Und hadern vielleicht bis heute damit. Weil es gegen ihren Stolz ging, oder weil sie bis heute meinen, eine bessere Gesellschaft zu bieten gehabt zu haben.

                  Wenn es nach ihnen gegangen wäre, hätten wir vielleicht bis heute zwei deutsche Staaten. Zwar nicht mehr mit einem "eisernen Vorhang" als Grenze, sondern mit einer "normalen" - gemäß Maastricht-Vertrag - Grenze wie zwischen europäischen Staaten, aber doch jeder für sich souverän und mit einer eigenen Identität. Die "innere Einheit" wäre dann heute nicht eine nationale, sondern eine im weiteren Sinn europäische Einheit.

                  Besser, oder nicht so gut?

                  Ich bin gespannt auf Ihre Diskussion und hoffe, sie per Livestream verfolgen zu können.

                  Gruß! Doro