+1

Europa. Anders. Machen.


Foto: dpa/ Pablo Iglesias, Generalsekretär der spanischen Podemos-Partei, begrüßt die Initiative Europa.Anders.Machen. Getragen wird sie von Attac, Teilen der Gewerkschaften, sozialen Bewegungen, der Grünen Jugend, der Partei Die Linke sowie antirassistischen und linken Gruppen. Foto: picture alliance / NurPhoto

Das Dogma des Neoliberalismus lässt die europäische Demokratie zum Witz verkommen - meint das bundesweite Bündnis Europa.Anders.Machen. Die mediale Öffentlichkeit in Deutschland schüre den Rassismus. Hier auf Publixphere (überparteilich) könnt ihr den Protestaufruf diskutieren. Teilt ihr die Kritik?


Ein Beitrag von Europa.Anders.Machen

In Europa hat man heute allen Grund, entsetzt zu sein. Europas demokratisches und soziales Versprechen ist zu einer Farce verkommen. Angesichts des Massensterbens im Mittelmeer und des brutalen Kürzungszwangs im europäischen Süden ist die Schmerzgrenze längst überschritten: Statt der einst gepriesenen europäischen Werte von Vernunft, Gerechtigkeit, Freiheit und Demokratie herrscht der technokratische Wahnsinn. Am 20. Juni, dem internationalen Weltflüchtlingstag und dem Beginn der weltweiten Griechenland-Solidaritätswoche, wollen wir daher öffentlich auf den Straßen Berlins ausrufen: Dieses Europa agiert nicht in unserem Namen.

Ja, es gibt sie. Die Menschen, die entsetzt sind, dass an Europas Außengrenzen seit Jahren und immerfort Tausende geflüchtete Menschen sterben. Dass statt der Bereitstellung von rettenden Fähren die militärische Frontex-Abschirmung verstärkt wird. Dass Europa auf Kriege und Armut um uns herum mit Abschiebung in eben diese Kriege und diese Armut antwortet. Und dass die angekommenen Geflüchteten in Lagern isoliert und behandelt werden wie Kriminelle.

Und ja, es gibt sie auch, die Menschen, die es nicht mehr ertragen, wie die Euro-und Finanzkrise auf die Bevölkerungen im europäischen Süden abgewälzt wird, wie die Zukunft von Generationen auf dem Altar eines aus den Fugen geratenen Finanzsystems geopfert wird. Die, die es nicht einsehen, dass die Demokratie auch hierzulande zum Witz verkommt, weil das Dogma des Neoliberalismus als alternativlos gilt. Die, die sich darüber empören, dass nun mit TTIP Umweltschutz und soziale Rechte als “Investitionshemmnisse” gehandelt werden.

Nein, es ist bizarr, dass die mediale Öffentlichkeit in Deutschland mit einer herablassenden Sündenbockrhetorik wieder Rassismus schürt, ernsthaft von „Wirtschaftsflüchtlingen“, „faulen Griechen“ und „Schmarotzern“ spricht, anstatt die offensichtliche Unmenschlichkeit europäischer Innen- wie Außenpolitik anzuklagen.

Und, nein – wir sind nicht nur empört, wir wollen auch praktisch zeigen, dass die Bundesregierung nicht für uns spricht. Denn sie nutzt die ökonomische und moralische Krise um einen Keil zwischen die Bevölkerungen zu treiben, versucht uns zu entsolidarisieren und schürt Angst und Misstrauen; der ideale Nährboden für Nationalismus und den bereits gefährlich aufkommenden Rechtspopulismus, der dann, viel zu spät, wieder ganz erstaunt problematisiert wird.

Zu lange sah es aus, als wären wir einverstanden. Am 20. Juni, dem internationalen Flüchtlingstag und dem Beginn der Griechenland-Solidaritätswoche des Weltsozialforums – einem Tag weltweiter Aktionen – übernehmen wir Verantwortung für die hier gemachte Politik. Zeitgleich zu ganz ähnlichen Demonstrationen in Rom, London, Brüssel und in vielen anderen Städten Europas wollen wir öffentlich auch ein Zeichen aus Berlin und Deutschland senden und deutlich machen: Es gibt das Europa der Solidarität!

Mit unserer Demo wollen wir einem anderen Bild von Europa Raum geben. Gemeinsam starten wir vom Oranienplatz, dem zentralen Symbol für die Flüchtlingsbewegung in Berlin. Wir suchen das Gebäude der BILD auf, um ihre rassistische Stimmungsmache gegen Geflüchtete und die Menschen in Griechenland anzuprangern. Schließlich wollen wir, wie ein Schwarm, mit vielen anderen zusammen das Regierungsviertel füllen und dort auf einem Konzert, das von antirassistischen Gruppen, Flüchtlingsinitiativen und der LINKEN organisiert wird, unter dem Motto „Flüchtlinge Willkommen! Flucht ist kein Verbrechen!“ unsere Alternativen feiern. Da die europäischen Eliten im Juni das Schicksal Griechenlands entscheiden, wollen wir zu genau diesem Zeitpunkt öffentlich in den Verhandlungsprozess intervenieren. Und wir werden im Regierungsviertel die Stimmen derer hören, die sonst allzu oft ignoriert werden: Die Geflüchteten, über die viel, mit denen aber kaum gesprochen wird. Mit ihnen werden wir vor der Nase der Regierung für grenzübergreifende Solidarität und gegen die Verschärfung des Asylrechts tanzen. Denn das Versprechen von einem solidarischen Europa der Demokratie und der Menschenrechte muss endlich erfüllt werden.

Demonstration: Samstag, 20. Juni, 13 Uhr, Oranienplatz, Berlin-Kreuzberg

Webseite: europa-anders-machen.net


Links zur EU-Reformdebatte auf Publixphere


Kommentare

  • Puuuhhh, ein Rundumschlag! Meine Meinung dazu ist: Jein. In vielen Aspekten teile ich eure Meinung, aber finde auch, dass ihr hier ein ganz schönes Scheckensszenario zeichnet, alleine schon durch die Wortwahl: "Technokratischer Wahnsinn", "herablassende Sündenbockrethorik", "Die Zukunft von Generationen, die auf dem Altar eines aus den Fugen geratenen Finanzsystems geopfert wird". Mir ist klar, dass es Dramatik braucht, um zu mobilisieren. Auch stimme ich voll zu, dass sich etwas in Punkto europäischer Flüchtlingspolitik, Finanzpolitik und in so vielen anderen Bereichen ändern muss.

    Aber wie? Wo sind die kontruktiven Vorschläge? Wo die Alternativen? Die Zukunfsvision? Das kann hier nicht erkennen. Ich würde am 20. Juni mit auf die Straße gehen. Aber nicht, um nur GEGEN etwas zu protestieren, sondern vor allem, um mich FÜR eine überzeugende Idee einzusetzen. Und die wird mir hier noch nicht klar.

    • Hallo werkho, ganz Deiner Meinung. Über dieses Stadium ist die Debatte schon hinaus. Jetzt sind Vorschläge gefragt. Pardon, das ist mir einfach zu billig.

  • Hallo werko und Emil, seid ihr denn mit den Verhältnissen einverstanden? Man muss diese tiefrote Asta-Rhetorik ja nicht gut finden. Aber das Positive muss doch überwiegen: da üben Menschen mal europäische Solidarität!

    • Nein, bin ich nicht, wie in meinem Beitrag geschrieben. Und ja, du hast natürlich Recht: Solidarität ist wichtig. Ganz klar. Deswegen finde ich die Aktion im Grunde auch gut. Es geht mir vielmehr um die Perspektive: "europäische Solidarität" gegen Europa? Nein! Ich bin für europäische Solidarität für Europa. Das muss nicht automatisch pro-europäische bedeuten. Aber dieser Aufruf ist mir einfach zu dünn. Zu wenig. Zu inhaltsleer. Ich will ein solidarisches und v.a. konstruktives Kräftebündeln. Themen und Vorschläge, für die ich mich - auch nach der Demo - einsetzen kann. Durch meine Wahlentscheidung, durch Mitgliedschaften, durch Diskussionen. Eben durch mein (bürgerschaftliches) Engagement - in welcher Forma auch immer. Die Demo wird sicher ein total cooles Event. Nur danach geht es doch weiter wie zuvor und alle ziehen ihres Weges, so zumindest meine Befürchtung.