+8

Was würde passieren, wenn Pegida einfach so Geschichte wäre?


Foto: picture alliance / dpaAnhänger von Pegida und Legida beim "Abendspaziergang" in Leipzig (August 2015). Foto:picture alliance / dpa


Ein Beitrag von Klaas Andreas

Ad hoc: es würde ohne Pegida wohl viel ruhiger, viel entspannter werden. Keine Rassisten auf den Straßen, keine Negativschlagzeilen, kein Problem. – Es bliebe alles beim Alten. Die Rassisten blieben Rassisten, sie wären nur leise.

Es gibt Menschen, die meinen, dass der Anti-Pegida-Protest sich zu großen Teilen aus dem Bedürfnis nach Ruhe und konservativer Notwendigkeit von Ordnung und Geradlinigkeit speist und nicht aus dem Bedürfnis heraus die eigentlichen Probleme zu lösen. Im Pegida-Alltag in Dresden erhärtet sich dieses Empfinden. An einer Lösung der Probleme wird selten gearbeitet. Eher wird blockiert, gestoppt, Intoleranz den Intoleranten gezeigt und entnervt die Augen hochgezogen, sobald wieder irgendetwas zum Thema Rassismus, Intoleranz, Asyl, Pegida und weiteren Themen zu lesen ist. Kann es also sein, dass diese politische Lethargie, dieses „Hauptsache es ist ruhig!“ nicht nur ein Problem der Pegida-Anhänger, sondern der gesamten Gesellschaft ist?

„Pegida nervt!“

Menschen werden oftmals nur dann (politisch) aktiv, wenn sie direkt (vor der eigenen Haustür) etwas betrifft (oder nervt). Die politische Lethargie gibt es wohl schon seit Jahrzehnten in unserem Land, die dazu führte, dass wir gesellschaftlichen Frieden schätzen, es aber nicht mehr gewohnt sind, diesen zu wahren und zwar mit demokratischen Mitteln. Auf der einen Seite fühlen sich Menschen durch die „Flut“ an Asylbewerberinnen und –bewerbern gefährdet. Auf der anderen Seite fühlen sich politisch Verantwortliche von Reichsbürgern, Pegidianern und Wutbürgern belagert. Wenn Flüchtlinge (medienwirksam) "vor Lampedusa" ihr Leben verloren, kümmerte es den gemeinen Sachsen wenig. Nur selten wurde an die Flüchtlinge gedacht. Genauso wenig kümmerte es den gemeinen sächsischen Abgeordneten, dass vor 2013 rechte Gewalt nicht nur existierte, sondern Menschenleben kostete. Erst im Zuge der NSU-Ermittlungen wurden die Stimmen lauter, die forderten „da müsse etwas getan werden!“

Wie also umgehen mit der politischen Lethargie? Wie den (gesellschaftlichen) Frieden wahren? Wie die politische Kultur hin zu mehr Kontroversität und weniger Blockadehaltungen entwickeln? Was tun, wenn Pegida Geschichte wäre aber das Problem noch immer hämmernd vor unserer Tür steht?

Zur Debatte auf Publixphere:


Kommentare

  • Hallo Klaas,

    ich weiß genau was Du meinst! Diese Lethargie. Oder diese Stumpheit? Dieses Bemühen um den lieben Frieden, das alles unter den Teppich zu kehren bereit ist. Nur kein Ärger. Mir geht eine Frau aus Freital immer noch nach. Auf die Frage, ob es nicht schlimm wäre, sollten Flüchtlinge von Steinen getroffen werden, sagte sie im Fernsehen mit einem Lächeln: "Nee wieso, sind doch keine Deutschen!". Vielleicht bereut sie es inzwischen, das gesagt zu haben. Trotzdem: wo kommt diese Stumpfheit her?

    • Trotzdem: wo kommt diese Stumpfheit her?

      Zum Thema Mobbing schrieb ich hier

      Mein persönlicher Eindruck ist, in unserer Gesellschaft ist es gängig geworden, Witze auf Kosten anderer zu machen und sich durch die Herabsetzung des anderen selbst heraufzusetzen. Ganze Show-Formate finanzieren sich dadurch, nicht nur Prominente, sondern auch normale Bürger zu verarschen oder sich über sie Lustig zu machen (Bauer sucht Frau). Solange aber die Gesellschaft im großen Stil Erniedrigung und Ausgrenzung vorlebt, brauchen wir uns eigentlich nicht wundern, wenn Jugendliche diese Muster übernehmen. Wenn also von Mobbing in der Schule die Rede ist, dann heißt das doch nur, dass die Kinder und Jugendlichen schnell und fleißig gelernt haben.

      Kurz, die Menschen werden regelrecht auf Empathielosigkeit konditioniert. Hat denke ich aber auch etwas mit unserer neoliberalen Gesellschaft zu tun. Jeder für sich - gegen die andern.

      • Nachtrag zu meinem Kommentar unten: ich bin in den 80ern in einer westdeutschen Großstadt aufgewachsen, in einer wie man glaube ich sagen kann relativ weltoffenen Familie. Als ich klein war, sagte man bei uns in der Gegend (und nicht nur da) zu Schokoküssen einfach so "Negerkuss". Und zwar nicht nur so umgangssprachlich, sondern beim Bäcker ebenso wie in der Schule oder auch zu Hause. Man hat diesen Begriff einfach nicht reflektiert. Das hat sich irgendwann geändert, einfach so, aber ich erinnere mich ebenso gut daran, wie ich eines Tages einen "Negerkuss" bestellen wollte und mich die Verkäuferin darüber informierte, dass man dies nicht mehr so sage. Das sei rassistisch. Stattdessen sage man dazu jetzt "Mohrenkopf". Echt unglaublich.

        (Ich meine außerdem neulich gelesen zu haben, dass das Wort "Neger" auch bei Jim Knopf weiter vorkommen darf (was ich ziemlich bitter finde).)

        Jedenfalls war ich kein Rassist. Es war einfach normal so zu reden. Nun ist es zum Glück nicht mehr normal, weil man sich als Gesellschaft weiterentwickelt hat (wenn auch so unfassbar spät). Man hat gelernt. Aber wir sind ganz gewiss als Gesellschaft noch nicht frei von Vorurteilen, und zwar nicht nur in Sachsen.

        Was ich sagen will: PEGIDA stellt unsere Gesellschaft auf eine harte Probe. Man hat die Menschen, die da gerade auf die Straße gehen, lange politisch überhaupt nicht wahrgenommen. Plötzlich tut man es und wundert sich, was da in den Köpfen herumschwirrt. Und nun wo sie den Mund aufmachen weiß niemand, wie man mit den Dingen, die da rauskommen, umgehen soll.

        Vielleicht wäre es wichtig oder hilfreich, zwischen unterschiedlichen Typen von PEGIDA-Unterstützern zu unterscheiden:

        • Der wahre Rassist und Fremdenfeind ist nicht mehr zu retten. Gegen ihn (oder sie) müssen sich Politik und offene Gesellschaft gleichermaßen stellen, und zwar laut und hörbar. Dass sie das viel zu lange nicht getan hat (s. Tillich) ist ein Skandal.

        • Der unreflektierte Mitläufer hat vielleicht tatsächlich in erster Linie Angst vor Überfremdung. Vielleicht geht er aber dennoch beim Türken um die Ecke seinen Döner kaufen, weil "das einer von den Netten" ist. Gegen das Verhalten muss man sich klar stellen. Mit dem Menschen kann man aber vielleicht noch reden. Flüchtlinge sind ihnen fremd, weil sie einfach anders sind. Und weil ihnen die nötige Empathie fehlt, können sie sich auch nicht mit ihnen identifizieren.

        Schon beim Beschreiben dieser Typen wird mir unwohl, aber ich glaube nicht, dass all diejenigen, die mitlaufen, schon verloren sind. Vielleicht könnte man diese Menschen noch erreichen und ihnen vermitteln, dass das, was sie da veranstalten, alles andere als sinnvoll ist?! Dass auch Flüchtlinge (oder Muslime, oder Türken, oder Syrer, oder...) Menschen (!) sind? Ich weiß es nicht, würde es aber gerne glauben.

        • Wenn es bei Pegida um politisch korrekte Sprache gegangen wäre, dann wäre die Bewertung wohl eine andere als bei der betriebenen Islam- und Ausländerhetze.

          Typisieren von Menschen finde ich nicht gut. Jeder einzelne ist für sein Handeln verantwortlich, egal was für ein "Typ" er ist.

        • OK, habe den Kommentar oben ca. 4x bearbeitet. Und mir ist immernoch unwohl dabei. Ist ein schwieriger Diskurs.

      • Hallo MisterEde, jetzt bitte nicht weglaufen! Ich kann Deine Argumentation in diesem Thread (also auch in anderen Kommentaren) total nachvollziehen, hadere aber immernoch mit dem Gedanken, ob nicht auch die Voraussetzungen, die Du an Deine Gesprächspartner stellst (sprich: PEGIDA nicht als Protestbewegungen bezeichnen, von Rassismus und nicht von Fremdenangst reden usw.), irgendwie auch intolerant sind.

        Oder vielleicht nicht intolerant, sondern zu idealistisch oder durch deine Brille gesehen oder so... das richtige Wort ist mir dazu noch nicht eingefallen.

        Ich glaube einfach, dass der Dialog über sowas Wichtiges wie den Umgang mit PEGIDA nicht an solchen Dingen scheitern darf. Eigentlich stehen wir, und steht ihr hier doch alle auf der gleichen Seite! Oder nicht?!

        • Wo sollte das intolerant sein? Ich verbiete ja niemandem seine Meinung. Nur ist es doch meine Sache, ob ich die dann gut finde oder schlecht und ob ich sie kommentiere oder es bleiben lasse.

          Ich glaube einfach, dass der Dialog über sowas Wichtiges wie den Umgang mit PEGIDA nicht an solchen Dingen scheitern darf.

          Dann diskutier doch einfach über den Umgang mit Pegida und nicht über andere Dinge.

          • Für mich gehören diese Dinge zusammen.

            • Vielleicht geht ja die Unfähigkeit zum Kultur- und Religionspluralismus bei Pegida mit einer Unfähigkeit zum Meinungspluralismus einher.

              Das könnte z.B. die Lügenpresse-Rufe erklären, nur weil in der Zeitung nicht das steht, was Pegida gerne lesen möchte.

              • +1

                • Vielleicht können wir das ja vertiefen. Ich habe hierzu mal einen neuen Diskussionsstrang aufgemacht.

                  • Gerade gesehen. Könnte morgen werden, aber ich antworte dir auf jeden Fall.

  • Der Aufforderung von Angela Merkel in der heutigen Bundespressekonferenz in Bezug auf die fremdenfeindlichen Demonstrationen, „nicht eine Spur von Verständnis zu zeigen“, kann ich nur beipflichten. Auch ihren Rat, „so wenig wie möglich Erklärungsmuster zu suchen, die immer gleich mit Verständnis verbunden sind“, finde ich richtig.

    Insgesamt finde ich es gut, dass Angela Merkel nie Pegida aufgewertet hat, z.B. durch Besuche, und nie auch nur einen Deut Verständnis für die Verirrungen dieser Menschen geäußert hat.

  • Kann man vielleicht all diese Proteste gegen Minderheiten unter dem Stichwort Vielfalts-Feindlichkeit zusammenfassen?

    Das Recht auf Selbstbestimmung drückt sich durch individuelle Freiheiten (Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit) aus. Meinungsfreiheit erfordert Meinungspluralismus, Religionsfreiheit erzwingt die Möglichkeit zur Religionsvielfalt, die Pressefreiheit braucht das Recht zur Pressevielfalt und allgemein braucht die Selbstbestimmung in einer friedlichen Gesellschaft den Pluralismus. Auch die Demokratie erfordert Vielfalt bei der Wahl, bei Meinungen oder Ideen. Umgekehrt erdulden Diktaturen keinen Meinungspluralismus. Auch der IS lehnt Pluralismus ab, radikale Christen genauso.

    Proteste gegen Islam -> Ablehnung der Religionsfreiheit -> Ablehnung von Vielfalt

    Lügenpresse-Rufe -> Ablehnung der Pressefreiheit -> Ablehnung von Vielfalt

    Proteste gegen Rechte für Homosexuelle -> Ablehnung der Selbstbestimmung -> Ablehnung von Vielfalt

    Rassismus allgemein lehnt das Andere und damit die Vielfalt ab. Es läuft immer darauf hinaus, den anderen ein falsches Leben zu unterstellen. Wenn der Ausländer doch deutsch wäre, der Homo doch hetero oder in diesem Fall der Moslem doch Christ und dann noch die Presse das schreiben würde, was man selbst denkt, dann wäre der Pegida-Anhänger zufrieden. Aber genau das passt eben nicht mit der pluralistischen Gesellschaft zusammen, die sich aus dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ergibt.

    Fasst man diese Form der Proteste oder Ablehnung unter Vielfalts-Feindlichkeit zusammen, stellt sich allerdings immer noch die Frage, woher diese kommt. Ist es die Unfähigkeit, sein eigenes Sein vor sich rechtfertigen zu können? Eine Unfähigkeit zum selbstbestimmten Leben?

    Über die vorgeschobenen Ängste oder Sorgen braucht man allerdings wirklich nicht reden. Wenn jemanden eigentlich die Renten stören, dann soll er bei der Nahles in Berlin demonstrieren und nicht in Dresden gegen den Islam. Insofern muss man jemandem der Pluralismus und die individuellen Freiheiten von Menschen ablehnt, schlicht und ergreifend sagen, dass die freiheitlich-demokratische Grundordnung in unserer Gesellschaft nicht verhandelbar ist.

    • Hallo MisterEde, also nun doch ein bisschen später als geplant meine Antwort...

      Natürlich kann es sein, dass die Vielfalt hier der springende Punkt ist. Aber ich glaube, es ist auch eine Angst (ja, Angst) vor Verlust. Ich glaube nicht, dass Ängste immer nur vorgeschoben sind.

      Rassismus allgemein lehnt das Andere und damit die Vielfalt ab. Es läuft immer darauf hinaus, den anderen ein falsches Leben zu unterstellen. Wenn der Ausländer doch deutsch wäre, der Homo doch hetero oder in diesem Fall der Moslem doch Christ und dann noch die Presse das schreiben würde, was man selbst denkt, dann wäre der Pegida-Anhänger zufrieden.

      Das müsste ja eigentlich bedeuten, dass der Protest nachlassen würde wenn die Anderen sich nur anpassen würden. Noch nicht mal diese vermeintliche Chance wird dem Fremden ja aber eingeräumt (kann ich mir jedenfalls nicht vorstellen). Einmal Feind, immer Feind.

      Lügenpresse-Rufe -> Ablehnung der Pressefreiheit -> Ablehnung von Vielfalt

      Bei der Lügenpresse ist ja bezeichnend, dass sich die Pegida-Anhänger über zu wenig Meinungspluralismus aufregen. "Das wird man ja wohl nochmal sagen dürfen" und so weiter.

      Vielleicht brauchen diese Menschen einfach nur ein Feindbild. Identitäten festigen sich ja immer durch die Abgrenzung von etwas Anderem. Wenn zu Hause also die Perspektiven fehlen - keine Jobs, keine Zukunft - dann bleibt halt immernoch das Deutsch-sein als Differenzierungsmerkmal - bzw irgendeine kranke Vorstellung davon (stolz, homogen usw.). Und dann wird das Deutsche eben sehr eng definiert und alles Fremde wird zum Feindbild.

      Also ja, Angst vor Vielfalt, weil die Vielfalt zur Bedrohung der eigenen Identität wird.

      • Hallo babbelgebrabbel,

        danke für Deine Antwort.

        Aber ich glaube, es ist auch eine Angst (ja, Angst) vor Verlust.

        Bei dieser Verlustangst läuft es ja meistens auf so eine „Angst vor dem Identitätsverlust“ hinaus. Allerdings frage ich mich, was das überhaupt sein soll. Sitzen da Leute zuhause und gucken ständig auf ihren Perso, ob es sie noch gibt? Ich vermute daher, dass das keine Ängste, sondern Minderwertigkeitskomplexe von Menschen sind, die immer die Schuld bei anderen suchen. Sozusagen das Gefühl von Minderwertigkeit gepaart mit einer Unfähigkeit zur Reflexion und Selbstkritik.

        Vielleicht brauchen diese Menschen einfach nur ein Feindbild.

        Anscheinend ja. Meines Erachtens resultiert das aus diesem Gefühl von Minderwertigkeit zusammen mit der Unfähigkeit zur Selbstkritik. So muss dann zwingend immer jemand anderes schuld sein.

        Bei der Lügenpresse ist ja bezeichnend, dass sich die Pegida-Anhänger über zu wenig Meinungspluralismus aufregen.

        Das sehe ich gänzlich anders. „Lügenpresse auf die Fresse“ heißt doch, dass denen einfach nicht passt, wenn in der Zeitung eine andere Meinung als die ihre steht. Was dort gefordert wird, ist nicht „Meinungspluralismus“, sondern „Meinungsmonotonie“. Und wer andere Meinungen vertritt, soll eben auf die Fresse bekommen.

        Man teilt nicht die Meinung der BILD -> Man stellt seine eigene Meinung dar -> Meinungspluralismus

        Man teilt nicht die Meinung der BILD -> Man fordert „BILD auf die Fresse“ -> Meinungsmonotonie

  • Gute Erziehung und Bildung würde helfen. Wenn 18-jährige Deutsche gegen Flüchtlinge demonstrieren, muss ja schon früh was schief gelaufen sein.

    Verharmlosen und Kleinreden wird sicher nicht helfen.

    Wichtig ist, dass die Zivilgesellschaft ein solches Verhalten nicht insgeheim toleriert. Wichtig ist auch, dass der Staat zeigt, dass es sich hier um Terror handelt und nicht um Kinderstreiche.

    • Ich gehe nicht ausschließlich auf die Gewalttaten ein. Hierbei stehe ich wahrscheinlich glasklar dort, wo jeder stehen sollte: Wer Straftaten begeht, muss nach geltenden Gesetzen bestraft werden. Wer zu Straftaten aufruft oder sie im Anschluss feiert, ebenso.

      Wie gehen wir aber mit der flächendeckenden Ausländerfeindlichkeit um? Wie müssen wir die politische Kultur verändern - mehr Offenheit und Transparenz, gepaart mit sachlicher Kontroversität oder weiter wie bisher?

      • Wie gesagt: Gute Erziehung und Bildung würde helfen. Wenn ein 18-Jähriger Rassist ist, dann ist in der Sozialisierung was schief gelaufen.

        • Wird das eigentlich reflektiert? Sitzt da eine Lehrerkonferenz in Sachsen und fragt sich selbstkritisch: was haben wir falsch gemacht?

          • Der Trend bei der Bildung geht genau in die andere Richtung. Wie viele Menschen sind heute nicht mehr in der Lage aus eigener Kraft die Wohnung zu halten oder Amtsgeschäfte zu erledigen. Ein Mangel, der das differenzierte Denken einschränkt und nicht nur zu dem Verlust von geistigen Ressourcen führt. Wo liegen hierfür eigentlich die Gründe, die zu kritisieren wären?


            Wo sind radikale Sprüche wohl am ungehemmtesten zu hören. Geht mal in ein Obdachlosenasyl und nehmt euch etwas Zeit. Wer denken kann, der weiß woran das liegt. Bricht die persönliche Kompetenz weg, dann kommt das immaginäre Kollektiv in den Vordergrund. Zu irgendetwas dazugehören.

            Die Forderungen nach mehr Bildung sind schön und gut. In der Realität, versucht man jedoch mit pseudosprüchen wie "Aufstand der Anständigen" und ähnlichem zu opperieren. Psychologisch gesehen ist so etwas flach wie ein Plakat, weil keine Lösungsstrategien geboten werden. Konditionierende Parolen, die eine Zeit lang, oder auch länger wunderbar funktionieren können. Wie heißt es so schön, manch ein Fisch stinkt am Kopf.

            • Hallo Thorsten,

              Ich sehe es auch so wie Du. "Die Forderungen nach mehr Bildung sind schön und gut."

              Es ist ja auch nicht so, dass in Sachsen oder in anderen Bundesländern der ehem. DDR keine Bildung vermittelt würde. Im Religions- oder Ethik-Unterricht wird dort wie in den alten Bundesländern das Gebot der Nächstenliebe traktiert. Doch der zweite Punkt " Du sollst Deinen Nächsten lieben wie Dich selbst" - das "wie Dich selbst" kommt in der Regel zu kurz. Die Schüler/innen werden in der Regel als die Starken, aus gefestigten Familien stammenden, mit allen Chancen ausgestatteten jungen Menschen angesprochen, was sie nicht sind. Wo wird ihr Selbstbewußtsein gestärkt?

              Es gibt ein aufschlussreiches Buch mit dem Titel "In Deutschland freut sich niemand, dass du lebst". Es ist eine Sammlung von Aussprüchen straffällig gewordener, überwiegend durch eine DDR-Sozialisation geprägter junger Menschen. Ihre Nazi-Aussprüche klingen im Gefängnis hilflos wie von Leuten, die sich krampfhaft an ihrer Identität als Deutsche festklammern (ich brauche nicht dazu zu sagen, dass ich Nazi-Aufmärsche draußen ekelhaft finde!) und nicht verstehen, dass noch nicht einmal das noch was gilt, wo sie schon auf ihre famliäre Herkunft nicht stolz sein können.

              Bildung im Sinne von "Einbläuen von Moral" ist leider Standard, sie bewirkt das Gegenteil, ein Sich-Nicht-Verstanden-Fühlen dieser Jugendlichen und ein Aufbegehren und Sich-Zusammenschließen in rechtsradikalen Gruppen.

              Ich war kürzlich in einer Kleinstadt in Sachsen. In den Schaukästen der Kirchengemeinden hingen Aufrufe, sich als anständige Deutsche und Christen sich an Demos für eine "weltoffene Gesellschaft" gegen Demos des "braunen Terrors" zu beteiligen. Ich habe das Gefühl, das greift nicht. Und vor allem schien es mir, dass sich die Kirchengemeinden selbst als "gute Deutsche und Christen" darstellen wollten. Ich weiß nicht, ob sie überhaupt noch einen Dialog wollen. Reicht es ihnen vielleicht schon, sich mit einem solchen Aufruf positioniert zu haben?

              Das Ideal intellektueller junger Menschen in Deutschland, nämlich eine "weltoffene Gesellschaft" , möglichst postnational, ist hoch und hehr. Aber man muss sich dieses Ideal auch leisten können.

              Und ich sehe ein Deutschland der "zwei Geschwindigkeiten": die Einen auf dem Wege der Entgrenzung alles Nationalen, die Andern rückwärts gewandt, beharrend. Wie kann es überhaupt noch zu einem Dialog kommen, wenn man sich gegenseitig auf die "Couch" schicken möchte?

          • Hallo Rakaba,

            das ist eine gute Frage, die ich nicht nur auf Sachsen und nicht nur auf Lehrer beziehen würde (ich gehe davon aus, Sie meinen das auch nur als Beispiel).

            Aber ja, fragen sich das die Stadtverordneten, die das Jugendzentrum geschlossen haben? Fragen sich das die Kultusminister, die das Lehrerpersonal zusammenstreichen? Die Jugendämter? Die Medien? Und was ist mit den ganzen Landes- und Bundeszentralen für politische Bildung? Da geht’s ja nicht um die Frage, ob der Steuersatz jetzt bei 40% oder 50% liegen soll, sondern um die absoluten Grundwerte unserer Gesellschaft, die da mit Füßen getreten werden.

            Oder fragen sich das auch mal die Verfassungsämter, die mit der Bezahlung von V-Leuten noch dazu beitragen, dass die ihre Propaganda verbreiten können. Mit dem Geld könnte man wahrlich besseres anfangen – z.B. Counter narrative.

  • Gute Gedanken, Klaas!

    Allerdings sehe ich in der Art und Weise, wie sich die Zivilgesellschaft gegen PEGIDA zur Wehr gesetzt hat, den besten Beweis dafür, dass die Deutschen zum größten Teil gerade nicht lethargisch sind…Insbesondere, wenn man den Blick auf unsere Nachbarn im Süden, Westen und Osten, kann man mal für einen Moment innehalten und festhalten, dass die deutsche Öffentlichkeit scheinbar doch ein sehr ausgeprägtes Sensorium gegenüber Rechtspopulismus hat….

    Ich will weiß Gott nicht genügsam klingen. Die Arbeit gegen Rechts muss weitergehen, aber von einer gesamtdeutschen Lethargie zu sprechen, würde den Millionen hilfsbereiten Bürgern und Hunderttausenden Anti-PEGIDA Demonstranten nicht gerecht werden...

    • Lieber Juker, erstmal herzlichen Dank für Deinen Kommentar!

      Darauf wollte ich im Grunde genommen nicht hinaus. Die Antirassismusarbeit unzähliger freier Träger und unzähliger Initiativen sind deutschlandweit beeindruckend. Die Lethargie jedoch macht sich in der Gesellschaft bemerkbar. Genauer genommen bei jenen, die sich eher nicht mit Politik auseinandersetzen und eher ihre "Ruhe" suchen. Mit Lethargie war auch nicht die Handlungslosigkeit per se gemeint, sondern viel eher die politische Lethargie des Umschiffens statt des Lösens von Problemen. Auch hinterfrage ich die Motive des politischen Handelns. Wir streiten nicht mehr, weil wir den Streit schätzen, sondern weil wir ihn vermeiden wollen. Politisch aktiv werden wir, weil wir anderen nicht das Ruder überlassen wollen, gegen-etwas-Proteste nähren sich viel zu oft aus platten wir-sind-dagegen-Motiven und Protestbewegungen sprießen viel zu oft dort aus dem Boden, wo sich die Bevölkerung bedrängt fühlt.

      Kurz gesagt - Pegida scheint ein schon lang währendes aber eklatantes Problem der politischen Kommunikation offengelegt zu haben. Die Frage ist nur, wie damit umgehen und wie ggf. darauf reagiert werden kann.

      Aber auch da, sehe ich auch Antirassismusarbeit in der Kritik. Gerade hier in Sachsen aber auch in anderen Bundesländer haben wir versagt und scheuen uns vor einer eigenen kritischen Aufarbeitung unserer Methoden..

      • Auf der einen Seite von Pegida zu sprechen und auf der anderen Seite von Protestbewegungen, finde ich nicht gut.

        S21-Proteste, die Anti-AKW-Bewegung, aber auch Demos gegen Stromnetze oder Windräder oder Massentierhaltung sind mal was gänzlich anderes als die Hetze und Hassverbreitung dieser braunen Brut aus Rassachsen.

        • So ganz verstehe ich die Kritik nicht. Pegida ist per Definition eine Protestbewegung. Eine weitere Einordnung a la gut oder böse, habe ich nicht vorgenommen.

          Und anhand Deines Kommentares kann man das Grundproblem wunderbar erkennen. "Rasssachsen" ist sicher eine Wortwahl für die man Dich bei Diskussionen zur Ordnung rufen müsste.

          • "Rasssachsen" ist sicher eine Wortwahl für die man Dich bei Diskussionen zur Ordnung rufen müsste.

            Wieso Ordnungsrufe? Ich bin doch nur ein besorgter Bürger. Sie müssen meine Ängste ernst nehmen. Wo ist denn plötzlich das ganze Verständnis hin, das sonst Pegida entgegengebracht wird?

            • Hallo MisterEde, Klaas Andreas nimmt Deine Ängste doch ernst ;) auch, wenn Deine Fragen wohl eher rhetorisch gemeint sind.

              Ich sehe hier: zwei kluge Köpfe, die den Diskurs nicht scheuen und die sich ihre Gedanken zum gleichen Thema machen. Leider könnt Ihr Euch nicht auf eine gemeinsame Sprache einigen. Die Diskussion ist beendet, bevor man auch nur ansatzweise in die Nähe von möglichen Lösungsansätzen kommt.

              Genau daher bin ich bei Klaas Andreas, wenn er sagt, dass man anhand Deines Kommentares das Grundproblem wunderbar erkennen kann. Aber ich schreibe hierzu gleich nochmal einen ausführlicheren Kommentar, allerdings als direkte Antwort auf Klaas Andreas' Diskussionsanstoss (mich nervt das kleine Eingabefenster ;)).

              • Sehe ich anders. Schreib doch einfach, was Du an meiner Aussage

                S21-Proteste, die Anti-AKW-Bewegung, aber auch Demos gegen Stromnetze oder Windräder oder Massentierhaltung sind mal was gänzlich anderes als die Hetze und Hassverbreitung dieser braunen Brut aus Rassachsen.

                inhaltlich falsch findest. Ich schätze daher, dass die Diskussion einfach deshalb zu Ende ist, weil inhaltlich an dieser Stelle nicht widersprochen wird.

                • Ich habe gesagt, dass man anhand deines Kommentares das Grundproblem wunderbar erkennen kann.

                  Natürlich kannst Du zwischen Protesten gegen S21 etc. und Pegida unterscheiden. Das ändert aber wahrscheinlich wenig an der Tatsache, dass diejenigen, die für oder mit Pegida auf die Strasse gehen, diesen Unterschied nicht machen. Und somit erübrigt sich dann auch Deine Frage nach meiner inhaltlichen Kritik an deinem Zitat, weil die hier einfach nicht ausschlaggebend ist.

                  Es ist bitter, aber vielleicht ist in den Köpfen der Pegida-Unterstützer der Unterschied zwischen einem Gegenstand (AKW, Bahnhof, was auch immer) und einem Ausländer gar nicht so groß, weil Letztere einfach nicht als Menschen wahrgenommen werden. Ich weiß es nicht.

                  Wo ich Klaas Andreas einfach Recht gebe ist, dass man durchaus Folgendes behaupten kann (und darum ging es ja hauptsächlich in seinem Kommentar):

                  Pegida scheint ein schon lang währendes aber eklatantes Problem der politischen Kommunikation offengelegt zu haben.

                  Da ist so wahnsinnig viel kapputt, dass man doch schon lange nicht mehr nur von ein paar Verrückten "Rasssachsen" sprechen kann. So macht man sich das viel zu einfach.

                  Die Frage ist nur, wie damit umgehen und wie ggf. darauf reagiert werden kann.

                  Keine Ahnung.

                  Ich halte es jedenfalls für wenig produktiv, von "Rasssachsen" zu sprechen. Schon gar nicht, wenn man in einem Gespräch mit Sachsen ist, die versuchen, da was dran zu ändern.

                  • Es ist bitter, aber vielleicht ist in den Köpfen der Pegida-Unterstützer der Unterschied zwischen einem Gegenstand (AKW, Bahnhof, was auch immer) und einem Ausländer gar nicht so groß, weil Letztere einfach nicht als Menschen wahrgenommen werden. Ich weiß es nicht.

                    Und somit erübrigt sich dann auch Deine Frage nach meiner inhaltlichen Kritik an deinem Zitat, weil die hier einfach nicht ausschlaggebend ist.

                    Menschenverachtende Proteste haben immer Menschenverachtung zur Grundlage. Daher sind sie eben nicht mit anderen Protesten vergleichbar. Das ist der Kernunterschied, so wie ein Nazi-Aufmarsch eben nichts mit anderen Straßenumzügen, z.B. dem Kölner Karneval, zu tun hat. Das schreibe ich und wenn Du da inhaltlich nicht widersprichst, passt das doch.

                    Aus diesem Grund fällt mir aber auch das mit dem Einteilen in Typen schwer, weil jeder dieser Pegida-Anhänger/innen genau diese Empathielosigkeit besitzen muss – ansonsten würden er oder sie ja nicht mitlaufen. Deshalb ist aus meiner Sicht auch der Satz, „Pegida scheint ein schon lang währendes aber eklatantes Problem der politischen Kommunikation offengelegt zu haben“, falsch. Diese Proteste haben das eklatante Problem des Fremdenhasses und der Islamfeindlichkeit in Deutschland und spezielle in Sachsen offengelegt.

                    dass man doch schon lange nicht mehr nur von ein paar Verrückten "Rasssachsen" sprechen kann.

                    Ich spreche nicht von ein paar Verrückten. Und dafür, dass Dresden in Sachsen liegt, kann ich halt auch nix. Wenn Dir meine Beschreibung „braune Brut aus Rassachsen“ nicht gefällt, dann sprich doch von der „braunen Brut aus dem Tal der Ahnungslosen“.

                    Die Kritik an meiner Wortschöpfung stört mich nicht, inhaltliche Kritik an meiner Aussage sehe ich nicht, was sollen wir also an dieser Stelle jetzt noch weiter diskutieren?

                    Ich habe gesagt, dass man anhand deines Kommentares das Grundproblem wunderbar erkennen kann.

                    Welches Problem denn? Dass meinem Kommentar nicht widersprochen wird, sehe ich nicht als Problem. Wenn du mit Klaas Andreas abseits meiner Aussage über andere Punkte diskutieren willst, antwortest du vielleicht besser ihm direkt und nicht mir.

                    P.S. Auch eine nette Idee bei Zeit-Online: Ein Säxit.

          • Eine weitere Einordnung a la gut oder böse, habe ich nicht vorgenommen.

            Ja! Und genau das finde ich nicht gut. Mir ist dieser Umgang mit Pegida deutlich zu unkritisch.

            • Vielleicht offenbart ja genau dieser kleine Diskurs einen Teil des Problems? Dass Klaas Andreas in seinem Kommentar keine Unterscheidung zwischen "gut" und "böse" vorgenommen hat finde ich völlig OK, es wäre mir gar nicht aufgefallen (auch weil ich aufgrund seiner vorherigen Beiträge weiß, dass Klaas Andreas der PEGIDA-Bewegung kritisch gegenüber steht).

              • Dass Klaas Andreas in seinem Kommentar keine Unterscheidung zwischen "gut" und "böse" vorgenommen hat finde ich völlig OK

                Und ich find's halt nicht gut.

                auch weil ich aufgrund seiner vorherigen Beiträge weiß, dass Klaas Andreas der PEGIDA-Bewegung kritisch gegenüber steht

                Die politische Haltung freut mich. An meiner inhaltlichen Kritik ändert das aber nichts. Aber vielleicht hilft es ja, wenn ich es etwas allgemeiner Ausdrücke:
                Bürgerproteste gegen etwas politisches (Stromtrasse, S21, AKW usw.) sind was gänzlich anderes als Proteste gegen Bevölkerungsminderheiten (Ausländer, Schwule, Behinderte). Beides in einen Topf zu werfen hilft also nichts und zumindest für mich (das könnt ihr ja anders sehen), verharmlost es entweder die Hatz gegen Minderheiten oder rückt legitimen Bürgerprotest in ein schlechtes Licht - vielleicht auch beides.

                • Ich finde es bezeichnend, dass wir in dieser Diskussion von dem eigentlichen Problem - den Protesten an sich - hingewandert sind zu einer Kritk von Klaas Andreas, die ich so nicht teilen würde. Denn er ist ja eher ein Teil der Lösung, weil er sich ernsthaft Gedanken darüber macht, wo das Problem liegt. Und ganz ehrlich: bislang hat noch keiner eine wirksame Antwort auf PEGIDA & Co. gefunden.

                  Ich glaube außerdem, dass die PEGIDA-Protestierenden eben keinen Unterschied zwischen politischen Protesten gegen S21, AKW's usw. und ihrem eigenen Protest gegen "das Fremde" sehen. Im Gegenteil: sonst hätte die Frau, die BastianB in seinem Kommentar ja bezeichnenderweise zitiert, ja auch nicht gesagt, dass es OK wäre mit Steinen auf Nicht-Deutsche zu werfen. Für sie sind die Ausländer also minderwertig und weniger Mensch als Deutsche. Warum auch immer. Das ist das, was mir zu denken gibt.

                  • „Kritik von“ oder „Kritik an“?

                    Die Kritik von ihm teile ich nicht, weil ich meine Wortwahl für vertretbar halte, und eine Kritik an ihm gab es nicht, denn ich kritisiere nicht ihn, sondern das Zusammenwerfen von Pegida-Protesten mit anderen Protestbewegungen.