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Michal: Wie Europa wirklich entsteht


Foto: Olivia Henry (CC0 1.0) Ein Wandbild der OXI-Bewegung in Athen. Foto: aesthetics of crisis (CC BY-NC-SA 2.0)*

Das Projekt Europa kann nicht von oben installiert werden, meint der Publizist Wolfgang Michal. Die linke Syriza-Bewegung habe den Nationalstaatsbewohnern das vereinte Europa näher gebracht als jede bisherige Alt-Partei. Wie entsteht für euch Europa?


Ein Beitrag von Wolfgang Michal

In einem bemerkenswerten Interview sagte kürzlich der Chefhistoriker der Mächtigen, Herfried Münkler, Europa werde als Elitenprojekt fortgeführt – „oder es wird scheitern“. Würden Krethi (ein Grieche!) und Plethi überall mitreden dürfen, wüchsen nur die zentrifugalen Kräfte, die das schöne Projekt am Ende zerreißen. Doch genau dieses Risiko des Scheiterns ist das Ingrediens, das aus dem einst kalten Thema Europa ein politisch heiß umstrittenes macht.

Noch nie haben die Probleme eines einzelnen Landes die Bevölkerungen anderer Länder so stark interessiert wie heute. Mit dem Wahlsieg der Syriza-Bewegung ist Bewegung ins europäische Haus gekommen. Die Inneneinrichtung Europas wird nicht mehr allein den Eliten überlassen. Im griechischen Referendum konnten wir einen ersten zaghaften Ansatz zur Formulierung einer Alternative erkennen. Und durch das Referendum erlebten wir erstmals eine Solidarisierung (und Polarisierung) der Menschen quer zu den europäischen Nationalstaaten: Auf den Straßen von Irland bis Italien feierten die Verteidiger der griechischen „Nein“-Politik ihre Helden; an den Stammtischen von München bis Riga regierten die Anhänger der harten Linie gegen die „Verschwender“ des Südens. Zum ersten Mal gab es in der EU so etwas wie eine innereuropäische Auseinandersetzung, zum ersten Mal gab es zwei politische Lager, die sich konfrontativ gegenüber standen. Für die Verfechter der alten Europapolitik der Eliten (etwa die Brüsseler Apparatschiks Martin Schulz oder Rolf-Dieter Krause) war das ein Graus, für diejenigen, die die sozial blinde Politik der großen Koalition in Brüssel satt haben, war es eine Erlösung. Syriza – das muss man der aus der Not geborenen Bewegung lassen – hat den Nationalstaatsbewohnern das vereinte Europa näher gebracht als jede bisherige Alt-Partei (einschließlich den Grünen). Syriza hat das Projekt Europa aus seinem Dornröschenschlaf geweckt.

Ein solches Projekt kann nicht von oben installiert werden, wie dies in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts noch möglich schien. Sollte dieser veraltete Politik-Ansatz jedoch weiterhin versucht werden – und dafür spricht das jüngste „Einigungspaket“ mit Athen – wird der Aufstand der Griechen nur der Anfang der kommenden Aufstände gewesen sein. Nicht die Bevölkerungen müssen ausgetauscht werden, die Politik in Brüssel und in den nationalen Hauptstädten muss eine grundlegend andere werden. Es ist ein Trugschluss zu glauben, die Griechen hätten sich mit der Einigung wieder nur Zeit gekauft, nein, es ist die Troika, es sind die durch die Troika vertretenen Sonder-Interessen, die sich immer weitere Zeit kaufen. Der Konflikt selbst bleibt ungelöst.

Der nächste Aufstand wird deshalb dramatischer ausfallen als der jetzige, der übernächste könnte in einen Bürgerkrieg münden. Wer die Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika studiert, wird sehen, dass auch dieses Projekt nicht von heute auf morgen auf dem Papier entstanden ist, sondern nach harten Auseinandersetzungen im Rahmen eines ökonomisch-politischen Nord-Süd-Konflikts.


Hinweis: Dieser Crosspost erschien zunächst am 13. Juli 2015 auf wolfgangmichal.de. Zum Thema siehe auch Michals Text: "Ein vereintes Europa kann nur durch einen revolutionären Akt entstehen" (2011)

Links zur Debatte


Kommentare

  • Sie führen durchaus ein gutes Argument an und zwar, dass die Situation rund um die Griechenlandrettung eine ungelöste parteipolitische Komponente hatte und auch weiterhin hat.

    Meiner Meinung nach hat jedoch die europaweite Sympathie für Syriza unmittelbar vor und nach dem Referendum mehrere Katalysatoren gehabt und ich bezweifle, dass das Näherbringen eines geeinigten Europas tatsächlich dabei war. Vielmehr ist die "Alternative" von Syriza - wobei man sich zurecht fragen kann, welche Art von Alternative ein simples "Nein" tatsächlich ist - vor allem an der Vermittlung gescheitert.

    Um der Diskussion mal einen zusätzlichen inhaltlichen Drive zu verleihen: Wie müsste sich denn die Politik Brüssels und in erster Linie die der europäischen Hauptstädte ändern? Hier bewegt man sich in einem unsicheren Spagat zwischen der Akzeptanz der Bevölkerung für eine notwendige Neuordnung der EU und der Implementierung eben jener neuen Institutionenarchitektur. Denn im momentanen Setting der Institutionen Kommission, Rat und EP ist für eine wirkliche Auseinandersetzung parteipolitischer Alternativen kein Platz, insofern decken sich unsere Diagnosen. Die wohl kurzfristig wirksamste Lösung wäre der politisch und juristisch große Schritt, das Parlament dem Rat überall auf Augenhöhe entgegen zu stellen und gleichzeitig die Besetzung der Kommission zu politisieren, sodass diese sich bei ihrer Arbeit tatsächlich auf eine politische Parlamentsmehrheit stützen muss.

    Ob diese theoretische Überlegung aber der breiten europäischen Bevölkerung und nicht nur den Bildungs- und Netzeliten, die sich im Zuge des Referendums zu Wort meldeten, zu vermitteln ist, ist und bleibt der Knackpunkt der gesamten Debatte. Und der Umgang der Europäischen Bürgerinnen und Bürger mit der Europawahl zeigt dabei in eine Richtung, die nicht zwangsläufig auf ein klares "Mehr" an institutioneller Integration hoffen lässt.

    • Warten auf St. Nimmerlein

      Hallo Herr Gathmann, genau so ist es. Meine Befürchtung ist, dass der "Volkswille" für immer ein ominöses Wesen bleibt, mit dem aber ständig mutlose Blockade-Politik legitimiert wird. Viele Eliten gehen wie selbstverständlich davon aus, dass das "Volk", der "Stammtisch", der "Steuerzahler" alle möglichen Europäisierungen (Arbeitslosenversicherung, transationale Wahlen usw.) nicht mittragen würde. Aber woher wissen sie das eigentlich so genau? Aus dem Spiegel Online und Bild.de-Foren zur Griechenland-Rettung? Aus geheimen, steuerfinanzierten Meinungsumfragen, die unserer Kanzlerin allein vorbehalten bleiben? Meinungen können sich auch ändern, siehe die Welle der Wilkommenskultur. Und wer nicht wagt, der nie gewinnt. Dieses Warten Warten Warten und reine Mutmaßen, dass mit Europa kein Staat zu machen ist, ist die trostloseste aller Optionen. Vielleicht wäre alles anders, wenn Angela Merkal beschließen würde, als Juncker-Nachfolgerin zu kandidieren. Vielliecht wäre das der "Game-Changer", wie die lieben Spin-Doktoren zu sagen pflegen.

    • Hallo Herr_Gathmann

      Sie fragen,

      Wie müsste sich denn die Politik Brüssels und in erster Linie die der europäischen Hauptstädte ändern?

      Schritt für Schritt. Eine gemeinsame Asylpolitik wäre wieder so ein Schritt oder auch die gemeinsame Sicherung der Außengrenzen.

      Eine gemeinsame Bankenaufsicht, ein Zinsausgleich zwischen den Ländern und vieles mehr ist denkbar. Einige Punkte finden sich auch hier oder hier.

      Eine Frage, die wir hier debattiert haben, ist dabei auch, wie sich der Widerspruch zwischen der notwendigen stärkeren Integration in der Eurozone mit dem Willen einiger EU-Länder zu mehr nationaler Kompetenz auflösen lässt.

      Beste Grüße
      Mister Ede

  • @Rabaka Wie soll man denn in Europa eine "andere Politik" wählen? Dort regiert seit Jahrzehnten eine große Koalition. Der langweilige Pseudowahlkampf der beiden Spitzenkandidaten Juncker/Schulz hat das gezeigt.

    Die Debatte um Syriza hat zumindest eine Alternative eröffnet. Das ist das, was die belgische Soziologin Chantal Mouffe als Grundvoraussetzung für Politik bezeichnet. Man muss auch gar nicht mit dem Linkspopulismus von Syriza liebäugeln, um zu erkennen, dass das "Elitenprojekt Europa" die Bevölkerung Europas eher entpolitisiert und Parteien wie den frz. Front National oder die britische UKIP begünstigt hat.

    MisterEde Münkler ist inzwischen mehr Berater (von Generälen und Kanzleramt) als Wissenschaftler, siehe z.B. Zeit online: Der Ein-Mann-Think-Tank. Da muss er sich schon mal solche 'Ehrentitel' gefallen lassen.

    • Sehr geehrter Wolfgang Michal

      Sie fragen,

      Wie soll man denn in Europa eine "andere Politik" wählen?

      Das ist ganz leicht. Wie bei allen demokratischen Wahlen bekommt man einen Zettel, auf dem viele Parteien mit unterschiedlicher politischer Ausrichtung stehen. Bei der letzten Europawahl waren das z.B. in Deutschland ca. 30 Parteien. Bei jener Partei, die einem am besten gefällt, macht man dann ein Kreuz.
      Danach werden all diese Wahlzettel der Bürger ausgewertet und es wird geschaut, welche Parteien wie häufig gewählt wurden. Entsprechend werden dann die Parlamentssitze auf die Parteien verteilt. Ich hoffe, Ihre Frage, „wie man eine andere Politik wählt“, ist damit beantwortet.

      Information:
      Aus Deutschland sind z.B. Abgeordnete von insgesamt 13 Parteien in das Europaparlament eingezogen:
      34 Abgeordnete der Union
      27 Abgeordnete der SPD
      11 Abgeordnete der Grünen
      7 Abgeordnete der AfD
      7 Abgeordnete der Linken
      3 Abgeordnete der FDP
      1 Abgeordneter der Familienpartei
      1 Abgeordneter der Tierschutzpartei
      1 Abgeordneter der Freien Wähler
      1 Abgeordneter der ÖDP
      1 Abgeordneter der Piraten
      1 Abgeordneter der NPD
      1 Abgeordneter der Partei „Die Partei

      Beurteilung:
      Die Behauptung, der Bürger hätte keine Wahl, ist widerlegt. Es gibt jede Menge Wahlmöglichkeiten. Und ich glaube, niemand würde ernsthaft behaupten wollen, dass SPD und NPD, Grüne und AfD, Linke und FDP alle dieselbe Politik machen.

      Dort regiert seit Jahrzehnten eine große Koalition.

      Das entspricht eben dem Wahlergebnis. Wo also ist das Problem? Nach meiner Auffassung ist die Einstellung, eine Demokratie würde nur dann funktionieren, wenn genau das rauskommt, was man sich wünscht, undemokratisch.

      Münkler ist inzwischen mehr Berater […] als Wissenschaftler

      Was heißt hier „mehr … als“? Er berät ja in seiner Funktion als Wissenschaftler. Problematisch wäre es doch nur, wenn er dadurch nicht mehr unabhängig wäre, aber davon steht ja gerade nichts in Ihrem Text.

      • Wobei der Punkt von Herrn Michal damit nicht widerlegt ist. Natürlich gibt es ausreichend Wahlmöglichkeiten und niemand bestreitet, dass die Parteien sich programmatisch voneinander unterscheiden.

        Die Frage ist nur: Welche politische Praxis herrscht nunmehr nach der Wahl? Und da es keine Institution gibt, die sich in nennenswerter Weise auf feste Parlamentsmehrheiten stützen muss, gibt es auch keinen offenen politischen Wettstreit im Parlament. Jetzt kann man sagen, dass die EU als Verhandlungssystem hier doch nur frühen Interessenausgleich auf allen Ebenen sucht. In letzter Konsequenz kommt das aber auf jene große Koalition hinaus, die Herr Michal (zurecht) beklagt. Politische Alternanz wird so einfach nicht wirklich deutlich und jetzt kann man zugegebenermaßen gemäß Henne-und-Ei-Problem diskutieren, was zuerst da war: Das Desinteresse der Bürger an der Europawahl und die anschließende "gewollte" breite Koalition oder eben zuerst die Verschleierung politischer Konflikte und die daraus resultierende Gleichgültigkeit der Bürger.

        Unabhängig von der Anzahl der dort vertretenen Parteien sind übrigens die Fraktionen weitestgehend kohärent in ihrem Abstimmungsverhalten.

        • Hallo Herr_Gathmann

          Herr Michal spricht von einer jahrzehntelangen großen Koalition, Sie sprechen von wechselnden Mehrheiten. Was stimmt denn nun? Sie sagen, das Parlament hat kaum Einfluss, Michal spricht von „regieren“. Was also jetzt?

          Ich bin ganz Ihrer Auffassung, dass die schwache Stellung des Parlaments ein großes Manko ist. Aber inwiefern sollte da jetzt Syriza ein Hoffnungsschimmer sein, so wie das Michal darstellt? Hat Syriza denn eine Stärkung des EU-Parlamentes gefordert? Nein, eben nicht! Syriza hat mit Blockade gedroht und damit den nationalen Egoismus, der das genaue Gegenteil zur europäischen Integration ist, auf die Spitze getrieben.

          Insofern halte ich Ihre Analyse für richtig, es ist auch genau das, was ich seit Jahren schreibe und weshalb ich z.B. eine stärkere Anbindung der Kommission an das EP fordere.

          Beste Grüße
          Mister Ede

          • Im Ergebnis sind wir uns also einig :)

            Unterscheiden muss man schlussendlich nur die Ebenen. Was Syriza gemacht hat, war tatsächlich eine parteipolitische Streitkomponente in den Europäischen Rat zu tragen. Das war in der (konfrontativen) Form sicherlich neu. Aber in der Tat: Das hat zunächst einmal nichts mit dem dem EP zu tun.

            Auch was den Regierungsalltag betrifft: Es gibt eine ständige informelle Große Koalition. Es gibt keine parlamentarische Mehrheit ohne eine der beiden großen Fraktionen EVP und S&D. Manchmal sind die liberalen ALDE das Zünglein an der Waage, manchmal stimmen Rot-rot-grün-gelb zusammen, aber in den meisten (>50%) Fällen stimmen EVP und S&D gemeinsam ab. Insofern habe ich auch nicht von wechselnden Mehrheiten gesprochen, denn diese kommen zwar vor, sind aber weitaus seltener als die Alternativen.

            • Im Ergebnis sind wir uns also einig :)

              Wenn damit die Stärkung des EP gemeint ist, dann auf jeden Fall.

              Es gibt eine ständige informelle Große Koalition.

              Naja, Sie schreiben ja selbst, dass es auch hin und wieder andere Konstellationen gibt. Und dass in einem Parlament, das ja Mehrheiten braucht, die großen Fraktionen eine wichtige Rolle spielen, liegt m.E. in der Natur der Sache.

              Das war in der (konfrontativen) Form sicherlich neu.

              Wieso ist das neu? Alle 28 Regierungen der EU-Länder stellen ihre nationalen Interessen (bzw. besser gesagt nationalen Regierungsinteressen) in den Vordergrund, der eine bei Flüchtlingen, der andere bei Abgasgrenzwerten und der dritte beim CO2-Handel. Genau das ist doch das Problem.

              Zukunft EU: Dachverband der Nationalinteressen oder Gemeinschaftsprojekt? (www.mister-ede.de – 31.01.2013)

              Nur wenn man dieses Problem erkennt, dann muss man doch Feststellen, dass gerade Syriza oder auch die nationalistischen Ansätze der Wagenknechtchen Linken keine Lösung sind. Jürgen Klute, ebenfalls Linke, ist da meines Erachtens auf einem viel besseren, weil europäischen Weg (Sein Beitrag auf Publixphere).

    • Alle haben schon immer für immer die Wahl / #Demokratie

      @ Wolfgang Michal:

      Also mal eine kleine Polemik.

      Wo Griechenland die Wahl hatte

      • Griechenland musste nicht mit gefälschten Zahlen einer Währungsgemeinschaft beitreten, die es unter immensen Wettbewerbsdruck setzt (eigene Währung nicht mehr abwerten können...bla bla...Sie kennen das)

      • Griechenland musste die Euro-Effekte (historisch günstige Kreditzinsen nach Euro-Beitritt, höhere Standort-Attraktivität usw.) nicht einfach verkonsumieren. Man hätte sie auch nutzen können, um in eine nachhaltige Wirtschaft und in Wettbewerbsfähigkeit zu investieren

      • Griechenland hätte seine jahrzehntelange Kleptokratie auch mal davonfegen können

      • Griechenland hätte die ESM-Kredite samt Troika-Diktatur nicht nehmen müssen, sondern hätte auch einfach aus dem Euro austreten können

      Wo Deutschland die Wahl hatte

      • der Bundestag hätte der Aufnahme Griechenlands in den Euro nicht zustimmen müssen. Auch dem Euro nicht. Er muss überhaupt gar nichts.

      • der Bundestag - speziell die SPD - hätte die weithin als unsozial und nicht nachhaltig beschriebenen Troika-Konditionen für Griechenland auch ablehnen können

      • der Bundestag kann weiterhin dafür sorgen, dass die ganze Konstruktion neu legitimiert wird, zum Beispiel über ein Euro-Budget, über das ein Euro-Parlament verfügt. Die EU hat bei diesem ganzen Rettungs-Mechanismus bislang herzlich wenig zu sagen. Wer sitzt im ESM-Board? Richtig, die Euro-Finanzminister. Wer hat das Sagen? Die Gläubiger. Nicht ein Herr Schulz oder Herr Juncker. Die turnen da bislang nur zur allgemeinen Verwirrung herum (was schade ist, denn ich mag die beiden).

      Überall kann weiterhin gewählt werden, wie es läuft. Speziell hinter der verhassten Troika-Politik steckt enormer demokratischer Druck. Das ist die Bedingung, unter der die Unionsparteien in Deutschland (ihren Wählern verantwortlich und von der BILD vor dieser her getrieben) überhaupt zähneknirschend den Rettungspaketen zustimmen. Denn diese Bailouts sind der Verrat der Konservativen an ihren Wählern wenn Sie so wollen. Sie standen nicht im Euro-Vertrag. Da stand die Nicht-Beistands-Klausel drin. Versprochen, gebrochen. Aber geht ja nicht anders. Wo wir schon bei Zwängen sind.

      Welche Euro-Politik würde Rot-Rot-Grün denn machen? Die Wähler können es herausfinden. Ich wills lieber nicht wissen.

      • "Enormer demokratischer Druck" hinter der Troika-Politik würde ich dann aber doch nochmal genauer erklärt bekommen.

        Abgesehen davon: Der Begriff "alternativlos" ist nicht vom Himmel gefallen. Klar gibt es immer eine Alternative und in den genannten Bundestagsentscheidungen wäre die Alternative klar das wesentlich schlechtere Übel gewesen.

        Man kann auch über die griechischen Verfehlungen der Vergangenheit diskutieren, bis die Ohren bluten, aber dahingehend funktioniert die pragmatische Eurorettung erstaunlich gut - prozessual betrachtet. Denn einseitige Schuldzuweisungen helfen in der Debatte nicht. Der Mikroebene Haushalt in Griechenland lässt sich da nämlich die Makroebene Exportüberschuss in Deutschland gegenüberstellen und es ist eben jene parteipolitisch geprägte Sichtweise, für die ein Ventil auf höchster europäischer Ebene fehlt.

        Im Übrigen ist auch die aktuelle Situation in Griechenland selbst geprägt von einem inneren Generationenkonflikt, weil die jungen Menschen im Land sehr wohl wissen, dass ihre Elterngeneration im Kern zu weiten Teilen für die aktuelle Situation verantwortlich ist und nur von der griechischen Gesellschaft selbst dafür zur Verantwortung gezogen werden kann.

        • "Enormer demokratischer Druck" hinter der Troika-Politik würde ich dann aber doch nochmal genauer erklärt bekommen.

          Ich schätze, Rakaba meint damit die Angst vor dem Wähler in den Heimatländern. Welche Regierung würde denn für europäische Interessen die eigene Wiederwahl gefährden. Mit dieser Einschätzung liegt Rakaba m.E. richtig.

  • Sehr geehrter Herr Michal, ich bin mir nicht sicher, ob Syriza uns Europa näher gebracht hat. Fanden Sie die linke Solidarisierung in Europa stark und glaubwürdig? Dass Herbeisehen von Revolutionen finde ich schon beim Salon-Linken Jakob Augstein immer etwas befremdlich. Wie wäre es denn mal damit, eine andere Politik zu wählen?

  • Eine Idee / ein Experiment: Wer möchte kann mal versuchen, die zahlreichen Argumente. Kritikpunkte und Fragen in diesem Forum in die Diskussion um Jean-Claude Junckers aktuelle Rede zur Lage der Union zu transferieren. Wie anschlussfähig ist die Zukunfts-Debatte, die derzeit in Brüssel geführt wird?

    Kommentieren könnt ihr Junckers Rede abschnittsweise am Rand:

    "Zeit für Ehrlichkeit, Einigkeit und Solidarität" - Junckers Rede zur Lage der Union

    Liebe Grüße, Alex

    • Ich habe das jetzt nur mal so überflogen, aber aus meiner Sicht ist eine tiefergehende Beschäftigung mit dieser Rede Zeitverschwendung.

  • @Herr Gathmann Was EU-Parlament und EU-Kommission angeht, so stimme ich Ihnen zu. Aus dem Rat könnte dann eine Art Senat werden (eine 2. Kammer). Es genügt freilich nicht, dass das Parlament dem Rat auf Augenhöhe gegenübergestellt wird (wer sollte das tun?) - das Parlament muss sich schon selbst zur entscheidenden politischen Instanz erklären. Als Vertretung des europäischen Volkes. Durch einen neuen Ballhausschwur (wie 1789). Der König (heute: der Rat) müsste dann nachgeben. Das wäre ein qualitativer Sprung. Deshalb glaube ich nicht, dass eine reine Institutionen-Reform von oben (von wem?) beschlossen wird. Die muss schon politisch erkämpft werden.

    • Es genügt freilich nicht, dass das Parlament dem Rat auf Augenhöhe gegenübergestellt wird (wer sollte das tun?) - das Parlament muss sich schon selbst zur entscheidenden politischen Instanz erklären.

      Kommt es dann aus Ihrer Sicht nicht auf das Ergebnis eines Veränderungsprozesses an, sondern nur auf den Weg dorthin? Und der Weg ist immer nur dann richtig, wenn er über Revolution führt?

      Was ist das denn für eine Einstellung zur Demokratie und zur friedlichen Suche nach Kompromiss und Interessensausgleich?

    • Das Parlament hat sich im Zuge der Kandidatennominierung vor der Europawahl ja schonmal eine gute Ausgangsbasis für die nächste Wahl erkämpft.

      Man kann aber auch beobachten, dass die institutionellen Machtkämpfe in Brüssel das Tagesgeschäft an der ein oder anderen Stelle verlangsamen und den Fokus verschieben können. Insofern ist ein offen ausgetragener Konflikt zwischen Parlament und Rat nicht zuletzt auch aufgrund des Einflusses der nationalen Parteien auf die eigenen EP-Abgeordneten mit Vorsicht herbeizusehnen.

      Spätestens die Änderung des Institutionengefüges an sich mit weitreichender Kompetenzverschiebung - und nichts anderes stellt der von uns skizzierte Vorschlag dar - erfordert Vertragsänderungen. Und da kann sich das Parlament auf den Kopf stellen, die Kompetenz-Kompetenz bleibt auf nationaler Ebene.

      Mich persönlich stört weniger der Ministerrat als das Rat der Staats- und Regierungschefs. Denn diesen traut sich niemand herauszufordern.

      • Hallo Herr_Gathmann

        Sie sagen,

        Das Parlament hat sich im Zuge der Kandidatennominierung vor der Europawahl ja schonmal eine gute Ausgangsbasis für die nächste Wahl erkämpft.

        Und für Michal war das,

        Der langweilige Pseudowahlkampf der beiden Spitzenkandidaten

        Was ist denn jetzt zutreffend? Sinnloser Pseudowahlkampf oder sinnvoller Schritt?

        • Beides. Es wird ab sofort bei jeder Wahl einen Spitzenkandidaten pro Parteienfamilie geben, der um das Amt des Kommissionspräsidenten kämpft und - das ist der entscheidende Schritt - es am Ende auch wird. Der Sieg des Parlaments bzw. der Parteien war es nämlich, dem Europäischen Rat das alleinige Vorschlagsrecht streitig zu machen.

          Dass es jedoch überhaupt Parteikandidaten für das Spitzenamt gibt garantiert aber natürlich noch keinen spannenden Wahlkampf. Das hängt zum Einen an den jeweiligen Personen (Juncker ist halt eher "zahm"), zum Anderen aber vor allem an der Organisation des Wahlkampfes an sich. Juncker hat in Griechenland völlig andere Akzente gesetzt als in Deutschland und Schulz ist mit einem der kürzesten Programme auf Tour gegangen.

          Würde sich der Wahlkampf tatsächlich immer nur im Themen drehen, für die die EU auch tatsächlich zuständig ist und Kompetenzen besitzt - unterschiedliche Kompetenzverteilung zwischen Kommission und Parlament mal außen vor gelassen, das macht die Sache natürlich noch komplexer -, dann sähe die Spannung im Wahlkampf sicherlich anders aus. Wer eben aneinander vorbei redet, erzeugt weniger Spannung, als gegeneinander zu reden.

          • Ich hatte zur Europawahl von einem Wahlkampf der Scheinthemen geschrieben, was genau das ausdrücken sollte - die Belanglosigkeit der nach vorne gestellten Themen. Deshalb war es aber noch lange kein Pseudo-Wahlkampf, nur weil ich andere Themen als wichtiger ansehe.

            Ich denke einfach, man muss sich ein bisserl ernsthafter mit der EU auseinandersetzen und gerade deshalb lehne ich eben solchen Populismus und plumpes EU-Bashing ab.

  • Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Herabwürdigung von anerkannten Wissenschaftlern („Chefhistoriker der Mächtigen“), demokratisch gewählten Politikern und Europa-Korrespondenten („Apparatschiks“) positiv zur europäischen Integration beitragen wird.

    Außerdem wüsste ich gerne, ob Flüchtlinge in Griechenland auch das Gefühl haben, dass Syriza der Heilsbringer Europas ist.

  • Hallo Wolfgang Michal, ..ich kann noch gar nicht auf Ihren Text eingehen, weil ich immer noch über das Münkler-Intereview staune.

    Der Prozess Europa, das ein Elitenprojekt war der politischen und ökonomischen Eliten, zu demokratisieren, hat die Sprengkraft oder die Fliehkräfte in Europa dramatisch erhöht.

    Ich weiß gar nicht, was an diesem Satz am Falschesten ist :)